11. April 2016

'Turkana - Blutiges Afrika' von D.W. Crusius

Ein Krankenhaus, ein Flüchtlingslager und eine Söldnertruppe - Hintergrund eines Dramas am Lake Turkana im Norden Kenias, an der Grenze zum Südsudan.

In unmittelbarer Nähe des Lagers vermutet man große Vorkommen Uranerz. Eine Bergbaugesellschaft beauftragt Söldner, die Flüchtlinge zu vertreiben.

Gleich lesen: Turkana: Blutiges Afrika

Leseprobe:
Der Truppenarzt schrieb ihn dienstuntauglich und sie schickten Harry nach Hause. Eine plumpe Verdrehung der Wahrheit. Er wollte sie herausschreien, die Wahrheit, die es nach offizieller Lesart nicht geben durfte. Aufs Abstellgleis geschoben hatten sie ihn, damit ihn niemand hörte. Was sich in Afghanistan abgespielt hatte, lag zu dicht neben einer Befehlsverweigerung, und das sieht man in keiner Armee dieser Welt gerne. Soldaten sind zum Töten und Sterben da, nicht zum Denken. Auch als moralische Instanz haben sie sich gefälligst nicht zu gebärden. Dafür sind die vielen Mütter Teresas dieser Welt zuständig.
Er war ein Jahr aus Afghanistan zurück, als es ihn zum ersten Mal erwischte. Abends gegen 21 Uhr war er ziellos durch die Gegend getigert, hatte krampfhaft überlegt, wo er etwas Alkoholisches ergattern könnte. Ihm fiel nichts ein und frustriert saß er in einem kleinen Park nahe der Hansa-Allee auf einer Bank, linste zu einer Kneipe hinüber und grübelte über seine Entbehrlichkeit nach.
Gerda war nachmittags ausgezogen, der Schlussakkord ihrer Ehe. Zu ihrem Schutz, er wollte ihr nichts Böses antun. Wäre sie weiter in der Wohnung geblieben, hätte es früher oder später zwangsläufig ein Unglück gegeben. Wie ein Naturgesetz. Die Abstände zwischen seinen Depressionsschüben, er nannte sie Monsterattacken, und den darauf folgenden Alkoholabstürzen wurden immer kürzer. Verschafften ihm die Medikamente keine Erleichterung, saß er wie ein Kleinkind greinend auf dem Sofa, gemartert von Selbstvorwürfen und dachte nur an Schnaps. Die restlichen in seiner Blutbahn kreisenden Psychopharmaka und oben drauf ein Wasserglas Wodka, verpassten ihm den ultimativen Kick, der ihn für einige Stunden ins totale Vergessen katapultierte. Die Rückkehr in die reale Welt wurde mit jedem Absturz entsetzlicher.
»Wenn du bleibst, garantiere ich dir ein Unglück. Geh lieber, solange noch Zeit ist«, hatte er gesagt. »Ich bin kein menschliches Wesen, eine bösartige Waffe, ein Roboter aus Fleisch und Blut, programmiert zum Töten.«
Er redete mit schwerer Zunge, vor seinen Augen drehte sich alles und er musste sich am Tisch abstützen, wollte er nicht der Länge nach auf den Boden kippen.
Mit hängenden Armen stand sie vor ihm. In ihrem fahlem Gesicht zuckte es, als kämpfte sie mit den Tränen. Oder Ekel. Sie versuchte, die Situation zu verstehen, konnte es nicht. Niemand kann das, nicht mal ein Arzt. Wie zu einem Entschluss gekommen raffte sie sich auf, drehte sich ruckartig um und ging ins Schlafzimmer. Er hörte Schubladen knarren und die Schranktür quietschte.
Mit matten Augen und gesenktem Kopf stand sie in der Tür zur Diele, vermied es, ihn anzusehen. In der Hand einen Koffer.
Flüsternd sagte sie: »Lass mir einen Wohnungsschlüssel. Ich hole den Rest meiner Sachen ab, wenn du nicht hier bist. Was ist mit den Möbeln?«
»Ich brauche nichts, du kannst alles haben.« Er machte eine großzügig kreisende Bewegung mit dem Arm, taumelte dabei, wäre beinahe gefallen.
Vielleicht wollte er ihr mit den Möbeln eine Freude bereiten, er wusste es nicht. Er wollte keinerlei Besitz mehr, der ihn an die Vergangenheit erinnerte, das traf es wohl am besten.
Sie drehte sich um und als die Tür hinter ihr zufiel, war es wie eine Befreiung. Nicht weil er sie nicht mehr liebte, im Gegenteil. Mit seltener Klarheit war ihm bewusst geworden, dass er sie irgendwann versehentlich töten würde, bliebe sie bei ihm.
Im matten Licht der Straßenbeleuchtung saß er auf der Parkbank und hatte nur den Gedanken im Kopf, wo er etwas Starkes zu trinken herbekäme. Zu Hause hatte er nichts und Geld hatte er auch nicht.
Ein Motorrad raste über die Allee und keine fünf Meter von ihm entfernt dröhnte eine krachende Fehlzündung aus dem Auspuff. Mit einem oft trainierten Hechtsprung warf er sich neben der Bank auf die Erde, presste seine Hände vors Gesicht und schlang die Arme um den Kopf. Als habe jemand das Licht abgedreht, wurde es um ihn dunkel. Wie von einer gigantischen Faust geschüttelt, schwebte er in stockfinsterer Nacht, und es stank widerlich nach Explosivstoffen.
Einem harmlosen Spaziergänger, der nichts weiter wollte, als seinen Hund ausführen, brüllte er sinnlose militärische Kommandos zu. Der Mann glaubte, er habe einen Irren vor sich, was es ziemlich gut traf, und verständigte die Polizei.
