9. Dezember 2022

Das Buch-Sonar ist umgezogen

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5. April 2022

'Tod eines Bankers: Kellers 1. Fall' von Hermann Markau

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Website Hermann Markau
Zufällig treffen sich Kriminalhauptmeister Lars Keller und die Speditionsangestellte Bettina Jäger im Zug von Niebüll nach Westerland. Als sie sich am Fundort einer Leiche erneut treffen, geht keiner von den beiden mehr von Zufall aus.

Es beginnt eine gemeinsame Ermittlungsarbeit zwischen dem zwar unerfahrenen aber cleveren Polizisten und der hilfsbereiten, aber leicht chaotischen Sylterin, in deren Folge am Ende der gesuchte Mörder dingfest gemacht wird.

Band 1 der Lars-Keller-Reihe.

Anleser:
Er nahm das Gespräch an. »Keller.«
»Feddersen, Polizeidirektion Flensburg. Sprech´ ich mit Kriminalhauptmeister Keller?«
»Ja.« Ihm schwante nichts Gutes.
»Tut mir leid, Keller. Wir brauchen Sie.«
»Stopp! Stopp! Das geht nicht. Ich hab Wochenende.«
»Klar. Aber wir haben einen Toten. Sie müssen.«
»Ich versteh nicht. Wo liegt das Problem?«
»Der Tote ist auf Sylt. Sie wissen: Die Dienststelle ist stark unterbesetzt. Die ziehen doch gerade um wegen der baufälligen Räume. Und dazu liegt noch die Hälfte der Belegschaft flach. Also … wir brauchen Sie.«
Erst einmal Schweigen auf beiden Seiten.
»Sind Sie noch dran, Keller?«
Keller war noch dran: »Da sind doch acht Kollegen, soviel ich weiß. Oder?«, warf er ein.
»Wie gesagt, lieber Keller ... «
»Ja. Aber ich hab noch nie ... «
»Weiß ich doch, weiß ich doch. Das ist´n Selbstmord. Wirklich nichts Schlimmes. Aber da sind einige Ungereimtheiten. Sie sollen nur kurz rüber und sehen, was da los ist. Und bevor wir hier aus Flensburg … sie wissen schon.«
Aha!, dachte er. Die finden auch für alles einen Doofen.
Nach längerem Zögern dann aber: »Okay. Ich fahr gleich los. Irgendwelche Infos?«
»Gut. Das wär´ also geklärt. Infos? Ja: Zwei von der Schutzpolizei haben die Lage im Griff. Den Toten finden Sie in der Franziskuskirche. Sie wissen, wo die ist?«
»Weiß ich.«
»Also! Gutes Gelingen!«
Keller legte das Handy aus der Hand und fluchte laut.
»Ist was?«, kam die Frage aus dem Badezimmer.

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2. April 2022

'Lynnwood Falls - Sommer der Liebe' von Helen Paris

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website | Autorenseite
Wo die Liebe auf dich wartet ...

Hope ist erfolgreiche Tierärztin in New York und führt ein schönes Leben mit ihrem Freund Colin. Bis ein familiärer Notfall sie dazu zwingt, in ihre Heimatstadt zurückzukehren: Lynnwood Falls. Hope will vorübergehend in der Tierarztpraxis ihrer Eltern aushelfen, in der auch Ryan arbeitet - ihre erste große Liebe. Doch die Beziehung ist vor Jahren im Streit auseinandergebrochen. Viele Dinge stehen zwischen ihnen, weshalb sie immer wieder aneinandergeraten. Hope will so schnell wie möglich wieder zurück nach New York. Gleichzeitig fühlt sie sich in der beschaulichen Kleinstadt seit langem erstmals wieder geborgen. Und dann bringt ausgerechnet Ryan ihre Vorsätze zum Schmelzen ...

Der erste Band der romantischen Reihe rund um die kleine Stadt Lynnwood Falls in Maine, in der verlorene Herzen ein Zuhause finden.
eBooks von beHEARTBEAT (Bastei-Lübbe).


