30. November 2016

'Meddjn: Tagebuch einer Magierin' von Selena M.

Es ist die Geschichte von Meddjn, einer jungen Lichtgestalterin von dem Zwergplaneten Áneth. Mehr als hundert Jahre sind vergangen, seit die Raumwanderin mit Meddjns Onkel Noál in die andere Welt ging und sie zurückließ. In dieser Zeit lernte das Mädchen bei der Magierin Melhanea alles, was für das weitere Schicksal Keshenjas unumgänglich war. Die Zeit drängte, da Melhanea des langen Lebens überdrüssig, der jungen Lichtgestalterin gerade einmal das Notwendigste beibrachte, um große Zauber zu meistern und sich Hilfe aus der Welt der Raumwanderer holen zu können.

Nur zwei Jahre nach dem Ableben der Meistermagierin steht Meddjn vor ihrer größten Herausforderung. Eine Blutmagierin treibt in den südlichen Gefilden ihr Unwesen und strebt nach Macht und Unterdrückung aller freien Völker. Die Situation scheint aussichtslos, und nur mit Hilfe einiger Gefährten macht sich die junge Magierin auf in den Süden, um ihrer Gegnerin die Stirn zu bieten. Ein Abenteuer beginnt, in der Magie und Fähigkeiten ebenso gefordert werden, wie die Freundschaft und Liebe, die sich unter den unterschiedlichen Gefährten zu entwickeln beginnt.

Mit Meddjn, Tagebuch einer Magierin, entstand ein Fortsetzungsroman von 'Der Raumwanderin', der in diesem Fall von Meddjn erzählt wird. Doch im Gegensatz zu Noál, dessen Ausdruck immer etwas verträumt wirkt, berichtet Meddjn über ihr Abenteuer in einem etwas lebhafteren Stil, was ihrem jüngeren Alter entspricht. Aus dem wissbegierigen, fröhlichen Mädchen ist eine junge, ernsthafte Frau geworden, deren Ausbildung zur Magierin in zu kurzer Zeit absolviert worden war. Einige kleinere Missgeschicke bleiben nicht aus, wobei es gerade diese sind, die sie nach so vielen Jahren zu der Liebe führt, nach der sie sich insgeheim schon seit langem gesehnt hat.

Aus den Chroniken von Aneth - Band 2.

Gleich lesen: Meddjn: Tagebuch einer Magierin (Aus den Chroniken von Aneth 2)

Leseprobe:
Die letzten Worte hatte ich mit jenem finsteren Blick in seine Richtung gesprochen, dass sich der junge Re~Heresh wortlos in seinen Stuhl sinken ließ. Grimmig ließ ich meinen Blick von einem zum anderen wandern. Ein jeder der Ratsmitglieder ahnte, dass sich mit meinem ersten offiziellen Auftritt die Dinge von nun an ändern würden. Außer Manael und Travnéel, die mir beide anerkennend zunickten.
Vor allem Travnéel, der Majieanáll gegenüber saß, nutzte meine letzten Worte, um seinem Konkurrenten einen frostigen Blick zuzuwerfen:
„Es ist wahr. Wir brauchen eine Magierin. Die Mornothma handeln nicht eigenmächtig, sondern werden von einer dunklen Macht gelenkt, die Blutzauber wirkt. Ein Heer, wie es dazumal gegen die Enedeth gelenkt wurde, wird uns jetzt nicht ausreichen. Noch wissen wir nicht, wie erstarkt die dunkle Macht ist, und womöglich werden selbst Meddjns Kräfte allein nicht ausreichen. - Meine Frage an Euch lautet, Meisterin der Magie, werdet Ihr Euch der Gefahr stellen, oder gibt es einen anderen, einen weniger risikoreichen Plan, wie wir der Bedrohung trotzen können.“
Ich atmete tief durch. Damit war meine schlimmste Befürchtung ausgesprochen, und sie gefiel mir jetzt in diesem Moment noch weit weniger, als es noch vor einigen Tagen der Fall gewesen war.
„Ich werde gehen. Es gibt niemanden in ganz Keshenja, der diese Aufgabe für mich übernehmen könnte. Ich muss mit meinen eigenen Augen sehen, was an der Grenze der Orvallesh vor sich geht, um Näheres zu erfahren und um mich vorzubereiten. Die Morquall Narddmona hat sich erhoben, und sie ist durch und durch böse. Doch ich weiß nicht, welche Zauber sie webt und wie stark ihre Macht ist. Dies gilt es herauszufinden, und um ihre Magie zu verstehen, muss ich sie erfühlen. - Gibt es hier jemanden, der dies außer mir vermag? Dann sprecht, denn ich bin nicht gerade erpicht darauf, mich in den Süden zu begeben, um dort dunkler Magie gegenüberzustehen.“
Ratlose Gesichter! Niemand sprach. Niemand wusste, wie man eine Blutmagierin besiegen konnte, von der man nicht einmal wusste, wie mächtig sie sein mochte.
Ich bemerkte, wie Vehalladan seinen Mund grübelnd verzog, dann trat er neben Farred an den Tisch:
„Ich gehe mit dir, Meddjn. Du brauchst einen Krieger, und du brauchst ein gutes Schwert. Ich kann dir beides bieten.“
Überrascht von dem Angebot klappte mein Mund auf. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zwar hatte ich Vehalladan in guter Erinnerung von der Stadt der Lichter, aber allzu viel Umgang während meiner Ausbildung hatten wir keinen gepflegt. Allerdings hielt mich das nicht davon ab, Vehalladans Angebot anzunehmen. Diesen Luxus konnte ich mir in meiner Situation nicht leisten. Gerade wollte ich einen Schritt vortreten, als eine mir nur allzu vertraute Stimme von anderem Ende des Tisches aus zurief:
„Ich bitte ebenfalls darum, Euch begleiten zu dürfen, MeddjnShijien. Für solch eine Reise braucht es einen kühlen Verstand, sowie ich davon überzeugt bin, Euch in dem einen oder anderen unterstützen zu können.“
„Herr Travnéel,“ erhob sich sofort seine Sitznachbarin, die dem Volk der Meister der Gesteine angehörte und deren Namen mir nicht geläufig war, “Ihr seid ein Mitglied des Hohen Rates. Ihr könnt nicht einfach gehen. Ihr werdet hier gebraucht.“
„Tu ich das?“ lächelte Travnéel überheblich, “wie viele Che~Oshán leben in Nathnáal, die meiner Hilfe bedürfen? Wie viele leben überhaupt unterhalb des Grenzgebirges zum hohen Norden? Fünfzig? Hundert? Sie werden ohne mich auskommen, bis ich zurück bin. Und ich werde zurückkommen. Meine Entscheidung steht fest.“
„Was will ein Che~Oshán in der Wüste schon ausrichten?“ grinste Majieanáll von den Re~Heresh quer über den Tisch, “den Sand zu Eis gefrieren lassen, damit die Gegner auf dem glatten Boden ausrutschen?“
Travnéel überging den offensichtlichen Spott mit einem laschen Achselzucken. Seine undurchdringliche Miene war zu einer Maske aus kalter Selbstsicherheit gefroren:
„Wenn es sein muss? Ihr wisst zu wenig über die Che~Oshán, Herr Majieanáll, so, wie Ihr zu wenig über mich wisst. Ihr wisst überhaupt viel zu wenig.“

Im Kindle-Shop: Meddjn: Tagebuch einer Magierin (Aus den Chroniken von Aneth 2)

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29. November 2016

'Septembersonne' von Eva-Maria Farohi

Die Juwelierin Monika arbeitet seit ihrer Scheidung als Schmuckverkäuferin in einem Warenhaus. Auf einer Pauschalreise nach Mallorca trifft sie den verwitweten Mallorquiner Antonio. Er zeigt ihr die Schönheiten der Insel: einsame Buchten und entlegene Strände, das Landesinnere und die Insel Cabrera …

Monika lebt in Antonios Gegenwart auf. Sie beschließt, ihr Leben zu ändern und sich einen interessanteren Job zu suchen. Auch Antonio ist Monika nicht gleichgültig. Als er ihr allerdings vorschlägt, nach Mallorca zu übersiedeln, ist sie dazu nicht bereit.

Die Trennung scheint unvermeidbar.

Gleich lesen: Septembersonne

Leseprobe:
Sie lehnte an der kleinen Mauer und blickte zum Meer hinüber. Die endlos weite Fläche schimmerte im sanften Licht der einbrechenden Dämmerung. Nur wenige Leute waren noch am Strand – Einheimische, dachte sie, die nach der Arbeit ein wenig schwimmen wollten.
Sogar die Uferpromenade war menschenleer. Alle schienen beim Abendessen zu sein, doch Monika hatte keinen Hunger, sie war immer noch zu aufgewühlt. Niemals hätte sie gedacht, dass sie heute Abend hier sein würde.
War das alles wirklich erst gestern gewesen?
Ihre Kollegin hatte am Fenster gestanden. Vier Jahre lang arbeiteten sie schon zusammen in der Schmuckabteilung des großen Kaufhauses. Monika sah die Tränenspuren. „Was ist passiert?“
Irene ließ die Hände sinken. „Meine Mutter, sie ist gestürzt. Jetzt braucht sie rund um die Uhr Hilfe. Tagsüber springt meine Schwester ein, aber in der Nacht bin ich bei ihr.“
„Morgen beginnt doch dein Urlaub?“
„Ja, und ich habe die Reise nicht versichert …“
Monika wusste, was das bedeutete. Keine von ihnen war in den letzten Jahren im Urlaub gewesen, schon gar nicht am Meer.
Plötzlich hob Irene den Kopf. „Was, wenn du fährst?“
„Ich habe keinen Urlaub. Außerdem kann ich mir das nicht leisten.“
„Hör zu, den Urlaub können wir tauschen. Ich gebe dir das Arrangement ganz billig. Besser, als wenn es verfällt. So haben wir beide etwas davon.“
Die Luft war angenehm warm. Langsam verfärbte sich der Himmel. Das helle Grau wechselte in ein mattes Lila, und himbeerrote Wolkenfetzen zogen über den Horizont. Hoch über ihrem Kopf glitzerten zwei Flugzeuge im Licht der letzten Sonnenstrahlen. Dicht hintereinander flogen sie, wie aufgefädelt an einer Kette aus gelborangen Kondensstreifen.
Im Osten ragte eine Landzunge in die Bucht hinein. Sie wirkte unbebaut. Nur auf der obersten Kuppe stand ein viereckiges Gebäude, das mehr einem Turm glich als einem Haus. Das Gebiet war dicht bewaldet, doch zwischen den Bäumen leuchteten einzelne Wiesenflecken im goldenen Licht der Sonne.
Der Sand der Bucht war hell. Gruppen knorriger Bäume formten einsame Inseln, die mit dicken Kordeln vom Strand abgetrennt waren.
Es roch nach Meer, nach Algen, nach Fisch. Und auch ein wenig nach Kokosnuss so wie die Sonnenmilch in Monikas Badetasche.
Sie zog die Schuhe aus und ging durch den warmen Sand zum Wasser.
Kleine Wellen schwappten über ihre Füße, der Boden hier fühlte sich kühl an. Ohne ein wirkliches Ziel zu haben, schlenderte sie weiter.
Wann war sie zuletzt am Meer gewesen?
Sie dachte an ihren geschiedenen Mann. Mit ihm war sie öfter verreist – damals, als sie noch den kleinen Juwelierladen hatten.
Wieder spürte sie etwas von der alten Verbitterung und zwang sich, an etwas anderes zu denken.
Am Ende der Bucht war ein hölzerner Steg, der rund um das große Bierlokal herumführte. Es lockte sie, zu erforschen, was dahinter lag.
Plötzlich tauchte der Hund auf. Es war ein struppiger Mischling mit schwarzem Fell und weißen Flecken auf den Pfoten.
Sie bückte sich. Er rieb seine Schnauze gegen ihre Handfläche. Dann sprang er rückwärts, setzte sich und bellte auffordernd.
Sie lachte. „Du bist mir vielleicht einer. Was willst du denn?“
Er rannte fort, schien nach etwas zu graben, kam zurückgelaufen und legte eine leere Plastikflasche vor ihre Füße.
Es war lange her, dass sie einen Hund gehabt hatte. Auch das gab es nicht mehr in ihrem Leben.
Sie hob die Flasche auf und warf sie, so weit sie konnte. Wie ein Pfeil jagte er hinterher und brachte die Flasche zurück.
Monika setzte ihre Wanderung fort, doch der Hund wurde nicht müde, zu apportieren. Willig spielte sie mit ihm weiter, bis sie zu dem Steg kamen. Sie stieg die Stufen hinauf. Der Hund folgte ihr.
„Jetzt ist Schluss“, sagte sie und drehte sich um. „Geh zurück, nach Hause.“
Er machte Anstalten, ihr nachzulaufen.
„Nein.“ Sie blieb stehen, hob den Arm und deutete in die andere Richtung. „Geh zurück jetzt. Los.“
Der Hund zögerte, kratzte sich hinter dem Ohr, machte kehrt und trabte in Richtung der Promenade, und Monika ging weiter.
Das Quietschten von Reifen unterbrach ihre Gedanken. Ein Auto jagte mit überhöhter Geschwindigkeit um den Kreisel herum, in den die Stichstraße mündete. Sie hörte ein schrilles Jaulen – es klang wie der Schrei eines Vogels.
Monika zuckte zusammen, sie konnte nur noch die Rücklichter des Wagens sehen.
In der Mitte des Kreisels lag etwas, es war schwarz und unförmig, sah aus wie ein Sack. Sie ging darauf zu.
Noch ehe sie nahe genug war, um es genau erkennen zu können, wusste sie, was es war. Sie beschleunigte ihre Schritte, lief hin und griff nach dem Bündel.
Der Hund öffnete die Augen und wimmerte. Sein Schwanz bewegte sich ein wenig, so als versuchte er zu wedeln.
„Oh mein Gott, was ist denn passiert?“, Monika streichelte seinen Kopf, fasste unter die Flanke.
Es fühlte sich feucht an. Feucht und klebrig.
Hastig zog sie die Hand heraus. Sie war rot.
„Oh nein, was mache ich nur, was kann ich bloß tun?“ Sie drehte sich hilfesuchend um. Panik stieg in ihr hoch. Da bemerkte sie den Radfahrer.
„Hallo“, rief sie, und lief auf ihn zu. „Können Sie mir helfen?“
Er reagierte nicht, fuhr einfach weiter.
Sie kniete neben dem Hund. Er rührte sich nicht. Sein Atem ging stoßweise, begleitet von einem röchelnden Geräusch.
Es kam ein Auto. Eine Türe schlug zu.
„¿Qué pasa?“
„Signore“, stammelte sie. „Er ist angefahren worden. Non so – ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll.“
Er hockte sich neben sie. Griff nach dem Hund.
„Er ist verletzt“, sagte er in tadellosem Deutsch. „Wir müssen ihn zum Tierarzt bringen. Ist das Ihr Hund?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, er ist unten am Strand herumgelaufen. Dann kam dieser Wagen. Bitte helfen Sie mir. Er kann doch hier nicht so liegen bleiben.“
Der Mann nickte, ging zu seinem Auto. „Legen wir ihn auf die Decke. So ist es gut. Können Sie ihn halten? Es ist besser, sie setzen sich auf die Rückbank.“

