28. April 2015

'Gefangen in einem Schwur' von Marion Krafzik

Überglücklich fiebert Marie mit ihren Freundinnen Marleen und Ruth der Abi-Party entgegen. Doch die Party entwickelt sich für die drei zu einem Desaster und das Leben der jungen Frauen wird brutal auf den Kopf gestellt. Durch einen Schwur soll verhindert werden, dass das Geschehene ans Licht kommt.

Nach acht Jahren treffen die drei wieder aufeinander und Marie wird sich bewusst, dass sie den damaligen Schwur brechen muss. Oder sie zerbricht an ihm. Es beginnt für Marie ein Kampf gegen sich selbst und gegen ihre damaligen Freundinnen, denn diese haben ihre ganz eigene Vorstellung von Wahrheit.

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Leseprobe:
Wolkenbruchartig donnert der Regen auf die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer geben ihr Bestes und dennoch ist es nicht genug. So viel Wasser können auch sie nicht so einfach beiseiteschieben. Marie beugt sich nach vorn und wischt immer wieder mit der flachen Hand über die beschlagene Windschutzscheibe, um eine bessere Sicht auf den dahin schleichenden Straßenverkehr zu bekommen. Es ist kurz vor 9 Uhr in der Früh und dunkel wie an einem Wintermorgen. Marie wird zusehends nervös, weil sie nun schon zum fünften Mal auf der Suche nach einem Parkplatz um den Block fährt. ,Scheiße‘, denkt sie, ,ich werde noch zu spät zur Arbeit kommen.‘ Immer wieder lenkt sie an der Obdachlosen vorbei, die trotz des prasselnden Regens stur an ihrem Stammplatz sitzt. Ihren Blick hat sie starr geradeaus gerichtet. Marie ist mit ihren Gedanken ganz bei der Obdachlosen. ‚Was für ein Leben muss das sein? Tag ein Tag aus bei jedem verfluchten Wetter hier zu sitzen. Mit niemandem reden zu können. Immer allein sein.‘ Es gruselt Marie. ,Das ist kein Leben.’ Der Anblick der Frau löst ein beklemmendes Gefühl bei ihr aus. ,Was ist, wenn du bald wie sie auf der Straße sitzt?‘ Marie drängt den Gedanken beiseite. Vor drei Tagen hat sie Ruth und Marleen getroffen, und seit drei Tagen trinkt sie wieder regelmäßig. Oh, nicht viel, nur so viel, dass der Alkohol sie beflügelt und die Welt nicht mehr so boshaft erscheint. Marie umklammert das Lenkrad. Sie wird es nie schaffen, niemals. Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich zu Tode säuft, sie möchte lieber tot sein als so zu enden wie die Obdachlose. Marie gibt Gas.

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22. April 2015

"Zwei Leben lang Liebe" von Lio Gordon

Wenn du dein Leben noch einmal von vorn beginnen könntest, würdest du es tun? Im August '99 begegnen sich Max und Lina zum ersten Mal. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch Lina ist verlobt, und ihre ganze Familie fiebert der geplanten Hochzeit sehnlich entgegen. Trotz der widrigen Umstände erleben Max und Lina einen Sommer voller Liebe und überwältigender Gefühle füreinander. Als Max ein Auslandssemester in Südafrika verbringt, trennen sich ihre Wege, und Lina entscheidet sich für ihren Verlobten.

Sieben Jahre später sehen sich die beiden wieder und müssen sich eingestehen, dass sie noch genauso tief füreinander empfinden wie damals. Doch Max fasst einen folgenschweren Entschluss. Als acht weitere Jahre später ein Schicksalsschlag alles verändert, liegt es an Max und Lina herauszufinden, was im Leben wirklich zählt ...

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Leseprobe:
Er war nicht der Mann, für den man ihn hielt. Er hätte gerne dem Bild entsprochen, das viele von ihm hatten, doch er wusste, dass er dem nicht gerecht werden konnte. Was hatte er schon erreicht im Leben? Nichts, das ihm wirklich etwas bedeutete. Das Haus-Baum-Sohn-Ding war ihm nicht gelungen, und der Gedanke daran, deprimierte ihn schwer. Das Haus hatte er übernommen, da war der Mörtel zwischen den Steinen schon über ein halbes Jahrhundert getrocknet. Der Baum, den er gepflanzt hatte, war ein Strauch, aber dafür konnte er nichts, denn die Magnolie und der japanische Ahorn standen schon ein paar Jahre dort und sie zu fällen, nur um seinem männlichen Ego zu frönen, fühlte sich irgendwie falsch an. Der nichtgezeugte Sohn ging allerdings auf seine Kappe. Zwischenzeitlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich einen Hund anzuschaffen und ihn sofort wieder verworfen.
Wie gut würde es ihm heute gehen, wie viel glücklicher wäre er, wenn er es besser gemacht hätte. Vielleicht hätte er Kinder, vielleicht auch einen Hund. Aber ganz sicher hätte er sie heute an seiner Seite. Denn jetzt hatte er gar nichts. Nichts, außer dem Wunsch, sie zurückzugewinnen.
Er ging zum Tisch hinüber und nahm einen Stapel Papier aus dem Umschlag, der darauf lag. Er blätterte darin, überflog ein paar Zeilen, blätterte weiter, starrte eine Weile auf das Geschriebene, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen und packte alles wieder sorgfältig zurück. Dann zog er sein Portemonnaie aus der hinteren Tasche seiner Jeans, die über der Stuhllehne hing, und stöberte darin. Zwischen ein paar Visitenkarten lugte ein kleiner weißer Zettel hervor, er zog ihn heraus, legte ihn vor sich auf den Tisch und strich ihn mit den Fingern glatt.
Vor fünfzehn Jahren war er das letzte Mal hier gewesen, und als er hinüber zum Spiegel ging, um einen Blick hineinzuwerfen, fühlte er sich plötzlich alt. Sein Haar stand heute Morgen widerspenstig vom Kopf ab, und die tiefen Augenringe ließen erahnen, dass er in letzter Zeit zu wenig geschlafen hatte. Die Schläfen waren ergraut und erschienen ihm plötzlich noch grauer als sonst. Die kleinen Lachfältchen um die Augen herum waren tiefen Falten gewichen und verrieten, dass sein Leben nicht ohne Spuren an ihm vorbeigegangen war.
Sein Leben. Darüber wollte er gar nicht erst nachdenken. Er war 42 und hatte es total verpfuscht. Er hatte sich im Kreis gedreht und dann die Flucht ergriffen. Er war an allem schuld, das war ihm klar. Wegen ihm standen sie nun an diesem Punkt. Den Fehler, den ersten, hatte sie begangen, aber er war es, der es letztendlich verbockt hatte. Diese Einsicht schmerzte ihn.
Den Weg, den er gegangen war, hatte er nie hinterfragt, aber in letzter Zeit machte er sich immer häufiger Gedanken darüber, was geschehen wäre, wenn er einen anderen gewählt hätte. Wann ist es zu spät? Wann hat man den Zeitpunkt verpasst, an dem man noch umkehren kann? Er wusste es nicht. Er konnte aber auch nicht unbeirrt weitergehen, wenn er erkannt hatte, dass er in die falsche Richtung lief. Vielleicht würde es nicht mehr viel bringen, seinen Kurs jetzt zu ändern, aber weiterhin weglaufen konnte er auch nicht. Schließlich ging es um etwas. Um sein Leben mit ihr.
Er war nie ein großer Romantiker gewesen, und das Wort „Liebesgeschichte“ wäre ihm schwer über die Lippen gekommen. Für ihn hatte es auch etwas von einer Tragödie, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie war so untrennbar von ihm wie sein Herz, und nichts in seinem Leben hatte ihn so sehr gezeichnet wie eben jene Liebe.
Er schaute auf die Uhr. Es wurde Zeit. Er warf einen letzten Blick auf den Zettel und legte ihn dann behutsam in den Umschlag hinein. Er duschte, kämmte sich seine Haare nach hinten, schlüpfte in eine dunkle Hose und einen Pullover und wickelte sich seinen dicken Schal um den Hals. Er trank noch einen Schluck Kaffee, den der Zimmerservice in der Früh serviert hatte, aß nichts, denn er hätte sowieso keinen Bissen herunterbekommen, und warf sich seinen Mantel über.
Als er den Umschlag ohne Absender vor sieben Monaten aus seinem Briefkasten geholt und ihn neugierig geöffnet hatte, war er wie vom Schlag getroffen gewesen. Er hatte die Geschichte ein Mal gelesen, und ein zweites Mal, danach hatte er alles in die hinterste Ecke seines Kleiderschrankes verfrachtet und versucht, die Gedanken aus seinem Kopf fortzujagen. Sie brachten ihm vergangene Tage zurück und Gefühle, die zu verbannen er sich lange Jahre bemüht hatte.
Als er die Geschichte ein paar Monate später wieder hervorgeholt hatte, weil sie ihm nicht mehr aus dem Sinn ging, las er sie erneut und fasste einen Entschluss. Irgendwann hatte er sich dann in sein Auto gesetzt und war hier hergekommen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er verließ das Hotel und machte sich auf den Weg. Es war noch früh, die Luft war kalt und klar, und der Winter ließ nicht mehr lange auf sich warten. Er schloss die Tür seines Wagens auf, setzte sich hinein, legte den Umschlag auf den Beifahrersitz, und bevor er die Zündung anließ, hielt er einen kurzen Moment inne, atmete tief durch und holte den Zettel wieder hervor.
Er wusste, dass er im Leben nicht mehr viele Gelegenheiten bekommen würde, die Richtung zu ändern und einen anderen Weg einzuschlagen, doch er ahnte nicht, dass dies seine letzte sein würde. Er gab die Adresse, die auf dem Zettel stand, ins Navi ein, und startete den Motor.
Was immer auch geschehen würde, er wusste, dass er es jetzt tun musste, wenn er sich später nicht vorwerfen wollte, in dieser Geschichte nicht alles versucht zu haben.
Die Geschichte, die immer noch sein Leben beherrschte und von der er hoffte, sie möge gut ausgehen.

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21. April 2015

"Tränen der Finsternis: Die Darkstone Saga Band 1" von C. Harrer

Der Fürst der Finsternis steht kurz davor, aus seinem dunklen Gefängnis zu entkommen. Mit den Tränen der Finsternis will er seine Brüder vernichten und die komplette Macht an sich reißen. Wenn ihm dies gelingen sollte, hätte er die alleinige Kontrolle über alle dämonischen Kräfte. Chaos und Dunkelheit würden Regieren. Nur Unycron Darkstone, der Gezeichnete, wäre in der Lage dies zu verhindern. Wenn es da nicht die Probleme mit seiner Vergangenheit gäbe. Dies ist der Anfang einer gefährlichen Reise durch Zeit und Raum.

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Leseprobe:
Das Land Ganturell befindet sich im Krieg. Im Krieg gegen die Ausgeburten der Hölle. Wir rüsten uns zur letzten Schlacht. Drakuna, der Fürst der Finsternis steht kurz davor, aus seinem dunklen Gefängnis zu entkommen. Mit den Tränen der Finsternis, will er seine Brüder vernichten und die komplette Macht an sich reißen. Wenn ihm dies gelingen sollte, wird er die alleinige Kontrolle über alle dämonischen Kräfte erhalten. Er hätte damit mehr Macht, als jeder andere Gott. Chaos und Dunkelheit würden regieren. Es gibt nur eine Möglichkeit dies zu verhindern. Unser einziger Hoffnungsschimmer ist Unycron Darkstone. Der Gezeichnete, der vom Schicksal auserwählt wurde, um der Finsternis Einhalt zu gebieten. Dies ist seine Geschichte vom Anfang, bis zum heutigen Tag.

