6. August 2019

'Wenn Apfelbäume sprechen könnten' von Lisa Torberg

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Ein Roman, so bunt wie Südtirol und so liebenswert wie seine Menschen.

Liesi Thaler lebt mit ihrer neunzigjährigen Großmutter Filomena auf dem Apfelhof. Wie schon die Frauen vor ihr führt sie das Erbe ihrer Familie fort. Ihr Heimatort unweit von Meran ist ein beschauliches Fleckchen, seine Einwohner freundlich, das Leben von gegenseitigem Respekt geprägt. Doch dann kommt es zu eigenartigen Vorkommnissen auf ihren Apfelwiesen. Die Ernte, und somit ihre Existenz, steht auf dem Spiel. So geht sie auf den Vorschlag des Bürgermeisters ein und stellt ihren Hof als Drehort für einen Film zur Verfügung.

Der Regisseur entpuppt sich jedoch als gewalttätiger Säufer, und Bertl, ihr bester Freund seit Kindertagen, meldet plötzlich Besitzansprüche auf sie an. Schließlich tritt auch noch der Filmproduzent Chris Bergmann in ihr Leben, der Interesse an ihrem Hof und im Besonderen an den drei uralten Apfelbäumen vor dem Haus zu haben scheint. Weshalb interessiert er sich für die Geschichte ihrer Familie? Je näher Liesi dem attraktiven Mann kommt, umso verwirrter ist sie. Welches Geheimnis verbirgt er?