Im Kindle-Shop: Septembersonne

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28. November 2016

'Melody of Eden 1: Blutgefährten' von Sabine Schulter

**Eine Liebe, so tief wie die Nacht**

Vampire – Mythos oder Wahrheit? Diese Frage stellt sich auch die 23-jährige Melody, als sie gemeinsam mit ihrer Freundin die unterirdischen Gänge ihrer Heimatstadt erforscht. Schon immer hat sie sich gefragt, ob es diese Wesen der Nacht tatsächlich gibt. Es wird gemunkelt, dass die Regierung ihre Existenz zu vertuschen versucht, und Melody würde nur zu gerne herausfinden, warum. Als sie plötzlich von einer unheimlichen Kreatur in die Tiefe gerissen und von einem unglaublich anziehenden Mann gerettet wird, ist ihr Wissensdurst nicht mehr zu stillen.

Doch schon bald muss Melody herausfinden, dass es Wesen gibt, die man besser nicht auf sich aufmerksam macht …

Gleich lesen: Blutgefährten (Melody of Eden 1)

Leseprobe:
Missmutig betrachtete ich das Gitter vor mir, das mir den Zutritt in den Untergrund versperrte. Ein leicht muffiger Luftzug wehte mir aus der dahinterliegenden Kanalisation entgegen und übertünchte sogar den Abgasgeruch der Autos. Eine alles verschlingende Dunkelheit lag in dem Tunnel, aber ich war mir sicher, dass sich dort etwas befand. Etwas, von dem sich die meisten wünschten, dass es nicht existierte.
»Mel«, jammerte Daisy hinter mir. »Lass es gut sein. Du hast mir bewiesen, dass du mutig bist. Jetzt lass uns heimgehen. Es ist kalt und schon sehr spät.«
Kurz hob ich den Blick und ließ ihn über den sternenklaren Himmel gleiten. Keine Wolke bedeckte ihn und nicht einmal der Mond zeigte sich Nur das schmutzig gelbe Licht der Stadt, deren Häuser sich um den alten Wasserkanal, in dem wir uns befanden, in die Höhe schraubten, beleuchtete unsere Umgebung. Dadurch wirkte die Nacht ungewohnt hell und ließ sogar die Sterne verblassen.
Lichtsmog.
Wie ich ihn hasste.
»Ich will aber wissen, ob es Vampire wirklich gibt«, maulte ich und blickte wieder zu dem Gitter, das mir den Weg in die Kanalisation versperrte.
»Melody, bitte!«, flehte Daisy inzwischen. Ich hörte das Rascheln ihres Parkas, an dessen Saum sie vor Nervosität herumnestelte.
»Hast du dich nie gefragt, ob die Gerüchte wahr sind?«, entgegnete ich und versuchte, etwas zwischen den Gitterstäben hindurch zu erkennen. Alles schien still, bis auf das beständige Summen der Autos, die auf der Straße über uns hinwegfuhren.
»Mir ist total egal, ob es tatsächlich Vampire im Untergrund gibt oder nicht. Mir ist auch egal, dass es welche bei der Nachtpolizei geben soll. Ich bin glücklich, wenn ich in Ruhe gelassen werde und du mich aus diesem Loch begleitest«, schimpfte Daisy.
»Wieso bist du dann mit mir hierhergekommen?«
Nun fauchte mich meine Freundin regelrecht an. »Falls du es vergessen hast: Du hast mich hier heruntergezogen, um mir dieses Gitter zu zeigen! Ich hingegen wollte ganz gemütlich nach Hause laufen … Freiwillig bin ich also nirgendwohin mitgekommen!«
Leider musste ich ihr da sogar Recht geben, aber die Geschichten über die Vampire, die es im Untergrund und teilweise auch unmittelbar unter uns geben sollte, faszinierten mich. Seit unserer frühesten Kindheit haben unsere Eltern uns diese Geschichten erzählt, damit wir abends rechtzeitig nach Hause kamen und nicht von den Blutsaugern abgepasst werden konnten.
Doch ich hatte noch nie einen gesehen.
Weder einen dieser bösartigen Vampire, von denen uns erzählt wurde, noch die offiziellen Hüter der Nacht, die bei der Polizei arbeiten sollten. Und nicht einmal in der Presse gab es Berichte über Vampire oder deren Angriffe auf Menschen. Woher also sollte ich wissen, dass es sie wirklich gab und ob sie gefährlich waren? Sie könnten genauso gut erfunden sein, um uns still und verängstigt zu halten. Ein moderner Mythos, den ich gern erforschen wollte.
»Was ist, wenn es sie gibt und wir uns hier in Gefahr befinden?«, gab Daisy verunsichert zu bedenken. Ich verzog den Mund, denn sie konnte durchaus Recht haben. War ich wirklich so lebensmüde, diesen möglichen Monstern bewusst in die Arme zu laufen? Nur, weil mich Vampire faszinierten?
Frustriert trat ich gegen das Gitter und wandte mich dann Daisy zu. Sie sah mit den hochgezogenen Schultern und dem Schal, in den sie das Kinn tief vergrub, wirklich sehr verängstigt aus und nun tat es mir leid, dass ich sie hier heruntergezogen hatte.
Daisy war nur ein Jahr jünger als ich, aber sehr schüchtern und schnell zu ängstigen. Normalerweise würde ich sie niemals an solche Orte schleppen, weil sie hier einfach nicht hergehörte, aber heute hatte es mich irgendwie überkommen.
»Entschuldige«, gab ich klein bei. »Lass uns gehen.«
Ich trat von dem Gitter fort und Daisy atmete erleichtert auf. Doch gerade, als ich bei ihr ankam und wir den Aufstieg hoch zur Straße in Angriff nahmen, hörten wir ein Geräusch hinter uns.
Daisy keuchte voller Angst auf und blickte gehetzt über die Schulter. »Was war das?«
Ich blickte ebenfalls zurück, doch hinter dem Gitter war nun wieder alles still.
»Keine Ahnung«, meinte ich und machte kehrt.
»Mel, komm da weg!«, zischte Daisy, aber ich hielt bereits inne und musterte das Gitter aus einer sicheren Entfernung von drei Metern.
»Hm, nichts«, sagte ich und wandte mich erneut um.
Da zischte es mehr als deutlich hinter mir und bevor ich reagieren konnte, prallte etwas mit solcher Wucht gegen das Metall der Stäbe, dass das Gitter aus seiner Fassung geschmettert wurde und mich trotz meines Abstandes in den Rücken traf.
Schmerz explodierte in meinem gesamten Körper, aber ich war noch so geistesgegenwärtig, die Hände auszustrecken und zu verhindern, dass ich mit dem Gesicht auf den rauen Beton prallte. Das Gewicht des Gitters presste mir alle Luft aus den Lungen und drückte mich fest zu Boden. Wie gelähmt blieb ich liegen, während Daisy voller Panik schrie.
Obwohl sie schon wie eine Sirene klang, steigerte sich ihr Kreischen noch mehr, als hinter mir Schritte ertönten. Das Gitter wurde von mir gerissen und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie es davonflog, als wäre es so leicht wie ein Blatt Papier. Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, was Daisy in solche Panik versetzte, aber da wurde bereits mein Fuß gepackt und unbarmherzig Richtung Abwassertunnel gezerrt.
»Melody!«, kreischte Daisy.
Ich warf mich herum, um den Angreifer mit meinem freien Fuß zu treffen, erstarrte aber, als ich das Wesen über mir sah.
Es handelte sich um eine Art Mensch, der so dürr war, dass ich jeden einzelnen Knochen zu erkennen glaubte. Seine Haut besaß die ungesunde Farbe von Kalk und er schien komplett unbehaart zu sein. Kleider trug das Wesen nämlich keine und als es sich umwandte, um Daisy drohend anzuzischen, erkannte ich deutlich die spitzen Fangzähne.
Ich hatte meinen Vampir gefunden.
Sofort wünschte ich mir, nie hierhergekommen zu sein, denn trotz seiner schmächtigen Gestalt steckte in dem Vieh eine erstaunliche Kraft. Es schleifte mich so schnell davon, dass ich erst reagieren konnte, als ich schon halb im Tunnel verschwand. Ängstlich warf ich mich erneut herum und versuchte, irgendwo Halt zu finden.
»Daisy!«, rief ich ängstlich, als ich keinen fand, und hielt meiner Freundin die Hände hin.
Eilig kam sie heran, doch bevor sie auch nur den Tunnel erreichte, zog mich der Vampir hinein in die Dunkelheit.
»Nein! Mel, Mel!«, weinte Daisy und hielt verängstigt inne.
Sie traute sich nicht, den Tunnel zu betreten und lief davor auf und ab. Erschreckend schnell schmolz der kleine Kreis des Ausganges dahin und wollte mir das restliche Licht nehmen, ohne das ich absolut nichts sehen konnte.
Nun kämpfte ich wild gegen meinen Entführer, trat um mich, wand mich wie eine Schlange und kreischte meine Angst heraus, aber das Einzige, das ich mir dadurch einbrachte, war die Wut des Wesens.
Mit einem Zischen zog es an meinem Bein, so dass ich regelrecht nach vorn geschleudert wurde und schmerzhaft gegen die Betonwand zu meiner Rechten prallte. Dann warf mich das Wesen gegen die gegenüberliegende Wand und erneut presste es mir die Luft aus den Lungen. Schmerz pulsierte in Wellen durch meinen Körper, wodurch ich wohl kurz das Bewusstsein verlor, denn als nächstes spürte ich, wie ich über der Schulter des Wesens lag und wie ein Sack durch die Dunkelheit geschleppt wurde. Für kurze Zeit war ich so orientierungslos, dass ich mich einfach nur festhielt, aber die bleiche Haut unter meinen Fingern fühlte sich so klamm und unnatürlich rau an, dass ich augenblicklich wieder losließ.
Pure Angst brandete in mir auf. Wenn dieses Wesen wirklich ein Vampir war, wusste ich nur zu genau, wie diese Geschichte enden würde. Ich begehrte bei dem Gedanken auf, schlug um mich, trat, biss und schrie. Ich gab alles, um mich befreien zu können, und doch hätte ich mich genauso gut entspannen können. Denn all meine Bemühungen waren umsonst. Das Wesen war so stark, dass ich absolut nichts ausrichten konnte.
Verzweifelt schluchzte ich, bäumte mich ein letztes Mal auf und schrie so laut um Hilfe, dass mir die Kehle schmerzte. Aber hier unten würde mich niemand hören, das dachte ich zumindest.
Denn im nächsten Moment schlitterte ein so helles Licht vor mir in den Tunnel, dass es mich für kurze Zeit blendete - und mit ihm zusammen kam uns ein Mann in einem langen schwarzen Mantel hinterhergerannt. Unmenschlich schnell rannte er uns hinterher und das Wesen, das mich trug, zischte wütend. Ich spürte, wie es schneller wurde und versuchte, zu entkommen.
Hoffnung erwachte in mir und erneut bemühte ich mich, keine allzu leichte Beute zu sein. Da schlagen, treten oder kreischen das Wesen unbeeindruckt ließen, warf ich mich kurzerhand zur Seite und versuchte gleichzeitig, mich um meine eigene Achse zu drehen. Tatsächlich brachte dies das Wesen aus dem Gleichgewicht und unser Verfolger machte wichtigen Boden wett.
Er kam so nah an uns heran, dass ich in ihm einen Mann mit rabenschwarzem Haar erkannte, der fest die Zähne aufeinanderbiss und wohl all seine Kraft hineingab, um uns zu erreichen. Egal, wer er war, er sah weit menschlicher aus, als dieses furchtbare Wesen und ich gab gern alles, um zu ihm zu gelangen.
Gegen den festen Griff des Wesens ankämpfend, streckte ich mich und hielt meinem Retter eine Hand entgegen, die er nur zwei Sekunden später ergreifen konnte. Zu meiner Überraschung sprang er nach vorn und riss so hart an meinem Arm, dass ich glaubte, entzweigerissen zu werden. Dadurch wurde das Wesen unter mir nach hinten gezerrt und mein Retter flog regelrecht auf uns zu. Sein Fuß traf das Wesen in den unteren Rücken und ich hörte es laut knacken.
Der Vampir kreischte so hoch auf, dass es in meinen Ohren dröhnte. Dabei ließ er mich los, weshalb ich nun erschreckend heftig Richtung Boden prallte. Wieder kam mir der Mann mit dem schwarzen Haar zu Hilfe, indem er mich packte und zu sich heranzog. Durch dieses Manöver landete ich direkt auf ihm und nicht wie erwartet schmerzhaft auf dem Beton. Trotzdem konnte ich einige Sekunden nichts Anderes tun, als einfach liegenzubleiben.