Blutiger Frühling
Es war ein warmer Frühlingsmorgen. Die Vögel zwitscherten und das Wasser plätscherte leise auf die Steine des großen Springbrunnens, der in der Mitte des Tempelplatzes stand. Die ersten Sonnenstrahlen berührten die Wände des Tempels, der dadurch in seiner vollen Pracht erstrahlte. Dieser war ein gewaltiger Gebäudekomplex, der zu Ehren des Sonnengottes Tarun, auf einem kleinen Hügel erbaut worden war. Er befand sich etwas nördlich von Taaley, einer kleinen Elfensiedlung. Wände aus weißem Marmor und imposante Säulen stützten goldene Dächer und gigantische Glaskuppeln. Eine massive, mit Eisen verstärkte Mauer, umgab die prunkvolle Tempelanlage. Im Norden erhob sich das riesige Hauptgebäude in seiner pompösen Pracht. Den Eingangsbereich der großen Zeremonienhalle zierten Säulen aus schwerer Bronze, die ein Dach aus tiefschwarzem, mit Runen verziertem Glas stützten. Zwei gewaltige Wendeltreppen verbanden diesen Bereich mit den seitlichen Galerien. In der Mitte der Halle stand ein großer Altar aus weißem Quarzgestein, der mit alten Schriftzeichen verziert war. Darauf befanden sich einige Utensilien, die die Priester bei ihren täglichen Gebeten benötigten. An den Wänden hingen mehrere edle Wandteppiche. Die Fenster waren mit schweren Samtvorhängen verhüllt und unzählige Kerzen erhellten den abgedunkelten Raum. Ein Dutzend Priester und Priesterinnen, die in schwere, schwarze Roben gehüllt waren, standen um den Altar und vollzogen ein Ritual. Von einer der Galerien aus, beobachtete Unycron, ein kleiner, elfjähriger Junge, mit schwarzen Haaren und blauen Augen, gespannt die Zeremonie, die nun schon mehrere Stunden andauerte. Er hatte sich, wie schon so oft, nach oben geschlichen, um die Priester zu beobachten. Unycron ahmte ihre Bewegungen nach und konnte sich dadurch im Laufe der Jahre einige magische Fertigkeiten aneignen. Diese waren zwar mehr schlecht als recht, aber das war ihm egal. Denn er wusste, dass er nie eine Magieausbildung bekommen würde, da er kein reiner Elf war. Er wurde zwar im Tempel geboren und war auch dort aufgewachsen, aber sein Vater war kein Elf – das stand zweifelsfrei fest. Und genau aus diesem Grund wurde ihm die Ausbildung zu Magier verwehrt. Er wusste nichts über seinen Vater, denn seine Mutter hat ihn nie von ihm erzählt. Selbst dann nicht, wenn er danach gefragt hatte. Normalerweise hätte Unycron die Bewegung der Priester nachgeahmt, aber nicht dieses Mal. Es war ein besonderes Ritual, dem er aufmerksam folgte. Er saß gespannt da und beobachtete die Vorgänge mit wachsender Begeisterung. Dabei waren seine Augen die meiste Zeit auf eine wunderschöne Elfe, mit langen, blonden Haaren und nachtblauen Augen gerichtet, die vor dem Opfertisch kniete. Es war Selyna Darkstone, seine Mutter, die heute, nach fast zwölf Jahren, zur Priesterin geweiht wurde. Unycron war so stolz auf sie, dass seine Augen leuchteten, als sich das Ritual langsam dem Ende neigte. Doch plötzlich übertönte ein Signalhorn das Gemurmel der Priester. Unycron schreckte hoch und rannte zu einem der Fenster, schob den schweren Samtvorhang zur Seite und starrte hinaus. Er traute seinen Augen nicht. Was er da sah, konnte er nicht fassen. Dort wo sich Taaley befand, war ein Meer aus Flammen. Riesige Rauchschwaden zogen über die Felder und verdunkelten das Licht der Sonne.
Die entsetzten Dorfbewohner eilten zum Tempel, auf dessen Vorplatz binnen Sekunden pures Chaos herrschte. Ithronhir Helandur, der Hauptmann, der etwa einhundert Mann starken Tempelgarde, war in schwere Rüstung gehüllt und befehligte seine Männer. „Auf eure Posten! Bogenschützen sichert die Mauern. Kohan nimm dir ein paar Männer und sichere das Tor. Jasun, helft den Priestern die Dorfbewohner zu den Quartieren zu bringen.“ Die Offiziere verbeugten sich und folgten ihren Befehlen. Dutzende Priester hatten mittlerweile das Hauptgebäude verlassen und waren auf den Tempelplatz geeilt, um den ankommenden Dorfbewohnern zu helfen. Einige der Flüchtlinge waren zum Glück nur leicht verletzt, doch für viele kam leider jede Hilfe zu spät. Ein Mann rannte gerade noch durch das Haupttor, bevor es der Hauptmann schließen ließ. Im selben Moment beugte sich Selyna über einen Verwundeten, der direkt vor ihren Füßen zusammengebrochen war. Er war blutüberströmt und ihm fehlte das rechte Ohr, das ihm offenbar einer der Angreifer abgebissen hatte. Er stammelte: „Bitte helft uns. Sie kamen aus dem Nichts. Hunderte, Tausende, dieser fürchterlichen Kreaturen. Sie töten alles und jeden. Bitte helft uns.“ Selyna schaute ihm tief in die Augen, legt ihre rechte Hand auf die stark blutende Wunde des Mannes und flüsterte ihm zu: „Habt keine Furcht. Ihr seid hier in Sicherheit. Alles wird gut werden.“ Danach nahm sie ihre Hand von der Wunde, die sie mit ihrer Magie geheilt und versiegelt hatte. „Jasun!“, schrie Selyna. „Bitte bringt den Mann zu den Quartieren.“
Mittlerweile hatte sich die Hohepriesterin, Isolde Jashar auf die Zinnen über dem Haupttor begeben, um das Ausmaß der Katastrophe abzuschätzen. Vier Priester, gehüllt in dunkle Roben, mit großen Kapuzen, standen hinter ihr. Isoldes rechte Hand umklammerte ihren Priesterstab, als sie von den Zinnen, Richtung Taaley blickte. Es war ein Anblick des Grauens. Der widerliche Gestank von Tod und Verwesung begleitete unsagbar viele, verunstaltete Kreaturen, die die Straße zum Tempel stürmten. Mörderische Bestien zogen schweres Kriegsgerät, während ihre Bändiger alle Mühe hatten sie unter Kontrolle zu halten. Einige der mutierten Krieger zogen sogar die verstümmelten Überreste von Dorfbewohnern hinter sich her. Isolde wandte sich den Priestern zu: „Die Horden der Finsternis. Tarun steh uns bei! Ihr wisst was zu tun ist. Geht! Schnell!“ Ohne ein Wort zu sagen, drehten sich die Priester um und machten sich daran ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Hohepriesterin hob ihren Stab gen Himmel, drehte ihn über ihrem Kopf, um dreihundertsechzig Grad und rammte ihn anschließend mit einem lauten Aufschrei in eine der Zinnen der Mauer. „Bei Tarun!“ Der Stab vibrierte durch die Wucht des Aufpralls. Die Luft knisterte, als sich Isolde der göttlichen Macht Taruns bediente. Sekundenbruchteile später hob sie ihren linken Arm und schmetterte die gesammelte göttliche Energie auf die anstürmenden Horden. Ohne Mühe dezimierte die Kraft des Gottes die vordersten Reihen der Angreifer. Im selben Moment schrie der Hauptmann der Tempelgarde: „Bogenschützen! Macht euch bereit! Feuer!“ Die gesegneten Pfeile der Verteidiger zischten durch die Luft und brachten Tod und Verderben über die heranstürmenden Angreifer. Man konnte das Brechen der Knochen hören, als die Pfeile Helme und Rüstungen durchschlugen und viele Feinde niederstreckten. Jasun hatte mittlerweile seine Aufgaben erledigt und erstattete dem Hauptmann Bericht. „Hauptmann! Die Dorfbewohner sind versorgt und einige der Priester kümmern sich um die Verletzten.“ Ithronhir blickte den Offizier vorwurfsvoll an. „Was machst du dann noch hier? Geh durch die hinteren Kanäle und benachrichtige dann die königlichen Truppen.“ „Jawohl, Herr“, antwortete Jasun und machte sich sofort auf den Weg zu einem der Kanalgitter, schob es zur Seite und quetschte sich hindurch. Die Priester hatten inzwischen die Zeremonienhalle betreten und sich jeweils an einer Seite des großen Altars in Stellung gebracht. Sie zogen ihre Ritualdolche und schnitten sich damit in die linke Hand. Anschließend rammten sie diese in den Opfertisch. Unycron schaute von der Galerie herab, während die Priester anfingen mit ihrem Blut eigenartige Runen zu malen. Kurz darauf begannen sie in einer sonderbaren Sprache Gebete zu zelebrieren. Unycron konnte es nicht glauben. Ein Ritual das mit Blut vollzogen wurde? So etwas hatte er in all den Jahren noch nie erlebt. War es schwarze Magie? Ein Gebet an die Götter der Finsternis? Wie war so etwas hier nur möglich? Die Luft in der Halle begann zu knistern. Blitze zuckten von einem Dolch zum anderen. Die gemalten Runen begannen zu kochen und die Temperatur stieg auf einmal drastisch an. Einer der Priester holte einen kleinen schwarzen Stein, der an einer Kette hing, unter seiner Robe hervor und legte das Schmuckstück in die Mitte des Altars. Blitze sprangen von den Dolchen auf das Medaillon und zuckten ebenfalls hin und her. Ein ohrenbetäubendes Summen war zu hören, als aus dem Stein ein gleißender Lichtstrahl auf eine der Runen des Glasdaches schoss. Die getroffene Rune absorbierte das Licht und verformte sich zu einer mächtigen, leuchtenden Kuppel, die sich dann, wie ein magischer Schutzschild, über die gesamte Tempelanlage legte. Unycron war verwirrt. Er hatte noch nie von Schutzzaubern gehört, die mit Blut beschworen wurden. Kopfschüttelnd ging er auf eines der Fenster zu, um nachzusehen was in der Zwischenzeit draußen geschehen war.

Im Kindle-Shop: Tränen der Finsternis: Die Darkstone Saga Band 1

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20. April 2015

"Die Beschwörungsformel" von Hildegard Grünthaler

Er wohnt in einer Flasche und er ist stark und mächtig. Die Götter haben ihn in grauer Vorzeit geschaffen, damit er den Menschen beistehe und helfe. Aber er hat keinen freien Willen, denn Kalatur, der Geist des Rauches, steht unter dem Bann einer Beschwörungsformel. Wer diese Formel kennt, ist mächtiger als der mächtige Kalatur, denn er kann ihn zwingen, gegen seinen Willen Böses zu tun. Die Magierin, die den Dschinn in seiner Flasche bannt, hofft, dass der Zauber so lange wirkt, bis Kalaturs Energie erloschen ist.

Fast wäre ihr Plan geglückt. Doch rund 3000 Jahre später begleitet der 12-jährige Philipp Baumann seine Großmutter auf einer Reise durch Marokko. Weil die alte, blaue Flasche, die sie auf einem Markt in Marakesch erstehen, sich nicht öffnen lässt, rückt Philipp zu Hause dem Verschlusspfropfen mit einer Bohrmaschine zu Leibe. Just in diesem Augenblick verliert der Bann seine Wirkung. Die Flasche zerplatzt mit einem lauten Knall und Kalatur gelingt es im letzten Moment, sich zu materialisieren.

„Müsstest du jetzt nicht sagen: ‚Mein Herr und Meister, du hast mich aus meinem Gefängnis befreit. Was immer du auch wünschst, ich werde es dir erfüllen’?“, fragt Philipp, nachdem er sich von seinem ersten Schrecken erholt hat. Nein, das muss Kalatur nicht, denn nach 3000 Jahren lebt niemand mehr, der die Beschwörungsformel kennt. Der Geist des Rauches ist nun wirklich frei. Doch Kalatur ist nun unversehens in eine verwirrend fremde Welt geraten. Die Technik der Menschen erscheint ihm wie Magie und birgt tausend unbekannte Gefahren. Der mächtige Kalatur braucht Philipps Hilfe, um sich in der modernen Welt zurechtzufinden. Zu allem Überfluss muss Kalatur auch bald entdecken, dass ihm bereits Dschinnjäger auf den Fersen sind. Nun ist nicht nur er, sondern auch Philipp in höchster Gefahr, denn die Dschinnjäger glauben, dass Philipp die Beschwörungsformel kennt …

Dieser Fantasy- und Abenteuerroman ist eine spannende Lektüre für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren.

