'Tom Tumbler und die eisernen Monster' von Marcus Kaspar
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Mit seinen orthopädischen Beinschienen ist der fast sechzehnjährige Tom Tumbler das Mobbingopfer auf dem Schulhof. Besonders Marvin und seine Gang hat es auf ihn abgesehen. Mitten bei einer Rauferei wird Tom jedoch überraschend in eine magische Welt geschleudert - nach Ardesia, wo Hexen gegen Helden kämpfen, Kobolde sich mit Dieben verbünden und Drachen Briefe ausfliegen.
Schlagartig ist für Tom alles anders. Seine Beinschienen, die ihm das Leben zu Hause so schwer machen, verleihen ihm hier ungeahnte Fähigkeiten: Dank ihnen kann er nun schneller laufen als jedes andere Lebewesen. Mit diesen ungewohnten Kräften ausgestattet, stürzt er sich in das Abenteuer seines Lebens, auf der Suche nach dem mächtigen Herzstück, das über Ardesias Schicksal entscheiden soll. Ein Glück, dass er dabei bald gute Freunde findet - denn Tom lernt schnell, dass er auch mit Superbeinschienen nicht vor dem Bösen davonlaufen kann, das in dieser Welt auf ihn lauert.
Leseprobe:
Es war kurz vor acht, als Tom auf dem Schulgelände ankam. Schon von weitem sah er Ole an einer Mauerecke stehen. Tom hielt Leas Geldschein mit seiner linken Hand fest in der Hosentasche umklammert.
»Hey Loser«, begrüßte ihn Ole, »haste das Geld?«
Tom holte den zerknüllten Schein aus der Tasche und hielt ihn dem älteren Jungen hin.
»Meinen iPod«, verlangte Tom.
»Na klar, logisch, kein Problem«, sagte Ole und kramte in seinem Rucksack. Er holte ihn heraus und hielt ihn mit zwei Fingern, wie man einen stinkenden Fisch halten würde. »Der ist eh Mist. Kriegste nicht mal auf eBay was dafür.«
Mit der linken Hand hielt ihm Tom den Geldschein hin, während er mit der rechten nach seinem iPod griff. In dem Moment kam Marvin mit dem Rest der Schrecklichen Sieben um die Ecke.
»Was machstn da, Ole?«, fragte er seinen Kumpel, der auf einmal aussah wie ein Kind, das man beim Griff in die Keksdose überrascht hatte. Mit einem Blick auf den iPod in Toms Hand sagte Marvin: »Das ist doch mein iPod.«
»Nein, es ist meiner«, erwiderte Tom und ließ ihn schnell in seiner Hosentasche verschwinden.
Marvin überging Toms Bemerkung einfach und wandte sich an Ole: »Alter, du hast doch nicht etwa das Ding gestern bei mir mitgehen lassen?«
Tom konnte es Ole ansehen, wie er krampfhaft nach einer Ausrede suchte.
Gleich platzt ihm eine Ader an der Stirn.
»Naja, weißte, du wolltest den ja nicht, und da dachte ich …«
Marvin sah seinen Freund durchdringend an. »Ja?«, fragte er gedehnt.
»… ich dachte, wenn ich den zu Geld mache, dann haben wa doch viel mehr davon. Also wir alle. Und der Krüppel hat mich dann direkt gefragt, ob er ihn zurückkaufen kann.«
Marvin starrte erst Ole und dann Tom an. Tom starrte Ole an. Ole starrte Marvin an, während der beiläufig die Hand ausstreckte, ihm den Geldschein abnahm und in seiner Jackentasche verschwinden ließ.
»Keine schlechte Idee, ihn seine eigenen Sachen kaufen zu lassen.« Dass Ole ihn offensichtlich hatte betrügen wollen, schien Marvin einfach zu ignorieren. Oder hatte er das vielleicht nicht verstanden? Zutrauen würde es ihm Tom. »Vielleicht hat er ja sonst noch was dabei, das er gerne zurückkaufen will«
Unbewusst umklammerte Tom die Riemen seines Rucksacks fester. Nicht, dass der besondere Schätze enthielt, aber in diesem Moment fühlte er sich extrem wertvoll an.
»Er hat Schuhe«, sagte Fynn.
»Und ne Hose«, fügte Marcel glucksend hinzu.
Jetzt umklammerte Tom seinen Hosenbund. Marvin grinste breit.
»Ausgezeichnete Idee! Los Spasti, runter mit der Hose.«
Tom schüttelte energisch den Kopf. Die Peinlichkeit, ohne Hose in der Schule zu erscheinen, würde er nicht überleben. Und mehr Geld, um sie zurückzukaufen, hatte er nicht.
»Ihr kriegt meine Hose nicht.«
»Wollen wir wetten?«, fragte Marvin und gab seinen Jungs ein Handzeichen. Mit Gebrüll stürzten sie sich auf Tom. Fynn und Marcel hielten seine Arme fest, während Julian und Kevin an seiner Jeans zerrten. Tom strampelte mit den Beinen und wand sich wie ein aufgespießter Wurm an der Angel.