Später auf dem Revier gab der Mann zu Protokoll: »Verstanden habe ich nichts, aber es war wie im Kino in einem Rambo-Film.«
Die Polizisten waren nicht unfreundlich oder grob, sperrten ihn trotzdem in eine Zelle.
»Wir nehmen Sie in Gewahrsam, das ist zu Ihrem eigenen Schutz«, sagten sie aufmunternd und einer klopfte ihm jovial auf die Schulter.
»Das wird wieder, keine Bange.« Er redete in diesem gütigen Tonfall, der üblicherweise Psychiatern und Pfarrern vorbehalten ist, und Harry fühlte sich sofort ruhiger. Er kannte den Ton.
In der schmalen Zelle des PGs (Polizeigewahrsam) gab es nur eine Pritsche, einen Toilettentopf ohne Brille und Deckel und ein Waschbecken. Es stank widerlich nach Urin, gekotztem Bier und ungewaschenen menschlichen Körpern. Er ließ sich auf die Pritsche fallen und zog die Knie hoch an den Körper. Haltloses Schluchzen schüttelte ihn und einer der Polizisten zog ihm fürsorglich die Decke bis an den Hals.
»Er riecht nach Alkohol, aber betrunken kommt er mir nicht vor«, sagte einer. »Überdreht, Krach mit der Frau, Job verloren«, sagte ein anderer und das kam der Wahrheit recht nahe.
Sie durchsuchten seine Taschen und in seiner Gesäßtasche fanden sie einen von schweißigen Fingern zerdrückten und beinahe unleserlichen Brief. Die letzte Zeile unter dem kurzen Brief lautete: Ich liebe dich, ich warte auf dich, Gerda. Auf dem Umschlag stand eine Adresse, und da kapierten die Polizisten. Johannes Kowalski lautete der Name auf dem Umschlag, »das Länderkürzel AFG steht für Afghanistan«, wie einer der Polizisten wusste. Dazu der Vermerk Feldpost, eine Postleitzahl und als Ortsangabe Darmstadt.
Sie forderten einen Krankenwagen an und die Sanitäter verfrachteten Harry in eine Klinik. Die Ärzte untersuchten ihn, fanden keine physischen Schäden, nicht den Hauch eines Kratzers. Sie befragten ihn ausführlich, versuchten es zumindest. Er gab nur einsilbige Antworten. Nicht zuletzt wegen der Kostenübernahme und Versicherung recherchierten sie seine Vorgeschichte.
Nach nur vier Tagen stationärer Beobachtung schickten sie ihn mit mehreren Schachteln zusätzlicher Medikamente nach Hause. Dazu gaben sie ihm einem Stundenplan, welche Tabletten er vor dem Essen, welche danach, mit Wasser oder ohne einnehmen sollte. Verbunden war das mit der dringenden Aufforderung, sich auf jeden Fall einmal wöchentlich bei seinem Arzt zu melden. Kein Alkohol – schärften sie ihm immer wieder ein. Er hätte sich nicht gewundert, wenn der Pförtner am Ausgang ihm die Warnung vor Teufel Alkohol hinterhergerufen hätte, als er die Klinik verließ.
Die Flurtür war von außen nur zugezogen. Den Schlüssel hatte Gerda innen auf den Boden gelegt. Die Wohnung war leer und sah groß und ungemütlich aus. Nur das zerschlissene Sofa stand unter dem Fenster, dort wo es immer gestanden hatte.
Ermattet setzte er sich auf das Sofa. Sie war fair, hatte es ihm gelassen. Er hätte sonst auf dem Boden übernachten müssen.
Einen Tag drauf ging er zum Sozialamt, legte seine Entlassungspapiere vom Bund vor, und hilfsbereit vermittelten sie ihm ein möbliertes Apartment. Es lag im sechsten Stock eines Hochhauses.
»Möglichst weit oben, Fahrstuhl brauche ich nicht.«
In dieser Höhe klang der Straßenlärm mit den krachenden Auspuffgeräuschen wie fernes Meeresrauschen und klirrende Muschelschalen auf sandigem Strand. Es erinnerte ihn an einen lange zurückliegenden Urlaub mit Gerda und Sven. Damals war sein Sohn noch nicht in der Schule und das Leben war es wert, gelebt zu werden.
Die Sirenen der Rettungsdienste und Polizeifahrzeuge hörte er deutlich, sie machten ihm nichts. Explosionsartige Geräusche dagegen bedeuteten Angriff – in Deckung springen – sich ducken – in den nächsten Graben rollen – die Waffe hochreißen und auf vorbeihuschende Menschen schießen.
Das bunte Sofa hatte er in seine neue Bleibe mitgebracht. Neben den modernen skandinavischen Möbeln wirkte es unpassend. Er fand keinen rechten Platz, die Wohnung war klein, anderthalb Zimmer. Schließlich schob er es schräg vor das Fenster, es ragte trotzdem ein wenig verquer in den Raum. Eigentlich brauchte er es nicht. Es war so etwas wie eine Reliquie; besser gesagt, der schäbige Rest seines früheren Lebens.
Schmerzhaft ging ihm durch den Kopf, wie sie auf dem Sofa mit viel Liebe Sven gezeugt hatten. Damals, als er Gerda noch nicht sagen musste, er sei so etwas wie ein gefährlicher Roboter, nur geeignet zum Töten. Er lehnte sich zurück und weil er nichts anderes hatte, woran er denken konnte, sah er die grünen Hügel, die schroffen Gebirgszüge und erdbraunen Täler Afghanistans mit den blutroten, sich im leichten Wind wiegenden Mohnfeldern vor sich.

Im Kindle-Shop: Turkana: Blutiges Afrika

Mehr über und von D.W. Crusius auf seiner Website.

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