Im Kindle-Shop: Blutgefährten (Melody of Eden 1)

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24. November 2016

'Tödliche Meeresnacht' von Eva-Maria Farohi

Jeder Mörder hinterlässt eine Spur, man muss sie nur finden. Davon ist Chefinspektor Vicent Rius überzeugt. Als er auf der Mittelmeerinsel einen scheinbar einfachen Unfalltod untersuchen soll, entdeckt er schnell Ungereimtheiten: Wer ist die schöne Tote unter den Klippen wirklich – und welche Rolle spielt ihr Ehemann? Immer tiefer dringt der erfahrene Ermittler in ein Netz aus Lügen, Betrug und Habgier ein, bis nichts mehr so ist, wie es scheint, und die Unschuldigen zu Schuldigen werden.

Eine Kriminalgeschichte aus Mallorca.

Gleich lesen: Tödliche Meeresnacht




Leseprobe:
„Ich habe keine guten Nachrichten. Ihre Frau ist tot.“
Ben Höffner hätte nicht gedacht, dass ihn noch irgendetwas erschüttern könnte.
Regungslos starrte er die Anwältin an, die ihm gegenübersaß. Das Konsulat hatte sie empfohlen.
Der kahle Raum der Gefängnisanstalt war nicht nur wegen seiner Schmucklosigkeit kalt. In den letzten Tagen hatten die sinkenden Temperaturen die Mauern stark abgekühlt. Es ging auf Weihnachten zu.
„Wieso …“, begann er. Und brach ab.
„Man hat sie vor zwei Tagen gefunden, in der Nähe Ihres damaligen Hotels, unterhalb der Klippen.“
Beinahe fünf Monate schon saß Ben jetzt in diesem Gefängnis und er war sich sicher, dass er die Tat, die man ihm zur Last legte, niemals begangen haben konnte. Seine Frau musste es ebenfalls gewusst haben. Jetzt war sie tot.
„Wie ist es passiert?“, fragte er.
Die Anwältin zuckte die Schultern.
Sie war eine hagere Person mittleren Alters. Alles an ihr schien ein wenig grau zu sein. Zu dem Tweedkostüm mit dem Karomuster trug sie eine weiße Bluse mit einem ordentlich gebügelten Kragen. Ihre Stimme klang wie das Geräusch von aneinanderreibenden Kieselsteinen.
„Sie dürfte ausgeglitten sein. Die Felsen bei der Bucht sind nass und rutschig.“
Ben nickte. Wie in einem Karussell drehten sich seine Gedanken im Kopf, und obwohl die Gespräche in dem kahlen Besuchsraum für gewöhnlich seine einzige Ansprache darstellten, wünschte er sich in die Einsamkeit der Zelle zurück, die ihm viel zu lange schon als Wohnort diente.
Marlene. Er sah sie vor seinem inneren Auge, wie sie strahlte, lachend, in einem der von ihr so sehr geliebten roten Kleider. Genauso wie damals, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. Der federnde Gang. Die biegsame Gestalt, ihr schlanker Körper, die schneeweißen Arme.
An seinem Hochzeitstag war er der glücklichste Mann gewesen.
Wann genau hatte dieser ganze Albtraum begonnen? Er wusste es nicht.
In all diesen endlosen Monaten hatte er jeden einzelnen Tag darüber nachgedacht. Ohne Erfolg.
Fünf Jahre waren sie miteinander verheiratet gewesen. Immer noch hatte er sich für genauso glücklich wie zu Beginn seiner Ehe gehalten.
Bis zu diesem Juli.
Erst zwei Tage zuvor waren sie auf der Insel angekommen. Mallorca. Eine ganze Woche wollten sie zusammen ausspannen, in dem kleinen Landhotel fernab von der Küste.
Es war ein hübsches Steingebäude mit blaugrauen Fensterläden. Unter den hohen Bögen, die die Terrasse des oberen Stockwerks trugen, konnte man wunderbar im Schatten entspannen. Mehrere Korbstühle standen hier, große Grünpflanzen in Terrakottatöpfen. An der Seite des Gebäudes wucherte eine lilafarbene Bougainvillea. Glasklar funkelte das Wasser im Pool. Schwappte mit leisem Gluckern in die Überlaufrinne.
Rundum war nichts — nur kahle Erde, auf der in endlosen schnurgeraden Reihen Mandeln und Feigenbäume wuchsen. Präzise grenzten die unzähligen Trockenmauern die einzelnen Grundstücke von einander ab.
Vereinzelt konnte man auf den umliegenden Hügeln noch andere Gehöfte sehen. Überall weideten Schafe. Das Bimmeln ihrer Glocken war weit und breit das einzige Geräusch. In endloser Ferne schimmerte das Meer.
Von Anfang an hatte er sich hier wohl gefühlt. Marlene ging es genauso. Oder war das nur eine Täuschung gewesen?
„Lass uns heute Abend hierbleiben“, hatte sie geflüstert und ihn umarmt.
Im Schutz der hohen Bögen waren einige wenige Tische gedeckt, an denen man zu Abend essen konnte. Kleine Laternen verbreiteten ein sanftes Licht auf der Terrasse, überall standen Kerzen. Rubinrot schimmerte der Wein in ihren Gläsern.
In derselben Nacht hatten sie sich geliebt. Immer noch vermeinte er den Duft ihrer Haut zu riechen.
Jetzt saß er in seiner Zelle, auf dem unteren der beiden Betten. Mattes Licht drang durch das vergitterte Fenster. Mit seinen Fingern zerwühlte er das Haar, vergrub die Stirn in den Handflächen.
„Was ist dann passiert?“, fragte er sich, wie schon tausende Male zuvor.
Am nächsten Morgen war er mit Kopfschmerzen aufgewacht.
Der Wein muss schlecht gewesen sein,war sein erster Gedanke gewesen, ehe er mit der Hand nach der anderen Seite tastete. Sie war nicht da. Er streckte sich aus und lächelte.
Einige Minuten später rief er ihren Namen — irgendwann ging er ins Bad.
Es war leer.
Wo war Marlene?
Schnell zog er seine Hose über und trat hinaus auf die Terrasse.
Im Osten kämpfte sich die Sonne durch die Wolkengebirge am Horizont. Ihr gleißendes Licht ließ das Meer hell glänzen. Er stand im Morgenlicht.
Auf die Brüstung gestützt sah er hinunter in den Garten.
Kein Mensch war zu sehen.
Er drehte sich um, ging durch das Appartement zurück in Richtung der Tür und bemerkte die Vase, die auf dem niedrigen Couchtisch gestanden hatte.
Sie lag auf dem Boden und war zerbrochen.
Er bückte sich, hob die größten Teile auf und legte sie auf den Tisch zurück.
Dann erst ging er zur Tür, öffnete sie leise und trat auf den Flur hinaus.
Außer ihm schienen noch alle zu schlafen. Im Haus war kein einziges Geräusch zu hören.
Die schwere Eingangstür aus Eichenholz knarzte leise, als er sie öffnete.
Auf dem Weg um das Haus herum begegnete ihm niemand. Automatisch sah er hinüber zu dem kleinen Parkplatz. Der Leihwagen stand noch genauso dort, wie er ihn abgestellt hatte.
Wo war Marlene?
Er setzte sich auf die Stufen und wartete. Langsam nur vergingen die Minuten.
Irgendwann später erwachte das Haus zum Leben.
Man hörte das Klappern von Besteck, es roch nach Kaffee.
Dann wurde die Tür geöffnet und der Eigentümer des Hauses trat auf die Terrasse.
„Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?“
Ben stand auf. „Haben Sie meine Frau gesehen? Sie ist nicht hier.“
„Nein, bedaure. Vielleicht ist sie spazieren gegangen. Oder zum Meer gefahren. Der Sonnenaufgang ist wunderbar.“
„Der Wagen steht hier.“
„Sie könnte ein Stückchen weiter gegangen sein als geplant. Bestimmt kommt sie bald zurück. Machen Sie sich keine Gedanken. Bei uns passiert niemandem etwas.“ Der Mann lächelte verbindlich.
Ben nickte und steckte die Hände in seine Hosentaschen.
Unruhig trank er einen Kaffee, mochte nichts frühstücken, ging dann zurück ins Zimmer.
Er öffnete den Schrank. Alles hing ordentlich auf den Bügeln. Dabei fiel sein Blick auf die gepolsterte Sitzgarnitur, und er bemerkte, dass Marlenes Handtasche fehlte. Auch ihr Handy konnte er nirgends sehen.
Sofort griff er zu seinem eigenen Telefon und wählte die Nummer, doch niemand meldete sich. Das Gerät war offenbar ausgeschaltet.
Abermals durchquerte er die kühle Eingangshalle, trat hinaus in das helle Sonnenlicht und ging durch das Tor auf den unbefestigten Weg zu, der als Zufahrt diente.
Er kam an niedrigen Steinmauern vorbei, ging weiter zwischen den graslosen Grundstücken, auf denen Schafe nach etwas Fressbarem suchten. Einige Mandelbäume spendeten spärlichen Schatten, manchmal konnte man die weit ausladende Krone eines Johannisbrotbaums sehen. Kräftig brannte die Sonne herab. Die Luft schien zu flimmern.
Er bemerkte nichts von alledem,ging er weiter, bis er die asphaltierte Straße erreichte. Auch hier war nichts zu sehen.
Als er zurückkam, suchte er nach dem Eigentümer und fand ihn in seinem Büro.
„Bitte verständigen Sie die Polizei. Meiner Frau muss etwas zugestoßen sein.“
Man versuchte, ihn zu beruhigen. „Sie werden sehen, alles klärt sich auf. Ihrer Frau ist bestimmt nichts passiert.“ Das Lächeln auf dem Gesicht seines Gegenübers irritierte ihn.
Dennoch bestand er darauf, dass der Mann bei der Behörde anrief.
„Die Polizei kümmert sich darum. Wenn Ihre Frau einen Unfall gehabt hat, werden wir es bald erfahren“, war alles, was man ihm mitteilte.
Wieder wartete er. Er ging den Weg über die Terrasse hinaus bis zum Ende der kleinen Mauer und wieder zurück.
Die sengende Hitze spürte er nicht, merkte erst, dass er Durst hatte, als man ihm ein Glas Wasser brachte.
Irgendwann kam dieses weiße Motorrad angefahren, mit dem auffälligen Streifen aus kleinen blau-weißen Quadraten.
Der Polizist war freundlich, sprach gut Deutsch.
Er hörte Ben zu und brauste wieder davon.
Am späten Nachmittag fuhr ein Wagen vor. Zwei Männer in Uniformen stiegen aus und gingen in Richtung des Eingangs.
Als Ben die Halle betrat, sah er die beiden mit dem Hotelbesitzer sprechen.
„Was ist mit meiner Frau? Haben Sie sie gefunden?“
Sie drehten sich nach ihm um.
„Ben Höffner?“, sagte der eine der beiden knapp und schwieg dann.
Ben spürte, wie sie ihn musterten, obwohl er ihre Augen hinter den dunklen Sonnenbrillen nicht erkennen konnte.
Er nickte.
„Herr Höffner, würden Sie so nett sein und den Beamten Ihr Appartement zeigen“, meldete sich der Eigentümer zu Wort.
„Ist etwas mit meiner Frau passiert? Hat man sie gefunden?“
„Bitte beruhigen Sie sich. Ihrer Frau dürfte es einigermaßen gutgehen. Sie hat sich gemeldet.“
„Bei wem? Wieso nicht bei mir? Sie verheimlichen mir doch etwas!“
Der Hotelbesitzer nahm den Schlüssel für das Appartement von dem entsprechenden Haken.

