'Shai'lanhal' von Susanne Gavénis
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Seit Anbeginn der Zeit tobt auf der Erde die Schlacht zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis. Shaan, Enkel eines Herzogs, wird von seinem Vater in der Einsamkeit der Berge mit grausamer Härte auf seine vom Schicksal bestimmte Aufgabe vorbereitet: Er ist der Shai’lanhal, der Beschützer der Inkarnation des Guten, die alle zwanzig Generationen in der Gestalt eines gewöhnlichen Mädchens wiedergeboren wird. Shaan muss die Lanhal am Leben erhalten, bis sie bereit ist, in einem mörderischen Aufeinandertreffen mit dem Yinyal, der Verkörperung des Bösen, um die Zukunft der Menschheit zu kämpfen.
Ausgestattet einzig mit der Fähigkeit, Wind und Wasser zu beherrschen, muss sich Shaan dabei einer Bedrohung stellen, die alles Vorstellbare übersteigt. Denn die Mächte des Bösen entsenden eine schreckliche Gegenspielerin, die ebenfalls über zwei Elemente gebietet – Feuer und Erde.
Und Shaan weiß: Sollte er versagen, wird nicht nur die Lanhal sterben, sondern die ganze Welt für die nächsten zwanzig Generationen in Dunkelheit versinken.
Leseprobe:
[…]
Sein Vater wartete bereits ungeduldig auf ihn und warf ihm einen der beiden Langstöcke zu, kaum dass Shaan aus der Tür getreten war. Shaan sah sofort, dass er ihn nicht mehr rechtzeitig würde auffangen können, erzeugte rasch einen kleinen Luftwirbel und bremste den Flug der Stange ab, während er sie gleichzeitig zu sich heranzog. Seine Finger schlossen sich um das glatte Holz, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
Sein Vater schüttelte tadelnd den Kopf. „Du verlässt dich viel zu sehr auf deine Magie, Shaan. Wenn du etwas schneller reagiert hättest, hättest du ihre Hilfe nicht gebraucht.“
Shaan nickte ergeben. Er wusste selbst, dass er nicht der Schnellste war.
Gefflan bezog ihm gegenüber Aufstellung. „Wir werden einen kleinen Trainingskampf ausfechten. Vielleicht stellen sich deine Instinkte dadurch wieder ein.“
Sein Tonfall und der Ausdruck in seinen Augen ließen Shaan einen Schauder über den Rücken laufen. Hastig ging er in Verteidigungsstellung.
Er war beinahe zu langsam. Die Stäbe prallten hart aufeinander. Ein kurzer, abgehackter Laut erklang und wurde von den Felswänden als vielfältiges Echo zurückgeworfen. Sein Vater drang energisch auf ihn ein. Seine Schläge waren schnell und präzise. Shaan bemühte sich, sie so gut wie möglich abzuwehren. Einen eigenen Angriff versuchte er erst gar nicht. Gefflan war ihm im Stockkampf weit überlegen. Er war kräftiger, geschickter und vermochte jede Schwäche sofort zu erkennen.
Shaan keuchte vor Anstrengung, als sein Vater ihn mit gezielten Hieben quer durch das Tal trieb. „Du bist viel zu passiv“, rief er ihm zwischen zwei Schlägen zu. „Mit Verteidigung allein kannst du keinen Kampf gewinnen!“
„Das weiß ich“, presste Shaan hervor, verzweifelt bemüht, seinen Block aufrechtzuerhalten.
Wieder krachten die Hölzer mit einem dumpfen Laut gegeneinander. Gefflans Angriff wurde abgeschmettert, doch selbst daraus zog er neuen Schwung und ließ seinen Stock wie eine Sense herabsausen.
Shaan sah ihn kommen und riss seine Waffe hastig in eine andere Paradestellung. Es gelang ihm mit knapper Not, den Hieb abzufangen. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Früher oder später würde sein Vater seine Deckung durchbrechen, das wusste er aus leidvoller Erfahrung. Er konnte ihm nie lange Widerstand leisten. Früher hatte er es besser vermocht, doch im letzten halben Jahr war er ziemlich stark gewachsen. Damit hatte sich alles verändert. Bewegungen, die ihm bis dahin einigermaßen gelungen waren, brachte er einfach nicht mehr zustande, und sein gesamter Kampfstil war ungelenk geworden. Verglichen mit seinem Vater hatte er allerdings nie anders als ein blutiger Anfänger gewirkt.
„Du bist immer noch zu langsam“, kommentierte Gefflan abfällig und trieb ihn bis an die Felswand zurück.
Unvermittelt spürte Shaan den kühlen, rauen Stein in seinem Rücken. Er duckte sich, gerade noch rechtzeitig. Gefflans Stab dröhnte heftig gegen den Fels. Splitter aus weißem und schwarzem Basalt regneten auf Shaan herab. Einige drangen ihm in die Augen, und sein Blick verschwamm.
