'Dickhäuter' von Oliver Koch
Kindle Edition | Tolino |
Hin- und hergerissen zwischen Enthusiasmus, Verzweiflung und Trotz lernt er mit Patrick seine große Liebe kennen. Von Patrick fühlt er sich erstmals verstanden und begibt sich auf Spurensuche: Was stimmt in seinem Leben nicht - oder ist die Welt um ihn herum falsch?
Markus geht durch eine ihm fremde Welt der Oberflächlichkeiten und Kaufimpulse, der Parolen sowie der Fremdbestimmung und zieht daraus seine eigenen Schlüsse. Er wird nach und nach zu einem Dickhäuter, wie er sich später selbst nennt: Ein Mensch, dem so oft gesagt wurde, er müsse sich "ein dickes Fell" aneignen, um bestehen zu können, bis er kaum noch etwas spürt.
Markus findet einen besonderen, ganz eigenen Weg, sich zu behaupten und seinen Weg zu finden, um selbstbestimmt und frei zu sein ...
Leseprobe:
Im Meer des Lebens sind die Menschen Inseln – irgendwann steigen Sie aus den Fluten empor, geben so auf ihre Weise der Welt eine Zeitlang Gesicht und gehen eines Tages unter. Das ist immer so.
Auf einigen scheint meist die Sonne, sie bergen brodelndes Leben, Fülle und Reichtum; während auf anderen kein Gras, kein Moos und keine Flechte gedeihen möchte, weil sie in der Sonne verdorren.
Manche liegen platt da, geschleift und geschliffen von Wind und Legionen Gieriger, andere bergen Täler und Gräben, Falten und Furchen.
Viele dieser Inseln werden entdeckt, andere harren abseits bekannter Routen und Zweckmäßigkeiten lang oder gar ewig auf ihre Entdeckung.
Während auf den einen Leben tobt, schmiegen sich auf den anderen die Geschwister Schweigen und Stille in die Schatten.
Sie sind verschieden groß, manche sind hübsch, manche hässlich. Was die Menschen von den Inseln unterscheidet, ist die Hoffnung und die Trauer. Die Trauer deswegen, weil man noch nicht entdeckt und erkannt worden ist. Die Hoffnung darauf, dass alles besser werden möge als es ist, oder dass es immer so schön bleiben möge, wie es jetzt ist.
Im Strom der Menschen ist der Einzelne ganz klein, ein Partikel nur. Man rempelt aneinander, man rauscht vorbei, man kommt manchmal aus dem Tritt, der Gang wird hin und wieder unterbrochen, doch dann, nach kurzer Zeit schon, geht es weiter.
Umströmt von den vielen, unterschiedlichen Menschenpartikeln, lärmend, schwatzend, telefonierend, ging Markus seines Weges. Niemand nahm Notiz von ihm, man wich ihm automatisch aus, ohne ihn anzusehen. Er war eher Hindernis. Markus wusste nicht, ob er traurig war, die anderen wussten es auch nicht. Ziellos ging er umher. Sein Smartphone klingelte nicht, vibrierte nicht, wohingegen um ihn herum jeder stumm Nachrichten eingab, chattete, eincheckte, Posts in soziale Netze eintrug, kommentiere, Likes verteile, Statusnachrichten teilte, ein Foto machte oder gleich ein Video, als gäbe es Geld für jedes Zeichen. Wie fremd kam ihm das vor!
Er war neu in der Stadt. Er hatte eine Wohnung, einen Job, ja gar das, was man Bekannte nannte. Es waren diese Bekannten, mit denen man sich nach der Arbeit in einer Kneipe auf ein Bier traf, eine Kollegin knusperte an ihrem Salat, er sprach in einer Weise über sich, als hörte er jemandem, der aussah wie er, dabei zu, wie er über jemanden sprach, der zufällig er war.
Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte auch sein Smartohone stets vibriert und bei neu eingegangenen Nachrichten gepiept. Wessen Smartphone stumm ist, ist ausgespien. Oder gar nicht erst verschluckt.
Markus zog von Kaufhaus zu Kaufhaus, von Geschäft zu Geschäft, die Wohnung, die er hübsch eingerichtet hatte, ist ihm an diesem Tag zu eng vorgekommen, und so er mied das Einkehren in ihre hübschen Kerkerwände. Deren Fußfesseln waren Fernseher und Internet.
Neu zu sein in einer Stadt bedeutet anfangs Einsamkeit. Man arbeitet, man spricht mit Menschen und wartet auf Einladungen, kehrt jedoch heim und liest ein Buch. Viele Bücher hatte Markus schon gelesen, nun mochte er nicht mehr. Auch auf Kino hatte er nun keine Lust. Die Kassiererin dort, zumindest eine von denen, kannte ihn mittlerweile und hatte kürzlich gelächelt und gefragt: „Na, auch wieder hier?“ Schließlich hatte sie von dem Film abgeraten, was ihn nicht hinderte, und als er wieder herauskam, war sie schon fort. Dabei hatte er ihr sagen wollen, wie recht sie gehabt hatte.
Heute Abend würde er an Freunde mailen. Sie trieben sich noch dort herum, wo man ihn kannte, in vertrauten Straßen, bekannten Kneipen. Sein Smartphone war stumm.