Im Kindle-Shop: Tödliche Meeresnacht

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23. November 2016

'Tod einer Millionärin' von Achim Zygar

In der Industriellen-Familie der Bernheims ist ein Kampf um zig Millionen Euro entbrannt. Alles dreht sich um die Erbschaft der kürzlich verstorbenen Firmenpatriarchin Clotilde Bernheim. Es ist ein blutiger Kampf. Als ein Mann erstochen auf einem Wanderweg im Teutoburger Wald gefunden wird, sieht es erst nach Raubmord aus. Doch die Spur führt zu den Bernheims und zu den beiden Brüdern Bernd und Kai. Der Tote ist ihr Halbbruder, der zur Beerdigung der verstorbenen Mutter aus den USA gekommen war. Mit ihm müssen sie die Erbschaft nun nicht mehr teilen.

Für Kriminalhauptkommissar Haverbeck ist die Ermittlungsarbeit mühsam, denn weitere Todesfälle kommen hinzu. Und dann ist da noch ein schlimmes Geheimnis, das er lüften muss. Dass sein neuer Chef zum Freundeskreis der Bernheims gehört, erschwert seine Arbeit zusätzlich.

Ein Buch aus der Reihe "Krimis aus Bielefeld: Haverbeck ermittelt"

Gleich lesen: Tod einer Millionärin: Haverbeck ermittelt (5. Fall)

Leseprobe:
Leise wie eine Katze schleicht die Gestalt die schmale Treppe hinauf. Stufe für Stufe geht es in den ersten Stock. Auf dem Flur bleibt sie kurz stehen. Ein Teppich auf den Marmorplatten soll die Gehgeräusche dämpfen. Aber wer in Socken durchs Haus schleicht, könnte darauf verzichten. Etliche Zimmer gehen von dem Flur ab. Sie nimmt ihr Ziel ins Visier. Langsam geht sie den Gang entlang und bleibt vor einer der mittleren Türen auf der linken Seite stehen. Es ist eine schwere Mahagonitür. Sie lauscht in die Stille. In der Ferne hört sie das Brummen von Lastkraftwagen. Schlechte Lage für ein so teures Haus, denkt sie und muss schmunzeln. Aber man hat mich ja damals nicht gefragt. Nein, nicht solche Gedanken jetzt.
Sie legt die Hand auf die Klinke. Ihr Puls rast. Mehrmals atmet sie tief ein und aus. Gott sei Dank, die Hand bleibt ruhig. Sie drückt die Klinke herunter und öffnet die Tür einen Spalt. Wieder muss sie schmunzeln. Nichts hat gequietscht oder geknarrt. Das sind die Vorteile einer fünfzehn Millionen Euro teuren Villa. In einem solchen Gebäude passt jede Schraube und jedes Scharnier. Pech für Clotilde Bernheim, die in diesem Zimmer schläft. Die Person schiebt die Tür soweit auf, dass sie eintreten kann. Sie überlegt einen Moment. Es ist besser, die Tür wieder zu schließen. Sie rechnet zwar nicht damit, dass es irgendwelche Geräusche geben wird, aber Sicherheit geht vor.
Die Gestalt geht in den hinteren Bereich des großen Zimmers, dort wo das Bett ist. Sie sieht auf die Uhr, die auf dem Nachttisch steht. Es ist halb drei. Clotilde liegt auf dem Rücken. Gegen die ersten Strahlen der in Kürze aufgehenden Sonne hat sie sich eine Schlafmaske aufgesetzt. Was wurde im Wetterbericht gestern Abend gesagt? Es soll wieder ein sonniger Tag werden, mit Höchsttemperaturen von über dreißig Grad. Du wirst keine Sonnenstrahlen mehr sehen und du wirst dich nicht mehr über diese Temperaturen aufregen. Du wirst dich über gar nichts und niemanden mehr aufregen können, geht es ihr durch den Kopf.
Die Person setzt den Rucksack ab und zieht ein rotes Kissen heraus. Sie steht neben Clotildes Bett in Höhe des Kopfes und sieht ihr ins Gesicht. Diese große Schlafmaske ist ein Segen. Sie schafft Distanz und erleichtert das, was gleich getan werden muss. Dann schließt die Gestalt für einen Moment die Augen und drückt der alten Frau mit beiden Händen das Kissen ins Gesicht.
Sofort versucht Clotilde ihren Kopf hin und her zu drehen, sucht nach einem Weg, sich aus der misslichen Lage zu befreien. Doch es bleibt bei Versuchen. Zu kräftig ist der Druck, der auf ihrem Gesicht lastet. Sie zerrt an dem Kissen, schlägt mit den Armen wild um sich, sie strampelt mit den Beinen. Doch alle Bewegungen sind unkoordiniert, es fehlt ein Ziel. Sie weiß in diesem Moment nicht, was eigentlich passiert. Sie weiß nur, dass sie nicht mehr atmen kann.
Zweiundsiebzig Jahre ist sie alt. Die Person ist erstaunt, welche Kräfte Clotildes Körper kurz vor dem Exitus entfaltet. Sie presst das Kissen mit gestreckten Armen auf ihr Gesicht und muss aufpassen, von den wild fuchtelnden Armen nicht getroffen zu werden. Doch irgendwann werden die Bewegungen schwächer, der Widerstand ist gebrochen. Der Organismus hat alle Sauerstoffvorräte verbraucht. Noch drückt sie das Kissen auf Clotildes Gesicht, wenn auch nicht mehr so fest. Dann hebt sie es vorsichtig hoch, so als befürchte sie, die Frau könne wieder atmen und diesmal schreien.
Sie legt das Kissen auf die Bettdecke und beobachtet das Gesicht. Nein, Clotilde Bernheim atmet nicht mehr. Erst jetzt spürt sie, wie sich die Muskulatur ihrer Arme verkrampft hat. Doch diese Schmerzen erträgt sie gerne. Sie ist stolz, diesem Leben ein Ende bereitet zu haben. Der Einsatz wird sich gelohnt haben, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Clotilde Bernheims Tod wird der Geldnot vieler Menschen ein Ende setzen. Es ist eine gute Tat. Was ist schon der Tod dieser Frau gegen das Glück so Vieler?
Die Person setzt den Rucksack auf. Sie richtet die Schlafmaske, streicht das Haar der toten Frau glatt und zieht die Bettdecke gerade. Clotilde soll durchaus eine unruhige Nacht gehabt haben, was bei diesen Temperaturen niemanden verwundern wird. Aber ihr Bett soll nicht nach einem Kampfplatz aussehen, sie soll eines natürlichen Todes gestorben sein. Herzversagen wird später im Totenschein zu lesen sein.
Sie nimmt das Kissen, verlässt den Raum und geht den Flur zurück. Vor dem letzten Zimmer bleibt die Person für einige Sekunden stehen und überlegt. Dann öffnet sie behutsam die Tür und huscht hinein. Es dauert nicht lange, dann steht sie wieder auf dem Flur. Sie atmet tief ein und aus. Es ist vollbracht. Auf der schmalen Treppe schleicht sie, so leise wie sie gekommen ist, nach unten. Sie öffnet den Hinterausgang, zieht ihre Schuhe an und verlässt das Haus. Quer über den Rasen geht die Gestalt zurück in den Wald.

Fünf Tage später

» . . . Clotilde Bernheim war nicht nur eine erfolgreiche Unternehmergattin, sie war auch eine großzügige Spenderin. Ich möchte nur an den Bau des Freizeitzentrums erinnern oder an die jährlich über tausend Urlaubsreisen, die sie weniger begüterten Familien ermöglichte. Aber sie war auch eine treusorgende Mutter . . . «
In der Neustädter Marienkirche in der Bielefelder Altstadt ist kein Sitzplatz mehr frei. Weil man damit gerechnet hat, dass die halbe Stadt zur Trauerfeier erscheinen wird, wurden vor und neben der Kirche Lautsprecher aufgestellt. So ist es auch gekommen. Mehrere hundert Trauergäste stehen im Freien und hören gebannt der Ansprache des Pastors zu. Die Trauerrede hält Dr. Gerd Pflüger, der die Familie seit vielen Jahrzehnten kennt.
Doch neue Details aus dem Leben der Patriarchin erfahren die Zuhörer nicht. Pastor Pflüger hält sich streng an die offizielle Familiengeschichte, die jeder aus Zeitschriften, Broschüren und Büchern kennt. Clotilde Bernheim und ihr Mann Gustav haben selbst viel geschrieben. Sein Hauptwerk »Mein Leben als Unternehmer. Wie ich mit Schrauben meine erste Million erarbeitete« war sogar ein Bestseller. Nicht ganz so erfolgreich war das Buch seiner Frau: »Clotilde Bernheim­. Erinnerungen einer Unternehmergattin«. Die Bücher waren wahlweise als Taschenbuch erhältlich oder als aufwändig gestaltete Sonderedition.
»Der spinnt ja . . . treusorgende Mutter . . . «, haucht jemand in der ersten Reihe, nur wenige Meter vom Sarg entfernt, seinem Nachbarn zu.
»Halt die Klappe«, kommt es ebenso leise aber bestimmt zurück.
»Trotz vieler familiärer und gesellschaftlicher Verpflichtungen kümmerte sich Clotilde Bernheim liebevoll um ihre beiden Söhne«, fährt der Pastor fort.
»Was für ein Blödsinn.«
»Bist du ruhig.«
»Ein schwerer Schicksalsschlag traf sie vor einem halben Jahr. Plötzlich und unverhofft starb ihr geliebter Gatte, Gustav Bernheim. Mit ihm war sie annähernd fünfzig Jahre verheiratet. Kennengelernt hatten sie sich in der Firma seines Vaters, der das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hatte. Kurz nach der Heirat kam Sohn Bernd zur Welt.«
Der Pastor hält kurz inne und sieht ihn an; Bernd Bernheim nickt ihm zu. Dr. Pflüger fährt fort.
»Es sollte acht lange Jahre dauern, bis der zweite Sohn, Kai, auf die Welt kam.«
Wieder macht er eine Pause und blickt zu Kai, der neben seinem Bruder sitzt. Kai nickt höflich, obwohl er gar nicht so richtig weiß, warum. Zur Sicherheit macht er das traurigste Gesicht, zu dem er fähig ist. Es fällt ihm wirklich schwer, denn mit seinen Gedanken ist er bei seiner neuen scharfen Freundin, aber nicht bei seiner toten Mutter. Für sie hat er nur Verachtung übrig.

Im Kindle-Shop: Tod einer Millionärin: Haverbeck ermittelt (5. Fall)

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'Wenigstens ins MoSex!' von Gaby Barton

Völlig überraschend wurde die Autorin zum Gewinner einer New York-Reise. Aus dieser Wahnsinnsgeschichte musste ein Buch werden! Ein Reisetagebuch oder was für eins? Und wie sollte die gewonnene Wunschreise im Detail aussehen? Welches Hotel? Was unternehmen? Die Erinnerungen an zwei frühere New York-Reisen machten es nicht leichter. Damit war Gaby Barton auch mit einer längst abgehakten Vergangenheit konfrontiert. Und das Reisebüro raubte ihr den letzten Nerv.

Zuguterletzt hatte die Autorin alles sorgfältig durchgeplant. Doch in New York dann brachte Joaquin einiges durcheinander.

Gehen Sie mit Gaby Barton auf eine vergnügliche Reise. Zu ungewöhnlichen Orten und Ereignissen in Berlin und New York, damals und heute. Schauen Sie der Autorin über die Schulter bei der Frage, wie dieses Buch schreiben. Begleiten Sie sie während ihres Aufenthaltes in Manhattan und nehmen Sie teil an ihren Erfahrungen.