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Leseprobe:
„Mächtiger Kalatur, allgewaltiger Geist des Rauches, größter aller Dschinn, ich rufe dich, denn ich schwacher Erdenmensch benötige die Hilfe deiner Geisterkraft!“ Schrill drang die Stimme von Siduri, der dritten Nebenfrau von König Nebukadnezar zu ihm herein. Alles in Kalatur wehrte sich, dem Ruf zu folgen, aber die beringten Finger Siduris drehten und rieben die Flasche, die ihm als Wohnung diente, und Kalatur musste ihrem Ruf folgen. Er konzentrierte sich und sammelte seine Energien. Langsam und stetig begann er, als feine, weiße Rauchsäule durch den Flaschenhals nach oben zu strömen. Er bildete einen Wirbel wie ein Zyklon und verdichtete sich dann zu einer menschlichen Gestalt. Kalatur wusste, dass Siduri jedes Mal bis ins Mark ihrer Knochen erschrak, wenn sie ihn sah, deshalb ließ er seinen Körper zur Größe eines furchterregenden Riesen anschwellen und fragte mit dröhnender Stimme: "Herrin Siduri, ich bin dein Diener. Was willst du von mir?" Dabei funkelte er sie aus seinen dunklen, von buschigen Brauen umrahmten Augen drohend an. Obwohl sie den Rauchgeist schon so oft in ihre Dienste gezwungen hatte, konnte sich Siduri einer Gänsehaut nicht erwehren. Sie wusste, dass Kalatur ihre ehrgeizigen Pläne und Intrigen missbilligte, aber sie wusste auch, dass er ihre Befehle befolgen musste. Es war ihr gelungen, Sanheb, den greisen Oberpriester des Gottes Marduk, zu belauschen, als jener den Geist gerufen hatte. Seither kannte sie die Beschwörungsformel. Wenig später hatte sie Sanheb die Flasche gestohlen, die Kalatur als Wohnung und Ort der Regeneration diente. Nun war der Geist ihr Diener und musste ihr zu Willen sein.
„Ich will, dass mein Sohn Ninzub die Prüfungen als strahlender Sieger verlässt!"
„Herrin Siduri, du überschätzt meine Kräfte. Ich kann deinen Sohn nicht klüger machen, als er in Wirklichkeit ist!"
„Kalatur, stell dich nicht so an! Du hast bewiesen, dass du Pfeile lenken und Tiere stolpern lassen kannst, also kannst du auch dafür sorgen, dass Eli heute wieder wie ein Trottel und Dummkopf dasteht! Ich will, dass Ninzub der nächste König von Babylon wird und nicht er."
„Herrin Siduri, vergiss nicht, dass Gilgal, der die jungen Königssöhne in der Kunst des Lesens und Schreibens unterweist, den König beständig über deren Fortschritte unterrichtet. Eli ist ein eifriger, gelehriger Schüler, während Ninzub, dein Sohn, nur Dummheiten im Kopf hat und die Keilschrift nur mit allergrößter Mühe lesen, geschweige denn richtig schreiben kann!"
„Papperlapapp", fuhr Siduri den Geist an, „keine faulen Ausreden! Jage Gilgal einen gehörigen Schrecken ein, dann wird er dem König genau das berichten, was du von ihm verlangst! Also fliege nun davon und folge meinem Befehl!"
Kalaturs Körper schrumpfte und wurde wieder zu feinem, weißem Rauch. Langsam und beinahe unsichtbar schwebte er durch den Garten des Palastes. Er sah Siduri durch eine Tür huschen, und weil er ein Geist war, sah er auch, was Siduri nicht gesehen hatte. Die alte Eninki, die einst die Amme des Königs gewesen war, stand hinter einem Baum verborgen und hatte Siduri belauscht. Kalatur machte sich darüber keine Gedanken. Er war ein Geist, und er musste die Befehle derer ausführen, die nach ihm riefen - ganz gleich, ob ihm diese Befehle gefielen oder nicht. Unbemerkt flog er durch die königlichen Gärten und die weiträumige Palastanlage, bis er zu dem Raum kam, in dem der Oberschreiber und Lehrer Gilgal die jungen Königssöhne unterrichtete.
Gilgal war alleine im Raum. Er war damit beschäftigt, die Tontafeln für die bevorstehende Prüfung vorzubereiten. Seine Stirn war von Sorgen umwölkt. Seit Etara, der alte Waffenmeister, der bisher die Königssöhne in der Kriegskunst unterwiesen hatte, beim König in Ungnade gefallen war, war er von heftiger Furcht ergriffen, dass ihn womöglich das gleiche Schicksal ereilen könnte. Gilgal gab sich einen Ruck:
„Sei kein Angsthase Gilgal!", befahl er sich selbst. „Deine Schüler sind eifrig und machen gute Fortschritte. Einzig Ninzub trübt das gute Bild. Er ist frech und faul und hat nur Unsinn im Sinn. Aber der König weiß das. Er kann es mir nicht anlasten!", tröstete sich Gilgal. Er wollte gerade die metallenen Schreibgriffel bereitlegen, als er den Rauch bemerkte. Es war ein seltsamer Rauch, denn nirgendwo war Feuer. Der Rauch begann sich zu drehen, bildete einen Wirbel und plötzlich wuchs aus ihm ein Riese heraus. Gilgal fielen klappernd die Griffel aus der Hand. Der Riese wuchs weiter und füllte nun beinahe das halbe Zimmer aus. Er trug keine Kleider, nur ein rotes Tuch, das er wie einen Lendenschurz zwischen den Beinen hochgezogen und um die Hüften gewickelt hatte. Gilgal schlotterten vor Angst die Knie, als der Riese sich zu ihm hinunterbeugte. Die langen, schwarzen Haare, die der Riese im Nacken zusammengebunden hatte, fielen dabei nach vorne und kitzelten Gilgal an der Nase. Gilgal musste niesen. „W-w-was w-w-willst du von mir?", stotterte er zitternd vor Furcht.
„Nicht viel, nur eine Kleinigkeit!" Die Stimme des Riesen dröhnte so laut, dass Gilgal hoffte, der ganze Palast würde zusammenlaufen und ihm zu Hilfe eilen. Der Riese legte ihm schwer die Hand auf die Schulter.
„Ich stehe zu deinen Diensten, erhabener Herr", stammelte Gilgal.
„Wunderbar!", dröhnte der Riese. „Wenn du zu meinen Diensten stehst, wirst du heute ganz sicher dem König berichten, dass Siduris Sohn Ninzub der fleißigste und klügste von all deinen Schülern ist!" Und zur Bekräftigung seiner Worte fasste er Gilgal vorne am Obergewand und hob ihn ein wenig in die Höhe.
„Erhabener Herr, das kann ich nicht!", jammerte Gilgal. Der Riese hob den Oberschreiber noch ein wenig höher.
„Und warum nicht?"
„Es entspricht nicht der Wahrheit. Ninzub ist ein Dummkopf, ein Faulpelz und ein Tunichtgut!"
Der Riese schüttelte Gilgal wie einen leeren Getreidesack. „Täuschst du dich da nicht?" Seine Stimme klang drohend wie Donnergrollen.
„Nein, erhabener Herr. Ich täusche mich nicht. Ich bin schließlich sein Lehrer!", wimmerte Gilgal von der Zimmerdecke herunter.
„Oh weh, ich glaube, die Sommersonne hat dein Gehirn vertrocknet!", dröhnte der Riese. „Aber an der frischen Luft wird dir bestimmt gleich wieder einfallen, dass Ninzub der klügste und eifrigste von all deinen Schülern ist!" Er klemmte sich Gilgal unter den Arm und schwebte mit ihm zur Tür hinaus.

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17. April 2015

"Rotbartsaga. Das Vermächtnis des Kapitäns Carl Carlszoon" von Wolfgang Schwerdt

Es war reiner Zufall, so behauptet der Autor der Rotbartsaga, dass er auf die Geschichte des legendären Schiffskaters Rotbart gestoßen sei. Auf jeden Fall habe ein alter Holländer damit zu tun, dass er Carlszoons Cottage an der Mündung des Mystic-River an der Nordwestküste von Connecticut USA entdeckte. Dort fand er nach eigener Aussage auf dem Dachboden Dokumente, Tagebücher und eine Unmenge Souvenirs des holländischen Kapitäns Carl Carlszoon. Der reiste im 17. Jahrhundert um die Welt und hat in seinen Journalen viel über seinen treuen Begleiter, den Schiffskater Rotbart, berichtet.

Das Buch erzählt, wie aus dem Sohn einer Katzenspelunkenbetreiberin auf der holländischen Insel Texel der legendäre Schiffskater Rotbart geworden ist. Neben realen historischen Ereignissen findet sich eine gehörige Portion Seemannsgarn. Etwa, wenn der Autor beschreibt, wie er vom Geist Carl Carlszoons in das Amsterdam des 17. Jahrhunderts entführt wurde, oder wie ihm ein schamanisches Medaillon den Zugang zum geheimnisvollen Speicher des 1701 verstorbenen Kapitäns eröffnet haben soll.

Fünf Reisen hat der sagenhafte Schiffskater gemacht, die ihn in alle Teile der Welt geführt haben. Einzelne Episoden dieser Reisen geben einen Vorgeschmack, was den Leser in den folgenden fünf Bänden der Rotbartsaga erwartet.

Gleich lesen: Rotbartsaga. Das Vermächtnis des Kapitäns Carl Carlszoon

Leseprobe:
Rotbarts Begeisterung für die Gelage des Königs [Schiffskater Roi de Merguéz] hatte weniger mit den erlesenen Speisen zu tun, die der schwarzweiße Schiffskater seinen KollegInnen auftischte. Bevor er sich zu den gemeinsam schmatzenden Felinen gesellte, schlug er sich daher im Laderaum mit einer ordentlichen Portion Ratte den Bauch voll. Pasteten und anderer Menschenfraß waren nicht sein Ding. Überaus unterhaltsam waren aber die Geschichten, wie Le Roi die erlesenen Speisen für seine Empfänge organisierte. Rotbarts Vermutung, dass die königliche Beschaffungskriminalität durchaus für die eine oder andere Zwistigkeit unter den Zwei-beinern verantwortlich sein könnte, war dabei nicht ganz von der Pfote zu weisen.
Mit zunehmender Dauer der Fahrt gestaltete es sich naturgemäß immer schwieriger, etwas über die natürliche Katzennahrung hinaus zu organisieren. Selbst die wurde immer magerer. Die speziellen Vorräte von Kapitän und Offizieren neigten sich langsam ihrem Ende zu. Die Fische, die der Mannschaft an den Haken gingen, reichten kaum zur Versorgung der Menschen an Bord. Der König hatte sich bisher noch nie dabei erwischen lassen, wenn er die Vorratskammern oder die Kombüse inspizierte, um sich seinen Anteil an den dortigen Delikatessen zu sichern. Aber je knapper die Nahrung, desto sorgfältiger wurde sie vor dem Zugriff hungriger Menschen und gieriger Tiere geschützt. Da auch verurteilte Diebe und Kriminelle an Bord waren, fiel der Verdacht zunächst nur selten auf die vierbeinigen Mannschaftsmitglieder, wenn mal wieder der eine oder andere gerade gefangene Fisch aus der Pütz verschwand. Ein schlechtes Gewissen hatten die Katzentiere nicht und [Schiffskater] Molière brachte die moralische Verfassung seiner Spezies auf den Punkt:

„Das Böse liegt im Aufsehn, das es macht, im Lärmen, das die Welt darüber schlägt. Die Sünde im Geheim ist keine Sünde.“

Der letzte Fischzug des Roi de Merguéz allerdings hatte durchaus für Aufsehen gesorgt und erhebliches Lärmen der Welt oder besser des Smutje zur Folge. Der große Fisch, den der Schiffskoch noch am Abend in die Kombüse gehängt hatte, um ihn am nächsten Morgen mit viel Wasser und Schiffszwieback zu einer Suppe zu verarbeiten, war für den König allzu verlockend. Er wusste natürlich um das Risiko, aber er kannte auch alle Tricks, wie sich so ein lukratives Beutestück nahezu geräuschlos vom Haken lösen und über geheime Wege unbemerkt aus der Kombüse schaffen ließ. Der Kombüsenkater wusste auch, dass die Nachtwache die beste Zeit für ein solches Unterfangen war. Der Koch schlief zu dieser Zeit tief und fest in seiner Hängematte unter der Back, direkt neben der Schiffsküche. Er würde allerdings beim kleinsten Geräusch hochschrecken, um nach dem Rechten zu sehen. Aber ein Roi de Merguez machte keine Geräusche! Und so schlich sich der Kater beim nächtlichen Doppelschlag der Schiffsglocke aus seinem kuscheligen Quartier in der Segel-kammer über das Zwischendeck in die Kombüse, deren Tür der Smutje immer einen Spalt offen ließ, um die Küchendünste und die Hitze des Herdes von der frischen Nachtluft vertreiben zu lassen. Das große Loch, das die Ratten in einer versteckten Ecke in den Boden der Vorratskammer genagt hatten, würde Le Roi für den Rückzug mit seiner Beute nutzen. Soweit der Plan. Die Tür knarrte mit jeder Bewegung des Schiffes im seichten Seegang. Es fiel also gar nicht auf, dass sie auch knarrte, als sich der Kombüsenkater hindurchzwängte. Die Orientierung fiel ihm nicht schwer. Schließlich lag er oft dösend in der Kombüse, wenn der Schiffskoch das Essen für die Mannschaft zubereitete. Der Smutje hatte vollstes Vertrauen zu dem gemütlichen Kater. Nicht ein einziges Mal hatte der auch nur Anstalten gemacht, etwas vom Essen stibitzen zu wollen. Kein Betteln, wenn ein für Katzen besonders leckerer Duft durch den Raum zog, weder mit Blicken noch durch Körpersprache. Angebotene Lecker-bissen wurden königlich ignoriert. An Menschenessen, davon war der Koch überzeugt, hatte sein vierbeiniger Freund keinerlei Interesse. Auch der große Fisch, der da unter der Decke hing, verursachte bei Roi de Merguez nicht einmal ein einziges kurzes Schwanzzucken.
Es war nur der Hauch eines Lichtschimmers, der das Innere der Kombüse erreichte. Le Roi bewegte sich gekonnt im Lautlosmodus, selbst als er mit wenigen Sprüngen die Spiere er-reichte, an der der Fisch mit einem eisernen Haken befestigt war. Mit einer Geschicklichkeit, die man dem etwas fülligen Kater gar nicht zugetraut hätte, balancierte er tief geduckt zwischen Spiere und Decke entlang. Mit den Krallen seiner kräftigen Pfote hob er den Haken von der Stange und ließ seine Beute langsam, langsam hinab. Immer länger wurde sein Vorderbein, bis der Schwanz des Fisches den Boden berührte. Immer länger wurde der Kater, als er – mit den Hinterbeinen noch an der Spiere festgeklammert – die Last langsam auf den Boden gleiten ließ. Ein sattes Plopp, das vom Knarren der Tür übertönt wurde, und auch der Kater landete schließlich auf den Planken, direkt neben dem beinahe einen Meter langen Markrelenfisch. Vorsichtig schleifte der König seine Beute zu dem Rattenloch, sprang hinunter und zog den schuppigen Festschmaus kopfüber hinterher.

