'Theodor Althaus - Revolutionär in Deutschland' von Renate Hupfeld
Die Autorin nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise in drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Einfühlsam erzählt sie die Lebensgeschichte des Detmolder Theologen, Schriftstellers und Journalisten Theodor Althaus. Am Schicksal dieses talentierten jungen Mannes werden die Verwicklungen einer Zeit deutlich, in der demokratische Prinzipien bitter erkämpft und häufig mit dem Verlust von Freiheit, Heimat und Leben bezahlt werden mussten.
Geboren am 26. Oktober 1822 als ältester Sohn des lippischen Superintendenten und behütet aufgewachsen hat Theodor Althaus alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben. Doch im Strudel der revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 schlittert er in ein verhängnisvolles Dilemma. Zeitgleich mit dem Scheitern des ersten deutschen Parlaments in Frankfurt endet die Laufbahn dieses wortstarken Verfechters von Einheit, Freiheit und Demokratie im „Staatsgefängniß vor dem Cleverthor“ in Hannover. Er wird nicht einmal dreißig Jahre alt.
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Leseprobe:
Im Wintersemester 1842/43 war Theodor wieder in Bonn. Er belegte Veranstaltungen verschiedener Fakultäten, hörte Metaphysik und Philosophie bei Brandis, einem Schulfreund seines Vaters aus Holzminden, über den römischen Theaterdichter Plautus bei dem Philologen Ritschl, neuere Geschichte bei Löbell und griechische Kunst bei August Wilhelm Schlegel, dessen bizarre Auftritte gewollt oder ungewollt für große Erheiterung sorgten. Wer wollte es Theodor Althaus verdenken, wenn er das Bild des älteren Herrn im Abendanzug neben dem Katheder mit vom Diener im Livrée sorgfältig geputztem silbernen Leuchter vor einem nach Parfum duftenden Auditorium den Seinen zu Hause nicht vorenthielt?
Ebenfalls nicht vorenthalten wurde die erste Vorlesung von Friedrich Christoph Dahlmann, bekannt als einer der „Göttinger Sieben“, der sein Professorenamt verloren hatte, weil er sich zusammen mit sechs anderen Professoren der Göttinger Universität gegen die Obrigkeit aufgelehnt hatte. Er wollte nicht akzeptieren, dass König Ernst August nach seinem Amtsantritt im Jahre 1837 im Königreich Hannover mit einem Handstreich die bestehende Verfassung außer Kraft setzte. An der Universität Bonn durfte der Historiker Dahlmann ab 1. November 1842 lehren. Theodor ließ es sich nicht nehmen, gleich bei der ersten Veranstaltung dabei zu sein, dicht gedrängt stehend zwischen mehreren hundert Kommilitonen, ein Indiz dafür, dass die Jugend begierig auf politische Botschaften wie die von Dahlmann und seinen sechs Professorenkollegen wartete: Abkehr von selbstherrlich monarchischen, hin zu demokratischen Strukturen.
Freiheit und nationale Einheit waren die wichtigsten Ziele der jungen Menschen. Und einer der angesagtesten Verkünder der Definition von Freiheit, außerhalb des Lehrbetriebes, hatte auch bei Theodor Althaus den Nerv getroffen. Es war der fünfundzwanzigjährige Autor Georg Herwegh, in dessen 1841 erschienener Sammlung „Gedichte eines Lebendigen“ die personifizierte Freiheit vor den Marmorhallen flieht und sich in Hütten zu Gaste laden lässt.
Bei den Machthabern allerdings waren Herweghs Botschaften weniger beliebt. Nach einer Audienz bei König Friedrich Wilhelm VI. im Berliner Schloss wurde die Publikation der Gedichte in Preußen verboten und nach einem offenen Brief an den König wurde der Verfasser ausgewiesen. Zu den jüngsten Vorgängen um den Lyriker Herwegh und über das Verhalten desselben Monarchen, der zwei Jahre zuvor mit seinen ersten Amtshandlungen so große Hoffnungen geweckt hatte, schrieb Theodor seinem Vater am 21. Januar 1843:
„Die Politik des hohen Herrn scheint jetzt die zu sein, sich vorerst die allzu lästigen Schreier und Koryphäen auf dem literarischen Gebiet […] vom Halse zu schaffen. […] übrigens sieht man daraus, dass eine derbe Wahrheit doch noch sehr unverdaulich für die Herren der Erde ist und zumal eine, die nicht in schönen Versen, sondern in nackter Prosa auftritt.“
Angesichts dieser starren Haltung der Machthaber war es nicht verwunderlich, dass die Studenten sich zu denjenigen Lehrern hingezogen fühlten, die politisch in die gleiche Richtung dachten wie sie und ihren Unmut teilten. So war für den inzwischen zwanzigjährigen Studenten Althaus auch der junge Dozent Gottfried Kinkel wieder die wichtigste Anbindung an der Bonner Universität. Es entwickelte sich sogar eine befriedigende inhaltliche Zusammenarbeit. In seinen theologischen Studien suchte Althaus Stellen heraus, die für Kinkels Beschäftigung mit der Kirchengeschichte interessant waren. Somit waren Vorlesungen, Seminare und das wöchentliche Kränzchen für ihn nicht mehr die einzige Möglichkeit, diesem verehrten Manne nahe zu sein. Er wanderte so oft es ging, durch die Kastanienallee zum Poppelsdorfer Schloss, doch jetzt eher zum themenorientierten Austausch und zum Zweiergespräch.