Anleser:
Hopes Blick fiel auf den dritten leeren Stuhl, über dem eine Lederjacke hing, die ihr vage bekannt vorkam. Plötzlich erinnerte ihr trockener Mund sie daran, dass sie heute noch kaum etwas getrunken hatte. War das …?
In dem Moment klopfte es an der Tür, und sie öffnete sich.
Da stand er. Höchstpersönlich. Ryan.
Für diese Jahreszeit war er ungewöhnlich braun gebrannt; vermutlich verbrachte er viel Zeit im Freien. Der Dreitagebart, den er früher nicht getragen hatte, stand ihm ausgezeichnet und machte ihn männlicher, als sie ihn in Erinnerung hatte.
Mit einem Blick nahm sie seine schlanke Gestalt in sich auf. Die verwaschene Jeans saß eng auf seinen Hüften, die Füße steckten in Boots, und das khakifarbene T-Shirt spannte über seinen Schultern, die auch breiter als früher zu sein schienen. Seine Größe wirkte fast einschüchternd, doch sicherlich lag es nicht daran, dass er gewachsen war. Colin war nur ein Stück größer als sie, während Ryan sie um beinahe einen Kopf überragte.
Ihr Pulsschlag hämmerte ihr so laut in den Ohren, dass sie meinte, jeder im Raum müsse ihn hören. Er übertönte auch das Piepen der medizinischen Gerätschaften ihres Vaters.
Ihre Glieder schienen sich in Beton verwandelt zu haben, und sie starrte Ryan einfach nur an, unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen.
Auch er war wie in der Bewegung eingefroren und musterte sie stumm. Den Blick aus seinen braunen Augen konnte sie nicht deuten. Lag etwa Wehmut in seinem verhaltenen Lächeln?
Ihre Trennung war nach vier Jahren Fernbeziehung, in denen sie sich nur in den Semesterferien gesehen hatten, aus der Distanz erfolgt. Es war das erste Mal, dass Hope ihm seitdem gegenüberstand. Die vergangenen sechs Jahre hatten seinem guten Aussehen nicht geschadet, im Gegenteil. Das Männliche stand ihm hervorragend. Hätte er nicht einfach dick und glatzköpfig werden können?
„Hallo, Hope“, sagte er schließlich heiser, ohne Anstalten zu machen, ihr die Hand zu reichen. „Wie geht es dir?“
Sie räusperte sich. „Hi. Es war ein Schock, das mit Pops.“
Er nickte bekümmert. Falten gruben sich in seine Wangen. Es schien auch ihn mitgenommen zu haben.
„Und, was ist passiert, Ryan?“, mischte sich ihre Mutter ein. „Wer hat angerufen?“
Er schüttelte sich, als müsste er sich in die Gegenwart zurückbringen. „Mrs Bloombergs Hund ist unglücklich in ein Loch getreten und hat sich vermutlich das Bein gebrochen. Ich sollte gleich los.“
„Kommst du allein klar?“
„Das schaffe ich schon.“ Er legte kurz die Hand auf den Arm ihres Vaters, murmelte etwas und schnappte sich die Lederjacke vom Stuhl. Kurz meinte Hope, seinen Duft nach Kiefern und Sandelholz wahrzunehmen, doch vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet.
Das Leder der Jacke knirschte, als ihre Mutter ihn umarmte. „Richte Mrs Bloomberg liebe Grüße aus und alles Gute. Danke, dass du für uns da bist.“
Sanft tätschelte er ihren Rücken. „Da gibt es nichts zu danken, das ist selbstverständlich. Ich wäre gern geblieben und hätte die Ergebnisse gehört. Ich schaue, ob ich draußen noch einen Arzt erwische. Sag mir bitte gleich Bescheid, wenn ihr etwas Neues von Glenn wisst.“ Er umarmte auch Francy und nickte Hope zu. „Dann mach’s gut! Ich wünsche dir alles Gute!“ Mit der Andeutung eines Lächelns war er zur Tür hinaus.
Hope ließ sich auf den frei gewordenen Stuhl sinken, meinte, noch Ryans Körperwärme darauf zu spüren, und ergriff die Hand ihres Vaters, ohne die Kanüle zu berühren. Seine Finger waren kalt. Sie redete sich ein, dass das seltsame Gefühl in ihrem Bauch allein daher rührte, dass sie sich um ihren Vater sorgte.

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8. März 2022

'Die Botin des Königs' von Sabine Buxbaum

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website | Autorenseite
England, 16. Jahrhundert. Nach der Hochzeit begreift Jane, dass ihr liebloser Ehemann ihr Familienerbe in Besitz bringen möchte, und er ist bereit, jeden aus dem Weg zu räumen, der ihn daran hindern könnte. Als Jane die Gefahr erkennt, flieht sie mit ihrem kranken Bruder Michael und taucht in London unter, doch bald wird das Geld knapp. Als Jane erfährt, dass die Eliteschule Gravenhorst Boten für den König ausbildet, wittert sie die Chance, ihr Leben zu verbessern. Als Mann verkleidet nimmt sie am Unterricht teil und lässt sich auf ein gefährliches Doppelspiel ein. Sie gewinnt neue Freunde und verliebt sich heimlich in ihren Ausbilder. Doch bald gerät die Situation außer Kontrolle.

Anleser:
Jane ritt durch die Dunkelheit des Waldes. Unheimliche Schatten, die das Mondlicht warf, täuschten Gestalten vor, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Die Äste der Bäume brachen an ihrem Körper und bohrten sich in ihr Fleisch. Sie rissen ihre Ärmel in Fetzen und zerkratzten ihre Haut. Jane war erschöpft, genauso wie ihr Pferd. Es atmete schwer und strauchelte bei jeder Unebenheit.
Sie hielt kurz inne, um sich umzudrehen. Sie sah keine Lichter, kein Feuer einer Fackel. Würde sie es schaffen? War ihre Flucht unbemerkt geblieben? Vielleicht war sie eher da …

Kapitel 1 – England, Kent, September 1535
James saß auf der Veranda seines Farmhauses und beobachtete die Wolken, die über sein Land zogen. Bald würde es wieder Regen geben, wie schon zu oft dieses Jahr. Seine Schafe standen aufgrund der aufgeweichten Felder ohnehin viel zu tief im Schlamm. Das Wollgeschäft florierte, aber es forderte harte Arbeit. James betrachtete die Schwielen an seinen Händen, die sich in den letzten Jahren deutlich vermehrt hatten. Er schweifte mit den Gedanken zu seinen Kindern ab, die er nach dem frühen Tod seiner Frau zusammen mit seiner Mutter aufgezogen hatte. James seufzte. Die Zeit war an ihm vorbeigezogen und seine Kinder waren schneller erwachsen geworden, als ihm lieb war. Er sorgte sich um ihre Zukunft. Sein Sohn Michael sollte später die Schaffarm übernehmen, aber würde er es auch schaffen, sie zu bewirtschaften? Die Ärzte hatten ihm einen frühen Tod prognostiziert, nachdem er unmittelbar nach der Geburt hohes Fieber bekam. Michael überlebte im Gegensatz zu seiner Mutter die Erkrankung, aber sein Herz blieb geschwächt. James hatte schon oft miterleben müssen, wie Michael vor Erschöpfung zusammenbrach und um Luft rang. Er würde wahrscheinlich nie Familie haben und den Bestand der Farm sichern. So beruhte James‘ Hoffnung auf seiner Tochter Jane, die gerade zweiundzwanzig Jahre alt geworden war. Es war Zeit, sie vorteilhaft zu verheiraten. Gut, dass er schon jemanden für sie im Auge hatte.