Im Kindle-Shop: Rotbartsaga. Das Vermächtnis des Kapitäns Carl Carlszoon

Mehr über und von Wolfgang Schwerdt auf seiner Website und seiner Seite zum Buchprojekt Rotbartsaga.

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16. April 2015

"Die Verlorenheit der Beute" von Stephan Schulz

Die Geschichte einer großen Liebe, die in der gnadenlosen Welt des Verbrechens zu scheitern droht.

Niko und Marisa lieben sich. Er ist Drogenschmuggler, sie die Frau eines Gangsterbosses. Als der ihnen auf die Schliche kommt, müssen sie fliehen. In einem Stundenhotel finden sie Unteschlupf. Nur noch ein letzter Deal muss Niko gelingen, dann ist der Weg frei für ein neues Leben mit Marisa. Ihr Ziel: Andiparos, eine kleine Kykladeninsel in der Ägäis. Doch die Verfolger sind ihnen längst auf den Fersen.

Gleich lesen: Die Verlorenheit der Beute: Kriminalroman





Leseprobe:
Der Deckenventilator dreht quietschend seine Runden, ein monotones Quietschen, das an den Nerven zehrt. Durch die Lamellen der Jalousie dringt die Abendsonne in das schäbige Zimmer und bildet auf dem zerkratzten Parkettboden ein Streifenmuster aus Gold.
Niko liegt nackt auf dem Bett und raucht eine Zigarette. Er fragt sich, ob man Dimi trauen kann. Klar, sie sind beide Griechen, kennen sich seit dem Sandkasten, haben in den Siebzigern und Achtzigern gemeinsam die Schulbank gedrückt und noch so einige andere Dinge zusammen erlebt. Aber was heißt das schon bei einem Junkie?
Dass Dimi an der Nadel hängt, hat Niko erst gecheckt, als er vor ihm am Empfang stand. Diese Augen aus Glas, aus denen von Tag zu Tag mehr Seele weicht, kennt er zur Genüge. Dimi humpelte vor den Tresen und sie umarmten sich wie alte Freunde, die sich Jahre nicht gesehen haben. Was auch stimmt, aber Niko war das unangenehm, weil Dimi schwitzte und stank. Wie einer, der seit Tagen in den gleichen Klamotten steckt und einer Dusche konsequent aus dem Weg geht.
In den vergangenen Jahren ist nicht nur das Hotel den Bach hinuntergegangen.
»Für ein paar Stunden. Wir sind nicht da und wir waren nie da.«
»Kein Problem«, antwortete Dimi und fünfhundert Euro wechselten den Besitzer. »Zimmer acht. Am Ende des Flurs.«
Dann lächelte er Marisa an.
Warum sollte er sie nicht anlächeln? überlegt Niko. Immerhin hat er fünf Scheine eingestrichen. Wenn das kein Grund für ein Lächeln ist. Die beiden sind sich nie begegnet. Außerdem trug sie eine Sonnenbrille und ein Baseballcap. Unmöglich, dass Dimi sie erkannt hat.
Schritte auf dem Hotelflur. Zwei Personen.
Die Hand mit der Zigarette verhält auf halbem Weg zum Mund. Die andere Hand greift nach der Glock 17 auf dem Nachttisch.
Eine Männerstimme. Eine Frau lacht. Die beiden betreten Zimmer sieben.
Niko atmet auf. Nur eine Hure mit ihrem Freier.
Vielleicht ist das Hotel kein sicherer Ort, denkt er. Kein Ort in der Stadt ist jetzt wirklich sicher. Aber warum sollten sie ausgerechnet hier nach uns suchen? Sie müssen annehmen, dass wir längst über alle Berge sind. Auf irgendeiner Autobahn in Richtung Süden. Oder in einem Flugzeug nach wer weiß wo sitzen. Sie wissen nicht, dass ich erst Geld beschaffen muss, damit Marisa und ich verschwinden können.
Niko macht einen letzten Zug und drückt die Zigarette in Ermangelung eines Aschenbechers auf dem Parkett aus. Er sieht auf die Uhr. Noch vier Stunden bis zum Treffen. Er steht auf, geht zum Fenster, späht durch die Jalousie hinunter auf die Straße.
Keine schwarzen Limousinen. Keine Bikes und keine Biker. Niemand, der das Hotel beobachtet.
Marisa regt sich im Bett. »Ich hab geträumt, Niko. Von einem anderen Land. Ich glaube, ich hab von Andiparos geträumt.«
Er schlüpft auf ihrer Seite unter das Laken, drängt sich an sie und fühlt die Zartheit und Wärme ihrer Haut. Die Schwellung unter ihrem linken Auge ist zurückgegangen, das Hämatom gewinnt an tiefblauer Färbung. Ihre Nasenspitzen berühren sich.
»Erzähl mir mehr von der Insel«, sagt sie.
»Du weißt, ich war nie dort.«
»Dann erzähl, was dein Vater dir erzählt hat.«
Niko schließt die Augen, erinnert sich an die Dinge, die er von seinem Vater über die Insel weiß. Er versucht sich an der Beschreibung der Farben und des Lichts der Kykladen, schildert, wie ein Tag auf der Insel aussieht und wie der Tag in die Nacht übergeht. Er spricht von den Sternen am tiefschwarzen Firmament, vom Sonnenaufgang am Strand.
»Mit ein wenig Glück sind wir bald da«, sagt er.
»Glück, Niko? Haben wir Glück denn nötig?«
»Glück kann man doch immer gebrauchen.«
»Du weißt, was ich meine.«
Das Lächeln, das er sich abringt, trägt nicht dazu bei, sie zu beruhigen.
»Mach dir keine Sorgen«, sagt er.
Aber sie macht sich Sorgen.
Er küsst sie. »Ich bin so verdammt wild auf dich.«
»Dann los. Zeig’s mir. Lass uns vögeln, bis uns Flügel wachsen.«
Niko lacht. Überschwemmt seine Angst mit dem Schweiß der ihren. Er fühlt ihr Aufbäumen unter sich, ihre Lebendigkeit, die ihm Mut einflößt und alle Zweifel erstickt. Sie hören das Blut in den Ohren rauschen, schmecken sich, tauschen aus, was ihre Körper hergeben.

Im Kindle-Shop: Die Verlorenheit der Beute: Kriminalroman

Mehr über und von Stephan Schulz auf seiner Website.

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15. April 2015

'Grüne Smoothies für den Frühling' von Kathrin Kalda

Eine erfrischende Rezeptsammlung, die Lust auf's Losmixen macht: "Grüne Smoothies für den Frühling" hält 60 saisonale Rezepte für Einsteiger und Fortgeschrittene bereit und schöpft dabei aus allem, was die blühende Jahreszeit zu bieten hat. Unter dem Motto "100% Soul Drinks" interpretiert die junge Autorin die grünen Trenddrinks erfrischend anders und gibt ihre persönlichen Empfehlungen weiter. Mit liebevollen Rezeptnamen wie "Märzveilchen" und "Zitronenfalter" kommen schon bei der Zubereitung Frühlingsgefühle auf.

Als Rezeptbuch ist "Grüne Smoothies für den Frühling" die ideale Ergänzung zu Ratgebern und ein Must-Have für jeden Smoothie-Fan. Inklusive persönlicher Tipps der Autorin und Nährwertangaben zu jedem Rezept.

Gleich lesen: Auf dem Kindle

Leseprobe:
Soul Drinks in Grün? Vor einiger Zeit hätte ich diese Kombination nicht für möglich gehalten. Eher zufällig entdeckt, sind grüne Smoothies in kürzester Zeit zu meiner wichtigsten Nahrungsgewohnheit geworden. Seitdem habe ich mich intensiv mit ihrer Zubereitung beschäftigt. Doch zuerst einmal: warum 100% Soul Drinks?
Inmitten meiner „Twenties“, gerade das Studium beendet und in den Startlöchern für den ersten Vollzeitjob, fühlte ich mich trotz eines regelmäßigen Fitnessprogramms und bewusster Ernährung andauernd müde und erschöpft. Ärztliche Untersuchungen konnten keinen signifikanten Mangel aufdecken - auf dem Papier war ich putzmunter.
Auch wenn ich mich von vermeintlichen Ernährungstrends nicht schnell mitreißen lasse, fühlte ich mich von den Vorteilen der grünen Smoothies direkt angesprochen:
- Gesundheitsfördernd: Gemüse, Obst und Kräuter in unbehandelter, roher Form schützen unseren Körper durch Antioxidantien vor freien Radikalen. Durch die Fülle an Vitaminen und Mineralien in grünen Smoothies wird unser Immunsystem direkt gestärkt, sodass wir weniger anfällig für Krankheiten sind.
- Einfach: Zutaten waschen, grob schneiden, im Mixer mit Wasser zu einem cremigen Drink vereinen – fertig. So lässt sich gesunde Ernährung perfekt in den Alltag integrieren. Durch die Verarbeitung in Form von Smoothies wird es zum Kinderspiel, die empfohlenen Tagesmengen an Gemüse und Obst zu sich zu nehmen.
- Nachhaltig: Die Zutaten werden bis auf wenige Ausnahmen vollständig verwendet. Hoch wirksame Bestandteile, die sonst ihr Ende auf dem Kompost finden, spielen im grünen Smoothie die Hauptrolle: Blattgrün, Kerne, Schale.
Seit vielen Monaten trinke ich täglich einen grünen Powerdrink. Innerhalb kurzer Zeit spürte ich, wie die Smoothies ihre Wirkung entfalteten, sich positiv auf meinen Körper, Energiehaushalt und Geist auswirkten. Da sie auch noch die idealen Begleiter für unterwegs sind – schnell morgens zu Hause gemixt und umgefüllt – sind sie für mich zu meinen Soul Drinks geworden, die ich jeden Tag dabei habe. Im Büro, beim Sport, bei Erledigungen in der Stadt.
Heute fühle ich mich extrem fit - ich bin leistungsfähiger, konzentrierter und einfach motivierter. Ich verspüre weniger Heißhunger auf Süßigkeiten oder Fast Food und mein Kaffeekonsum ist gesunken. Meine neu gewonnene Lebensqualität möchte ich durch dieses Buch teilen.
Mein Bewusstsein für die sorgfältige Auswahl und die saisonale Verwendung von Lebensmitteln ist schon seit meiner Kindheit ausgeprägt. Mit estnischen Wurzeln geboren, reise ich seit Kindestagen regelmäßig zur Familie meines Vaters auf die naturbelassene Insel Saaremaa. Auf dem familieneigenen Hof im Westen Estlands, welcher direkt an große Waldflächen grenzt, ernähren wir uns in erster Linie von dem, was uns die Saison natürlicherweise bietet. So ist die Idee entstanden, diese Ausgabe der Reihe 100% Soul Drinks ganz unter das Motto Frühling (Bezugsmonate circa April bis Juni) zu stellen, um das saisonale Angebot an Gemüse und Obst auszuschöpfen und den regionalen Bezug der Zutaten zu fördern.
Der Frühling wartet mit einem großen Angebot an Gemüse, Blattgrün und Kräutern auf, welches kaum Wünsche offen lässt. Währenddessen greifen wir beim Obst in den ersten Monaten klimabedingt vor allem auf Lagerzutaten zurück. Um in den obstärmeren Monaten dennoch die nötige Abwechslung ins Glas zu bringen, sind die folgenden Rezepte, die jeweils für eine Tagesportion ausgelegt sind, teilweise um exotische Früchte ergänzt. Auf Wunsch können diese selbstverständlich ersetzt werden.