Gleich lesen: Wenigstens ins MoSex!: Gaby Barton erneuert Berlin New York Beziehung

Leseprobe:
Premium Economy
Am Dienstag den 29. September und noch im Dunklen fuhren ich und Freundin Angy mit dem TXL-Flughafenbus, der vor meiner Haustüre hielt, zum Flughafen. Im Bus viele müde Gesichter, ich fühlte mich putzmunter und war einfach gespannt auf alles. Im Flughafengebäude wählten wir die falsche Richtung und liefen so noch eine Extrarunde in Berlin, bis wir zu unserem Check-in im Bereich A08 kamen. Um 7:45 Uhr gingen wir pünktlich von Berlin Tegel in die Luft, zuerst nach Frankfurt. In diesem kleineren Flieger wurde uns ein Schokogebäckriegel, ein Croissant und Kaffee zum Toteerwecken, also doppelt so stark, wie ich ihn normalerweise trinke, serviert.
Es war ein toller Morgen in Frankfurt: blauer Himmel und strahlende Morgensonne. Auf dem Flughafen war Zeit für ein paar erste Selfies. Vor dem Fenster in der gleißenden Sonne mit Blick auf unser Flugzeug stand ich in meinem roten New York-T-Shirt gekleidet. Würde irgendjemand auf den Spruch auf dem Shirt reagieren?
Beim Einstieg durften wir uns ein wenig bevorzugt fühlen. Nach den First Class-Passagieren und den Kindern waren wir die Premiums dran mit Einsteigen vor der allgemeinen Masse. In dem Airbus A3 180, der uns nonstop von Frankfurt aus nach New York bringen sollte, war die Premium Economy vorne hinter der Business-Class. Zur First-Class ging es direkt neben uns ein Stockwerk höher. In unserem Premium Bereich waren Beinfreiheit und Sitze wie erwartet großzügiger bemessen. Für mich schmale Person war das Letztere nicht unbedingt ein Zugewinn an Komfort, aber trotzdem angenehm. Zudem gab es extra Wasserflaschen am Fußende und eine große Auswahl deutscher Magazine aller Art, auch zum Mitnehmen. Wir erfuhren, dass das Flugzeug für diese Premium Economy gerade erst umgebaut worden sei. Es sah auch alles neu aus.
Ich probierte gleich den beworbenen Hotspot für den Internetzugang aus, der ging allerdings nicht. Was würde uns sonst erwarten? Auf jeden Fall bekamen wir noch vor dem Start einen leckeren Orangensaft, gewürzt mit Minze. Für die Essen erhielten wir eine schön gestaltete Menükarte. Die in Aussicht gestellte Auswahl auch an alkoholischen Drinks war der ähnlich, die ich in den arabischen Airlines nach Dubai auch in der Economy gewohnt bin. Die Premium Economy war bei diesem Flug nur spärlich besetzt. So gab es noch vor dem Abflug eine Durchsage, dass Reisende spontan mit einer Zahlung von 299 € in den Premiumbereich wechseln könnten. Mir fiel nicht auf, dass das irgendjemand in Anspruch genommen hätte. Der Flieger war wohl insgesamt nicht so voll mit Passagieren. Ich machte es mir bequem im Sitz und begann mir Notizen zu machen. Das hatte ich mir vorgenommen, wann immer möglich, mir Erlebnisse und Infos sofort aufzuschreiben. Denn es war klar, bei der Erlebnisdichte der kommenden Tage würde ich mir kaum alles bis zu Hause merken können.
Nach eineinhalb Stunden wurde uns das Mittagessen auf Porzellangeschirr serviert. Ich wählte die Tomaten-Mozzarella Fiorelli mit Basilikumrahmsauce und Tomatenconcassée. Lecker. Zum Nachtisch der Pflaumenschnitte bat ich um einen Baileys auf Eis. Diesen leckeren Hochprozentigen als Dessert zu trinken, hat bei mir auf Fernflügen Tradition. Ich fühlte mich sehr wohl und glücklich. Nach zweimaligem Gucken vom selben Kinofilm über Jimi Hendrixs Leben, ein bisschen dösen und einen Snack, flogen wir dann auch schon pünktlich den JFK-Flughafen an. Bevor wir landeten, mussten wir noch ein Formular für den Zoll ausfüllen. Den Apfel, den ich eigentlich in meiner Tasche mitnehmen wollte, sollte ich lieber aufessen, ehe ich nicht damit durch den Zoll käme, gab mir die Stewardess als Empfehlung.
Es war 13:25 Uhr New York Zeit, in Deutschland war es schon 19:25 Uhr.

Ankunft und erster Nachmittag
Der Anflug auf New York war sehr unspektakulär, ja geradezu enttäuschend. Aus dem Fenster sah ich graue Wolken, ein bisschen Grünes, und dazwischen geometrisch angeordnet, ganz flache Häuser. Kein strahlendes Wetter empfing uns in New York. Und man sah weit und breit nichts, was in der Erinnerung oder in der Vorstellung als New York abgespeichert war. Trotz der vielen Stunden Anreise waren wir nicht mehr müde, sondern nur gespannt auf Manhattan und unser Hotel in der Wall Street. Die Bewegung im Flughafen tat nach dem langen Sitzen im Airbus ihr übriges und einfach gut. Neben unserem Flieger waren natürlich auch zahlreiche andere gelandet. Dementsprechend sahen wir sehr lange Schlangen für die Pass- und Sicherheitskontrolle. Unsere Befürchtung vor langwierigem Prozedere und endloser Wartezeit bei den Kontrollpunkten bewahrheitete sich aber nicht. Alles ging äußerst zügig, konzentriert, professionell vonstatten. Neu war für mich der Ganzkörperscan in Plexiglasröhren. Bisher kannte ich nur den Augenscan und das Fotografiertwerden bei der Passkontrolle in Dubai.
Gefühlt bald liefen wir auf das Kofferband zu, wo unsere Koffer schon ihre Runden drehten. Und nach insgesamt einer Stunde, nachdem wir aus dem Flugzeug gestiegen waren, schoben wir uns und unser Gepäck zusammen mit einer Menge nach draußen.
Der Aus- und Eingangsbereich der Ankunftshalle war unspektakulär, eher klein. Gab überhaupt nichts her für ein ›Wow New York Feeling‹. Eine Traube von Menschen hinter einer Absperrung wartete mit Schildern in der Hand auf die Angekommenen: Fahrer, die Mann an Mann gedrängt ihre Fahrgäste erwarteten. Die verschiedensten Namen las ich, aber meinen nicht und auch nicht der meiner Freundin. Unser Chauffeur war also noch nicht da. Ich hatte mir zwar das Gutscheinheft mit der Kontakttelefonnummer der Firma extra in die Handtasche gelegt. Noch zögerte ich aber, mit meiner deutschen Handykarte die amerikanische Nummer anzurufen. »Die happigen Zusatzkosten durch das Roaming möchte ich mir gerne ersparen ..., lass uns noch warten, vielleicht sind wir für New Yorker Verhältnisse einfach sehr früh dran ...«
OK. Angy blieb bei unseren Koffern und ich lief in dem Gewimmel herum. Vielleicht stand der Mann ja woanders. Nach langen 10 Minuten sah ich meine Freundin von weitem heftig winken. Ich ging zurück und da sah ich ihn schon mit meinem weinroten Koffer losziehen. Ein kleiner gedrungener Mann mittleren Alters in weißem Hemd, ein südamerikanischer Typ, der es jetzt offenbar sehr eilig hatte. Wir auch. Wir wollten endlich raus, und das New York sehen, auf das wir eingestimmt waren.
Draußen erwartete uns eine Überraschung. Felipe, ein Mexikaner, war mit einer weißen Stretchlimousine da. Neben uns beiden hätte er damit noch sechs weitere Personen einladen können. Aber nein, dieser Privat-Transfer war wirklich für uns exklusiv. Mit viel Platz, guter Musik, eisgekühlter Cola und einem wolkenverhangenen Himmel über New York fuhren wir ziemlich rasant über eine Autobahn durch Brooklyn. Allerdings, mit den Überholmanövern und der hohen Geschwindigkeit war ich nicht so entspannt im Auto, wie ich mir das vorgestellt hatte. Der Fahrstil von Felipe war im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu bremsen. Auf meine Bemerkungen hin erklärte er, dass er Angst hatte, in dem beginnenden Berufsverkehr stecken zu bleiben. Nach ca. 20 Minuten Fahrt sahen wir dann endlich die Hochhäuser von Manhattan am Horizont. Wir brauchten weitere ca. 20 Minuten bis zu unserer Unterkunft auf der Südspitze in Downtown Manhattan. In der Wall Street Nr. 75.

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21. November 2016

'Dein Traum in mir' von Thalea Storm

Was würdest du tun, wenn du die Möglichkeit hättest, noch einmal von vorne zu beginnen und die Vergangenheit hinter dir zu lassen?

Ellas Leben ist kompliziert: Um sie herum jagt alle Welt ihren Träumen und Zielen hinterher, während ihr Alltag von Terminen, Verantwortung und Frust gezeichnet ist. Doch dann lernt sie auf verblüffende Art und Weise den mysteriösen und zugleich faszinierenden Conrad kennen. Für Ella wird Conrad ein Ort der Zuflucht, der alles daran setzt, ihr die schönen Seiten des Lebens wieder näher zu bringen. Ein Wechselbad der Gefühle beginnt, hin- und hergerissen zwischen Traumwelt und Realität.

Ella will der Wahrheit auf den Grund gehen und begibt sich auf eine geheimnisvolle Reise in die Vergangenheit. Immer im Wettlauf mit der Zeit, denn ihre Leben droht sie erbarmungslos einzuholen.

Gleich lesen: Dein Traum in mir

Leseprobe:
Eine gefühlte Ewigkeit dauerte es, bis wir den letzten großen Felsvorsprung überwunden hatten und auf der Klippe ankamen. Ich ließ mich erschöpft ins Gras fallen und schloss die Augen. Der Wind fegte dort oben viel intensiver über meinen Körper hinweg, als er es am Strand getan hatte. In der Ferne hörte ich die Möwen schreien. Der Geruch des Meeres - salzig mit einer leichten Note aus Algen und Fisch - drang in meine Nase. Wie konnte es sich alles so real anfühlen, aber nur in meinem Traum möglich sein?
“Komm her Ella. Sieh dir das an.”
Conrad war bis zum äußersten Rand der Klippe gelaufen.
Er saß auf dem moosgrünen Boden und ließ die Beine über die Felswand baumeln.
Als ich hinter ihm stand und sich vor mir das riesige Meer ausbreitete, an dessen Horizont die Sonne unterging, verschlug es mir die Sprache. Ich hatte selten etwas Schöneres gesehen.
Er klopfte neben sich auf den Boden. Vorsichtig hockte ich mich erst hin und traute mich dann doch, die Beine ebenfalls über den Klippenrand zu hängen.
Der Himmel leuchtete in einem intensiven Orangerot. Es sah aus, als brannte der Horizont lichterloh und das Meer glitzerte wie Millionen kleiner Kristalle in seinen Flammen.
“So etwas Atemberaubendes habe ich noch nie gesehen.”
Meine Stimme war belegt. Mein Hals mit einem schweren Kloß gefüllt. Ich schluckte.
“Dann wird es Zeit, dass du die Schönheit in den Dingen wahrnimmst. Geht bei dir zu Hause denn etwa keine Sonne unter?”
„Doch, aber dafür habe ich meistens keine Zeit.“
„Zeit muss man sich nehmen.“
Conrad sah mich an. Auch in seinen Augen tanzten die Flammen des Himmels und leuchteten die Kristalle des Meeres. Ich wusste nicht, was ich schöner fand: die Kraft der Natur um mich herum oder diesen wunderschönen Mann neben mir.
“Wir wissen nicht, ob wir jemals einen von euch treffen werden. Manchen passiert es, manchen passiert es nie. Diejenigen, denen es nicht passiert, glauben nur selten an euch und eure Welt. Ich bin froh, dass ich es jetzt schon erleben darf und nicht noch so viele Jahre warten muss. Geduld ist nicht meine Stärke.”
Er lachte und der Klang seines Lachens ließ mein Herz schneller schlagen.
“Hast du schon mal von Klarträumen gehört?”
“Nein, sagt mir nix. Was ist das?”
“Es soll helfen, dass man nachts in seinem Traum Dinge bewusst erlebt. Man kann Menschen treffen, verschiedene Aktivitäten durchführen. Man kann eigentlich alles. Es ist dein Traum und vor allem weißt du die ganze Zeit, dass du träumst.”
“Klingt interessant.” Er zupfte an dem Moos neben sich und krümelte es zwischen den Fingern die Klippe hinunter.
“Ja. Aber irgendwie hat es mich hierhergebracht. Das wirkt alles nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich weiß, dass ich träume. Aber du hast ein Leben hier. Eine Vergangenheit. Das kann ich mir doch nicht alles einbilden, außer ich bin völlig verrückt geworden.”
“Das bist du nicht. Glaub mir, so wie du dein Leben hast, habe ich meins. Ich habe keine Ahnung was dich hierhergeführt hat, aber ich bin froh, dass du jetzt da bist.” Daraufhin lächelte er mir zu.
Wir saßen beide schweigsam nebeneinander, bis die Sonne am Horizont verschwunden war. Als der Wind auffrischte und die Dunkelheit entschieden über uns hereinbrach, beschlossen wir, dass es besser wäre, die Klippen rechtzeitig zu verlassen.
Er stand zuerst auf und reichte mir höflich seine Hand.
Dankend lächelte ich ihm zu und ergriff sie.
Kurz bevor meine Hand seine getroffen hätte, durchfuhr uns beide ein Gefühl, dass einem gewaltigen Stromschlag glich. Unsere Hände kribbelten und schmerzten. Ein Krampf zog sich bis zu meiner Schulter und den Nacken hinauf.
Alleine stand ich auf und sah ihn schockiert an. Auch er hielt seine Hand und starrte verwundert zwischen ihr und mir hin und her.
“Was zur Hölle…?” Bevor ich etwas erwidern konnte, kam Conrad zu mir und versuchte erneut nach meiner Hand zu greifen. Wieder durchzuckte unsere Körper das elektrisierende Gefühl exakt in dem Moment, als seine Fingerspitzen meine Haut berührten. Für einen kurzen Moment dachte ich, ich würde brennen, so heiß wurde meine Haut. Ich stöhnte.
“Was ist das?”
Er schüttelte den Kopf. Eine Haarsträhne fiel ihm dabei ins Gesicht. Er pustete sie weg. Sein Gesicht war feuerrot.
“Ich weiß es nicht. Ich kann dich sehen und dich hören, doch berühren scheine ich dich nicht zu können. Es ist, als existierst du gar nicht richtig. Wie ein Geist oder sowas.”
Lange standen wir uns dort auf den Klippen gegenüber. Sein Blick suchte meinen und ließ ihn nicht mehr los.
Als Conrads Bild vor meinen Augen nach und nach verschwamm, schloss ich sie und ließ mich zurücktreiben.

