14. Juni 2021

'Pomeranzensommer (Die Windsbräute 3)' von Nora Gold

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Turbulent geht es weiter bei den Windsbräuten
… mit einer Geschichte über ein lange gehütetes Familiengeheimnis und über den Mut, sich seine Träume zu erfüllen.


In der Charlottenburger Schloßstraße spukt es. Eine junge Frau, gekleidet wie ein Dienstmädchen aus dem Jahr 1900, sorgt für Aufregung bei Nele und ihren Freundinnen. Was steckt hinter ihrem unheimlichen Erscheinen? Alte Briefe, die wie zufällig auftauchen, beleuchten das Leben von Johanna, die einst im Haus der Windsbräute in Stellung war. Die junge Frau ist in armen Verhältnissen auf dem Land aufgewachsen und sucht ihr Glück in der Großstadt. Schon bald muss sie erkennen, dass das Leben in Berlin ebenso hart ist wie in ihrem Heimatort, nur ganz anders. Eine schicksalhafte Fügung bringt ihre Begabung für die Malerei ans Licht, die von ihrer Herrschaft gefördert wird. Mit dem Schreinerlehrling Johann begegnet ihr die große Liebe. Doch diese steht unter keinem guten Stern. Als Johanna ungewollt schwanger wird, trifft sie eine schwerwiegende Entscheidung. Ein außergewöhnliches Frauenschicksal im wilhelminischen Zeitalter wird offenbar. Doch was verbindet Johanna mit den Menschen, die heute in diesem Haus leben?

Derweil erleben Daria, Jenny, Nele und die übrigen Windsbräute zwischenmenschliche Verwicklungen, die sie vor ungeahnte Herausforderungen stellen, während Mathilde auf Sylt eine überraschende Entdeckung macht. Und wieder einmal ist es Linde, die im Hintergrund mit gewohnt rauem Charme die Fäden zieht, damit ein über hundert Jahre gehütetes Geheimnis endlich gelüftet wird.

