16. November 2016

'Schmitts Hölle - Verrat' von Joachim Widmann

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Berlin am Abgrund.

Die Berliner Polizistin Sibel Schmitt hat das Verschwinden ihrer Tochter Sheri nicht aufklären können und ist nach einer schweren persönlichen Krise wieder im Dienst, als ein Fall sich als ein gefährlicher Strudel erweist. Eine junge Frau ist von einem Hochhaus gestürzt. Es sieht nach einem Unfall auf der Flucht vor einem gewalttätigen Zuhälter aus – ein Routinefall. Doch Schmitt findet am Tatort das Armband ihrer Tochter. Und der Verfassungsschutz redet von einer Entführung durch Islamisten.

Das passt sichtlich nicht zusammen. Dass Schmitt den Überblick behält, ist nicht jedem recht. Die Wahrheit ist tödlich. Blut fließt. Schmitt taucht unter mit einer Zeugin, deren Leben bedroht ist.

Einflussreiche politische Strippenzieher schützen die Hintermänner von Terroristen vor Entdeckung. Jedes Mittel ist ihnen recht, um eine Staatskrise zu verhindern. Selbst massive Gewalt gegen Schmitt, die den Terror stoppen könnte. Unterdessen droht Berlin ein Massaker …

„Schmitts Hölle - Verrat“ ist der erste abgeschlossene Thriller der Sibel Schmitt Reihe.

Leseprobe:
Schmitt: „Wenn die Gruppe vorab über dich informiert wird, musst du mit sofortiger Liquidation als Verräter rechnen. Auch später kann das jederzeit passieren. Die Geheimdienstmänner, mit denen wir zusammenarbeiten, warnen eindringlich vor diesen Typen: Dieser Thor baut die Gruppe seit Jahren als Schläfer auf, die sind empfindlich und gefährlich wie Hornissen. Du musst schneller und schlauer sein als alle anderen.“
„Ich wünschte, du könntest mit mir da rein“, sagt Bernatzki.
Schmitt klingt amüsiert, als sie sagt: „Ja, mich würde auch mal interessieren, wie die auf ’ne Türkin reagieren.“
„Du bist … du siehst so viel … so viel mehr als ich, meine ich. Ich bin nicht so schnell. Und nicht so hart.“
„Du schaffst das. Du darfst keinen Moment lang nachlassen. Zur Not bin ich in der Nähe. Aber ich bin allein, und ich kann dir nicht den Rücken decken, wenn du außer Sicht bist. Trau nichts und niemandem, auch nicht der Ruhe.“
„Kann ich Denzler trauen? Traust du Denzler?“
Schmitt atmet tief ein und wieder aus, so laut, dass Bernatzki es durch die Leitung fast als Seufzen hört. „Solange ich lebe, kannst du ihm trauen“, antwortet sie langsam.
„Was …?!“
„Solange ich lebe, kannst du ihm trauen“, wiederholt sie.
Bernatzki kaut auf seiner Unterlippe, während er Schmitts Antwort sacken lässt. Sie ändert nichts an seiner Haltung. „Wie weiß ich, dass du lebst?“
„Du hast meine Handynummer.“ …