Im Kindle-Shop: Dein Traum in mir

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18. November 2016

'Der Rekrut' von Cliff Allister

Die Galaxis kämpft ums Überleben. Mysteriöse Schiffe aus den Tiefen des Alls schüren Kriege und Auseinandersetzungen zwischen den Zivilisationen. Benachbarte Galaxien haben sie bereits unter ihre Kontrolle gebracht und fallen nun in die Milchstraße ein. Michael Cordwainer Grand, Major der Terranischen Raumverbände, gerät ins Zentrum des Konflikts und muss erkennen, dass hinter den Kulissen noch andere Fraktionen mit im Spiel sind.

Und schon bald hegt er einen unglaublichen Verdacht: Kann es sein, dass die Ursache der Bedrohung nicht in unserem Universum liegt?

Gleich lesen: Der Rekrut: MULTIVERSUM Zyklus 1




Leseprobe:
Hunderte Billionen Kubiklichtjahre absoluter Leere. Die nächsten Galaxien waren so weit entfernt, dass sie mit bloßem Auge nicht zu sehen gewesen wären. Es gab jedoch keine Augen an diesem Ort – weder menschliche noch andere.

Absolute Leere.

Absolute Dunkelheit.

Absolute Kälte.

Absolutes Nichts.

Ein Supervoid, eine gigantische, sternenlose Blase in der Struktur des Universums. Hunderte von Millionen Lichtjahre im Durchmesser und in seiner Existenz lange unerklärlich. Nicht der einzige Supervoid, den man aufgespürt hatte, doch der der Milchstraße am nächsten gelegene. Einer der einsamsten Orte des Universums. Hier gab es nichts außer ein paar vereinzelten Protonen und Elektronen in jedem Kubikmeter. Und manchmal nicht einmal diese. Hier existierte nichts außer Dunkelheit und Kälte.
Und doch geschah plötzlich etwas in diesem Nichts. Hätte es hier Augen gegeben, menschliche oder andere, so wäre ihnen zunächst ein schwacher Schimmer aufgefallen – fast wie ein Traumbild, eine Schimäre, eine Halluzination, nur aus dem Augenwinkel wahrzunehmen. Eine Störung in der absoluten Schwärze. Doch nach wenigen Sekunden manifestierte sich deutlicher erkennbar ein kleiner, leuchtender Punkt aus purer Energie. Er schien zu flackern, zu zucken, als wolle er es sich noch einmal überlegen, hier in dieser Einsamkeit zu erscheinen. Hier, wo es nichts gab, was ein Erscheinen lohnte. Dann begann er heller zu strahlen, und aus dem kleinen Punkt wurde ein gleißendes Licht. Ein menschliches Auge wäre geblendet worden, als hätte es ungeschützt in die Sonne gesehen. Es war nicht abzuschätzen, wie groß das Licht war. Dann erlosch es schlagartig wieder. An seiner Stelle blieb ein schwach rötlich leuchtender Ring aus wabernder Energie zurück. Der Raum dazwischen war nicht mehr ganz schwarz und nicht mehr ganz kalt. Das Auge eines Beobachters hätte vielleicht ein fahles, bläuliches Glimmen wahrgenommen, das das Innere des Ringes ausfüllte. Aber wieder wäre es unmöglich gewesen, den Durchmesser ohne eine optische Referenz abzuschätzen. Zentimeter, Meter, Kilometer?
Diese Frage hätte sich einem hypothetischen Beobachter nur kurze Zeit später beantwortet. Etwas erschien in dem Ring, drang aus ihm hervor, betrat das Universum. Ein metallisches Objekt, das wie durch eine Wasseroberfläche allmählich auftauchte. Es handelte sich eindeutig um ein Raumschiff, dem kurz danach ein zweites Schiff folgte. Dann ein drittes. Nach und nach erschien eine ganze Flotte von Schiffen. Der Ring musste demzufolge mehrere Kilometer durchmessen, denn auf diese Größe hätte ein Beobachter die Schiffe geschätzt.
Als das letzte Schiff den Ring passiert hatte, erlosch dieser so plötzlich, wie er erschienen war. Die Schiffe waren in der Dunkelheit nur noch auszumachen, weil auf ihren Oberflächen Licht-quellen die Strukturen erkennen ließen: Antennen-arrays, Kuppeln, Schleusen und Antriebsöffnungen. Und Waffenaufbauten.
Die Schiffe formierten sich, beschleunigten und verschwanden im Hyperraum. Die Spitze der Formation zielte auf die Lokale Gruppe im Virgo-Superhaufen – genau dorthin, wo sich unter anderem die Milchstraße befand.

Im Kindle-Shop: Der Rekrut: MULTIVERSUM Zyklus 1

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16. November 2016

'Schmitts Hölle - Verrat' von Joachim Widmann

Kindle | Tolino | Taschenbuch
FB-Seite zur Buchreihe | Autorenseite im Blog
Berlin am Abgrund.

Die Berliner Polizistin Sibel Schmitt hat das Verschwinden ihrer Tochter Sheri nicht aufklären können und ist nach einer schweren persönlichen Krise wieder im Dienst, als ein Fall sich als ein gefährlicher Strudel erweist. Eine junge Frau ist von einem Hochhaus gestürzt. Es sieht nach einem Unfall auf der Flucht vor einem gewalttätigen Zuhälter aus – ein Routinefall. Doch Schmitt findet am Tatort das Armband ihrer Tochter. Und der Verfassungsschutz redet von einer Entführung durch Islamisten.

Das passt sichtlich nicht zusammen. Dass Schmitt den Überblick behält, ist nicht jedem recht. Die Wahrheit ist tödlich. Blut fließt. Schmitt taucht unter mit einer Zeugin, deren Leben bedroht ist.

Einflussreiche politische Strippenzieher schützen die Hintermänner von Terroristen vor Entdeckung. Jedes Mittel ist ihnen recht, um eine Staatskrise zu verhindern. Selbst massive Gewalt gegen Schmitt, die den Terror stoppen könnte. Unterdessen droht Berlin ein Massaker …

„Schmitts Hölle - Verrat“ ist der erste abgeschlossene Thriller der Sibel Schmitt Reihe.

Leseprobe:
Schmitt: „Wenn die Gruppe vorab über dich informiert wird, musst du mit sofortiger Liquidation als Verräter rechnen. Auch später kann das jederzeit passieren. Die Geheimdienstmänner, mit denen wir zusammenarbeiten, warnen eindringlich vor diesen Typen: Dieser Thor baut die Gruppe seit Jahren als Schläfer auf, die sind empfindlich und gefährlich wie Hornissen. Du musst schneller und schlauer sein als alle anderen.“
„Ich wünschte, du könntest mit mir da rein“, sagt Bernatzki.
Schmitt klingt amüsiert, als sie sagt: „Ja, mich würde auch mal interessieren, wie die auf ’ne Türkin reagieren.“
„Du bist … du siehst so viel … so viel mehr als ich, meine ich. Ich bin nicht so schnell. Und nicht so hart.“
„Du schaffst das. Du darfst keinen Moment lang nachlassen. Zur Not bin ich in der Nähe. Aber ich bin allein, und ich kann dir nicht den Rücken decken, wenn du außer Sicht bist. Trau nichts und niemandem, auch nicht der Ruhe.“
„Kann ich Denzler trauen? Traust du Denzler?“
Schmitt atmet tief ein und wieder aus, so laut, dass Bernatzki es durch die Leitung fast als Seufzen hört. „Solange ich lebe, kannst du ihm trauen“, antwortet sie langsam.
„Was …?!“
„Solange ich lebe, kannst du ihm trauen“, wiederholt sie.
Bernatzki kaut auf seiner Unterlippe, während er Schmitts Antwort sacken lässt. Sie ändert nichts an seiner Haltung. „Wie weiß ich, dass du lebst?“
„Du hast meine Handynummer.“ …

***

Kopfschmerzen halten Schmitt wach, die Gedanken kreisen. Carla atmet ruhig auf der Matratze neben ihr.
Jetzt ist Schmitt sich sicher, dass sie etwas gehört hat. Manchmal hört sie Geräusche, wenn ihre Kopfschmerzen sich bei Dunkelheit oder geschlossenen Augen in Licht-Auren und Farbschlieren entladen: eine optische Halluzination, die akustische erzeugt.
Das Geräusch, das sie nun zum dritten Mal hört, passt nicht zu den Bildern: Es ist eine Schwingung, die sich durch die Armierungen des Betonbodens zu übertragen scheint, so fein, dass Schmitt die Schwingung nicht spürt, aber als dumpfen Bass sehr leise hört. Jemand von einigem Gewicht schleicht durch das Gebäude oder wenigstens sehr dicht daran entlang, ist Schmitt sich sicher. Sie schließt ihre Augen und presst die Finger auf die Lider, um die visuellen Kopfschmerzen zu unterdrücken. Die Bilder lassen nach, aber sie bleiben heller als das Dunkel der Halle, in das durch die hohen trüben Fenster nur das Licht entfernter Straßenlaternen dringt.
Schmitt ist blind.
Sie tastet nach Carla, presst ihr die Hand auf den Mund und kneift gleichzeitig die Nase zu. Carla fährt mit einem erstickten Geräusch aus dem Schlaf. „Psssst. Ich lasse jetzt los, okay?“, sagt Schmitt sehr leise an ihrem Ohr. Carla nickt. Schmitt lockert ihren Griff. „Ich glaube, jemand ist hier“, flüstert Schmitt. „Du musst dich verstecken. Nimm die Notebooktasche mit und komm unter keinen Umständen raus, egal, was passiert, oder was mir passiert. Auf keinen Fall! Denk immer dran, dass sie hinter dir her sind, nicht hinter mir. Kapiert?“
Carla nickt unter Schmitts Hand.
Die Schrittgeräusche sind erstorben.
„Schnell!“
Das Klingeln einer Schnalle der Tasche, das Rascheln der Decke, die Carla beiseite schiebt, ihres T-Shirts, als sie sich bewegt: Schmitt kommt es laut vor.
Die Vibrationen, die von Carlas Gehen auf bloßen Füßen ausgehen, hören sich anders an als jene, die sie eben gehört hatte. Zugleich leichter und konkreter.
Sie erkennt: Wer immer naht, ist noch draußen. Er hat das Schleichen geübt. Und er ist schwerer als Carla.
Schmitt presst erneut die Finger gegen ihre geschlossenen Augen und verflucht ihre Kopfschmerzen. … Ertastet ihr Schulterhalfter neben ihrer Decke und legt es an, zieht ihre Waffe, lädt durch – das Geräusch erscheint ihr ohrenbetäubend –, entsichert sie und steckt sie wieder in das Halfter.
Da: unverkennbar das Geräusch von etwas Großem aus Metall, das sehr langsam bewegt wird.
Kein Zweifel, die größere Schiebetür der Halle, die zur Einfahrt.
Die Decken des Nachtlagers rafft Schmitt zusammen auf einen Haufen. Geht gebückt in die Gasse zwischen die Exportkisten, Richtung Mitte der Halle, genau dem Geräusch an der anderen Wand entgegen. Dahin, wo sich sehr leise die Schiebetür öffnet.
Sie spürt den Luftzug auf ihrer schweißfeuchten Haut.
Der Duft alten Öls steigt ihr in die Nase – die offenen Paletten mit den gebrauchten Motoren. Schmitt erinnert sich, dass sie kaum hüfthoch sind. Sie lässt sich auf den Bauch nieder, robbt in den Zwischenraum zwischen zwei Paletten und weiter in die Deckung des Kartonstapels, der daneben, wie sie weiß, etwa drei Meter hoch aufragt. Mit der Stirn stößt sie dagegen.
Sie stoppt, hält die Luft an.
Die Schritte, die sie anfangs gehört hat, sind näher gekommen. Kleidung raschelt. Sie hört jemanden atmen: ein Mann mit großem Lungenvolumen.
Schmitt schließt wieder die Augen und presst die Finger dagegen.
Verdammtverdammtverdammt!
Sie zückt ihre Waffe und zielt, auf dem Bauch liegend, in die von Lichtschlieren verhängte Dunkelheit. Sterne tanzen vor ihren Augen. Sie gibt das Zielen auf.
Sie spürt eine weitere Vibration, mit dem ganzen Körper. Das ist nicht derselbe Mann: dieser ist genauso schwer, aber nicht trainiert. Er tritt mit der Ferse auf, nicht mit dem Ballen.
Es sind zwei. Der zweite Mann betritt gerade die Halle.
Der erste Mann ist drin, er nähert sich langsam. Schmitt schätzt, dass er in vier, fünf Schritten den Kartonstapel passiert hat. Schaute er dann nach rechts, würde er sie liegen sehen.
Schmitt, unsicher, ob das Licht dazu reicht, streicht mit den Fingerspitzen rückwärts entlang der Kartonflanke des Stapels. Kriecht langsam nach hinten, bis sie die hintere Ecke des Stapels erreicht. Sie rollt sich hinter den Stapel, erhebt sich lautlos, lauscht, gebückt, mit angehaltenem Atem.
Sie erinnert sich der Transportkistenlatten, die auf der anderen Seite des Kartonstapels herumliegen. Solide, meterlange Latten. Zwei zusammengenommen, mit beiden Händen sicher umfasst und schnell bewegt: Das hat eine gute Hebelwirkung und ausreichend Schlagkraft, um einen Mann flachzulegen.
Sie lauscht. Nichts.
Nach ihrer inneren Karte, die sie bei Licht von der Halle angelegt hat, reicht die Deckung des Kartonstapels fast bis zu den Latten. Es sind vielleicht noch drei, vier Schritte.
Ihre Hand streift zur Orientierung leicht an den Kartons entlang.
Erster Schritt.
Zweiter.
Der Kartonstapel endet.
Schritt drei.
Sie hört das Sirren zu spät. Zwei Latten zusammengefasst, schnell bewegt, haben eine gute Hebelwirkung und ausreichend Schlagkraft, um eine Frau flachzulegen. Sie duckt sich reflexhaft von dem aggressiven Bewegungsgeräusch weg. Das Holz kracht nicht an ihren Kopf, sondern auf ihre Schulter. Sie hört darin etwas brechen und spürt den Schmerz in ihren ganzen Körper strahlen. Ihre Dienstwaffe geht zu Boden und rutscht davon.


