9. Juli 2016

'Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel' von Esther Grünig-Schöni

Katie, eine junge Witwe, baut sich eine Existenz auf, ist frei und ungebunden, zwar in der Gemeinschaft aufgenommen und akzeptiert, doch oft auch einsam. Sie begegnet einem geheimnisvollen Fremden, der in ihr eine Gefühlspalette par Excellence erweckt. Er ist Herausforderung. Aber was ist sein Geheimnis? Sie erfährt es nach und nach.

Genauso ungestüm und geheimnisvoll wie die Landschaft ist das Leben der beiden. Daraus ergibt sich ein Prickeln, ähnlich dem Glitzern der Sonne in den Wasserflächen. Daraus ergeben sich Sturm und Sturzfluten. Rauheit und Lieblichkeit. Verschmelzung von Land, von Mensch und Tier, von Gefühl und Verstand.

Alles in dieser Geschichte ist Herausforderung und Spannung, in einer Landschaft, die mit den Handlungen immer mehr an Leben und Beschreibung gewinnt.

Gleich lesen:
Für Kindle: Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel: Ein Liebesroman in der Camargue

Leseprobe:
Sie hatte diesen geheimnisvollen Mann, von dem in den Höfen, Hotels und im Ort geredet wurde, nun schon einige Male gesehen. Er war nicht erfassbar. Ein Fremder in einer Gemeinschaft, die sich kannte oder ab und zu etwas vom andern wusste. Von ihm wussten sie nichts. Na gut, seit kurzem, dass er in einem Haus nicht weit vom Strand entfernt lebte. Es war ein einsam gelegenes Haus hinter den Dünen. Manchmal stieß jemand zufällig darauf. Es stand an einem Strandstück, wo sich nicht die Massen wälzten. Die Angestellten der Salinen hatten Zugang. Wanderer oder Strandläufer, die von Distanzen nicht abgeschreckt wurden, fanden hin.
Es war nicht weit von der Stelle, wo die Rhône Vif ins Meer fand. Das war einer der einst zahlreichen Arme des Flusses. Nur wenige davon waren heute noch vorhanden. Veränderungen durch die Zeiten, entweder durch die Natur selbst herbei geführt oder durch Eingriffe der Menschen. Nicht alle Veränderungen waren schlecht, aber hier konnten sie manchmal fatale Folgen haben. Das hatte sich in der Geschichte der Camargue schon einige Male erwiesen.
"Ein Baguette bitte und … hmm … drei Croissants. Ja, die sind gut, nicht zu hell, nicht zu sehr gebacken. Oh, geben Sie mir bitte noch zwei Pain au Chocolat Maryse. Danke."
"So gut?"
"Die sind richtig. Gut sind Sie immer bei ihnen. Ich habe es noch nie anders erlebt. Danke."
Der Laden wirkte hell und durch die Menschen, die bedienten, auch freundlich. Sie kam gerne hierher. Die Auslagen waren ansprechend angeordnet. Da lagen Croissants neben anderen Köstlichkeiten, da lagen Flûtes und Baguettes. Farbenpracht und gute Gerüche kamen ihr entgegen, wenn sie eintrat. Sie bekam Lust einiges davon auszuprobieren. Das Lächeln der Frau hinter dem Ladentisch gab sie gerne zurück, selbst heute.
"Das freut mich zu hören."
Einige der Dorfbewohner standen zusammen und sprachen die neusten Geschichten durch. Da war Sévérine mit ihrem eher verbissen wirkenden Gesicht, die aber eine angenehme Frau war. Bei ihr täuschte das Äußere. Dabei war Chantal, die immer viel zu berichten wusste, mit ihrem runden Mondgesicht und der allgemein runden Gemütlichkeit. Oder Claudine mit ihren sehr hellen Augen. Die fielen jedes Mal neu auf in ihrem gebräunten Gesicht. Muriel mit ihren verarbeiteten und vernarbten Händen. Über Muriel wusste sie nicht viel. Sie war die stille Zuhörerin in der Runde.
Sie trat mit ihren Schätzen aus dem Laden. Irgendwie genoss sie den Tag, obschon er mit schlechter Laune begonnen hatte. Der Ort wurde wach und war schön an so einem Morgen. Manch einer rief dem anderen die neusten Nachrichten zu. Die Stimmung war speziell. Neben einer Haustüre, an der sie vorbei kam, saß wie immer Monique und lächelte ihr freundlich zu. Sie unterhielt sich mit ihr über das Wetter und das Dorf. Wie alt Monique war wusste sie nicht. Sie musste schon sehr alt sein. Aber sie hatte sie nie übel gelaunt erlebt.
Katie liebte die Morgenstunden. Sie waren manchmal so frisch und klar, selbst wenn es später heiß und diesig werden konnte. Es war so, als sähe sie alles viel deutlicher, als nähme sie die Gerüche und Geräusche bewusster wahr. Ihr fielen in diesen Stunden Kleinigkeiten auf, die sonst in der Tagesarbeit unter gingen. Wie ein schwarz-weiß-grau gemaserter Stein am Wegrand, eine unscheinbare bläuliche Blume, ein verschnörkelter Ast an einem Baum, ein Duft aus einem Laden. Der Jasmin oder die Magnolie aus dem Garten oder das leise Rauschen des Windes in den Büschen. Es war sinnlich und tat gut. Es war ihre Heimat geworden. Sie war froh, hier zu sein und diese kleinen Dinge sehen und erleben zu können. Der Stuhl mit den alten geschnitzten Mustern, der vor der Türe stand, die Vorhänge, die aus einem Fenster wehten und lustig im Wind flatterten. Klänge des Lokalsenders, das Lachen eines Kindes. Es war schön, die Umgebung erwachen zu sehen und noch einige Zeit Ruhe für sich zu haben, bevor die Aufgaben sie erreichten. Manche Aufgaben waren außerdem in der Ruhe des Morgens besser lösbar.