Jane begleitete ihren Vater manchmal nach London. Während er die Fabriken mit seiner Wolle belieferte, konnte sie an den Märkten entlang der Themse Einkäufe erledigen. Es herrschte stets ein buntes Treiben und man lernte neue Leute kennen. Außerdem erfuhr man den neuesten Tratsch, was das Königshaus anbelangte. König Heinrich VIII. hatte die Sympathie der breiten Masse, als er König wurde. Doch sein Lebenswandel in den letzten Jahren führte zunehmend zu Unmut in der Bevölkerung. Das Jahr brachte den Menschen nicht die erwartete Ernte und es geschah, dass ein Teil der Bevölkerung an Hunger litt. Dazu wurde das Land noch von Krankheiten wie dem Schweißfieber heimgesucht. Seltsamerweise schien die fieberhafte und teilweise tödliche Erkrankung vor allem in den höheren Kreisen zu wüten.
Abergläubisch, wie die Leute zu jener Zeit waren, suchten sie einen Grund für diese Tragödien und sie fanden ihn. Sie machten die neue Frau des Königs dafür verantwortlich. Ihr Name war Anne Boleyn. Ihretwegen hatte sich der König von seiner ersten Frau Katharina von Aragon scheiden laden. Diese Scheidung war zwar vom Papst abgelehnt worden, doch der König hatte sich einfach selbst zum Oberhaupt der Kirche erklärt. Damit war er niemandem mehr unterstellt. Anne Boleyn wurde von der Bevölkerung nicht akzeptiert, und langsam schien auch der König immer weniger Wohlwollen für seine Frau aufzubringen. Auch sie schaffte es nicht, ihm den begehrten Thronerben zu gebären. Der König hatte bereits eine Tochter aus erster Ehe, und Anne schenkte ihm noch eine weitere. Der König machte die Frauen dafür verantwortlich, dass er keinen männlichen Nachfolger bekam. Er hatte es schließlich geschafft, einen unehelichen Sohn zu zeugen.
Jane fand die Geschichten rund um den König spannend.
Für sie war London immer eine willkommene Abwechslung und sie begleitete ihren Vater gerne. Nur in den Sommermonaten mochte sie die Stadt nicht. Aus der offenen Kanalisation drang der Gestank des Unrats der Leute und die Luft war stickig.
Jane war nervös, als sie erfuhr, dass ihr Vater sie den Stanfords vorstellen wollte. Sie ahnte schon, was ihr Vater im Sinn hatte. Es war an der Zeit, einen eigenen Hausstand zu gründen. Jane wollte das auch, aber irgendwie ging ihr das nun doch zu schnell. Sie liebte die Farm, die Tiere und vor allem ihren Bruder Michael. Das alles eines Tages verlassen zu müssen, machte sie traurig. Von Richard Stanford wusste sie nicht viel, nur dass er wohlhabend war. Aber sie wollte gar kein Leben im Reichtum.
An jenem Tag zog sich Jane auf Anordnung ihres Vaters ein Sonntagsgewand an. Ihr Vater spannte gleich zwei Pferde ein, um schneller nach London zu kommen. Die Fahrt über die holprigen und ausgewaschenen Wege war wenig entspannend. Jane machte sich viele Gedanken über ein mögliches zukünftiges Leben in London.
Endlich kamen sie vor dem ausladenden Fabrikgebäude der Stanfords an. Das Wetter meinte es gut mit ihnen. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne spendete eine wohlwollende Wärme. Angespannt betrat Jane mit ihrem Vater das Gebäude. Der Pförtner führte sie in das Büro von Richard Stanford, der sich gleich lächelnd erhob, als die Gäste eintraten. Jane musterte Richard Stanford, der einen sehr gepflegten Eindruck machte. Er trug edle Stoffe an seinem Körper, die wohl aus seiner Fabrik stammten. Sein dunkles Haar trug er kurz geschnitten und zurückgekämmt. Ein schmaler Schnurrbart säumte seine Lippen. Er gefiel Jane. Ihr entging nicht, dass er sie musterte. Sie blickte verlegen zu Boden.
„James, schön Euch wiederzusehen. Ich hoffe, Ihr habt mir eine gute Ware mitgebracht“, begrüßte der junge Mann Janes Vater. Dann streckte er seinen Arm nach Janes Hand aus und gab ihr einen Handkuss. Diese Geste ließ Jane erröten.
Sie hoffte, dass sie elegant genug gekleidet war. In London staffierten sich die Leute der hohen Gesellschaft weit besser aus als in der ländlichen Gegend von Kent. Jane hatte sich das Haar von ihrer Großmutter hochstecken lassen, aber es war recht widerspenstig und einige Strähnen waren ihr mittlerweile ins Gesicht gefallen. Jane war sich ihrer Weiblichkeit nicht bewusst. Auf der Farm wurde sie wie ein Junge behandelt. Ihre Großmutter erzählte ihr zwar einiges über die Weiblichkeit, aber nicht alles, was sie wissen wollte.
Richard Stanford lächelte sie an. Sein Blick verriet, dass ihm gefiel, was er sah. Er wechselte jedoch nur wenige Worte mit ihr. Er fragte sie, wie es ihr in London gefiele und schätzte es, dass sie sich für den Stoffhandel interessierte. Nachdem ihr Vater seine Geschäfte mit ihm abgewickelt hatte, verließen sie die Fabrik.
„Was hältst du von ihm?“, fragte James seine Tochter, bevor sie in die Kutsche stiegen.
Jane zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht“, meinte sie ehrlich. „Ich kenne ihn kaum.“
„Du bist jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Viele Frauen in deinem Alter sind schon verheiratet. Du musst auch langsam daran denken, deinen eigenen Hausstand zu gründen. Es ist auch deine Aufgabe, den Fortbestand unserer Familie zu sichern. Stanford wäre eine gute Partie“, meinte ihr Vater.
Jane nickte. Sie hatte aber ihre Zweifel, ob sie in die feine Gesellschaft von London passen würde. Auch wenn ihr Richard Stanford gefiel, vermisste sie dennoch das Gefühl, dass er der Richtige sei.
Nach einer kurzen Fahrt hielt die Kutsche an.