Blick ins Buch (Leseprobe)

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15. November 2016

'Meine Kalorien haben ein Zuhause' von Martina Jansen

Achtung Satire!

Christiane Mayer, genannt Chrissy, Mutter, Ehe- und Rubensfrau kurz vor ihrem 50. Geburtstag, beschließt nach einem frustrierenden Einkaufsbummel in der GGG-Abteilung, der abseits gelegenen Ecke mit "Großen Größen in Grau", endlich abzunehmen. Voll motiviert legt sie immer und immer wieder die Stolpersteine zur Seite, die auf ihrem Weg zum Traumgewicht liegen. Allmählich wird sie Expertin darin, Diäten abzubrechen und stattdessen in Erinnerungen zu schwelgen.

Humorvoll nimmt sie sich dabei selber auf die Schüppe, unterstützt von dem kleinen Teufelchen auf ihrer Schulter.

Gleich lesen: Meine Kalorien haben ein Zuhause


Leseprobe:
Wow, das ist jetzt endlich meine Diät. Quasi maßgeschneidert für mich. Ich warte also darauf, dass mein Mann mit dem Familienauto endlich nach Hause kommt und stapel eine halbe Stunde später zentnerweise Weißkohl, Sellerie, Zwiebeln, Knoblauch, Paprika und Möhren in meine beiden Einkaufswagen und hinterlasse eine fast leere Gemüsetheke. Für mein Vorhaben reicht ein Weißkohlkopf nun mal nicht aus.
Sind ja ganz schön unhandlich diese Kugeln. Und verdammt schwer. Schon die zweite kann ich nicht richtig halten, sie fällt zu Boden und landet direkt auf meinem Zeh. Zwar geschützt durch meine Sneaker mit kaum sichtbaren lädierten Hacken, aber dennoch muss ich mich kurzzeitig an der Theke abstützen, um meinen Fuß an der anderen Wade so lange zu reiben, bis der Schmerz nachlässt.
Alle anderen Krautköpfe lege ich später ohne weitere Pannen in den Einkaufwagen. Fast alle, denn der letzte rutscht mir ebenfalls aus der Hand, so dass ich ihn von Hand zu Hand jongliere, was bei dem Gewicht die Armmuskeln erheblich kräftigt.
Meine Mühe war umsonst, er fällt letztendlich doch in die Kiste mit leicht überreifen Weintrauben. Ich suche in meiner Jacke nach einem Taschentuch, wische mir das Fruchtmus aus dem Gesicht und von der Kleidung und lasse den Kohl mitten in den Trauben liegen. So dreckig will ich ihn nicht mehr, aber einer mehr oder weniger wird wohl nicht so tragisch sein.
Ich verabschiede mich noch eben von meinen entfernten Verwandten, den Bananen, denn 40 Prozent meiner Gene habe ich mit ihnen gemeinsam, schnappe mir meinen Wagen und bin irritiert. Dort drinnen registriere ich ganz oben auf meinen Zwiebelsäckchen und Kohlköpfen Hundefutter, Kaffee, Brot und Sekt. Habe ich nicht reingelegt, brauche ich auch nicht, also raus damit. Ich packe alles aufs Gemüse in der Auslage, damit der hungrige Kunde, der diese Genussmittel ursprünglich kaufen wollte, sie auch wieder findet. Beim Brot überlege ich noch kurz, denn Brot brauchen wir auch, lege es dann aber doch auch dazu, ist nicht unsere bevorzugte Sorte.
Beim nächsten Mal werde ich mit einem fremden Einkaufskorb zur Kasse gehen, zahlen und zu Hause vielleicht mal Lebensmittel probieren, die ich sonst nicht gekauft hätte. So erweitert man also sein alltagstaugliches Wissen.
Ich weiche den glitschigen Stellen auf dem Boden aus und gehe schnurstracks zur Brottheke. Ein saftig schmatzendes Geräusch, als würde ich eine Weintraube zertreten, begleitet mich auf dem Weg dorthin und ich stelle fest: Es ist eine Weintraube, bzw. es war mal eine.
Ich höre auf mich über den Matsch unter meinem Schuh zu ärgern, jetzt steht die Brotschneidemaschine im Zentrum meines Zornes. Wie ich diese Geräte hasse. Können einfach kein frisches Brot schneiden, ohne einen klebrigen undefinierbaren Haufen zurück zu lassen. Den will ich so jetzt auch nicht. Also doch kein Brot heute.
„Sah ja schon verdammt unaufgeräumt aus die Obst- und Gemüseabteilung, dort könnte ruhig mal jemand für Ordnung sorgen“, stelle ich kopfschüttelnd auf dem Weg zur Kasse fest, als mir beim Blick auf meinen geplanten Einkauf spontan der Gedanke kommt, dass das darmtechnisch sicher nicht gut gehen kann, aber ich schiebe diesen Einwand erst einmal weit nach hinten. Einmal angefangen, gebe ich doch so schnell nicht wieder auf. Ich doch nicht.
Ist gar nicht so einfach zwei volle Einkaufswagen gleichzeitig zu beherrschen. Einen schiebe ich, einen ziehe ich, aber er fährt mir ständig in meine eh schon lädierten Haken.
„Ey Alter, krass die Alte.“
Hinter mir ertönt die Stimme eines sich noch nicht im Stimmbruch befindlichen Vor-Pubertierenden. Also entweder steht hinter mir eine, in deren Augen, supercoole Zwölfjährige oder sie meinen mich.
Ich drehe mich unerwartet im Laufen blitzschnell, soweit es mir möglich ist, um und einer der beiden Rotzlöffel rennt ungebremst in den letzen Wagen hinein. Dumm gelaufen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich setze mein bestes Pokerface auf und schaue den beiden Möchtegern-Gangstern mit leicht gespreizten Beinen furchtlos ich die Augen. High Noon an der Tiefkühltheke. Ich bin hoch konzentriert und schussbereit. Werden wir doch mal sehen, wer die stärkeren Nerven hat.
„Shit Alter“, höre ich noch und weg sind sie. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, da habe ich wohl mental schneller gezogen und verlasse das Schlachtfeld als Sieger. Das Pusten in den Revolverlauf verkneife ich mir, obwohl es mir erheblich in den Fingern juckt.
Ich setze meinen Weg fort bzw. will ihn fortsetzen, da bemerke ich, dass mein Sohnemann grinsend hinter mir steht. Er hat also die Zwei vertrieben. Wortlos, nur durch seine bloße Anwesenheit. Aber wieso? Wodurch? Wie hat er es geschafft?
Er ist doch gerade mal etwa drei Jahre älter als sie. Verprügelt er sie auf dem Schulhof? Erpresst er sie? Dealt er etwa?
Und warum ist er um diese Zeit hier und nicht in der Schule? Heute ist doch SchlaDo-Tag, der scheiß lange Donnerstag, wie er allgemein von sämtlichen Schülern genannt wird. Habe ich in der Erziehung vielleicht komplett versagt und mein kleiner … äh großer Hase ist auf die schiefe Bahn geraten? Kläre ich zu Hause, nicht jetzt im Supermarkt, jetzt brauche ich mal wieder die blauen Elefanten, um mich nicht noch mehr hinein zu steigern.
Einige mitleidige Blicke begleiten mich auf dem Weg zu Kasse. Sicherlich von Menschen, die die Kohlsuppe auch brav gelöffelt haben, allerdings ohne Erfolg, so wie es scheint. Aber davon lasse ich mich nicht beirren. „Wollen Sie das etwa alles essen?“, fragt mich ungläubig eine Frau in meinem Alter.
„Nein, das verbuddel‘ ich gleich im Garten“, liegt mir auf der Zunge, aber ich beherrsche mich noch gerade eben und lächel sie nur an.
Ich drehe mich wieder um, um die Waren aufs Band zu legen, aber ich nahm wohl ein Ideechen zu viel Schwung und reiße mit meiner Handtasche, die ja bekanntlich ein bisschen größer geraten ist, den Pappaufsteller mit Schokoladenriegeln um.
„Lassen Sie ruhig liegen, ist kein Problem, räumt meine Kollegin gleich weg“, ruft mir die Kassiererin vom anderen Ende des Kassenbandes zu. Hätte ich ja eh gemacht, denn Schokolade steht heute nicht auf meinem Einkaufszettel.
„Na machen wir auch die Kohlsuppendiät?“, höre ich dann kurze Zeit später von ihr.
Nach dem Desaster neulich in der Umkleide, gehe ich über das vertraute „wir“ hinweg, schlucke widerwillig den aufkommenden Ärger hinunter und zahle meinen Monatseinkauf. Muss ich noch extra erwähnen, dass ich natürlich in der falschen Schlange stand? Egal, wo ich mich anstelle, nebenan geht es immer schneller voran.
„Wenn wir Beide jetzt noch einmal das Personalpronomen der 1. Person Plural hören, dann wechseln wir den Laden“, spricht der kleine Kobold zu meiner Rechten und zeigte mir damit, dass er auf meiner Seite steht.
Wow, für so gebildet hätte ich ihn gar nicht gehalten.

Im Kindle-Shop: Meine Kalorien haben ein Zuhause

Mehr über und von Martina Jansen auf ihrer Facebook-Seite.

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14. November 2016

'Vergelte!' von Siegfried Langer

Was tust du, wenn du die Wahrheit über entsetzliche Dinge weißt, die ungesühnt sind? Nimmst du das Recht selbst in die Hand?

Dominik Weiß ist auf grausame Art zu Tode gekommen. Wie es aussieht, ist der Mörder mehrfach zwischen dem Toten und der Wand hin- und hergelaufen, um seine Fingerspitzen in Blut zu tauchen. Dann hat er sie über die geweißte Strukturtapete geführt, um sich dort zu verewigen.

Zu Beginn der Ermittlungen ahnt Kriminalhauptkommissar Niklas Steg noch nicht, dass dieser Mord der Auftakt zu einer ganzen Serie ist. Beim Täter verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen »Recht« und »Rache«, seine Hemmschwelle wird immer geringer. Und die Zeit arbeitet gegen Steg ...