Im Kindle-Shop: Grüne Smoothies für den Frühling: 60 saisonale Rezepte - 100% Soul Drinks

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13. April 2015

'Karla' von Mark Franley

Was mit einem einfachen Mord beginnt, lässt Hauptkommissar Köstner kaum Zeit für Ermittlungen. Wie aus dem Nichts zieht sich eine wütende Mordserie durch die Stadt und offenbart dabei die dunkelsten Seiten unserer Gesellschaft.

Opfer für Opfer verstärken sich Mike Köstners Zweifel an allem, wofür er einmal einstand, und als er schließlich die Wahrheit erfährt, steht sein Entschluss fest. Dieser Thriller geht unter die Haut, denn es könnte hinter jeder Tür passieren …

Gleich lesen: Karla: Psychothriller (Mike Köstner 3)

Leseprobe:
»Ist es immer noch so schlimm?« Natalie war fast unbemerkt neben ihren Partner getreten und legte nun ihre Hand auf Mikes Schulter. Flimmerndes Licht fiel durch die noch jungen Blätter der Baumkrone, die über Peters Grab zu wachen schien, und bildete ein sich ständig veränderndes Muster auf dem schweren Granitstein. Alles hier wirkte auf seltsame Weise unwirklich. Auf der einen Seite war es ein Ort der Trauer, doch jetzt im Licht der Frühlingssonne und zusammen mit der milden Luft fiel es Natalie schwer, sich auf Mikes dunkle Stimmung einzustellen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn hier abholen musste, weil er sein Handy abgeschaltet hatte und sonst nirgends zu finden war. Die ersten Male hatte sie noch versucht ihn zum Reden zu bringen, inzwischen ließ sie Mike, wo auch immer er gerade in Gedanken war.
Heute schien allerdings irgendetwas anders zu sein, er riss seinen Blick von der Inschrift des Grabes los, sah sie an und sagte: »Es ist nicht wegen Peters Tod. Ich habe mich in den letzten Jahren selbst verloren und unser Job macht es nicht einfacher.« Mike unterbrach seine Rede und Natalie glaubte etwas zu viel Feuchtigkeit in seinen Augen zu erkennen. Nach einem flüchtigen Blick in die Ferne sah er sie wieder an und sprach weiter: »Als du zu uns gekommen bist, und wir diesen wirklich kranken Fall hatten, war ich mehr von mir selbst als von dem, was damals passierte, schockiert. Es hat eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, was mit mir nicht stimmte, und als ich es erkannte, wurde mir klar, dass ich innerlich tot war. Nach dem, was meiner Familie passiert ist, hätte mich schon die erste Leiche umhauen müssen, aber das geschah nicht! Mord, Folter, Hilflosigkeit … alles egal! Nichts berührte mich mehr. Die Trennung von Jenni, nachdem sie sich als sensationsgeile Reporterin gezeigt hat … nichts … kein Gefühl, keine Trauer, kein Vermissen.
Kann man so als bewaffneter Hauptkommissar durch die Welt laufen? Was ist, wenn ich einmal einen Täter einfach abschieße, statt ihn festzunehmen? Was ist, wenn jedes Mitgefühl fehlt, und ich entsprechend handle?«
Natalie senkte den Blick zu Boden und dachte darüber nach, dann antwortete sie: »Ich kenne dieses Gefühl nur allzu gut. Auch in meinem Leben gab es Zeiten dieser … ich nenne es … inneren Ödnis und ich fühlte mich endlos weit weg von jedem Gefühl. Erst meine Ausbildung zur Polizistin konnte etwas Grün in dieses Tal der Leere bringen. Es ist nicht nur, dass man auf etwas anderes konzentriert ist, es ist vielmehr die Hilfe und der Schutz, den man anderen gibt. Manchmal glaube ich, dass wir viel näher am christlichen Gedanken sind, als viele Würdenträger der Kirche.« Nun sah sie Mike in die Augen und sagte: »Du bist bis zum Schluss bei den beiden Opfern in diesem Verlies geblieben. Und ich glaube nicht, dass du sterben wolltest, du hast es aus dem unbedingten Willen heraus getan, die Frauen zu retten!«
Wieder folgte eine kurze Pause, dann fügte sie hinzu: »Ich weiß, es klingt aus dem Mund einer Jüngeren vermessen, aber ich rate dir trotzdem: Nimm dir die Zeit, die du brauchst, auch wenn du es im Moment anders siehst, glaube mir. Dieser Job ist dein Anker! Er hält dich zusammen, und auch wenn wir es mit der grauen Seite unserer Gesellschaft zu tun haben, ist es vielleicht gerade das, was das Lichtlein in uns entzündet.«
»Wir werden sehen!« Mehr hatte Mike für den Augenblick nicht dazu zu sagen, dann verschwand der traurig, nachdenkliche Ausdruck in seinem Gesicht und mit dienstlichem Unterton fragte er: »Warum bist du gekommen?«
Auch Natalie beließ es dabei, fragte erst: »Gehen wir zum Wagen?«, und erklärte dann, während sie dem Ausgang von Nürnbergs Südfriedhof entgegengingen: »Karl will uns sehen. Warum genau weiß ich nicht, aber er lässt gerade das halbe Präsidium zusammentrommeln. Um 13 Uhr soll es dann eine informelle Ansprache geben. Wenn du mich fragst, klang er so, als wäre der Teufel höchst persönlich in der Gegend.«
Am Dienst-BMW angekommen, drückte Natalie ihrem Kollegen den Schlüssel in die Hand und bestimmte: »Du fährst!« Und obwohl Mike in der Hierarchie über der Kommissarin stand, widersprach er nicht und setzte sich hinter das Lenkrad.

»Was ist denn hier los?«, fragte Mike mehr sich selbst, da er den Parkplatz des Nürnberger Hauptpräsidiums noch nie so voll gesehen hatte. Selbst sein reservierter Stellplatz war so eng zugeparkt, dass er Mühe hatte, den Wagen ohne Kratzer abzustellen.
»Ich sagte ja, dass es wichtig sein muss!«, erwiderte Natalie und stieg dabei aus.
»Gehst du schon rauf, oder kommst du noch kurz mit zum Raucherplatz?«, fragte Mike und Natalie folgte ihm, ohne Antwort zu geben. Seltsamerweise war die kleine, abgetrennte Ecke des Innenhofes fast wie ausgestorben. Nur ein Mann in einem ziemlich teuer wirkenden Anzug stand mit dem Rücken zu ihnen, drehte sich aber um, als er jemanden hinter sich bemerkte. Dann dauerte es zwei, drei Sekunden und er streckte Mike die Hand entgegen: »Hauptkommissar Köstner, schön Sie zu sehen!«
Obwohl Mike Oberstaatsanwalt Ehmer nicht sonderlich leiden konnte, rang er sich ein Lächeln ab und erwiderte den Gruß, anschließend deutete er auf Natalie und sagte: »Das ist meine neue Kollegin, Kommissarin Natalie Köbler.« Dann machte er eine Geste zu dem Mann: »Natalie, das ist Herr Oberstaatsanwalt Ehmer.«
Mike konnte sehen, dass es dem Staatsanwalt genauso ging wie ihm selbst, als er Natalie zum ersten Mal gesehen hatte. Auf ganz eigentümliche Weise war seine Kollegin erst beim zweiten Hinsehen hübsch. Offenbar war seine Partnerin derartige Reaktionen gewohnt, da sie den Staatsanwalt einfach nur mit ihren wachen Augen ansah und ihm Zeit ließ sie einzuschätzen. Endlich schien der Groschen gefallen und Ehmer gab auch ihr die Hand: »Schön, Sie kennenzulernen!«
Nachdem diese Förmlichkeiten abgehakt waren, fragte Mike: »Wissen Sie, was hier los ist? Offenbar hat man die Leiter sämtlicher Dienststellen hierher beordert.«
Der hochgewachsene Staatsanwalt zog noch einmal an seiner Zigarette, drückte diese dann aus und antwortete: »Sicher weiß ich das! Aber es wurde beschlossen, dass vor dem Treffen nichts weitergegeben werden darf. Das gilt leider auch für Sie!« Und noch bevor weitere Fragen folgen konnten, blickte er auf seine Uhr und verabschiedete sich dann eilig.
Mike sah Natalie verwundert an, zuckte mit den Schultern und stellte fest: »Ich glaube, du hast Recht, und der Teufel ist in der Stadt!«

Im Kindle-Shop: Karla: Psychothriller (Mike Köstner 3)

Mehr über und von Mark Franley auf seiner Website.

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10. April 2015

'Open Minds - Gefährliche Gedanken' von Susan Kaye Quinn

Wenn jeder Gedanken liest, kann ein Geheimnis eine gefährliche Sache sein.

Die sechzehnjährige Kira Moore ist eine Null, jemand der weder Gedanken lesen, noch von anderen gelesen werden kann. Nullen sind Außenseiter, denen man nicht vertrauen kann, weswegen sie auch keine Chancen bei Raf hat, einem normalen Gedankenleser und ihrem besten Freund, in den sie heimlich verliebt ist.

Als sie aus Versehen die Kontrolle über Rafs Verstand übernimmt und ihn dadurch beinahe umbringt, versucht Kira ihre unheimliche, neue Fähigkeit vor ihrer Familie und dem zunehmend misstrauischer werdenden Raf zu verbergen. Aber sie verstrickt sich in ihren Lügen und wird immer tiefer in eine geheime Unterwelt voller Gedankenkontrollierer gezogen. Den Verstand all derer zu kontrollieren, die ihr am Herzen liegen, ist dabei nur eine von vielen gefährlichen Entscheidungen, die noch vor ihr liegen.

Teil 1 der Mindjack-Serie von Susan Kaye Quinn.

Gleich lesen: Open Minds - Gefährliche Gedanken (Mindjack #1)