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20. Dezember 2021

'Schicksalspfad des Tempelritters 2 - Adelsintrigen' von Olivièr Declear

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Buchreihe | Autorenseite
Anno Domini 1235 in Köln: Die Ländereien der verzweifelten Gräfin Ida von Zudendorp werden seit langem von schwarzgekleideten Reitern angegriffen. Sie und ihre Gefolgschaft ringen bereits mit dem Tode. In ihrer Not stehen nur noch der kampferfahrene Ritter Richard von Portus und der Orden der Tempelritter an ihrer Seite. Wer will der Gräfin schaden? Und warum?

Inmitten einer Welt voller Intrigen, adeliger Machtspiele und unzähliger Gefahren wollen die beiden die Wahrheit ergründen. Eine Reise beginnt, die sie unter größten Strapazen und unter Einsatz ihrer Leben sogar bis in das weitentfernte Rom führt.

Begeben Sie sich gemeinsam mit Ida und Richard auf ein Abenteuer und erleben Sie mit ihnen das Mittelalter in all seinen Facetten.

Anleser:
Fluch
Richard hörte das Peitschen der Zweige, spürte die Schläge durch das Polster seiner Rüstung. Der Weg vor ihm, ein wankendes Bild im ständigen Auf und Ab des wilden Ritts. Der dunkle Pfad des Waldweges nur schwach vom durchscheinenden Mondlicht erhellt. Die Last des ohnmächtigen Körpers vor ihm über dem Widerrist schien die vertraute Einheit zu seinem Tier genommen zu haben. Richard hielt sich kaum im Sattel, wenn sein Pferd über Hindernisse sprang, die er nicht im schwachen Licht erahnt hatte. Durch die dicke Polsterhaube unter seiner Kette vernahm er nur wenige Geräusche seiner Umgebung. Das Reiben und Schlagen der Kettenglieder übertönte beinahe die kräftigen Hufschläge seines Tieres. Bei dem hastigen Versuch, einem tiefhängenden Ast auszuweichen, spürte er, wie der vor ihm liegende Körper vom Pferd zu gleiten drohte. Mit einem raschen Griff erfasste er ihn und hielt ihn an seinem Platz. Es war mehr das Gefühl in seinem Bauch, das Trommelschlägen glich, weniger sein Gehör, das ihn spüren ließ, dass die Verfolger immer näher kamen. Wie feiner Sprühregen flog ihm der Speichel seines erschöpften Pferdes entgegen.
Richard trieb sein Tier, das an die Grenzen seiner Kraft gekommen war, immer aufs Neue an. Die wilde Jagd durfte nicht verloren werden. Sein Hengst fuhr mit dem Kopf herum, als könne er seinem Reiter damit zeigen, dass er diesen scharfen Ritt nicht mehr ertragen konnte. Aber Richard wusste, wie stark sein Pferd war. Seine ganze Hoffnung lag darin, dass die Pferde der Verfolger vor seinem Pferd zusammenbrechen würden. Er rief ihm zu: »Nur ein kurzes Stück, lass mich nicht im Stich!« Sein Pferd schien ihn verstanden zu haben. Nochmals beschleunigte es und flog mit seinem Herrn über den Weg.
Als sein Tier zu straucheln begann, wusste Richard, dass jetzt nur noch der Kampf blieb. Er ließ sein Pferd auslaufen und wandte sich den Verfolgern zu. Aber da war niemand. Er sah keine Reiter. Auch das Trommeln in seinem Bauch spürte er nicht mehr. Vorsichtig lenkte er sein Pferd zwischen die Büsche des Wegesrandes, um den Pfad aus dem Dickicht heraus zu beobachten. Kaum war er in seiner Deckung angekommen, spürte er erneut das Donnern der Hufen, noch bevor er sie hörte. Mehrere Reiter jagten in einer dichten Gruppe an ihm vorbei, ihre Schwerter erhoben. Richard klopfte den Hals seines Pferdes: »Das hast du gut gemacht, alter Freund.«
Kaum war er aus dem Sattel seines Tieres gestiegen, wandte sein Hengst den Kopf und stupste ihn mit seiner Nase, um die Belohnung für seinen treuen Dienst einzufordern. Richard schmunzelte und nahm ein Stück Rübe aus seiner Satteltasche. Mit flacher Hand hielt er es dem Freund hin. »Wenn wir in Sicherheit sind, sollst du besser belohnt werden. Du hast uns das Leben gerettet.«
Sein Blick fiel auf das Mädchen. Noch immer regte sich ihr Körper nicht. Richard nahm den ledernen Schlauch und goss ein wenig Wasser über ihren Kopf. Sie hob ihn erschrocken und sah ihn mit verängstigten Augen an. Richard legte einen Finger vor seinen Mund: »Keine Angst, ich werde dir nichts antun. Wir sind fürs Erste in Sicherheit«, flüsterte er. Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an, aus denen die Furchtsamkeit noch nicht gewichen war. Stumm nickte sie und bemühte sich, vom Pferderücken zu gleiten. »Wie ist dein Name, Mädchen?« Leise antwortete sie: »Siena, edler Herr.« Richard betrachtete ihre schmutzige und zerlumpte Kleidung. »Warum haben diese Strauchdiebe dein Dorf überfallen?« Siena wusste auch nicht viel mehr, als er selbst beobachtet hatte. Sie war vom Lärm aus dem Haus gelockt worden und sah eine große Schar Reiter, die wahllos auf jeden einschlug, der ihren Weg kreuzte. Als sie fliehen wollte, spürte sie einen heftigen Schlag, der sie zu Boden stürzen ließ. Mehr konnte auch sie nicht sagen. Auch hatte sie keinen der Reiter erkannt. Richard erzählte ihr: »Wir sahen, wie du von einem Pferd zu Boden gestoßen wurdest. Aber es traf dich kein Huf. Der Schreck nahm dir die Sinne.« Siena sah ihn fragend an. »Ich sah Euch mit Euren Begleitern. Wo sind sie?« Richard schüttelte traurig das Haupt. »Für einfaches Diebesvolk kämpften diese Reiter zu gekonnt. Nur mir ist die Flucht gelungen.« Dann schwieg er, während er in seiner Erinnerung einen Anhaltspunkt suchte, wer für diesen Angriff verantwortlich gewesen sein könnte. Aber er fand nichts, was die Angreifer verraten hätte. »Wir waren auf dem Weg zu der Herrin deines Ortes. Du wirst mich erst einmal dorthin begleiten.« Als sie aufbegehren wollte, sagte er mit strengerer Stimme als gewollt: »Du wirst gehorchen und folgen, wie man es dir heißt. Hast du mich verstanden?« Als sie mit widerwilligem Blick nickte, setzte er milder hinzu: »Die Herrin wird dich sicherlich bald zu deinen Leuten schicken.«