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Leseprobe:
»Jetzt gib schon her!« Liesi streckte den Arm aus und ergriff ungeduldig den Schläger, den ihr der Caddie reichte. Sie wog ihn nachdenklich in der Hand, während ihr Blick in die Ferne schweifte. Dann stellte sie sich mit leicht gegrätschten Beinen in Position, schob den Schirm ihres Käppis ein wenig höher auf die Stirn, umfasste den Griff und schaute konzentriert nach unten. Vorsichtig, fast zärtlich, berührte sie den kleinen weißen Ball. Schließlich bewegte sie den Schläger wie ein Pendel vor und zurück, holte schwungvoll aus – und traf den Bertl zwischen den Beinen.
Er schrie auf und fiel nach hinten.
»Idiot!«, rief sie aus und sah auf das gestandene Mannsbild, das rücklings auf dem weichen Abschlag der fünften Bahn lag und nach Luft rang.
Jeder hätte jetzt in ihr eine unsensible Person vermutet, eine der Frauen, die sich um nichts und niemanden als sich selbst kümmerten. Davon gab es im Ort einige; aber wenn eine nicht dazugehörte, dann die Liesi Thaler. Nur zeigte sie ihre sensible Seite nicht. Nicht, weil sie nicht wollte, sondern da sie von klein auf gelernt hatte, dass sie mit einem Panzer besser dran war und problemloser durchs Leben kam. In diesem besonderen Moment jedoch, weil sie es nicht durfte.
Sie seufzte genervt, ließ den Schläger zu Boden fallen und streckte dem Bertl den Arm entgegen.
»Jetzt stell dich nicht so an. Steh auf!«
Wie ein Hirschkäfer lag er auf dem Rücken, eine Hand schützend über den Hosenstall haltend, kniff die Augen zusammen – er würde doch nicht weinen! – und presste die Lippen fest aufeinander. Dann schüttelte er den Kopf.
»Du bisch a Depp!«, zischte sie und wandte sich ab.
Der Caddie hielt ihr den Griff des Schlägers hin. Seine Anwesenheit war absolut überflüssig, aber zumindest war mittlerweile klar, dass er einfach nur den Mund halten und die Statistenrolle spielen sollte, für die er bezahlt wurde. Der Ball lag immer noch auf seinem Platz und wartete darauf, abgeschlagen zu werden. Trotzdem bückte sie sich, hob ihn an, legte ihn zurück und richtete sich wieder auf. Dabei fühlte sie sich schrecklich. Und lächerlich.
Je rascher sie vorankam, desto früher konnte sie diese Farce, die ihr der Bürgermeister aufs Auge gedrückt hatte, beenden.
Wie vorgesehen schaute sie kurz nach rechts, um sicherzugehen, dass sich nicht noch irgendein Mann an sie herangetraut hatte, holte aus – und schlug ab. Ihr Blick folgte dem Ball. Sie vermied es, sich irgendetwas anmerken zu lassen, und fingerte die Sonnenbrille aus dem freizügigen Ausschnitt, der ihr Dekolleté kaum verbarg, und setzte sie auf. Erst als ihre Augen hinter den verspiegelten Gläsern verschwunden waren und ihr Gesicht im Schatten des Käppi-Schirms lag, erlaubte sie sich ein ganz privates Schmunzeln, das die Fältchen in ihren Augenwinkeln vertiefte. Allerdings achtete sie peinlichst darauf, dass es ihre Mundwinkel nicht erreichte. Sie musste professionell bleiben, bis der Ball im Loch und somit ihre Aufgabe erledigt war.
Dieser blinde Abschlag der fünften Bahn verlangte jedem Spieler einiges an Präzision ab und war alles andere als einfach. Doch sie hatte es geschafft. Wie so oft, murmelte ihr Unterbewusstsein. Ja, ihr Abschlag war gut gewesen – trotz der absurden Umstände. Aber sie fühlte sich nur mies in dieser Aufmachung. Zudem spürte sie die Blicke auf ihren nackten Beinen und sorgte sich überdies um den Bertl, auch wenn man ihr vorher versichert hatte, dass sie ihn nicht ernsthaft verletzen konnte. Am liebsten würde sie kurz unterbrechen und sich vergewissern, dass es ihm gut ging – aber sie musste tun, was man von ihr erwartete, und nicht das, was sie wollte. Sie senkte den Kopf und betete sich vor, dass sie es machte, weil sie einen Batzen Geld dafür bekam. Und jeden einzelnen Euro davon brauchte sie dringend – für den Apfelhof.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie los. Sie wusste ohnehin, dass ihr alle folgten wie die Gläubigen dem Pfarrer bei der Palmsonntagsprozession. Innerlich stöhnte sie bei dem Gedanken, dass es genau das war, worauf ihre Freundinnen neidisch waren. Sie hingegen würde im Moment fast alles geben, wenn sie mit der Traudl und der Gitti tauschen könnte.