»Wie kriegen wir die Hose über die Dinger?«, fragte Kevin und deutete auf Toms Beinschienen.
»Keine Ahnung«, sagte Marvin, »mach sie irgendwie ab.«
Tom wehrte sich aus Leibeskräften. Er hörte ein reißendes Ritsch und sah dann sein Handy aus der kaputten Hosentasche auf die Straße fallen. Mit einem Knacken zersprang das Display an einer Ecke. Wie ärgerlich, er hatte doch immer so gut darauf geachtet. Währenddessen fummelte Kevin an den Plastikverschlüssen seiner Beinschienen herum.
»Halt gefälligst still«, befahl er Tom, der aber überhaupt nicht daran dachte. Alles, was ihm durch den Kopf ging, war: Nicht meine Hose! Wehr dich! Wehr dich, Tom Tumbler!
»Auuuaaascheißeeee!«, brüllte Kevin, als er sich einen Finger zwischen zwei Metallösen an Toms Schienen einklemmte und deshalb seine Beine losließ.
Jetzt strampelte Tom noch stärker. Er traf Julian mit dem Knie am Kinn, der daraufhin ebenfalls seinen Griff löste. Fynn und Marcel wollten eingreifen, konnten sich aber in dem plötzlichen Getümmel nicht ordentlich koordinieren.
Strampeln, wackeln, ruckeln, treten – und Tom hatte sich befreit. Durch sein Gezappel war einer der Angreifer gegen den anderen gefallen und nun lagen sie rings um ihn herum auf dem Boden und blickten ihn verdattert an. Noch mehr als die Schrecklichen Sieben war er selbst erstaunt, denn Tom war der einzige, der noch stand. Und er nutzte die Gelegenheit. Blitzschnell griff er nach seinem Handy, das auf die Straße gefallen war.
Lauf, hämmerte es in seinem Kopf. Lauf so schnell du kannst!
Und das tat er.
»Hoch mit euch und hinterher!«, hörte er Marvin brüllen. »Los! Los! Los!«
Einer nach dem anderen kam auf die Beine, aber Tom hatte sich bereits einen guten Vorsprung verschafft. Dennoch wusste er, dass dieser in Nullkommanichts schmelzen würde, wenn die sieben erst einmal in Gang gekommen waren. Mit seinen Beinschienen war er eine leichte Beute.
Lauf, Tom. Lauf.
Er rannte so schnell, wie es seine Behinderung hergab. Das Handy fest umklammert, stolperte er um eine Häuserecke und wäre dabei fast über eine Frau und ihren Einkaufswagen gefallen, die gerade aus einem Lebensmittelgeschäft herauskam und zielstrebig ihr Auto ansteuerte. In letzter Sekunde konnte er ihr ausweichen. Empört rief sie ihm hinterher: »Pass besser auf, wo du hinläufst, sonst …«
Weiter kam sie nicht, denn da stürmten Toms Verfolger um die Ecke. Mit einem lauten »Aaaaaarrrrgggghhhh!« rannte Marvin direkt in den Einkaufswagen hinein. Beide stürzten laut krachend zu Boden und die Einkäufe der Frau verteilten sich über den Gehweg. Dosen mit Katzenfutter kullerten zwischen Orangen, Äpfeln und einer Wassermelone über den Boden. Eine Flasche Olivenöl zerschellte auf dem Asphalt und hinterließ einen großen, schmierigen Fleck. Kevin rutschte darauf aus und fiel über Marvin. Daraufhin stürzte Ole über Kevin, Fynn über Ole, Justin über Fynn, Marcel über die Frau und Julian trat ganz einfach in die Melone. Alle acht, die Frau eingeschlossen, kreischten vor Wut.
»Ha!«, rief Tom und zeigte ihnen, einem plötzlichen Impuls leichtsinnigen Triumphes folgend, im Laufen den aufgerichteten Mittelfinger. Was er besser nicht getan hätte, denn so übersah er den UPS-Lieferanten, der ihm mit einer voll beladenen Sackkarre entgegen kam.
»Was zum …«, rief der aus, als Tom in seine Pakete rannte. Alles flog umher, Tom, das Handy, die Pakete, der Karren und auch der UPS-Lieferant.
»Verdammter Bengel«, fluchte der Lieferant und griff nach Tom. Der hielt geistesgegenwärtig eines der Pakete als Schild vor sich. Beide klammerten sich nun daran, Tom, um sich zu schützen und der Mann, um es ihm zu entreißen.
»Her damit!«, brüllte der Lieferant.
Aus den Augenwinkeln konnte Tom sehen, dass sich Marvin wieder aufgerappelt hatte.
»Hier geblieben!«, schrie die Frau ihn an, und hielt verzweifelt sein T-Shirt fest.
»Hier geblieben!«, schrie der UPS-Mann Tom an. Jetzt hatte sich Marvin endlich losgerissen. Mit langen Schritten kam er auf Tom zugerannt.
Weiter, ich muss weiter.
»Tut mir leid«, keuchte er und stieß dem UPS-Lieferanten mit voller Kraft das Paket entgegen. Der taumelte rückwärts und fiel hin. Tom suchte hektisch den Boden nach seinem Handy ab.