Richard las in ihrem Gesicht, dass diese Hoffnung nur ein schwacher Trost für das Mädchen war. Er konnte verstehen, dass sie sich sorgte und schnell zurückkehren wollte. In diesem Moment galt es jedoch, erst einmal zu erfahren, woher der Angriff gekommen sein könnte und wie zu handeln sei. Der Ritter legte seinen Umhang ab und gab dem Bauernmädchen den Befehl, sich einen Schlafplatz zu suchen. Mit einem freundlichen Lächeln reichte er ihr den Mantel als Decke. Nachdenklich blickend versorgte er sein Pferd, so gut es an diesem Ort möglich war. Der Weg war zu gefährlich und es war zwecklos, in der Nacht durch den Wald zu streifen. Daher entschloss er sich, auf das Licht des beginnenden Tages warten. Mit finsterem Blick beobachtet er die Nacht, während er an den Stamm eines Baumes kauerte. Seine Sinne achteten auf jedes Geräusch des Waldes. Aber die Reiter schienen die Suche aufgegeben zu haben. Die Geräusche des nächtlichen Waldes wurden nur manchmal von dem leisen Schluchzen des Mädchens gestört.
Als er die Magd bei dem ersten Licht wecken wollte, fand er sie bereits wach. Er betrachtete ihre geröteten Augen und die Sorge in ihrem Gesicht. Ob sie überhaupt Schlaf gefunden hatte? Zu gern hätte er ihr tröstende Worte geschenkt. Aber er durfte sich dem Gesinde nicht offenbaren, als wären sie seinesgleichen. Richard brachte ihr Trockenfleisch und reichte ihr den Lederschlauch mit Wasser. Misstrauisch schnupperte Siena an dem Lederschlauch; »Ich soll kein Wasser trinken. Es macht krank.« Richard lachte leise; »Dieses kannst du trinken, es stammt aus meinem Brunnen und ist feinstes Quellwasser. Trink nur, Kind. Wir müssen bald aufbrechen.«
Obwohl er sicher war, dass die Reiter ihnen jetzt nicht mehr auf diesem Pfad entgegenkommen würden, zog er das Kettengeflecht mit der Haube in den Nacken und lauschte aufmerksam nach möglichem Hufschlag. Die Spuren, welche die schweren Pferde auf dem Weg hinterlassen hatten, ließen ihn erkennen, in welcher Eile sie unterwegs gewesen waren. Abrupt endete ihre Spur, als hätten sich die Reiter in Luft aufgelöst. Verwundert hielt Richard an. Er blickte sich um und suchte nach Zeichen, die ihren weiteren Weg verraten könnten. Aber da war nichts. Kein gebrochener Zweig. Keine Spur in den Wald hinein. Wo waren sie geblieben? Vor ihnen lag ein jungfräulicher Weg, auf dem kein Grashalm gebogen war. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg mit Siena fort.
Gegen Mitte des Tages erreichten sie die Ebene, auf der sich die Befestigung befand. Schon von Weitem sah er den Turmhügel aufragen. Die kleine Ansiedlung unter dem Turm war von einem gefluteten Graben umgeben. Diese Ansiedlung erschien jämmerlich gegen die prächtigen und trutzigen Burgen der höheren Lagen. Aber wo es keinen Steinbruch gab, mussten Gräben und Holz als Schutz gegen Diebe reichen. Als sie die Ansiedlung betraten, betrachtete er die arg verfallen Gebäude. Er war vor Jahren das letzte Mal zu Gast. Damals lebte der Herr des Gebietes noch. Der Graf von Zudendorp war ein ewig unzufriedener Mann, mit dem es häufig Grenzstreitigkeiten zu schlichten galt. Sein Herr, der alte Bischof zu Coeln, ließ ihm kaum mehr, als er zum Leben brauchte. Auch unter dem neuen Herrn war es nicht besser geworden. Seit dem der Bau des neuen Domes beschlossen worden war, presste die Kirche ihre Vasallen bis zum Blute.
Am Wohnturm verlangte er, die Gräfin zu sprechen. Es dauerte eine Weile, bis man ihn vorsprechen ließ. Die Gräfin war ebenso verfallen wie ihre Heimstatt. Tiefe Ringe lagen um ihre Augen. Zahlreiche Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben. Richard war erschrocken, wie sich diese einstmals hübsche Frau verändert hatte. »Nun, Graf Richard. Wenn ich mich recht entsinne, seid Ihr selten ein Mann, der frohe Botschaft bringt«, empfing sie ihn kühl. Er verbeugte sich leicht und sah sie einen Moment schweigend an. Dann erwiderte er: »So wird mir wohl weiterhin der Ruf als Bote schlechter Nachrichten bleiben.« Die Gräfin schwankte leicht, während ihre Hand Halt an der Lehne eines Stuhles suchte. »Dann heraus mit Eurer Botschaft. Schlimmer als es ist, kann es ohnehin nicht mehr werden.«
Die Frau tat ihm leid, aber es half nichts, er musste die Nachricht überbringen. »Euer Besitz, eine halbe Tagesreise von hier, wurde überfallen.« Die Gräfin sank kraftlos und bleich auf den Stuhl. Stumm, fast anklagend sah sie Richard an. »Ich weiß nicht mehr über den Umstand, als dass ich meine Begleiter dabei verloren habe und selbst kaum mit dem Leben davongekommen bin. Aber ich habe Euch ein Mädchen des Ortes mitgebracht, die den Überfall überstanden hat.« Dabei griff er hinter sich und führte die hinter ihm stehende Siena nach vorne. Ungelenk verbeugte sich das Bauernmädchen vor seiner Herrin.