***

Kopfschmerzen halten Schmitt wach, die Gedanken kreisen. Carla atmet ruhig auf der Matratze neben ihr.
Jetzt ist Schmitt sich sicher, dass sie etwas gehört hat. Manchmal hört sie Geräusche, wenn ihre Kopfschmerzen sich bei Dunkelheit oder geschlossenen Augen in Licht-Auren und Farbschlieren entladen: eine optische Halluzination, die akustische erzeugt.
Das Geräusch, das sie nun zum dritten Mal hört, passt nicht zu den Bildern: Es ist eine Schwingung, die sich durch die Armierungen des Betonbodens zu übertragen scheint, so fein, dass Schmitt die Schwingung nicht spürt, aber als dumpfen Bass sehr leise hört. Jemand von einigem Gewicht schleicht durch das Gebäude oder wenigstens sehr dicht daran entlang, ist Schmitt sich sicher. Sie schließt ihre Augen und presst die Finger auf die Lider, um die visuellen Kopfschmerzen zu unterdrücken. Die Bilder lassen nach, aber sie bleiben heller als das Dunkel der Halle, in das durch die hohen trüben Fenster nur das Licht entfernter Straßenlaternen dringt.
Schmitt ist blind.
Sie tastet nach Carla, presst ihr die Hand auf den Mund und kneift gleichzeitig die Nase zu. Carla fährt mit einem erstickten Geräusch aus dem Schlaf. „Psssst. Ich lasse jetzt los, okay?“, sagt Schmitt sehr leise an ihrem Ohr. Carla nickt. Schmitt lockert ihren Griff. „Ich glaube, jemand ist hier“, flüstert Schmitt. „Du musst dich verstecken. Nimm die Notebooktasche mit und komm unter keinen Umständen raus, egal, was passiert, oder was mir passiert. Auf keinen Fall! Denk immer dran, dass sie hinter dir her sind, nicht hinter mir. Kapiert?“
Carla nickt unter Schmitts Hand.
Die Schrittgeräusche sind erstorben.
„Schnell!“
Das Klingeln einer Schnalle der Tasche, das Rascheln der Decke, die Carla beiseite schiebt, ihres T-Shirts, als sie sich bewegt: Schmitt kommt es laut vor.
Die Vibrationen, die von Carlas Gehen auf bloßen Füßen ausgehen, hören sich anders an als jene, die sie eben gehört hatte. Zugleich leichter und konkreter.
Sie erkennt: Wer immer naht, ist noch draußen. Er hat das Schleichen geübt. Und er ist schwerer als Carla.
Schmitt presst erneut die Finger gegen ihre geschlossenen Augen und verflucht ihre Kopfschmerzen. … Ertastet ihr Schulterhalfter neben ihrer Decke und legt es an, zieht ihre Waffe, lädt durch – das Geräusch erscheint ihr ohrenbetäubend –, entsichert sie und steckt sie wieder in das Halfter.
Da: unverkennbar das Geräusch von etwas Großem aus Metall, das sehr langsam bewegt wird.
Kein Zweifel, die größere Schiebetür der Halle, die zur Einfahrt.
Die Decken des Nachtlagers rafft Schmitt zusammen auf einen Haufen. Geht gebückt in die Gasse zwischen die Exportkisten, Richtung Mitte der Halle, genau dem Geräusch an der anderen Wand entgegen. Dahin, wo sich sehr leise die Schiebetür öffnet.
Sie spürt den Luftzug auf ihrer schweißfeuchten Haut.
Der Duft alten Öls steigt ihr in die Nase – die offenen Paletten mit den gebrauchten Motoren. Schmitt erinnert sich, dass sie kaum hüfthoch sind. Sie lässt sich auf den Bauch nieder, robbt in den Zwischenraum zwischen zwei Paletten und weiter in die Deckung des Kartonstapels, der daneben, wie sie weiß, etwa drei Meter hoch aufragt. Mit der Stirn stößt sie dagegen.
Sie stoppt, hält die Luft an.
Die Schritte, die sie anfangs gehört hat, sind näher gekommen. Kleidung raschelt. Sie hört jemanden atmen: ein Mann mit großem Lungenvolumen.
Schmitt schließt wieder die Augen und presst die Finger dagegen.
Verdammtverdammtverdammt!
Sie zückt ihre Waffe und zielt, auf dem Bauch liegend, in die von Lichtschlieren verhängte Dunkelheit. Sterne tanzen vor ihren Augen. Sie gibt das Zielen auf.
Sie spürt eine weitere Vibration, mit dem ganzen Körper. Das ist nicht derselbe Mann: dieser ist genauso schwer, aber nicht trainiert. Er tritt mit der Ferse auf, nicht mit dem Ballen.
Es sind zwei. Der zweite Mann betritt gerade die Halle.
Der erste Mann ist drin, er nähert sich langsam. Schmitt schätzt, dass er in vier, fünf Schritten den Kartonstapel passiert hat. Schaute er dann nach rechts, würde er sie liegen sehen.
Schmitt, unsicher, ob das Licht dazu reicht, streicht mit den Fingerspitzen rückwärts entlang der Kartonflanke des Stapels. Kriecht langsam nach hinten, bis sie die hintere Ecke des Stapels erreicht. Sie rollt sich hinter den Stapel, erhebt sich lautlos, lauscht, gebückt, mit angehaltenem Atem.
Sie erinnert sich der Transportkistenlatten, die auf der anderen Seite des Kartonstapels herumliegen. Solide, meterlange Latten. Zwei zusammengenommen, mit beiden Händen sicher umfasst und schnell bewegt: Das hat eine gute Hebelwirkung und ausreichend Schlagkraft, um einen Mann flachzulegen.
Sie lauscht. Nichts.
Nach ihrer inneren Karte, die sie bei Licht von der Halle angelegt hat, reicht die Deckung des Kartonstapels fast bis zu den Latten. Es sind vielleicht noch drei, vier Schritte.
Ihre Hand streift zur Orientierung leicht an den Kartons entlang.
Erster Schritt.
Zweiter.
Der Kartonstapel endet.
Schritt drei.
Sie hört das Sirren zu spät. Zwei Latten zusammengefasst, schnell bewegt, haben eine gute Hebelwirkung und ausreichend Schlagkraft, um eine Frau flachzulegen. Sie duckt sich reflexhaft von dem aggressiven Bewegungsgeräusch weg. Das Holz kracht nicht an ihren Kopf, sondern auf ihre Schulter. Sie hört darin etwas brechen und spürt den Schmerz in ihren ganzen Körper strahlen. Ihre Dienstwaffe geht zu Boden und rutscht davon.


Blick ins Buch (Leseprobe)

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