Gleich lesen: Vergelte! (Privatdetektivin Sabrina Lampe 2)

Leseprobe:
Als das Mädchen nach Hause kam, fand es seine Mutter tot und von der Decke hängend vor.
Voller Stolz und Elan war es – immer zwei Stufen auf einmal nehmend – die Treppen des Mietshauses nach oben geeilt. Eine Eins und eine Zwei hatte es heute Vormittag in der Schule erhalten und sich darauf gefreut, seiner Mutter von den Noten zu berichten. Bei der Wohnungstür angekommen, zog es den Schlüssel aus der Hosentasche und wog ihn in der Rechten hin und her. Zum ersten Mal sperrte es heute die Tür eigenhändig auf. Endlich war gestern das Vertrauen der Eltern groß genug gewesen, dem Mädchen einen eigenen Schlüssel zu geben.
Im Beisein seiner Mutter hatte es sogleich mehrfach geübt, und das Aufsperren klappte jetzt auf Anhieb. Freudestrahlend betrat es die Wohnung. Das Mädchen stellte seinen schweren Ranzen an der Garderobe ab und rief nach der Mutter.
»Mama! Ich bin zu Hause!«
Keine Antwort.
Und keine Mama, die dem Mädchen entgegenkam und die Fröhlichkeit erwiderte.
»Mama?«
Die Stimme des Mädchens wurde leiser, die Schritte zögerlicher, während es den langen Flur der Altbauwohnung entlangging.
Zur Rechten stand die Tür des elterlichen Schlafzimmers offen, doch es war leer.
»Mama?«
Das Mädchen klopfte verhalten an die Badezimmertür.
»Bist du da drin?«
Die Stille ängstigte das Mädchen.
Langsam näherte es sich der Küche und trat durch den Türrahmen.
In Augenhöhe sah es die weißen Socken seiner Mutter. Der Blick des Mädchens glitt nach oben. Seine Mutter trug das fliederfarbene Sommerkleid, das das Mädchen so gern mochte. Die langen blonden Haare umspielten in gewohnter Weise ihre Schultern. Doch die Augen der Mutter waren nicht mehr die, die es kannte. Sie schienen aus den Augenhöhlen hervorgetreten zu sein und starrten ausdruckslos nach vorn; sie wirkten stumpf und fixierten einen Punkt über dem Kopf des Mädchens. Der Kiefer der Mutter war geöffnet, die Zungenspitze lugte hervor. Das Gesicht wirkte aufgedunsen und schimmerte leicht violett.
Ein unangenehmer Geruch ließ das Mädchen seine Nase rümpfen.
»Mama?«
Das Mädchen dachte, es hätte die Frage erneut ausgesprochen, aber es konnte sich nicht hören.
Es blickte zu Boden. Ein Küchenstuhl lag umgefallen unter der Mutter, daneben ein Paar rote Lackschuhe, einer davon zur Seite gekippt.
Das Mädchen sah auf seine eigenen Füße, es trug die gleichen Schuhe, nur kleiner.
Als es den Blick wieder hob, erinnerte es sich daran, wie seine Mutter heute Morgen noch ausgesehen und gesprochen hatte.
»Du musst stark sein, Püppi!«
Dann hatte sich die Mutter zu dem Mädchen hinabgebeugt und zärtlich über seine Wange gestreichelt.
»Du musst lernen zu unterscheiden: zwischen Gut und Böse.«
Ganz leise hatte sie diese Worte zu ihrer Tochter gesagt, als könnten die Wände der Wohnung sie belauschen.
»Manchmal ist es wichtig, Dinge zu tun, die getan werden müssen.«
Die Worte klangen noch in ihr nach.
Ein letzter liebevoller Kuss auf die Lippen, ehe das Mädchen losgegangen war zur Schule. Ein Kuss, wie es ihn all die Schultage zuvor zum Abschied erhalten hatte.
Jetzt fiel dem Mädchen auf, dass er sich anders angefühlt, anders geschmeckt hatte. Irgendwie salziger.
Das Mädchen verharrte unschlüssig. Dann verdrängte es.
»Ich habe heute eine Eins in Deutsch bekommen«, sagte es, »und im Rechnen eine Zwei!«
Dabei vermied es das Mädchen, der Mutter ein weiteres Mal ins Gesicht zu sehen.
Sein Magen knurrte.
Ihm fiel ein, dass die Mutter eigentlich die Überreste des Eintopfs vom Vorabend hatte warm machen wollen.
Es machte einen großen Bogen um den Stuhl, die Lackschuhe und die Mutter, ging zum Kühlschrank und holte den schwarzen Emailletopf heraus.
Den Gasherd zu bedienen, war dem Mädchen verboten worden, und es hielt sich daran.
So stellte es den Eintopf kalt auf den Küchentisch.
»Ich decke uns mal den Tisch, ja?«
Aus dem Küchenschrank nahm es drei Teller, einen für sich selbst, einen für den Vater, und einen für die Mutter; aus der Besteckschublade eine Schöpfkelle und drei Esslöffel.
Aus einer anderen Schublade holte es drei Servietten und faltete sie so, wie es die Handarbeitslehrerin im Unterricht gezeigt hatte.
Ordentlich – wie man es ihm beigebracht hatte – drapierte es alles auf dem Tisch.
Dann stellte es fest, dass nur zwei Leute würden sitzen können, und stellte den umgekippten Stuhl zurück auf seine Beine.
Jetzt war alles perfekt.
Das Mädchen nahm Platz.
Erneut meldete sich sein Magen, aber das Mädchen aß nicht.
Minutenlang starrte es auf den Emailletopf, dann drehte es langsam den Kopf zurück zur Mutter. Es sah die Tote nun von hinten, doch seine Augen starrten durch den leblosen Körper hindurch.
So verharrte das Mädchen – bis es ein Geräusch vernahm.
Ein Schlüssel.
Er drehte sich im Schloss und die Wohnungstür klackte auf.
Papa.
Wenn er da war, würden sie endlich essen können.
Die gewohnt langsamen und schweren Schritte näherten sich und der Vater tauchte im Türrahmen auf. Das Mädchen hatte nun beide Elternteile im Blick.
Der Vater erschrak, seine Aktentasche fiel zu Boden.
Seine Pupillen weiteten sich; aus dem geöffneten Mund kam kein Schrei.
»Ich hab das Essen schon auf den Tisch gestellt, Papa.«
Der Vater musterte den leblosen Körper der Mutter, dann wanderte sein Blick wieder zu den Füßen, anschließend zu seiner Tochter. Das Mädchen schenkte ihm ein Lächeln.
»Es gibt Eintopf«, sagte das Mädchen und zeigte auf den Emailletopf.
Die Gesichtsfarbe des Vaters wich und kehrte nach ein paar Sekunden wieder zurück.
Neugierig betrachtete er das Gesicht seiner Frau. Er kniff die Augen zusammen, seine buschigen Brauen wanderten kaum merklich nach oben. Vorsichtig stupste er mit dem Zeigefinger der Linken an den rechten Fuß der Frau.
Der Körper begann leicht zu pendeln.
»Leider kalt«, kommentierte das Mädchen das Mittagessen.
Seine linke Hand strich sanft über die weiße Socke, dann über die Wade; seine rechte Hand zuckte.
Das Mädchen beobachtete, wie er die Lippen aufeinanderpresste, während er weiter auf das Gesicht der Toten starrte. Seine Finger verkrampften sich um die Fußfessel seiner Frau. Gleichzeitig näherte sich seine Rechte seinem Schritt. Das Mädchen erkannte, wie sich langsam eine Beule in der Hose des Vaters bildete. Es erschrak, denn es kannte dieses Zeichen.
»Mmmm«, machte der Vater und blinzelte.
Seine Finger trommelten nun sanft auf der Beule.
»Du musst stark sein, Püppi«, hörte das Mädchen die Stimme seiner Mutter.
Das Mädchen rutschte vom Stuhl und entfernte sich rückwärtsgehend vom Vater.
Jetzt wanderte dessen Blick vom Gesicht der Mutter zu dem der Tochter.
»Du musst lernen zu unterscheiden: zwischen Gut und Böse.«
Nach zwei Schritten war der Weg des Mädchens bereits zu Ende. Es spürte die Tür des Küchenschranks in seinem Rücken.
Der Vater ließ den Fuß der Mutter los und ging langsam an der Toten vorbei. Sein Blick blieb unablässig auf das Mädchen gerichtet.
Er fingerte an seinem Reißverschluss herum.
»Manchmal ist es wichtig, Dinge zu tun, die getan werden müssen.«
»Bitte nicht«, sagte das Mädchen.
»Mmmm.«
Dann schloss das Mädchen die Augen.

Im Kindle-Shop: Vergelte! (Privatdetektivin Sabrina Lampe 2)

Mehr über und von Siegfried Langer auf seiner Website.



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12. November 2016

'Die Heilerin der Kelten (Eifel-Saga 2)' von Sabine Altenburg

Manchmal findet man die wahre Liebe dort, wo man sie nicht erwartet. Und dann muss man einen hohen Preis dafür zahlen ...

Herbst des Jahres 53 vor Christus. Der Gallische Krieg währt bereits sechs Jahre, als die junge Keltin Sirona durch einen römischen Überfall Familie und Heimat verliert. Auf ihrer Flucht fällt sie dem Römer Gaius in die Hände. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick, aber ihre Wege trennen sich wieder. Sirona ahnt jedoch, dass ihre Leben schicksalhaft miteinander verknüpft sind.

Währenddessen formiert sich in Gallien unter dem jungen Arvernerkönig Vercingetorix der Widerstand gegen die römischen Eindringlinge. Mit dem größten keltischen Heer, das je gegen Rom angetreten ist, kämpft er darum, Caesar und seine Legionen für immer aus Gallien zu vertreiben und seinem Volk ein Leben in Frieden, Freiheit und Würde zu ermöglichen. Sirona, die die besondere Gabe besitzt, Menschen durch das Auflegen der Hände von ihren Krankheiten zu befreien, tritt als Heilerin in Vercingetorix’ Dienste und erlebt an seiner Seite den letzten, verzweifelten Freiheitskampf ihres Volkes.

Dann begegnet sie Gaius wieder. Doch welche Hoffnung gibt es für eine Liebe, wenn man auf den verfeindeten Seiten eines Krieges steht?

Die Eifel-Saga umfasst bislang zwei historische Romane, die in der Eifel angesiedelt sind. Sie sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Der erste Band der Eifel-Saga ist unter dem Titel "Die Priesterin der Kelten" erhältlich.

Gleich lesen: Die Heilerin der Kelten. Historischer Roman (Eifel-Saga 2)

Leseprobe:
»Die Römer kommen!«
Die Stimme, die in der folgenden Nacht von der Hauptstraße her in Sironas Schlaf einbrach, war grell und von Angst verzerrt. Augenblicklich wurde die Warnung aufgegriffen, pflanzte sich durch alle Straßen und Gassen fort und brach sich an den Wänden der Gebäude.
Sirona und die anderen Bewohner des Gasthofs waren im Nu auf den Beinen, warfen sich ihre Umhänge über und stürzten nach draußen. Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt, und im Osten lag bereits ein erster, schmaler Streifen Tageslichts über der Stadtmauer. Immer mehr Menschen verließen ihre Häuser und bewegten sich wie auf ein unsichtbares Signal hin in Richtung der Befestigung. Sirona und ihre Gefährten schlossen sich dem Strom an und ließen sich mit ihm treiben, bis sie den Fuß der Umfriedung erreichten und sich in die Schlange derer einreihten, die die steilen Stufen zur Mauerkrone hinaufdrängten.
Oben angekommen, schaute Sirona sich um. Ein frischer Wind aus Westen blies über die Sümpfe hinweg, fuhr in die Umhänge und bauschte sie. Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, während ihre Augen forschend den Horizont im Südwesten abtasteten, die einzige Himmelsrichtung, aus der sich eine Streitmacht Avariko nähern konnte.
Plötzlich ertönte ein Ruf, unmittelbar zu ihrer Linken: »Da! Da sind sie!«
Sironas Blick folgte dem ausgestreckten Arm des jungen Biturigers. Dann wurden ihre Knie weich, und sie griff Halt suchend nach der hölzernen Brustwehr.
Avaro, hilf! Behüte Deine Stadt und all die, die sich in Deinen Schutz begeben haben.
Hellgrau vor dem stumpfen Schieferton der zurückweichenden Nacht rückten die römischen Legionen auf das Dunom vor. Sie marschierten in einer lang gezogenen Formation, die sich bis zum Horizont und weit darüber hinaus erstreckte, eine wogende, wabernde Masse aus unzähligen Leibern, gehüllt in eine Wolke aufgewirbelten Staubs, die wie ein gestaltloses Ungeheuer langsam über die Ebene dahinkroch.
Allein die schiere Größe dieses Heerzugs war dazu angetan, den Betrachter vor Furcht erstarren zu lassen, und Sirona schien es, als ballte sich eine kalte Faust um ihren Magen. Sie versuchte sich zu erinnern, was der griechische Weinhändler seinerzeit gesagt hatte. Eine Legion umfasste fünftausend Soldaten? Demnach wären acht Legionen also ... vierzigtausend Feinde?
Sie keuchte vor Schreck laut auf, und zum ersten Mal überfielen sie Zweifel daran, dass Avariko wahrhaftig uneinnehmbar war. Was vermochte Caesar alles zu bewirken, wenn er eine so gigantische Anzahl an Männern zu seiner Verfügung hatte?
»Bei allen Göttern.« Adbogios’ Worte zu ihrer Rechten waren nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
Sie drehte den Kopf, blickte in sein leichenblasses Gesicht, seine weit aufgerissenen Augen, und ahnte, dass sie in das Abbild ihrer eigenen Züge starrte.
»Wir sind verloren, Siro. Gegen eine solche Übermacht können wir nicht siegen.«
Schweigend zwang sie ihren Blick zurück auf die Ebene, der Staubwolke entgegen, die sich rasch näherte.
Und dann schoss ihr eine Frage in den Sinn, eine Frage, die so gar nicht zu der Furcht und dem Entsetzen passen wollte, die sie beim Anblick des Heerzuges überfallen hatten: War Marcus ebenfalls da draußen?

Im Kindle-Shop: Die Heilerin der Kelten. Historischer Roman (Eifel-Saga 2)

Mehr über und von Sabine Altenburg auf ihrer Website zur Buchserie.



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