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16. Dezember 2021

'Schicksalspfad des Tempelritters 1 - Dedericus' von Olivièr Declear

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Buchreihe | Autorenseite
Anno Domini 1225 liegen weite Gebiete Europas in Schutt und Asche, bluten aus im gnadenlosen Krieg um Macht und Religion. Inmitten der Schlachten und Ränkespiele kämpft der junge Tempelritter Dedericus de Loen seinen eigenen Kampf, hin- und hergerissen zwischen Ordenspflicht, Liebe, Glaube und Zweifeln ...

Lesermeinung: Je länger man liest, desto mehr Spannung kommt auf, ohne dass sie nochmal abreißt. Die begleitende Vermittlung historischer Informationen fand ich sehr gut.

Anleser:
Nichts wies an diesem Tage im Jahre des Herrn 1225 auf das drohende Unheil hin. Sicher, vom Isenberg kommt nur der Teufel, sagte das Volk. Schon in seiner Kindheit lauschte Dedericus mit Schaudern den Geschichten über derer von Isenberg, die sich die Mägde in der Küche erzählten.
Der Teufel tanze des Nachts im Mondenschein um deren Burg. Werwölfe und Hexen raubten den Dörfern um diesen Schreckensort die Kinder und Mägde.
Die Geister der verlorenen Seelen hörte man des Nachts in den Wäldern heulen und jammern.
Aber nicht der Teufel, nicht Hexen und Werwölfe kamen mit dem Isenberg, er kam mit Feuer und Schwert über ihre Burg.
Ramus de Loen eilte auf den Turm und rief die wenigen Männer zur Verteidigung. Sein Sohn, Dedericus, bekam die Aufgabe, die Frauen und Kinder im Turm zu sammeln und zur Ruhe zu bewegen.
In kurzer Zeit stand alles in Flammen, auch der Turm konnte nicht vor den geworfenen Fackeln und den Brandpfeilen der Isenberger Mannen behütet werden.
Der Rauch biss unerträglich in den Augen und die Hitze der brennenden Bodenbohlen auf den Etagen kam immer näher. Das Bersten der Tragbalken und die einstürzenden Böden stoben Kaskaden von Funken immer tiefer in den Turm hinein.
Die Männer bemühten sich vergeblich, die brennenden Etagen zu löschen und zogen sich in ihrem Kampf immer weiter in die Tiefe des Turmes zurück.
Ein Balken des letzten Bodens stürzte brennend auf Dedericus Schwester. Mit einem Aufschrei des Entsetzens stürzte die Gräfin De Loen durch den beißenden Rauch und Funkenregen in die Flammen des brennenden Balkens, um ihr Kind zu retten.
Sie spürte nicht, wie die heiße Asche ihre Kleidung und Haut umfing. Ignorierte den Schmerz der Glut unter ihren Knien.
Dedericus sah die Männer seines Vaters den Balken von dem zerschmetterten Körper zerren, während sein Vater die brennenden Kleider seiner Mutter mit seinem Umhang zu löschen suchte.
Dieses unglaubliche Inferno um ihn herum, das Schreien, Weinen, die Gluthitze der Flammen, umgeben von Rauch und Funkenflug, ließ ihn erstarren. Das Geschehen schien ihm wie ein schrecklicher Traum, nicht wahrnehmend, dass dieser Albtraum in den Tag entsprungen war.
Der harte Griff eines Mannes erfasste seinen rechten Arm und zog Dedericus durch das Inferno. Er folgte ohne Willen und Verstehen. Dem Schock des Entsetzens ergeben.
Der junge De Loen sah, wie er in den schmalen Einstieg des Fluchtganges des Turmes gezerrt wurde, wie Knechte an ihm vorbei stürmten, um die schweren Eichenflügel des Durchganges zu versperren.
Immer tiefer wurde er in die Finsternis des Ganges gezogen. Dedericus vernahm, wie sein Vater den Befehl gab, die Stützpfeiler vor dem Gang einzubrechen. Sah Männer in der Dunkelheit verschwinden und hörte die dumpfen Schläge von Hämmern auf das schwere Holz des Gebälks.
Das Bersten der Stützen und das Geräusch des einstürzenden Ganges ließen den Boden unter seinen Füßen erbeben.
Als die Flüchtenden von dem Staub des eingestürzten Erdreiches erreicht wurden, kam erneut Leben in den Körper des jungen Mannes.