Sie selbst hatte mit ihrem Anwesen Zugang zum Parkplatz neben diesem Flussarm erhalten und ihre wenigen Gäste durften die ruhigen Strände mit benutzen. Cathérine hatte eine alte kleine Mas erworben und sich eine genauso kleine Pferdemanade aufgebaut. Sie schmunzelte ob ihrer Gedankengänge. Aber es traf zu. Sie legte Baguette und Viennoiseries neben sich auf den Sitz des roten Jeeps und fuhr los. Sie lachte beim Gedanken an die Strandepisode vom frühen Morgen.
Vielleicht begann sie eines Tages mit Stieren, aber darüber wusste sie zu wenig. Eine Manade war ihr Traum gewesen. Sie ließ sich mit allem Zeit, lernte dazu. Die Zeit, die notwendig war, um es richtig zu machen. In der Saison bot sie nicht weit vom Espiguette-Strand Reitausflüge an. Dort hatten sie Unterstände gebaut, eine weite Koppel hergerichtet, eine Cabane mit Büro und Empfang sowie einer Buvette für die Kunden aufgebaut. Ihr Zuhause war die erwähnte kleine Mas geworden, gut bewohnbar und ausbaufähig.
Katie joggte morgens früh den Strand entlang. Das hatte sie heute vor ihrer Fahrt zum Bäcker getan.
Noch war der Strand leer. Es war ein frischer Morgen. Sie mochte den Strand, mochte den Anblick des Meeres - nicht unbedingt, um dazuliegen und sich bräunen zu lassen, das kam selten vor – diesen Anblick, den genoss sie. Diesen Blick in die geheimnisvollen Weiten, die Vorstellung der Tiefen, der Kräfte, der Welten, von denen man einiges wusste, aber noch lange nicht alles. Die Sicht war so klar wie sauber gewaschen. Der Nordwind wehte in sanften Böen. Das konnte er durchaus. Er musste nicht nur heftig sein, konnte schmeicheln und trösten. Er ließ hie und da kleine Sandverwehungen – Bewegungen – entstehen. Kleine widerspenstige Wirbel fegten über die Dünen. Und manchmal warfen sie ihr Sand ins Gesicht. Die Gräser duckten sich. Kleine Krabbeltiere huschten über den Sand und verschwanden in Löchern. Vögel pickten nach ihnen. Spuren von ihnen allen blieben zurück.
Der Mann kam ihr entgegen. Er schritt, er rannte nicht. Wie schon einige Male grüßte sie ihn laut und deutlich und wie jedes Mal kam nichts von ihm. Kein Ton, keinerlei Reaktion, so als wäre da nur der Wind und keine Begegnung, keine anderen Lebewesen. Unmöglich. An diesem Morgen, nach dem gestrigen Tag voller Ärger, nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf und schlechten Träumen, mit entsprechender Laune, drehte sie sich um. Sein stumm an ihr Vorbeigehen wie an einem angeschwemmten Holzstück, ärgerte sie. Sie lief an Ort weiter und rief ihm nach: "Ist ein kleiner Gruß so schwer? Nur ein klitzekleiner? Ein Wort? Ein Brummen wenigstens? Oder haben Sie ihre Zunge beim Laufen verschluckt? Sie sind der arroganteste Mensch, der mir je begegnet ist!"
So! Dem hatte sie es gegeben. Wenigstens das, wenn schon sonst zurzeit nichts gelingen wollte. Das war natürlich Unsinn. Sie vergaß in ihrem Ärger, dass es nur ein solcher Tag inmitten vieler anderer gewesen war. So ungerecht konnte man sein. Sonst lief nämlich alles wie es sollte. Es gab keinen Grund Klagelieder anzustimmen.
Der Kerl trug immer eine Sonnenbrille. Egal ob der Tag hell oder grau war, ob es überhaupt Tag war, ob er sich draußen oder in einem Gebäude aufhielt. Sie hatte ihn schon in all diesen Situationen damit angetroffen und konnte das behaupten. Katie atmete tief ein und wieder aus, drehte sich in ihre Richtung zurück, in einem kleinen neckischen Kreis und lief weiter, lachte vor sich hin. Es hatte ihr gut getan. Sie hatte ihrem Ärger Luft gemacht und es war ihr egal, was er von ihr dachte. Wenn er überhaupt etwas dachte. Der Ärger war verschwunden, die Laune war besser und sie konnte den heutigen Tag angehen.
Gedanken stiegen in ihr hoch. Erinnerungen. Vermutungen. Fragen. Hatte sie immer mit solchen Männern zu tun? Schon einmal, in einem besonderen Sommer, war ihr so einer begegnet. Er war zwar kleiner gewesen, als dieser hier, aber anfangs war es mit ihm genauso schwierig gewesen. Er hatte etwas an sich, dass sie gleichermaßen faszinierte und ärgerte. Und genau das war schon einmal mit jemandem so gewesen.
Sie erinnerte sich an den Sommer voller Wunder.
Es war eine Weile her und doch nicht zu lange. Viel war geschehen. Sie hatte sich verändert und doch war sie immer noch Katie. Tja, sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass der Geheimnisvolle etwas von sich gab. Wirklich mit Roby vergleichbar war er nicht. Wie kam sie überhaupt darauf? Irgendwie war es, nach dem, was sie bisher erlebt hatte, nahe liegend. Und warum begegnete sie dem Mann immer wieder?

Im Kindle-Shop: Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel: Ein Liebesroman in der Camargue

Mehr über und von Esther Grünig-Schöni auf ihrer Website.

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