„Vater, warte!“, rief er und löste die linke Hand von seinem Stock, um sich die Augen zu reiben.
Gefflan knurrte verächtlich. „In einem echten Kampf gibt es auch keine Pause. Lass dir etwas einfallen!“
Erschrocken tänzelte Shaan zur Seite, war jedoch nicht schnell genug. Der Stab seines Vaters zuckte vor wie der Kopf einer Viper und traf ihn wuchtig am rechten Handgelenk. Mit einem Aufschrei ließ er seinen eigenen Stock fallen. Tränen schossen ihm in die Augen und spülten die Splitter fort – zu spät. An seine Waffe kam er nicht mehr heran. Gefflan hatte den Fuß darauf gesetzt und hielt sie am Boden fest.
„Keine Magie, hörst du, Shaan? Du wirst dich wie ein normaler Mensch zur Wehr setzen!“
Shaan wich vor ihm zurück. Die getroffene Hand presste er in dem vergeblichen Versuch, die pochenden Schmerzen in seinem Gelenk zu lindern, vor seinen Bauch. Der Stab seines Vaters fuhr summend durch die Luft. Er hatte auf seine Beine gezielt. Shaan sprang hoch, entging dem Schlag und warf sich nach vorn. Es war eine pure Verzweiflungstat, und er rechnete nicht mit einem Erfolg, doch er bekam tatsächlich den Stock seines Vaters zu fassen.
„Schon etwas besser“, knurrte Gefflan. „Mal sehen, ob du daraus einen Vorteil gewinnen kannst.“
Noch während er sprach, riss er wild an dem Stab. Shaan hielt eisern fest, aber seine rechte Hand war noch immer taub vor Schmerz und verweigerte ihm den Dienst. Die Waffe entglitt seinem Griff, und nur einen Moment später stieß Gefflan ihm das Holz grob vor die Brust. Shaan röchelte und wankte rückwärts. Sein Vater holte erneut aus, bevor er noch sein Gleichgewicht hatte wiederfinden können. Er stolperte endgültig und fiel hart auf den Rücken. Und noch immer setzte Gefflan ihm nach.
„Vater, bitte hör auf!“ Verzweifelt rollte er sich zur Seite, als der Stock erneut auf ihn zuraste. Er bohrte sich wie eine Messerklinge neben seinem Kopf ins Gras.
„Du willst schon aufgeben?“
„Du hast doch längst gewonnen!“
Gefflan starrte grimmig auf ihn herab. „In einem echten Kampf wäre das dein Tod.“
Noch während er sprach, holte er weit aus.
Shaan riss entsetzt die Augen auf. Panik sprang ihn an, ließ ihn instinktiv handeln. In Sekundenschnelle entfaltete sich eine blaue, schimmernde Blase um ihn herum, hob ihn vom Boden hoch und schloss ihn ein. Als der Stock auf ihre Oberfläche traf, wurde er blitzartig zurückgeschleudert. Der Ruck war so stark, dass das Holz aus den Händen seines Vaters gerissen wurde, in hohem Bogen quer durch das Tal flog und an der gegenüberliegenden Seite gegen die Felsen prallte, wo es krachend in zwei Teile zerbarst.
Gefflan sah ihm nach, und für einen Moment legte sich ein Ausdruck vollkommener Verblüffung auf seine sonst so kontrollierten Züge. Als er sich wieder zu Shaan umdrehte, war seine Miene jedoch so steinern und beherrscht wie eh und je, und seine Lippen waren so fest zusammengepresst wie Schraubzwingen.
Shaan wandte den Kopf von seinem Vater ab, wagte nicht, ihn länger anzusehen, obwohl seine Schöpfung durchsichtig war und lediglich ein zarter blauer Schleier seinen Blick getrübt hätte. Er schwebte im Inneren der schützenden Kugel aus Wasser und Wind, hatte die Beine eng an den Körper gezogen und die Arme fest um den Leib geschlungen. Ein wirbelnder Luftstrom hielt ihn genau in ihrer Mitte, während um ihn herum entfesselte Elemente tobten. Sein Atem ging schwer, und sein Puls raste. Sein rechtes Handgelenk war dick angeschwollen und pochte schmerzhaft im Rhythmus seines Herzschlags. Beinahe unbewusst schuf er einen neuen Zauber, verband die Elemente auf andere Weise, und ein Eismantel legte sich um sein malträtiertes Gelenk.
„Shaan, hör sofort mit diesem Unsinn auf!“, hörte er die ungnädige Stimme seines Vaters. Sie wurde durch das leise Rauschen, das die Kugel erfüllte, gedämpft, war aber noch immer gut zu verstehen.
Shaan schüttelte furchtsam den Kopf und kauerte sich noch stärker zusammen.
[…]
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Labels: Fantasy, Susanne Gavénis
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