Mit einem heftigen Ruck befreite sich Dedericus von dem schmerzenden, eisernen Griff des Mannes, der ihn durch den Tunnel zog.
Mit raschem Schritt folgte er dem kaum vorhandenen Schein einer fast erloschenen Fackel. Es erschien Dedericus wie eine Unendlichkeit, bis sie zum Ausgang des Fluchtweges gelangten.
Einige der Männer hoben in schier übermenschlicher Anstrengung die schweren Bretter über ihren Köpfen, welche von dickem Erdreich bedeckt waren, aus ihren Fugen.
Von außen war der Ausgang nicht vom restlichen Waldboden zu unterscheiden.
Als die Abdeckung aufgestoßen war, stiegen die Fliehenden über die rutschigen, unebenen Stufen hinauf in den Wald, nahe dem Hellweg.

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10. Dezember 2021

'Mal düster, mal heiter' von Bernd Töpfer

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Abwechslungsreich wie das Wetter gestaltet sich das menschliche Leben. Mal traurig und mal heiter sind die Kurzgeschichten von Bernd Töpfer. Traurig, aber aus dem Leben gegriffen. Dann wieder humorvoll, wobei die Fantasie der Realität sehr nahe kommt. Und als Bonus gibt es in Form von Versen tierischen Blödsinn.

Anleser:
Es begann im Winter

Am Rande der Kleinstadt gibt es einen Park mit einer kleinen Anhöhe. Es ist Januar, es liegt viel Schnee und die Kinder rodeln begeistert den Hügel hinab. Danach ziehen sie den Schlitten nach oben, um daraufhin wieder kreischend runter zu sausen. Ohne zu ermüden.
Unten am Hügel, seitlich der Rodelbahn, steht Marie und schaut dem Treiben traurig zu. Gern würde sie wie die anderen Kinder rodeln, doch leider haben ihre Eltern kein Geld für einen Schlitten. Sie gehören zu den armen Leuten. Vielleicht im nächsten Jahr, haben sie gesagt. Aber das glaubt die Zehnjährige nicht, denn die gleichen Worte haben die Eltern im Vorjahr und die Jahre zuvor benutzt. Immer ging irgendwas im Haushalt kaputt, da war eine Neuanschaffung oder Reparatur dringender nötig als ein Schlitten.
Vor Marie, gerade mal zwei Meter entfernt, kommt ein Junge nach der Abfahrt mit seinem Schlitten zum Stehen. »Willst du mal mitfahren?«
»Wer, ich?« Marie sieht ihn erstaunt an. Sie kann es nicht glauben, der fremde Junge lädt sie zum Rodeln ein. Natürlich möchte sie gern.
Der zwölfjährige Helmut nimmt sie bei der Hand und gemeinsam laufen sie den Hügel hinauf. Oben setzen sie sich auf den Schlitten, Marie vorn, er hinter ihr, und runter geht’s. Sie schreit während des Rodelns vor Begeisterung. Die Abfahrt dauert nicht lange, nur ein paar Sekunden. Doch diese kurze Zeit reicht, um Marie glücklich zu machen. Unten angekommen bedankt sie sich bei Helmut. Bevor sie zum vorherigen Aussichtsplatz zurückkehren will, hält er sie zurück und nimmt sie wieder mit nach oben.
»Setz dich in die Mitte, jetzt fährst du mal allein.«
Maries Herz klopft aufgeregt. Sie ist noch nie allein Schlitten gefahren. Aber was soll daran schwer sein, überlegt sie. Dennoch ist sie schon ein wenig angespannt. Helmut schiebt sie an, und schon schlittert sie abwärts. Marie ist so glücklich, das muss sie später unbedingt den Eltern erzählen und der fünf Jahre jüngeren Schwester.
Unten angekommen, steht sie vom Schlitten auf, dreht sich um und schaut zu Helmut. Der winkt ihr zu und deutet damit an, sie soll wieder nach oben kommen.
Den Schlitten hinter sich herziehend, begibt sich Marie auf die Anhöhe. Wie schön muss es wohl sein, wenn sie auf einem richtig großen Berg wäre und dann ganz lang weit nach unten rodeln könnte. Viele, viele Minuten lang. Das möchte Marie irgendwann einmal machen. Ja, das wird sie tun, irgendwann, schwört sie sich.