Dass an diesem Abend etwas geschehen sollte, womit er nicht gerechnet hatte, war noch nicht abzusehen. Sein Konzept sah vor, konzeptlos umherzugehen, eine Zeitschrift zu kaufen und dann irgendwann, wenn die Geschäfte schlossen, wenn nur noch vereinzelte Menschen durch die Innenstadt träufelten, nach Hause zu fahren. Nicht, um fernzusehen. Das hatte er schon oft genug getan. Er wollte Hörspiele hören. Die von früher, die er immer noch besaß.
Der Lärm um ihn war beispiellos. Er, der kein Ziel hatte, wunderte sich über die ihn umgebende Hektik. War die wirklich nötig? Nun, da sein Smartphone meistens stumm blieb, musste er über all die anderen, die telefonierenden oder mailenden Hundertschaften um ihn herum lächeln. Was gab es denn immer so Wichtiges, das es wert war, permanent und ohne Unterlass vermittelt zu werden?
Er fand sich vor einem Plakat wieder. Ein Mann, ein traumhafter Mann warb für einen Duft. Er war fast nackt. Die Figur war makellos, Markus beneidete ihn. Das Fremde an diesem Model, die fetischistische Lackhose und die merkwürdigen Stiefel, beeindruckten ihn. Dieser Mensch war nicht von dieser Welt. Und so lautete auch der Slogan: „Welcome in a new world!“
Markus wendete sich ab. Wohin hetzten diese Menschen nur? Der einzige Ruhepol war ein Bettler, der seinen Hut vor sich auf den Boden gelegt hatte und auf Almosen wartete. Ein Plakat neben ihm warb für innere Erneuerung durch eine Schule der Ganzheitlichkeit.
Verloren im Strom spielte ein Straßenmusikant Violine. Er konnte es gut. Warum, fragte sich Markus instinktiv, musste jemand mit so viel Talent in der Fußgängerzone spielen?
Langsam wurde er melancholisch. Er ging an Schaufenstern vorbei, in denen bunte und aufdringliche Ware lag. Alles, um das Ich zu fördern, alles, um Individualität auszudrücken, erzeugt, verpackt, genormt warteten die sogenannten eigenen Wünsche darauf, gekauft zu werden, um dann wenig später lediglich praktisch oder nutzlos zu werden. Keine Spur von Erträumtem, keinen Deut von Erwünschtem.
Er ging langsam. Man schoss an ihm vorbei. Das Licht des frühen Abends spiegelte sich in unzähligen Einkaufstüten. Er war eine langsame Insel, und er erkannte noch andere. Verträumt, regelrecht ausgeschaltet schritten sie durch die Brandung des bunten, jagenden, redenden Konsums.
Er fühlte sich unwohl. Niemand nahm ihn wahr, und er hatte Durst. In einer Buchhandlung nahm er sich Prospekte und Kataloge mit und beschloss, in einem Café eine Kleinigkeit zu trinken und vielleicht auch etwas zu essen.
Im Café schenkte die Bedienung ihm höfliche Beachtung. Kaum war sie verschwunden, da geschah etwas Seltsames: Sein Smartphone vibrierte. Er bekam mittlerweile so wenig Anrufe, dass er es nicht für nötig befunden hatte, es überhaupt auszustellen. Verstört nahm er es zur Hand und meldete sich.
„Markus?“ fragte da eine weibliche Stimme, „ich verstehe dich schlecht. Hier ist Karin.“
Karin war eine Arbeitskollegin. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden, und sie war auch die erste gewesen, die mit ihm eine Verabredung hatte. Ihr unbeschwertes Wesen war erfrischend für ihn, er benötigte so etwas wie die Luft zum Atmen. Und Karin fand seinen Schwermut interessant.
Sie sagte ihm, dass sie sich mit ihm treffen wolle, sie sei ohnehin schon auf dem Weg. Sie habe eine Verabredung mit einem Freund namens „Patrick, er wird dir gefallen. Er ist dir ähnlich.“
„Ach ja? Wie kommst du darauf?“
„Das wirst du sehen. Er ist künstlerisch veranlagt, weißt du. Außerdem ist er solo.“
„Na und?“
„Du doch auch! Vielleicht passt ihr ja gut zueinander.“
„Bitte, keine Verkupplungen!“
„Hör mal, ich treffe ihn ja auch nicht wegen dir. Ich dachte ja nur, dass es gut für dich wäre, jemanden von deiner Fraktion kennenzulernen. Dein Leben ist doch eindeutig zu hetero.“
Das stimmte allerdings. Er sagte ihr, er würde auf sie warten.
Unmerklich begann sein Herz, schneller zu schlagen.
Als Karin das Lokal betrat, hatte er schon sein zweites Getränk getrunken, schneller als sonst. Er winkte ihr, als sie ihn nicht sofort fand. Lächelnd kam sie und setzte sich. „Hallo.“ Sie hatte sich umgezogen. Im Büro trug sie meist Bequemes, auch die Haare waren anders. Mit Make-up hielt sie sich zurück. Wenn es um die Arbeit ging, war sie praktisch orientiert. Sie wollte keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Sie sah an ihm ab. „Bist du direkt nach der Firma in die Stadt gefahren?“
„Ja.“
„Schon wieder!? Wird dir das nicht langweilig?“
Anstelle einer Antwort lächelte er. Zuhause gab es außer Ruhe nichts.
Sie merkte es. „Vielleicht wird ja alles anders.“
Im Kindle-Shop: Dickhäuter.
Für Tolino: Buch bei Thalia
Mehr über und von Oliver Koch auf seiner Website.
Labels: Gegenwart, Oliver Koch, Roman
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