Leseprobe:
Ich schwamm zur Oberfläche meiner Bewusstlosigkeit und spürte, wie mich eine Hand grob abtastete.
Mein Denken war vollkommen zerfleddert von der orangenen Nebeldroge, die Kestrels Schläger mir injiziert hatten und meine Augenlider waren wie schwere Vorhänge, die ich unmöglich öffnen konnte. Der warme, raue Boden bebte unter mir, begleitet vom Klang knirschender Reifen und knarrendem Metall.
Ich fragte mich, wo zur Hölle ich wohl war, aber als erstes musste ich diesen Schänder aufhalten, der mich begrapschte als würde er erwarten, schwere Waffen unter meinem dünnen T-Shirt oder in den Shorts zu finden. Ich schlug nach seinen suchenden Händen, aber der Saft hatte meine Arme zittrig und nutzlos gemacht. Ich jackte mich in seinen Kopf, aber er schmiss mich sofort wieder raus.
Mit einem tiefen Atemzug griff ich in meinen eigenen Verstand, um meinen Herzschlag zu beschleunigen und den Nebel zu vertreiben. Ich tolerierte zehn Minuten weiteres Grapschen, aber sobald ich klar genug denken konnte, stieß ich in seinen Kopf vor und befahl ihm aufzuhören. Seine Hände ließen mich los und ich hörte, wie er auf den Metallboden schlug.
Ich zwang meine Augen, sich zu öffnen und verzog das Gesicht bei dem grellen Licht, welches durch die hohen Fenster des Trucks hineinströmte. Mein Sittenstrolch lag wie eine zerbrochene Puppe auf dem staubigen Boden. Er konnte nicht älter als dreizehn sein. Mein Magen drehte sich. Während ich noch überlegte, ihn wieder aufzuwecken, hörte ich ein Schniefen. Ein Mädchen saß zusammengekauert auf einer Metallbank, die sich entlang der Truckwand erstreckte. Ihr Gesicht war in ihren Armen vergraben, die sie um die Knie geschlungen hatte.
„Geht’s dir gut?“ Meine Stimme war rau vor Trockenheit. Sie antwortete nicht. Der Truck schwankte unter mir und ich griff nach der Metallbank, um mich auf die Füße zu hieven. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um aus den Fenstern zu spähen. Nichts als blauer Himmel.
Mich an der Wand abstützend, damit ich auf den Beinen blieb, krebste ich zur Front, wo es eine Tür zur Fahrerkabine zu geben schien. Mühelos ließ sich der Griff umdrehen und ich schwang die Tür auf. Die beiden Sitze vorne waren leer. Der Wagen rumpelte einen befestigten Feldweg entlang, offenbar auf Autopilot gestellt, aber es gab keine Mindware-Bedienung, kein Einstiegspunkt in den ich mich einklinken und die vorprogrammierte Route ändern könnte. Vor uns wuchs ein gigantisches Feldlager aus der Wüste, bedeckt mit sandfarbenen Camouflage-Netzen und umgeben von fünf Meter hohen Metallzäunen, auf deren Spitze sich Rollen von Stacheldraht entlang zogen. Es sah aus wie ein Gefängnis.
Was es ja auch war.
Meine Hände bebten, als ich die Puzzleteile zusammensetzte und ich griff die Rückenlehne des Fahrersitzes, um sie ruhig zu halten. Kestrel hatte mich ins Jacker-Camp geschickt, zusammen mit diesen beiden anderen Jacker-Kindern. Ich fuhr mir mit der Zunge über die spröden Lippen, ausgetrocknet von den Drogen und der Wüstenluft. Er hatte mich ins Gefängnis verfrachtet, einfach nur dafür, dass ich so war, wie ich war.
Zorn krallte sich in meinen Magen wie eine wütende Bestie.
Als wir uns dem Tor näherten, schwang es in einprogrammierter, mechanischer Geschwindigkeit auf. Sonnenlicht strömte durch die Netze und malte ein Muster unter die Überdachung. Ein anderes Tor aus einem metallenen Gitter und ein zweiter Zaun warteten etwa dreißig Meter weiter im Camp. Wir rumpelten am ersten Zaun vorbei und ich versuchte angestrengt zu erkennen, was uns hinter dem zweiten Tor erwartete.
Was auch immer uns auf der anderen Seite blühte, ich war mir sicher, dass ich nicht darauf vorbereitet war.
Der Truck rollte aus und kam zum Stehen. Das Mädchen wimmerte, ihr schmutziges Gesicht war tränenüberströmt. Sie konnte keinen Tag älter als der Junge sein. Strähnen ihres brünetten Haares fielen ihr über die großen, blauen Augen und Schmutz verunzierte ihr rosa Shirt, das sie sich über die Knie gezogen hatte. Ihre weißen Söckchen waren dagegen noch unberührt von der Wüste. Ich war vielleicht unvorbereitet, aber sie hatte nicht den blassesten Schimmer, was hier passierte. Ich fand Handgriffe an den Wänden des Trucks und hockte mich neben sie.
„Wie heißt du?“
Sie wich etwas vor mir zurück. „Laney.“
„Okay, Laney. Wir beiden müssen jetzt zusammenhalten.“ Ich versuchte zu lächeln, ohne meine vertrockneten Lippen aufspringen zu lassen. Sie nickte und linste zur reglosen Gestalt des Jungen.
„Sollen wir ihn aufwecken?“, fragte ich, ihrem Blick folgend.
In kurzen, abgehackten Bewegungen schüttelte sie den Kopf. Ein jaulender Ton drang von unterhalb des Wagens zu uns und die Sicht aus der Windschutzscheibe drehte sich, bis das erste Tor wieder auftauchte. Der Truck ruckte und ich kippte beinah vorne über, konnte mich aber noch an der Wand hinter Laneys Kopf abstützen. Wir fuhren jetzt rückwärts auf das zweite Tor zu und was immer dort auf uns wartete, wäre bald hier. Ich suchte den staubigen Boden nach einer Waffe ab. Der Truck war leer.
Zaghaft streckte ich meinen Geist durch das Tor hindurch. Hunderte Leute liefen innerhalb der Zäune umher. Ich zog mich vom Wummern dieser ganzen Gedanken zurück und hörte, wie sich das zweite Tor mit einem metallischen Schleifen öffnete. Erneut kam der Truck zum Stehen und wieder verlor ich fast den Halt. Ratternd schloss sich das Tor hinter uns. In der Ferne stieg ein hörbares Murmeln an.
Rasch nickte ich Laney zu und schlich mich an die Seite der Hintertür, in der Hoffnung, was auch immer dahinter lag mit einem Überraschungsangriff anspringen zu können. Draußen war ein Poltern zu hören und etwas Schweres krachte gegen die Tür. Der Aufprall ließ den gesamten Truck wackeln.
Ich wich zurück, blieb aber zwischen Laney und der Tür. Hoffentlich konnte ich was immer dort durch kam aufhalten. Als ich gerade wieder meinen Verstand ausstrecken wollte, öffnete sich die Tür kreischend – und Simon stand vor mir.
Mir klappte das Kinn runter und er warf den Kopf zurück, als hätte ich ihn geschlagen. „Du!“ Das Wort keuchte aus ihm heraus. „Was zur…“ Seine Augen wurden groß, als wäre mich in diesem Truck zu finden, die schlechteste Wendung an einem eh schon beschissenen Tag.

Im Kindle-Shop: Open Minds - Gefährliche Gedanken (Mindjack #1)

Mehr über und von Susan Kaye Quinn auf ihrer Website, bei Facebook und auf Twitter.

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9. April 2015

"10 Shades of Berlin: Was Sie in der Hauptstadt niemals tun sollten!" von Ignatius Iltis

Aus dem Vorwort:
Berlin ist immer eine Reise wert. In Berlin gibt es viel zu sehen. Deshalb gibt es auch, mal ein paar mehr, mal ein paar weniger - immer so um die drei Milliarden Reiseführer für unsere Hauptstadt. In den verrücktesten Facetten. [...] Aus meinem geplanten Reiseführer ist deshalb eine Art Survival-Ratgeber geworden. Eine Überlebensfibel. Es werden ausschließlich Dinge behandelt, die man in Berlin nicht tun sollte, will man nicht Leib und Leben riskieren.

Für solche Dinge nämlich bedarf es jahrelanger Übung. Wer so etwas als ungeübter und unerfahrener Tourist trotzdem macht, ist mehr als leichtsinnig. Man geht ja auch nicht ohne Führer ins Watt. Und man besteigt auch keine Achttausender mit Sandalen.

Gleich lesen: 10 Shades of Berlin: Was Sie in der Hauptstadt niemals tun sollten! ("Der Herr Iltis ist immer so komisch ..." 2)

Leseprobe:
Was man in Berlin zum Beispiel keinesfalls mal eben so machen sollte, ist, mit einem Einheimischen zu telefonieren. Nicht einfach mal eben zum Handy greifen, um Gottes willen! Es gibt noch keine offiziellen Todeszahlen von Touristen, die beim Telefonieren in Berlin am Schlaganfall gestorben sind. Aber die Dunkelziffer wird sowieso viel höher sein.
Gestorben! Nur, weil diese armen Menschen irgendwo in Berlin angerufen haben. Völlig ungeschützt.
Zum Beispiel im Museum.
Es beginnt schon damit, dass die Einheimischen sich am Telefon stets nur als Nummer melden:
Hier zwozwofünf
Oh, Entschuldigung, bin ich da nicht im Museum?
Wen woll'n Se denn?
Ich wollte nach den Öffnungszeiten fragen …
Und wie sind Se jetz zu mir jekomm?
Das weiß ich nicht, ich wurde offenbar durchgestellt.
Det war bestimmt wieda die Forte!
Wer?
Unten, die Förtner. Den kannste tausendmal sagen: Öffnungszeiten, det is Müller mit seine Truppe. Det kapiern die einfach nich. Imma neue Leute, allet Aushilfn. Muss ja überall jeschpart wern!
Verstehe, aber können Sie mir nicht einfach die Öffnungszeiten …
Nee, da müssn Se nochma anrufen. Und sagn Se inne Forte gleich: Öffnungszeiten - det is Müller mit seine Truppe. Is ne janz andere Abteilung. Sitzen drüben, im andern Flügel.
Also wird man noch einmal anrufen:
Guten Tag, ich hätte gern Herrn Müller gesprochen, wegen der Öffnungszeiten.
Vorname?
Von Herrn Müller? Den weiß ich nicht.
Momang. Hörer wird beiseite gelegt, Papier raschelt:
Hans haick hier, Irene …nee, det wars.
Das Drama nimmt seinen Lauf. Der Tourist wird zum ersten Mal ausfällig.
Verdammt, ich will doch nur wissen, wie lange Ihr Museum heute …
Neeneenee, so nich!
Wie bitte?
Ick mach hier och nur mein Job. Seit siehm sitz ick hier, janz alleene …
Verstehe, ich will ja auch nicht weiter stören, ich wollte nur wegen der Öffnungszeiten …
Na sehen Se, jeht doch. Also Öffnungszeiten, momang. Es knackt, man wird durchgestellt:
Zwozwofünf.
Oh, jetzt bin ich wieder bei Ihnen gelandet, ich wollte fragen, wegen der Öffnungszeiten …
Sind Se der von ehm?
Ja.
Ham Se inne Forte nich jesacht, det Öffnungszeiten Müller seine Truppe is?
Doch.
Ja, und nu?
Gerade gestern habe ich erlebt, wie sie wieder einen Touristen abführten, der um sich trat und spuckte und wild schrie: Ich will ja gar nicht in Euer Museum. In euer doofes, blödes, Scheißmuseum!
Immerhin - er hat wahrscheinlich überlebt. Viele andere sind gefallen. Weil sie unvorsichtig waren, übermütig. Weil sie die Gefahr unterschätzt und in Berlin einfach so telefoniert haben.
Da hält sich dann - bei aller Pietät - das Mitleid auch irgendwie in Grenzen.

Im Kindle-Shop: 10 Shades of Berlin: Was Sie in der Hauptstadt niemals tun sollten! ("Der Herr Iltis ist immer so komisch ..." 2)

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8. April 2015

'Am Ende vom Horizont' von Lola Victoria Abco

Erzählungen über Menschen, die sich an einem Wendepunkt in ihrem Leben befinden: Luise hatte heimlich begonnen Kontaktanzeigen zu lesen. Auf der Fahrt zu ihrem ersten Treffen mit Norbert lässt sie ihr ihr Leben ernüchtert Revue passieren. Wird Luise den entscheidenden Schritt wagen und sich an ihrem Treffpunkt zu erkennen geben?

„Ich gehe zum … warte dort auf dich.“ Die letzten Worte ihres Mannes hatte Lene nicht verstanden. Seitdem verbringt sie ihren Urlaub allein am Meer. Jeden Tag sitzt sie am Strand, schaut zum Horizont und fragt: „Wartest du auf mich, Richard?“ Caspar David Friedrichs Gemälde „Frau vor der untergehenden Sonne“ beherrscht die Träume des Cafébetreibers. Plötzlich nimmt ein junges Mädchen deren Gestalt an und taucht in seinem Café auf. Magisch zieht sie ihn in ihren Bann.