»Dort!« Der Caddie, ein langer Lulatsch mit riesigen Füßen, der vierzigtausend Follower auf Instagram und YouTube hatte – weshalb, hatte sie nicht begriffen –, streckte seinen Arm aus und deutete auf den Ball, den sie schon längst gesehen hatte. Er war so perfekt gefallen, als ob sie ihn persönlich dorthin getragen und abgelegt hätte. Sie beschleunigte ihre Schritte.
In den gut zwanzig Jahren seit dem Bestehen des Clubs hatte sie die neun Golfbahnen so oft gespielt, dass sie irgendwann mit dem Zählen aufgehört hatte. Früher war sie in jeder freien Minute hier gewesen, aber seitdem die Probleme immer mehr wurden, spielte sie viel seltener. Doch vergessen hatte sie nichts. Damals, mit dreizehn, hatte sie die Lektionen mit dem englischen Golftrainer verinnerlicht und hielt sich bis heute an alles, was er ihr beigebracht hatte. Der zweite Schlag auf dieser Bahn war nicht einfacher als der erste – und sie war unter Druck. Liesi spürte, wie das unangenehme Gefühl wieder von ihr Besitz nahm. Hinter sich hörte sie zwar keine Stimmen, aber das leise Summen der Elektromotoren der Golfcarts. Die Präsenz der Menschen, die ihr folgten und immer näher kamen, war erdrückend.
Sie warf einen Blick zum Himmel über dem Grün, wo ein paar harmlose Schönwetterwolken Richtung Bozen davonzogen. Rechts, etliche hundert Meter weiter oben, prangte die trutzige Burgruine – und vor ihr lag, etwas erhöht, das verheißungsvolle Stück Rasen mit der Fahne, die das Loch markierte.
Das Wetter war perfekt, und wenn alles glattging, konnte sie die Bahn vielleicht wirklich in den idealen vier Schlägen spielen. Sie straffte die Schultern. Um diesen Quatsch so rasch wie möglich zu beenden, musste sie riskieren.
Sie schaute zum Caddie, der mit der Hand bereits einen Schläger aus ihrem Golfbag zog. »Nein, geben Sie mir das 7er-Eisen.«
»Aber ...«
Sie nahm die Sonnenbrille ab und warf dem Kerl, der sie einen guten Kopf überragte, einen eiskalten Blick zu. Das hätte sie auch getan, wenn es nicht im Drehbuch vorgesehen wäre. Der Typ ging ihr schrecklich auf die Nerven. Sie fixierte ihn also, während sie die Brille zusammenklappte und mit einem Bügel in den tiefen Ausschnitt hängte.
Im Normalfall beriet sich ein Caddie mit dem Spieler und gab ihm Tipps – aber zum Glück war das in diesem Fall nicht vorgesehen. Dieser angebliche Caddie wirkte mit seiner schlaksigen Figur, den schmalen Schultern und dem Schlafzimmerblick wie einer, der nicht die geringste Ahnung vom Golfen hatte. Und das entsprach ja den Tatsachen. Liesi schob den Schirm ihres Käppis ein wenig nach oben und streckte wortlos den Arm aus.
Sobald sie das Eisen in der Hand hielt, ging alles blitzschnell.
Sie blickte auf den Ball, grätschte leicht die Beine, korrigierte ein wenig ihren linken Fuß und holte aus. Kraftvoll schwang der Schläger zurück – diesmal ohne von einem Hindernis gebremst zu werden. Der Schlägerkopf sauste auf den Ball zu und traf ihn. Liesi verhielt in der typischen Nach-dem-Abschlag-Position, in der Golfer und Schläger in Symbiose waren und alles rundum vergaßen. Das Einzige, was in diesem Moment zählte, war der Ball. Sie beobachtete, wie das kleine, weiße Geschoss auf das Grün zuflog und darauf landete. Wo genau, sah sie erst, als sie mit weit ausholenden Schritten über den Fairway laufend endlich auf der erhöhten Fläche ankam.
Hinter sich hörte sie das Summen der Carts, die die leichte Steigung nach oben kamen. Sie vernahm ein Keuchen, wahrscheinlich kam es von dem Dicken, der heute Morgen bereits im Ruhezustand geschwitzt hatte. Der Caddie war ihr zwar mit seinen langen Beinen überlegen, aber trotzdem war sie diejenige, die noch vor ihm ein paar Schritte vor dem Ball zu stehen kam und zweimal blinzeln musste, um zu begreifen. Er lag nur einen knappen Meter vom Loch entfernt.
Diesmal musste sie nicht einmal aufschauen, sondern nur den Arm ausstrecken. Endlich wusste der improvisierte Caddie, was er zu tun hatte. Sie hatte ihm die Schläger ja auch vor dem Clubhaus eine halbe Stunde lang erklärt. Er reichte ihr den Putter.
Sie packte ihn, legte beide Hände um den Griff und stieß den Ball an. Sanft und doch kräftig genug, um ihm den richtig dosierten Schub zu geben.
Er rollte ins Loch – ein Schlag unter Par.
Der Jubel brach los.

Im Kindle-Shop: Wenn Apfelbäume sprechen könnten: Ein Südtirol-Roman.
Mehr über und von Lisa Torberg auf ihrer Website.

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