***

Sechzig Jahre später, wieder Januar. Marie steht an Helmuts Grab. Es ist mit Schnee bedeckt. Das Grab ist noch frisch, gerade mal neun Tage alt. Sie kann es nicht verstehen, Helmut hat sie einfach allein gelassen. Warum? Er legte sich abends ins Bett und wachte am anderen Morgen nicht mehr auf. Er war nie krank. Immer kerngesund.
Einen schönen Tod hast du gehabt, redet sie im Stillen mit ihm. Doch es war zu früh, mein Lieber, viel zu früh. Was soll ich jetzt allein? Immer hast du dich um mich gekümmert. Weißt du noch, damals beim Schlittenfahren? Mein Gott, da waren wir noch Kinder. Du hast mich zum Rodeln eingeladen. Das war meine erste Schlittenfahrt. Eine ganze Stunde lang sind wir pausenlos den Hügel hinauf und wieder hinunter. Das war einer meiner glücklichsten Momente. Am nächsten Tag haben wir uns wieder getroffen, und du hast dir Zeit für mich genommen. Im Sommer hast du mich auf deinem Fahrrad mitgenommen, hinten auf dem Gepäckträger saß ich. Da sind wir bei schönem Wetter zum Baggersee gefahren. Und dann kam wieder der Winter. Du hast mir deinen Schlitten geschenkt, weil du zu Weihnachten von deinen Eltern Skier bekommen hattest. Ich wollte dein Geschenk nicht annehmen, was würden deine Eltern dazu sagen?, habe ich dich gefragt. Doch die hatten zugestimmt. Ein wenig schämte ich mich, weil meine Eltern arm waren. Und zu Weihnachten bekam ich wieder keinen Schlitten geschenkt. Dass deine Eltern nichts dagegen hatten, meine Güte, das war damals mein schönstes Weihnachtsgeschenk. Wir waren Kinder und wussten noch nichts von Liebe. Aber es war der Anfang von etwas Großem. Wir sahen uns öfter. Du warst immer für mich da. Ich konnte mit allen Problemen zu dir kommen. In Mathematik war ich ein bisschen blöd, da hast du mir beim Lernen geholfen. Ich konnte sogar meine Note verbessern. Und weißt du noch, unser erster Kuss? Mein Gott, es war ja eher nur ein sanftes Berühren der Lippen. Es war alles neu für uns. Und wir waren so jung. Dennoch spürten wir eine besondere Zuneigung füreinander. Ich hatte meine ersten schönen Träume, Sehnsüchte. Für mich gab es nur noch dich. Dir das zu gestehen, traute ich mich nicht. Damals war ja eine ganz andere Zeit. Ich glaubte, dass gehöre sich nicht, dass ein Mädchen einem Mann seine Liebe gesteht. Zumindest glaubte ich es früher. Ach Helmut, du warst mein Held, mein Idol, meine große Liebe, das ganze Leben lang. An deiner Seite war ich glücklich bis zum letzten Tag. Du hast mich auf Händen getragen, dich fürsorglich um mich gekümmert. Ich war deine Prinzessin. Und jetzt bist du gegangen, ohne ein Wort, nicht mal einen letzten Gruß. Was soll ich ohne dich? Ohne dein Lachen, deine Liebe, deine Fürsorge. Was meinst du? Unsere Kinder? Ja, die schauen oft bei mir vorbei. Aber die haben ihr eigenes Leben, und ich bin ja nicht gebrechlich. Ich kann allein für mich sorgen. Aber abends, wenn ich allein zuhause sitze, dein Sessel leer bleibt …
Gestern war ich im Keller, ich wollte mich ablenken, musste mich beschäftigen. Ich hatte vor aufzuräumen und alten Plunder wegzuschmeißen. Weißt du, was ich da entdeckt habe? Ganz hinten in einer Ecke? Deinen alten Schlitten. Meinen Schlitten. Mein Gott, da sind mir die Tränen gekommen.
Ich habe daraufhin den Keller gelassen, wie er war. Ich wollte nicht noch mehr Erinnerungsstücke finden. Mein Lieber, was soll ich ohne dich? Ich esse wenig, habe überhaupt keinen Appetit. Du hast ein großes Loch in meinem Leben hinterlassen. In unserem Leben. Ich fühle mich lebend tot. Wenn die Kinder nicht wären, die Enkelkinder …
Marie hält weitere zwei Monate durch. Eines Abends nimmt sie ihr Hochzeitsfoto in die Hand. Tränen laufen ihr die Wange hinunter. Ich komme jetzt zu dir, murmelt sie leise. Dann nimmt sie all die gesammelten Schlaftabletten und legt sich ins Bett.
Am nächsten Nachmittag kommen ihre Tochter und die Enkelin zu Besuch. Sie können nicht fassen, dass die Mutter diesen Weg gewählt hat. Warum? Wir sind doch für sie da.
Marie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen. Es täte ihr schrecklich leid, sie will ihnen allen nicht weh tun, aber sie wäre am Ende ihrer Kräfte. Ohne ihren Helmut, nein, das sei kein Leben mehr. Sie wolle zu ihm.
Es fiel den Hinterbliebenen schwer, diesen Grund zu akzeptieren. Man kann sich kaum in die Gefühlswelt eines anderen Menschen hineinversetzen, auch dann nicht, wenn es das eigene Fleisch und Blut ist.

Blick ins Buch (Leseprobe)

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