Gleich lesen: Am Ende vom Horizont

Leseprobe:
Langsam ließ das junge Mädchen ihren Blick durch das Café gleiten. Kurze Zeit verweilte sie bei einem Druck von Caspar David Friedrichs Bild „Frau vor der untergehenden Sonne".
Manfred nahm ein Bierglas aus dem Spülwasser. Ohne hinzusehen, polierte er es trocken und stellte es in das Regal über der Theke. Das Mädchen richtete sich ein wenig in ihrem Stuhl auf und wandte sich zur Seite. Manfred fuhr mit seinen Augen ihr Profil ab, die Stirn, die Nase, deren Spitze leicht nach oben zeigte, die Lippen, das ausgeprägte Kinn. Er stellte sich vor wie sie es einem Widersacher entgegen recken würde, wenn sie wütend war. Ihre vollen Lippen würden sich öffnen, vielleicht sich sogar ein wenig verzerren und böse Worte formen. Bei dem Gedanken daran lächelte Manfred.
Die Tür rechts neben der Theke schwang auf. Gespannt wandte sich das Mädchen um. Achtlos ging Gerda an ihr vorbei, servierte dem älteren Paar am Nebentisch Kaffee, Apfelstrudel und Himbeertorte. Das Mädchen begleitete Gerda mit den Augen zurück zur Schwingtür, dann glitt ihr Blick weiter zur Theke. Verwundert betrachtete sie die Unmengen von Seidenblumen, die längs des Tresens drapiert waren. Gerda hatte die Blumen vor langer Zeit dort angebracht. Manfred fand ihren Anblick noch heute lächerlich.
"Geschmacklos!", hatte er seiner Frau zugerufen.
Unbeirrt hatte sie ihre Dekoration weiter vervollständigt, ohne einen Kommentar oder eine Erklärung abzugeben. Manfred konnte sich auch so denken, weshalb Gerda den Bereich hinter der Theke verdecken wollte.
Immer noch schaute sich das Mädchen die Blumen an. Bewundernd sah Manfred zu wie sie ihre Haare zurück über die Schultern strich, seidige, lange, dunkelblonde Haare.
"Sie sieht aus wie eine Madonna!", dachte Manfred. Bedächtig nahm er ein weiteres Glas aus dem Wasser.„Warum sitzt jemand wie sie alleine in einem Café?"
Während er die Gläser putzte oder Getränke eingoss, machte sich Manfred oft Gedanken über seine Gäste. Gerda hatte ihm vorgeworfen, er würde die jungen Damen im Café mit den Augen verschlingen. Manfred hatte entgegnet, irgendwohin müsse er doch schauen.
"Immer die jungen Damen! Niemals die anderen Gäste! Du fixierst sie! Du verschlingst sie mit deinen Augen! Manfred, das ist nicht gut!" Der Ärger hatte Gerdas Gesicht rot gefärbt. "Die Leute werden dich einen ... einen ... ach, mir fällt das Wort nicht ein! Es ist nicht gut, Manfred!"
Manfred wusste, welches Wort seine Frau meinte: ein Voyeur. Aber es stimmte nicht. Er ging seinen Aufgaben hinter der Theke nach und schaute dabei in das Café, in sein Café. Was war schon dabei, wenn er sich über den einen oder anderen Gast Gedanken machte? Wo er herkam, was ihn bewegte, wer er war. Stimmte es, dass sein Blick immer bei den jungen Dingern haften blieb? Manfred musste an Gerda denken. So wie sie früher war, als junges Mädchen. Da war sie hübsch anzuschauen gewesen, schlank und fröhlich. Heute war sie dick und hatte Krampfadern.

Im Kindle-Shop: Am Ende vom Horizont

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7. April 2015

"Der Lottocoup" von Carlos Cairo

Markus Fuchs war gerade 31 Jahre alt geworden, und soeben durch die Diplomprüfung gefallen. Ziellos vertrödelte er seine Tage, bis er eines Nachmittags in einem Spielwarengeschäft eine kleine Lottomaschine sah. Und da kam ihm der Geistesblitz … Von diesem Zeitpunkt an beschloss Markus alles daran zu setzen, den großen Lottocoup zu landen …

Gleich lesen: Der Lottocoup (Ein raffinierter Spielbetrug mit überraschenden Lebenswechseln)








Leseprobe:
Seit 1972 war Almeida del Siboney, eine kleine Hafenstadt nördlich von Havanna meine Heimat. Nach einem heißen schwülen Tag saß ich im Garten meiner Villa und blickte in Erwartung einer kühlen Brise aufs Meer hinaus. Es herrschte ein leichter Wellengang. Nur in weiter Ferne kündigten Schaumkronen den herannahenden abendlichen Wind an. Die Fächer der Palmen, die unser Grundstück vom Strand trennten, wiegten sich träge widerstrebend in der Nachmittagshitze. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt. Gestern war mit großem Pomp mein 70-ster Geburtstag gefeiert worden. Seit ich vor 36 Jahren mit meiner Frau Annabella ein Kinderkrankenhaus finanzierte und baute gehöre ich zur Prominenz. Mehr als 200 Gäste hatten mir die Ehre erwiesen, neben mehreren Staatsbeamten hatte es sich sogar der Gesundheitsminister Hugo Gonzalez mit seiner Frau Miranda nicht nehmen lassen, mir persönlich zu gratulieren. Gestern Abend hatte ich auch, vom Alkohol beflügelt, eine längst überfällige Entscheidung getroffen und in einer kleinen Ansprache verkündet. „Ab morgen übergebe ich die Leitung des Krankenhauses meinen Kindern Salvador und Luana und ziehe mich zurück.“
Nun, mit verkatertem Kopf, bedauerte ich diesen Entschluss. Was sollte ich jetzt mit mir anfangen. Die Klinik war mein Lebensinhalt. Beim Blick auf den zertrampelten Rasen, entdeckte ich einige zertretene Zigarettenkippen. Du bist wie wir signalisierten sie mir, ausgebrannt, verbraucht und weggeworfen. Aus dieser trübseligen Stimmung wurde ich durch das plötzliche Erscheinen meiner Tochter Luana erlöst. Sie hielt ein Glas mit Whiskysoda in der Hand: „Hier Papi, das wird dir gut tun. Schon den ganzen Tag lang sehe ich dich so niedergeschlagen. Was bekümmert dich? Es war doch ein wunderbares Fest. Kannst Du dich denn gar nicht darüber freuen? Oder ist es dein Versprechen, Salvador und mir die Leitung der Klinik zu übertragen, das du nun bereust?“
Dankbar ergriff ich das Glas: „Aber nein, man Kleines, setz dich einen Moment zu deinem alten Vater. Es ist nur meine Sorge vor dem alt werden. Ich fühlte mich nun so nutzlos, und da ich bis auf mein Segelboot und den alten Buick keine Hobbys habe, fürchte ich mich vor der Langeweile.“
„Aber was sagst du denn da, Vater. Du wirst uns weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen. Außerdem hast du jetzt endlich Zeit mit der Mutter Reisen zu unternehmen. Und dann solltest du, was wir uns alle schon seit langem von dir wünschen und zu dem dir bisher die Zeit fehlte, deine Lebensgeschichte schreiben. Du hast ja weiß Gott einen abenteuerlichen Werdegang, und das, was du, bevor du nach Kuba kamst, angestellt hast, war wohl ziemlich einmalig und wäre heute völlig unmöglich.“
Bevor sie mich weiter verplanen konnte unterbrach ich sie:
„Kuba scheint zwar ein gutes Klima für Schriftsteller zu haben, was allen voran Hemingway bewiesen hat. Aber ich fühle mich nicht diszipliniert und ausdauernd genug, um stunden- und tagelang über Wochen gar Monate hinweg an einem Tisch zu sitzen, ganz abgesehen von dem mangelnden Talent.“
„Aber das weißt du doch gar nicht. Du hast es doch noch nie versucht, und niemand erwartet ein Meisterwerk von dir. So, ich muss dich jetzt leider verlassen, Dolores hat heute ihren freien Tag, und ich will der Mama bei der Zubereitung des Abendessens helfen. Heute sind wir zu neunt. Salvador kommt mit Imelda und den Kindern.“
Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen, und die ersehnte Brise wehte nun kräftig vom Meer. Aber sie brachte mehr Feuchtigkeit als Kühle. Ich dachte über Luanas Vorschlag nach. Sie hatte Recht, ein außergewöhnliches Schicksal, das es verdient hätte, beschrieben zu werden, hatte mich nach Kuba geführt. Aber da sind auch einige dunkle Kapitel, die viele Seiten füllen würden, wenn ich offen und ehrlich berichte. Davor wollte ich mich drücken. Ich lass das lieber. Mir geht es doch blendend. Die schlechte Laune wird vergehen. Es wird mir schon etwas einfallen, womit ich meine Zeit verbringen kann. Auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben konnte ich zurückblicken. Ein gewisser Stolz erfüllte mich, und meine trüben Gedanken verschwanden im Abenddunst. Die Familie rief zum Essen. Im Speisezimmer saßen schon alle erwartungsvoll an der Tafel. Wie gewohnt nahm ich meinen Platz am Kopf des Tisches ein. Es gab gegrillte Hähnchen und den Rest der Leckereien, die wir gestern unseren Gästen angeboten hatten. Alle waren bester Laune. Salvador glühte vor Begeisterung und Unternehmungslust. Annabella, die gleich neben mir saß, wirkte ausgeglichen und glücklich. Sie vor allem war es, die mich seit Jahren gedrängt hatte, mich aufs Altenteil zurückzuziehen, sah sie doch täglich, wie meine Kräfte nachließen. Obwohl alle Fenster offen waren und die Ventilatoren Luft fächerten, war es drückend schwül. Annabella hatte darauf bestanden, dass keine Klimaanlagen im Haus installiert worden waren, nur bei meinem Arbeitszimmer gestattete sie eine Ausnahme. Klimaanlagen war für sie eine westliche dekadente, kapitalistische Erfindung, die sie als überzeugte Revolutionärin ablehnte. Auch mein zaghafter Einwand, der Eisschrank, die Spül- und Waschmaschine, die sie täglich benutze, sei nicht eine Erfindung der kubanischen Revolution, konnte sie nicht davon abhalten, ihren Kopf durchzusetzen. Nur in der Klinik hatte sie keinen Erfolg, denn da war ich der Chef. Nach dem Essen brachten die Mütter ihre Kinder zu Bett, und anschließend setzten wir uns zu einem Mojitos Cocktail auf die Terrasse. Hier war es deutlich kühler, als im Wohnraum, in dem noch die Tageshitze gefangen war. Es war mir zur Gewohnheit geworden einmal am Tag eine Zigarre zu rauchen. Tagsüber reichten meine kleinen Pausen nur zu einer Zigarette. Mit der Zeit hatte sich ein Ritus ergeben. Allabendlich nach dem Essen setzten wir uns zu einem Daiquiri in den Garten und Annabella zündete mir eine Arturo Fuente an. Beim Betrachten der Banderole, erinnerte ich mich, dass dies die Lieblingsmarke von Hemingway war. Das erinnerte mich an Luanas Vorschlag:
„Hört mal meine Lieben. Luana meinte heute Nachmittag, ich sollte meine Memoiren schreiben. Nun habe ich mir darüber Gedanken gemacht und soeben, während ich meinen Whisky im Garten trank, die letzten 36 Jahre Revue passieren lassen. Das war ja eine aufregende Zeit, euch aufwachsen zu sehen die Klinik zu führen und die vielen Auseinandersetzungen mit den Behörden usw. Das könnte ich wirklich mal aufschreiben.“
Luana unterbrach mich brüsk: „Aber das ist ja nur die Hälfte deines Lebens. Viel aufregender und interessanter ist die Zeit vor Kuba. Also jetzt kneif nicht. Ich kenne deine Bedenken. Setz dich hin und fang von vorne an.“
Um einer weiteren Diskussion zu entgehen, wechselte ich das Thema und kam auf die Klinik zu sprechen. Luana erhob sich und meinte: „Ich muss noch mal rüber. Heute wurde ein sechsjähriger Junge mit Diphtherie eingeliefert. Da sollte ich einmal nach dem Rechten sehen.“
Auch Salvador verließ uns bald. Annabella wartete geduldig, dass ich meine Zigarre zu Ende rauchte. So saßen wir eine Weile schweigend nebeneinander. Aber es war kein gelangweiltes Schweigen, sondern ein vertrautes. Wir verstanden uns auch ohne Worte und jeder ahnte, was den anderen bewegte und durch den Kopf ging. Plötzlich unterbrach Annabella die Stille: „Wie ich dich kenne, willst du heute im Arbeitszimmer schlafen und die Klimaanlage auf die höchste Stufe stellen.“
„Ja, wenn Du nichts dagegen hast. Mir macht die Hitze echt zu schaffen, und letzte Nacht haben wir ja kaum geschlafen.“
Sie stand auf, gab mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Haus. Eine Weile blieb ich noch sitzen. Mein Arbeitszimmer lag ebenerdig, gleich neben der Eingangshalle. Eigentlich nutzte ich es gar nicht zur Arbeit. Diese Tätigkeit hatte ich auf mein Direktionszimmer in der Klinik beschränkt. Dieser Raum war in Wahrheit meiner Retiro, in dem ich Zuflucht suchte, wenn mich das Heimweh nach Deutschland überfiel. An den Wänden hingen große Landschaftsaufnahmen von Wäldern, Wiesen, Seen und schneebedeckten Bergen. Dann legte ich mich zu Beethovens und Mozarts Musik auf eine Liege und träumte mich in die kühlen schattigen Wälder vom Odenwald und Taunus und in die bayrischen Voralpen, in denen ich während meiner Studentenzeit viele Wanderungen unternommen hatte. Obwohl ich nun mehr als mein halbes Leben auf Kuba verbracht hatte, war es mir nicht geglückt, mich vollständig zu akklimatisieren. Und das lag nur am Klima, denn mit den Menschen kam ich bestens zurecht. Mir fehlten die ausgeprägten Jahreszeiten. Jetzt wo ich ohne Aufgabe bin, befürchte ich, dass mich diese Nostalgieanfälle häufiger heimsuchen könnten. Sobald wie möglich, nahm ich mir vor, werde ich mit Annabella eine Reise nach Deutschland unternehmen. Eine Schifffahrt auf dem Rhein von Basel nach Köln. Mit diesen tröstlichen Vorsatz begab mich in mein Retiro. Im anschließenden kleinen Bad bereitete ich mich auf die Nacht vor. Als ich ins Zimmer zurückkam, saß Annabella auf dem Bettrand und schaute mich liebevoll besorgt an.
„Heute Nacht sollte ich dich nicht alleine lassen. Du wirkst etwas unglücklich.“
Ich musste lachen: „Ein feiner Vorwand, um aus der drückenden Schwüle in die einladende Kühle meiner Klause zu entkommen.“
Da konnte auch sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war wohl beides, was sie zu ihrem Besuch veranlasst hatte. Wir schliefen bis neun, ein Luxus, den ich mir nur sonntags erlaubt hatte. Sonst war ich immer pünktlich um 8 Uhr in der Klinik erschienen. Im Bademantel suchten wir zum Frühstück die Küche auf. Unsere Perle Dolores, eine temperamentvolle Mulattin mit kräftigen Armen und einem ausladendem Gesäß, was zum drauf klatschen ermunterte, war schon am Werken. Seit sie als 18- jährige zu uns kam, ist sie die Seele der Familie, ein mütterliches, zupackendes und heiteres Wesen.