Anleser:
Charlottenburg 1899
Früher hieß ich Johanna. Als ich noch bei meiner Familie in Skotschau an der Weichsel lebte. Nur mein Vater hat mich immer Hannele genannt. Aber seit ich in Berlin bin, ist sogar mein Name anders. Das hat die Gnädige entschieden, nachdem sie mich im Stellenvermittlungsbüro in der Jägerstraße von oben bis unten gemustert, mit hochgezogenen Brauen mein Gesindebuch gelesen und mir anschließend viele Fragen gestellt hat. Bei welcher Herrschaft ich zuvor gewesen, ob ich gesund, ordentlich und sauber sei, einen Bräutigam habe, kochen, waschen und mit Parkett umgehen könne. Und ob ich nur ja nicht zum Tanzen gehe.
„Ich werde dich Cleo nennen“, hat sie schließlich bestimmt, nachdem alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet waren. „So hat das frühere Mädchen geheißen, dann brauche ich mir keinen neuen Namen zu merken.“
In diesem Punkt hatte die Gnädige recht. Es ist wirklich nicht einfach, sich an einen neuen Namen zu gewöhnen. Mit ‚Cleo' ist mir das in all der Zeit nicht gelungen, die ich in der Villa Finkenheim in Stellung war. Einmal habe ich die Sache angesprochen. Natürlich nicht bei der Gnädigen. Die hätte sich nur kurz von ihrem Buch abgewandt und ihre kostbar verzierte Lorgnette - wie man die Stielbrillen in ihren Kreisen nennt - heruntergenommen und mich so missbilligend angeschaut, dass mir sogleich jedes Wort im Halse stecken geblieben wäre.
Nein, es war bei Louise, der Tochter des Hauses. Baronesse von Finkenheim hat nämlich von Anfang an das Wort an mich gerichtet. Einfach so, ohne, dass ich ihr etwas holen oder sonst eine Arbeit für sie verrichten sollte. Meist saß sie dann an ihrem Sekretär im gelben Salon und zeichnete. Oder sie stand an der Staffelei im Wintergarten und malte, immer schon zu früher Morgenstunde. Mit dem farbgesprenkelten weiß-grauen Mantel und den unordentlich hochgesteckten blonden Haaren sah sie nicht aus wie ein Fräulein aus herrschaftlichem Hause. Doch in ihren schönen blauen Augen lag dann immer ein besonderer Glanz. Ich hätte ihr unentwegt zuschauen können, wie sie ländliche Idyllen auf die Leinwand bannte. Es war streng untersagt, die Räume zu putzen oder darin andere Hausarbeiten zu erledigen, wenn Mitglieder der Familie anwesend waren. Und so musste ich mir etwas einfallen lassen, um dennoch öfter mal hineinzugehen und das Entstehen eines Bildes zu verfolgen.
„Du musst nicht immerzu die Fenster öffnen oder schließen, Cleo, wenn du eigentlich meine Malerei betrachten willst“, sagte Louise von Finkenheim bei so einer Gelegenheit und ich wurde rot bis unter die Haarwurzeln.
„Komm her und sieh mir ein wenig bei der Arbeit zu!“
„Aber wenn die gnädige Frau mich erwischt“, gab ich zu bedenken.
„Meine Mutter steht niemals vor zehn Uhr auf. Du kannst also unbesorgt sein.“
Und schon begann sie mir zu erklären, wie sie die Farben auf der Palette mischte, sie gekonnt auf die Leinwand auftrug und so ihre zauberhaften Landschaften schuf.
„Das erinnert mich an zu Hause“, rutschte es mir dabei heraus.
Louise von Finkenheim unterbrach ihre Arbeit und blickte mich erstaunt an. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
„Erzähl mir von deinem Zuhause, Cleo!“
Ich erwiderte ihre Frage mit einem verdutzten Blick. Was wollte sie von mir hören? Dass meine Geschwister und ich uns ein Bett geteilt hatten und wir im Sommer barfuß in die kleine Schule meines Heimatortes gegangen waren?
„Beschreib mir, wie die Sonne die Wiesen bei euch beleuchtet, wenn sie abends untergeht. Oder wie es klingt, wenn der Wind über die Felder streicht.“
Augenblicklich entstanden Bilder in meinem Kopf und ich begann zu erzählen. Dass die Weichsel herrlich kühl war, wenn man an heißen Sommertagen darin badete, und der Wald je nach Tages- und Jahreszeit unterschiedlich roch. Nach diesem Gespräch war ich wie beflügelt, während Louise von Finkenheim nun immer öfter auch an den Nachmittagen malte. Sie zeigte wenig Interesse an den gesellschaftlichen Ereignissen, die für eine junge Dame ihrer Stellung so wichtig waren. Bälle und andere Zerstreuungen, die dazu dienten, eine standesgemäße Partie zu machen, schienen für sie nur eine lästige Pflicht zu sein. Doch ihre Mutter sorgte dafür, dass die Baronesse immer hinreißend aussah in ihren teuren und nach dem neuesten Chic geschneiderten Ballkleidern. Und es dauerte auch nicht lange, bis etliche Herren ihr die Aufwartung machten. Louise von Finkenheim absolvierte diese Besuche mit derselben steifen Höflichkeit, die sie gewiss auch auf den Abendgesellschaften zur Schau trug.
Leidenschaft drückte sie nur in der Malerei aus. Zu meiner Freude rief sie mich fast täglich in den frühen Morgenstunden zu sich und bat mich, ihr immer wieder von meinem Zuhause zu erzählen. Das war für mich die schönste Stunde des Tages und dafür stand ich gern um halb fünf Uhr morgens auf, um schon das Speise- und das Herrenzimmer geordnet, den Salon abgestaubt, den Korridor gesäubert und die Schuhe und Stiefel der Herrschaft geputzt zu haben, wenn die Baronesse nach mir rief. Damit es nachher keinen Ärger gäbe.
„Du bist jetzt meine Muse, Cleo“, sagte sie einmal. „Weißt du, was eine Muse ist?“

Blick ins Buch (Leseprobe)

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