Die abschlussbezogenen Veranstaltungen in der praktischen Theologie und Predigtlehre wurden von Professor Nitzsch vertreten. Vorbehalte wie zu Beginn des Studiums zwei Jahre zuvor, wurden weiterhin nach Detmold berichtet. Nitzsch habe zwar umfassendes Fachwissen, jedoch persönliche Defizite, da er sich scheue, seine Meinung frei und offen zu vertreten.
Im sogenannten homiletischen Seminar hatte der Student Althaus eine Predigt zu einem frei gewählten Thema zu halten. Er nahm sich eine Stelle aus dem ersten Korintherbrief vor, in der es um Freiheit und Knechtschaft ging. Nach einer Betrachtung der beiden Begriffe sowie Argumentationen zum Für und Wider spannte er den Bogen über den religiösen Aspekt, Freiheit sei nur „in Christo“ möglich, zum politischen und kam zu dem Schluss, das größte Übel sei die geistige Knechtschaft, wobei seine Definition von Freiheit durchaus der Herwegh’schen entsprach, nicht in Fürstenhäusern, sondern in Hütten solle sie angesiedelt sein. Für Inhalt und Aufbau der Arbeit mit dem Titel „Welche Gedanken sollen den Christen in seinem Streben nach Freiheit leiten?“ erntete er von Professor Nitzsch großes Lob, wo er durchaus Kritik wegen zu großer politischer Anteile erwartet hatte. Das war auch der Punkt, warum die nächste Predigt ihm noch mehr Kopfzerbrechen bereitete. Er merkte schon bei den Vorbereitungen, wie schwer es ihm fiel, seine politischen Neigungen herauszuhalten. In der Universitätskirche sollte sie gehalten werden, vor Seminaristen. Und mit einem von ihnen geriet er im Vorfeld während eines Kränzchenabends bei Nitzsch in Konflikt, als der Kommilitone die politischen Lyriker kritisierte, niemand ihm widersprach und der Professor sich distanzierte. Angepasstes Verhalten wertete Theodor als Schmeichelei, um sich beim Lehrer beliebt zu machen. Es musste wohl ziemlich hoch hergegangen sein, denn im Brief an seinen Vater einige Tage später, am 17. Februar 1843, waren die Emotionen noch deutlich herauszulesen:
„Neulich war ein eigenthümlicher Kränzchenabend bei Nitzsch. Sonst nämlich ist der Comment das: Ja, Herr Professor! Oder: ich glaube auch, Herr Professor! Nun aber steckt in mir einmal die Opposition gegen dergleichen Farblosigkeiten und die manifestirte sich etwas – übrigens nicht durch meine Schuld; sondern einem der frommen Musensöhne fiel es ein, auf die politischen Poeten zu schimpfen. Das konnte ich nun nicht vertragen und gerieth in eine üble Lage. Wo es sich nämlich um Dinge handelt wie Preßfreiheit, Volksvertretung u.s.w. pflege ich jetzt keine Gründe mehr anzuführen, was lange genug geschehen ist und Nichts geholfen hat, sondern gleich derb zu werden.“
Machte sich der junge Stürmer aus Detmold wohl klar, dass gerade die Professoren mit Konsequenzen rechnen mussten, wenn es in ihren Veranstaltungen zu politisch zuging und dass für ein Schicksal wie das des politischen Poeten Hoffmann von Fallersleben nicht jeder geboren war? Wusste er, dass Funktionsinhaber der Universitäten, Vereine und anderer gesellschaftlicher Bereiche heimlich durch das Überwachungssystem des Klemens Wenzel Fürst von Metternich bis in die Privatsphären hinein beobachtet wurden? Das Attribut „provisorisch“ der Karlsbader Beschlüsse hieß nämlich nicht, dass diese weniger wirksam waren, sondern im Gegenteil: Von sechsunddreißig Regierungen wurden sie je nach Bedarf willkürlich ausgelegt. Maßnahmen wie Einschränkungen der Meinungsfreiheit, Berufsverbote, Verbot der Burschenschaften, Pressezensur und entsprechende Strafen waren möglich und gesetzmäßig. Möglicherweise spielten diese Hintergründe eine Rolle, wenn Professor Nitzsch versuchte, den rebellischen Schüler Althaus in die Schranken zu weisen. Er wollte keinen Ärger mit seinem Dienstherrn.
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Labels: Biografie, History, Renate Hupfeld
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