Wo … wo … wo ist es?
Dann hatte er es entdeckt. Gott sei Dank.
Er griff danach und hob es auf. Weg, nur weg. Die Flucht ging weiter.
Marvin war fast bei ihm, als Tom los rannte.
Er kriegt mich. Ich bin nicht schnell genug.
Tom lief um eine weitere Häuserecke und durch ein Gittertor. Auf der anderen Seite befand sich ein schmaler, dunkler Weg, den er hastig einschlug. Schweiß rann ihm den Rücken und die Stirn hinab, lief ihm in die Augen, so dass sie zu brennen anfingen, aber er achtete nicht darauf. Keine Zeit für Schweiß.
Weiter, immer weiter.
Tom rannte, rannte um sein Leben, lief den Weg entlang und dann sah er es.
Oh nein.
Seine Flucht endete hier, der Weg mündete in einen Hinterhof. Eine Sackgasse, eine verdammte Sackgasse!
»Du bist tot!«, brüllte Marvin dicht hinter ihm.
Tom stolperte in den Hof hinein. Er war ringsum vergittert. Lediglich einige Mülltonnen und leere Kartons standen herum. Es roch nach Unrat und Einsamkeit. Aber was noch viel schlimmer war: Es roch nach seiner Angst.
»Hab ich dich«, keuchte Marvin. Auch er schwitzte, schien es aber nicht zu bemerken. »Wo willst du nun hin, Spasti?«
Panisch sah sich Tom um, das Handy fest umklammert. Kein Ausweg. Warum ist hier kein Ausweg?
Was soll ich tun? Was …?
»Du hast gerade den Fehler deines Lebens gemacht«, sagte Marvin und kam einen Schritt auf ihn zu. »Ich werde dich so was von fertigmachen.«
Beschwichtigend hob Tom die Hände, wollte etwas sagen, irgendetwas, das Marvin beruhigen würde, aber er stammelte nur »Lassnt mich nfach n Ruh …«
Marvin trat auf eine leere Cola-Dose, schien es aber gar nicht zu bemerken. Tom hörte, wie das Weißblech unter seinem Stiefel zermalmt wurde.
Erst die Dose, dann ich.
»Jetzt bist du dran«, brüllte Marvin und stampfte auf ihn los. 80 Kilos geballte Wut. Eine kleine Lokomotive.
Tom wich zurück und stieß gegen eine Mülltonne.
Nein, ich muss …, ich muss … ich muss hier WEG!
Er kniff die Augen zusammen und riss gleichzeitig schützend die Fäuste hoch. Auch wenn Marvin es so sah, er war kein Schaf, das man einfach so zur Schlachtbank führen konnte. Augen auf und kämpfe!
Tom fühlte, wie sein Herz hämmerte und literweise Blut pumpte.
Bum-bum-bum-bum-bum.
Wie eine eiserne Dampfmaschine, die unter metallenen Schlägen ächzt.
Kämpfe wie ein Mann, du Lusche!
Das Adrenalin rauschte durch seinen Körper, beflügelte ihn, pushte ihn. Sein Puls raste. Die Membran seines Trommelfells vibrierte wie die Bespannung einer Pauke, auf der ein Musiker gerade seinen gesamten Frust entlud.
Dann spürte er einen starken Stoß.
Mit einem Aufschrei wurde er gegen etwas Hartes geschmettert, so dass die gesamte Luft aus seinen Lungen wich. Tränen schossen ihm in die Augen und nahmen ihm die Sicht. Die Arme schützend vor dem Körper verschränkt, erwartete Tom Marvins nächsten Schlag.
Wartete.
Doch der kam nicht.
Zwei Atemzüge später kam er immer noch nicht. In seinen Ohren hatte der Musiker den ganzen Ärger herausgetrommelt und wurde langsam leiser.
Tom blinzelte und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Stell dich dem Feind.
Endlich konnte Tom wieder klar sehen.
Aber …, wo ist er hin?
Suchend blickte er sich um. Marvin war weg, einfach verschwunden.
Wieso? Diese Gelegenheit, ihm in aller Ruhe die Abreibung seines Lebens zu verpassen, würde er sich nie entgehen lassen. Wo war er bloß hin?
Oder hatte er sich nur versteckt, um dann seinem Opfer eine noch viel größere Gemeinheit anzutun? Tom schüttelte die Benommenheit aus seinem Kopf und blickte sich um. Und dann sah er es.
Das ist nicht möglich! Das kann einfach nicht möglich sein!
Nicht nur Marvin war weg, sondern auch die gesamte Umgebung, in der sie sich eben noch befunden hatten.
Der Stoß musste ihn härter erwischt haben, als er gedacht hatte.
Du träumst. Wach auf, sagte er sich und schlug ein paar Mal mit der Hand an seinen Kopf.
Aua.
Offensichtlich träumte er doch nicht. Aber das, was er sah, war logisch nicht zu erklären.
Oh Gott.
Im Kindle-Shop: Tom Tumbler und die eisernen Monster: Teil 1.
Mehr über und von Marcus Kaspar auf seiner Website.
Labels: Fantasy, Marcus Kaspar
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