1. April 2019

'Die Conrad Verschwörung' von Kai Bliesener

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Carl Janson hatte mit seinem Agentenleben abgeschlossen und sich gemeinsam mit Martha Conrad zur Ruhe gesetzt. Doch ein Problem gab es noch, was er eher früher als später lösen musste – Marthas kleine Tochter lebte in einem sozialistischen Waisenhaus.

Hilfe dabei verspricht ihm der Chef der Organisation, James Morrisson - wenn Janson einen letzten Auftrag für ihn erledigt. Er soll einen hochrangigen Pentagon-Mitarbeiter abfangen, bevor dieser geheime Unterlagen an die Sowjets übergeben kann. In Wien gerät er zwischen die Fronten und bekommt unerwartet Hilfe, doch seine Gegenspieler sind so mächtig wie brutal.

Wird Janson den Verräter stoppen und kann er dann mit Martha und ihrer Tochter ein friedliches Leben führen?

Leseprobe:
Die Frau stand schon eine viertel Stunde reglos an dem Grab. Weder die herbstliche Kühle noch der Regen schienen sie zu stören. Die blonden Haare, die sie zu einem Knoten gebunden hatte, waren inzwischen durchnässt und klebten in Strähnen am Kopf. Von der Schulter hing ihr eine Handtasche. Keine besondere Tasche, sie war nicht mal aus echtem Leder. Aber ihr Inhalt war von unschätzbarem Wert. Kam sie in die falschen Hände, drohte womöglich ein neuer Krieg, das wusste sie nur zu genau.
Eigentlich sollte sie hier gar nicht stehen, denn sie hatte keine Zeit, ihr Kontaktmann wartete auf sie. Doch es wäre ihr nicht möglich gewesen, nach Stuttgart zu kommen, ohne das Grab ihres Vaters zu besuchen. Es war das erste Mal seit seiner Beisetzung auf dem Waldfriedhof in Stuttgart. Aber es war viel passiert in den letzten Jahren und sie hatte keine Möglichkeit gehabt, ihm ihre Aufwartung zu machen.
Wie sehr sie ihn gemocht hatte, war ihr erst nach seinem Tod bewusst geworden. Zu Lebzeiten war ihre Beziehung bestenfalls eine funktionale gewesen. Und nachdem die Mutter sich wenige Jahre nach dem Krieg das Leben genommen hatte, war selbst diese Bindung verflossen. Jeder ging seiner Wege. Eine Karte zu Weihnachten und eine zum Geburtstag, mehr war nicht drin gewesen. Nicht einmal, als sie ihn nach ihrem schweren Autounfall auf der Solitude Strecke gebraucht hätte, war er für sie da. Daran war sie zwar nicht unschuldig, denn sie hatte dafür gesorgt, dass er nichts davon erfuhr. Dennoch machte sie es ihm zum Vorwurf.
Trotz alledem hatte sie die Nachricht von seinem Tod getroffen. Sie war sofort in ihre alte Heimatstadt gekommen, um alle Arrangements zu treffen und ihm ein würdiges Begräbnis im kleinen Kreis der Familie zu organisieren.
Nun stand sie hier, fast sechs Jahre später, und hätte ihrem Vater so viel zu sagen gehabt. Doch er würde ihr nicht mehr antworten. Dabei war ihr Leben in Unordnung geraten, waren die zurückliegenden Monate eine immer währende Achterbahnfahrt von friedlichen Momenten und brüllender Gewalt.
Alles hing zusammen mit dem Mann, den sie liebte und für den sie sich entschieden hatte. Aber mit ihm war etwas in ihr Leben getreten, von dessen Existenz sie bis dahin nichts gewusst hatte. Es war eine Welt voller Verrat, Intrigen und Tod. Eine Welt, wie sie früher ihr Vater geschildert hatte, wenn er – was selten vorkam – vom Leben zur Zeit der Nazi-Diktatur erzählte. Lange Zeit hatte sie ihn für seine Arbeit für das Regime verurteilt, hatte mit ihm gestritten, ihm sogar an den Kopf geworfen, er hätte in Nürnberg auf die Anklagebank gehört. Doch inzwischen wusste sie es besser. Aber das konnte sie ihm nicht mehr sagen.
Der Regen war stärker geworden und sie warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr an ihrem rechten Handgelenk. Die Zeit war dahingerast. Carl würde nicht kommen, obwohl sie es sich so sehr gewünscht, so sehr darauf gehofft hatte. Sie fürchtete, ihm sei etwas passiert. Eine Vorahnung und eine Welle unsichtbaren Schmerzes durchfluteten ihren Körper. Sie musste sich wieder auf den Weg machen.
Dann nahm sie in Gedanken endgültig Abschied von ihrem Vater. Vielleicht war es sogar ein Abschied für immer, da sie nicht wusste, wann und ob sie jemals zurück an sein Grab kommen konnte. Sie wusste nicht einmal, ob sie die Geschichte lebend überstehen würde.
Der Scharfschütze freute sich, denn die junge Frau gab ein gutes Ziel ab, wie sie so dastand, den Kopf leicht nach vorne geneigt. Ihre Konturen, sogar die feinen und eleganten, aristokratischen Gesichtszüge, waren durch das Fadenkreuz zu erkennen. Der Haarknoten am Hinterkopf bildete den Mittelpunkt der vier aufeinander zulaufenden Linien, die durch zwei Kreise unterschiedlicher Größe geschnitten wurden.
Er lag verborgen hinter einer Steinmauer und einem Gebüsch etwas erhöht und hatte freie Sicht auf sein Opfer. Er wollte ihr den Moment lassen. Abschiede gehörten zum Leben. Sie waren wichtig. Das wusste niemand besser als er. Also sollte sie sich von ihrem Vater verabschieden, ehe sie von ihrem eigenen Leben Abschied nehmen würde.
Außerdem schoss er ungern jemandem in den Hinterkopf. Obwohl die meisten gar nicht wussten, was mit ihnen geschah, wenn sie von einem Projektil getroffen wurden, so beobachtete er gerne den letzten Gesichtsausdruck der Menschen, deren Leben nur einen Augenblick später ausgehaucht war.
Als er sah, dass die Frau aus ihrer Starre wieder zurückzufinden schien, krümmte sich sein Finger um den Abzugshahn. Sie drehte sich um und er visierte ihre Brust an, genau an der Stelle, hinter der ihr Herz schlug und das Blut durch die Adern ihres Körpers pumpte, und drückte in genau dem Moment ab, als sie sich etwas zur Seite drehte. Die Kugel traf sie, wenn auch nicht mit voller Wucht, doch so, dass sie augenblicklich zu Boden ging und ihr Körper hart auf die regennasse Erde und den Blumenschmuck aufschlug. Kleine Wasserfontänen spritzen nach oben.
Der Scharfschütze überlegte, ob er auf Nummer sicher gehen und ein zweites Mal abdrücken sollte. Doch als er durch das Zielfernrohr das rote Rinnsal sah, das sich mit dem Regen vermischte, war er zufrieden. Sein Job war getan. Jetzt konnte er auch den Namen lesen, der auf dem Grabstein eingemeißelt war, über den die junge Frau gestürzt war. Und von der er wusste, dass sie die Tochter des Mannes war, der hier begraben lag: Hermann von Conrad.

Im Kindle-Shop: Die Conrad Verschwörung.
Für Tolino: Buch bei Thalia
Mehr über und von Kai Bliesener auf seiner Website.

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