Im Kindle-Shop: Der Lottocoup (Ein raffinierter Spielbetrug mit überraschenden Lebenswechseln)

Mehr über und von Carlos Cairo auf seiner Website.

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1. April 2015

"Kossu & Ouzo" von Mikki H.

Ein Roman aus Lappland und Griechenland. Haben Sie schon einmal Lust verspürt einfach alles hinzuschmeißen, das Glück beim Schopf zu packen, die Heimat, den Alltagstrott und Ihre Probleme hinter sich zu lassen? Wie wäre es mit einem Tapetenwechsel auf Zeit? Zwei völlig unterschiedliche Charaktere, der wohlhabende griechische Hotelier Paris Kamakis und der Finne Kim Rantala, Hoteldiener, tauschen für ein Jahr das Leben, obwohl sie sich gerade erst begegnet sind. Doch kann ein so verrückter Tauschhandel, der alles mit einschließt - Bankkonten, Arbeitsplätze, Fortbewegungsmittel, soziale Kontakte - funktionieren?

Das Gewohnte, der Alltag, holt uns immer wieder ein. Doch ist das Fremde, vermeintlich Interessante, wirklich besser? Der Homosapiens ist nie zufrieden. Es ist ihm meist zu kalt oder zu warm. Die Arbeit zu eintönig oder zu verantwortungsvoll. Wie reagiert ein besser Gestellter auf das Leben eines Anspruchslosen und umgekehrt?
Ein spaßiger unterhaltsamer Entwicklungsroman zweier zielloser junger Männer, die ihr Glück suchen! Erleben Sie ›Efcharisto‹ in Finnisch-Lappland und ›Kiitos‹ auf der griechischen Insel Rhodos. Eine Geschichte für jene gehetzten Menschen unter uns, die auch mal gerne alles hinter sich lassen würden, um dann vielleicht festzustellen: »So schlecht geht es mir doch gar nicht ...«

Gleich lesen: Kossu & Ouzo

Leseprobe:
Helios lenkte, sehr zur Freude Paris, den Sonnenwagen über den strahlendblauen Himmel Kopenhagens. Für einen Griechen ist Dänemark wie für einen Berliner der Nordpol, daher war er unsicher, auf was er sich da einließ, als er die Reise in den Norden Europas buchte.
Seine dunkelbraunen Augen lagen hinter einer Ray Ban Brille verborgen. Mit einer Umhängetasche, einer Kamera und dem Erkennungszeichen machte er sich auf den Weg.
In der Stadt, aus der Paris Kamakis stammte, thronte einst der gewaltige Koloss von Rhodos, ein Standbild des Sonnengottes Helios. Die Dänen wären wohl erblasst vor Scham, hätten sie die monumentale Bronzestatue im Vergleich zu dieser eher unscheinbaren Skulptur der kleinen Meerjungfrau, Kopenhagens Wahrzeichen, gesehen.
Eine nackte Jungfrau war eine der ersten Dinge, welche die Harpune zu Gesicht bekam. Dem Nachnamen, Kamaki bedeutete Harpune, was man wiederum in etwa mit ›Frauen aufreißen‹ übersetzen konnte, wurde er gerecht, als er die Touristenmassen nach einer finnischen Schönheit absuchte. Er hatte Bedenken jetzt gleich das Erkennungszeichen raus zu holen, da auch Kinder herumwuselten. In aller Öffentlichkeit? Seine Manieren widersetzten sich dieser, vielleicht doch nicht so klugen Idee.
Da war eine große Gruppe japanischer oder koreanischer, Touristen, die, ganz klischeehaft, noch beim Einsteigen in den Bus die letzten Fotos knipsten. Ein paar Pärchen und Familien flanierten herum. Ebenso Paris nahm die Kamera und fotografierte die Statue. Gerade als er auf die eigenartig nach außen weisenden Brüste fokussierte, sprach ihn jemand Weibliches an. Verwundert, ohne sichtbares Erkennungszeichen, so schnell vom Blind Date gefunden worden zu sein, schob er die Sonnenbrille hoch und zwinkerte dem Gegenüber zu, als wollte er ihr mit den buschigen Wimpern Luft zuwedeln. »Kim?«, fragte er die etwa sechzehnjährige Jugendliche. War es möglich, dass er eine so junge Chatpartnerin im Internetforum hatte?
»Kannst du Foto von mir und meiner Freundin machen?«, fragte sie mit schlechtem Englisch.
»Oh. Sorry. Sure.«
»Efcharisto Sir!«, sagte die Schönheit.
Ihm war gar nicht bewusst, wie sehr er nach einem Griechen aussah. Schwarzes lockiges Haar, eher viereckiges Gesicht und eben die Augenlider mit langen dunkelbraunen Wimpern. Und was hatte ›Sir‹ zu bedeuten? Es fühlte sich alt an ›Sir‹ genannt zu werden und mit sechsunddreißig ist man keineswegs alt und schon gar kein ›Sir‹.
Paris nahm auf einer der Parkbänke Platz, die hier an der Uferpromenade standen, und wollte die Leute beobachten. Sollte er jemanden mit Erkennungszeichen sehen, würde er hingehen. Die Rolex, aufgrund des Herzmeridians im linken Handgelenk trug er sie rechts - er war ein wenig esoterisch veranlagt - sagte ihm, dass der vereinbarte Zeitpunkt gekommen war. Vier Uhr Nachmittag. Nur keine Nervosität. Frauen kamen bei ihm stets zum abgemachten Treffpunkt. Er schnappte das Komboloi und begann damit zu spielen und sich gedanklich auf das Treffen mit Kim vorzubereiten. Kim - was für ein Name. Als er ihn das erste Mal las, da tippte er ihn gleich in die Browserbildsuche ein. Was tauchten da für Bilder auf. Eine schöner als die andere. Nur mitten drinnen ein Foto von einem freundlich lächelnden Kim-Jong-Il, dem nordkoreanischen Diktator. Aber der war mittlerweile tot. Selbst die koreanischen Touristen wurden vom Bus weiter zum nächsten Fotospot gekarrt. So stand dem Blind Date mit einer hübschen, finnischen Grazie mit dem wundervollen Vornamen Kim nichts mehr im Wege.

»Da ist sie also«, dachte Kimmo. Er betrachtete die berühmte Statue. Eine nackte Frau hatte er nun bereits gesehen, doch wo war die südländische Schönheit? Niemand stach ihm ins Auge. Keine Liebe auf den ersten Blick. Auf sämtlichen Parkbänken saßen Pärchen, Kinder und alte Leute. Auf einer Bank hockte ein Typ mit einem Rosenkranz. Was machten diese religiösen Idioten bei jener unbekleideten Tussi am Meer? Kim erinnerte sich daran, dass die heilige Mutter Maria auch eine Jungfrau war. Jesus wurde ja unbefleckt geboren. Gab es da einen Zusammenhang? Die kleine Meerjungfrau - Kopenhagens Maria? Davon hatte er noch nie gehört und er glaubte kaum, dass das stimmte. Wahrscheinlich dauerte es nur mehr einen Augenblick und der Typ mit der Kette würde ihn anquatschen, die Tasche öffnen und ihm eine Bibel verkaufen wollen. Er war bestimmt irgendein Missionar, ein Priester.
Er nahm mangels einer freien Parkbank auf dem Steinboden am Geländer Platz, öffnete den Rucksack und holte eine Flasche Koskenkorva hervor. Sehnsuchtsvoll betrachteten die dunkelgrünen finnischen Augen jenen Glasbehälter, sandten Impulse zum Gehirn und weiter zu den Speicheldrüsen, die den Mund füllten. Ein kleiner Schluck nur, ging es durch seinen Kopf. Aber wie so oft widersprach der einen Stimme eine andere. Kimmos Vater sagte laut und deutlich, als warteten sie immer noch am Esstisch, dass man niemals anfing, bevor alle am Tisch saßen. Gleich einer Mutter, die ihr Baby anhimmelte, platzierte er vorsichtig den Schnaps neben sich. »Sie wird schon kommen! Und dann bist du dran.«

Kim - in erster Linie fiel ihm da Kim Basinger ein. Doch in der Bildersuche des Internets kamen da Frauen wie: Kim Kardashian, Kim Debkowski und auf Seite zwei Kim Jong-il, mitten unter den Bildern von eben jenen beiden Schönheiten. Die Damen der Internetrecherche sahen nicht gerade skandinavisch aus. Die finnischen Touristinnen jedoch, die bisher sein Herz und Männlichkeit höher schlagen ließen, wirkten ganz anders von Hautfarbe und Gesichtsform. Nun, wenn sie dann endlich auftauchte, würde er es sehen. Das Komboloi schwirrte in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Finger, während er die Leute in der Umgebung betrachtete. Paris fand keine Einzige, die wie eine Kim aussah. Nun war sie schon eine Stunde zu spät. Ein paar Liebende saßen auf den Bänken, oder flanierten an der Promenade entlang. Niemand weiblicher, der alleine war. Doch was war das? Noch war nicht mit Sicherheit zu sagen, ob skandinavische Züge ihr Antlitz zierten. Eine Frau, enge Jeans und Kleidchen drüber, bewegte sich auf ihn zu. Sehr figurbetont. Erst jetzt registrierte er einen weiteren Mann schräg vor ihm am Boden unter dem Geländer sitzend, weil jener gleichfalls den Kopf zur herannahenden Schönheit drehte. Sie musste hochhackige Schuhe tragen, da sie, ihrer Grazie bewusst, schlenkerte. Selbst einige männliche Partner der anwesenden Pärchen sahen dem auffordernd wackelnden Hinterteil nach. Sie war blond. Wasserstoffblond. Paris richtete sich auf, fuhr durch seine Lockenpracht. Der heruntergekommene Typ rückte die neben ihm ruhende Flasche zurecht. Ebenso er nahm Haltung an. Unmittelbar vor ihm stoppte sie und kramte in der Handtasche. Der Penner stand auf und grinste. Aber die Frau reagierte gar nicht auf ihn, lediglich ein Mobiltelefon fischte sie aus dem Gepäck, drückte grinsend eine Taste, ließ prachtvolle, weiße Zahnreihen sehen und ging unbeeindruckt von der ihr erbotenen Ehre des stehenden Mannes weiter. Auf den Griechen zu, der ein Räuspern versuchte. Sie war es. Es war das Blind Date, denn sie blieb auch direkt vor ihm stehen. Um eine komische Sprache handelte es sich obendrein, mit der sie in das Telefon quasselte. Sie musste es sein. Ganz bestimmt. Sie blickte, so wie die der meisten hier Vorbeikommenden, über die nackte Statue am Wasser. Doch dann sah sie Paris an. Harpunengrinser aufgesetzt und das beliebte Fächern mit den Wimpern erreichte ein neues Hoch. Er öffnete die Tasche und hielt sie zu ihr hin. Das Lächeln der Frau erstarb, sie nahm das Handy vom Ohr, ließ die Hand sinken und der Ton der lieblichen Stimme wurde zu einem unfreundlichen, unverwechselbaren Schimpfen. Egal, in welcher der zirka 6500 Sprachen unserer Welt - Schelte klang überall gleich. Schnellen Schrittes watschelte sie erbost davon. Der verdutzte Grieche spürte die Röte, die in sein Gesicht schoss und er sah den komischen Typen grinsen. Das Komboloi half ihm beim Nachdenken, warum sie das Erkennungszeichen nicht als jenes wahrgenommen hatte und weshalb sie so in Rage geriet.

Im Kindle-Shop: Kossu & Ouzo

Mehr über und von Mikki H. auf seiner Website.

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