12. Dezember 2019

'Mord & Nougat Crisp: Paula Anders' dritter Fall' von Klaudia Zotzmann-Koch

Kindle | Tolino | Taschenbuch
Website Klaudia Zotzmann-Koch | Autorenseite im Blog
Im Museum soll es mehr Mumien geben. Paula Anders und ihre Nichte kreieren Schokoladen-Sarkophage für den Museumsshop. Bei der Anlieferung neuer Mumien für eine Sonderausstellung ereignen sich mysteriöse Todesfälle.

Doch statt eines Pharaonenfluchs sind tödliche Substanzen im Spiel, die ihren Weg ins beschauliche Hildesheim gefunden haben. Kriminalhauptkommissar Volker Müller gerät unter Zeitdruck, als sein Kollege mit den Substanzen in Berührung kommt.

Leseprobe:
»Und hepp!« Der Speditionsmitarbeiter in der weißen Arbeitshose wuchtete ein enormes Paket auf eine überdimensionale Sackkarre und Uwe Harms gab sich alle Mühe, die unhandliche Lieferung zu sichern. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte war, dass eines der Pakete Schaden nahm. Jedes einzelne davon war mehrere Millionen Euro wert. Wie beinahe jedes Mal. Der melierte Schnurrbart zuckte, als der Mann von der Spedition die Sackkarre ruckartig in Bewegung setzte. Die kleine Schwelle des breiten Liefereingangs verursachte ein beunruhigendes Scheppern im Innern des Pakets und Uwes Schnurrbart kräuselte sich gemeinsam mit seiner Oberlippe. Welcher Depp hatte bloß die Verpackung gemacht? Im Kopf ging er die Listen durch und kalkulierte, was wohl in diesem speziellen Paket sein mochte. Aber es war schwer zu sagen, sie waren alle in etwa gleich groß – es konnte jedes einzelne der bestellten Objekte sein. Uwe drückte auf den Knopf des Lastenaufzugs, während der Spediteur das nächste Paket auf die Sackkarre lehnte. Das Paket war nicht ganz bis nach hinten geschoben worden und schwankte bedenklich, als die Karre angekippt wurde. Uwe wurde schlecht. Er lief die wenigen Schritte zum geparkten Lkw und hielt schützend beide Hände gegen das obere Ende der Kiste. Er würde das nächste Mal darauf bestehen, dass sie ihm keinen Anfänger schickten. Ein Missgeschick konnte sich hier niemand leisten. Natürlich war die Spedition versichert, aber der lästige Papierkram …

Schließlich wuchteten sie das fünfte und schwerste Paket auf die Sackkarre, balancierten alles über die kleine Schwelle nach drinnen und schoben alle Kisten, die jeweils auf den kurzen Enden standen, mit kurzem Schwung über die nächste Schwelle in den Lastenaufzug. Für einen von beiden war noch Platz in der Kabine und der Spediteur blieb im Innern stehen, während Uwe in der Hälfte der Zeit den Weg über die Treppe nahm. Unten musste er auf den Aufzug warten. Sein Schnurrbart zuckte ungeduldig.

Endlich öffneten sich die Türen und Uwe sackte der Magen ein gutes Stockwerk tiefer.
»Was zur Hölle …«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf das Chaos, das sich im Lastenaufzug vor ihm präsentierte. Eine der Holzkisten stand noch, alle anderen waren umgekippt, zwei obendrein aufgebrochen und Füllmaterial quoll auf den grauen Linoleumboden. Der Spediteur lag zuunterst unter den schweren Kisten, Blut lief ihm über eine Seite des Gesichts, mischte sich in den Staub des Verpackungsmaterials.
»Scheiße.« Uwes Schnurrbart sprang auf und ab, als er die knappen Informationen ins Funkgerät rief:
»Hol’ einen Krankenwagen!«

Der Schnurrbart hüpfte, als Uwe fassungslos auf den Boden schaute. Wie lang war der Aufzug gefahren? Ein Stockwerk nur. Dreißig Sekunden? Fünfundvierzig? Er fuhr langsam, aber nicht langsam genug, um das hier zu erklären. Der Spediteur lag unter zwei der Kisten und alles sah aus, als hätte hier drinnen ein Kampf stattgefunden. Aber wie …? Und mit wem? Uwe war kurz davor, an den ‚Fluch des Pharao’ zu glauben – die Kisten sollten fünf neue Exponate für die Mumien-Ausstellung enthalten. Holzwolle sah er aus den aufgeplatzten Kisten quellen und etwas Sägemehl. Als Uwe merkte, dass er seinen Atem anhielt, atmete er aus und zweimal tief ein. Er stand da wie angewurzelt – aber er musste dem Mann doch helfen! Er schüttelte seinen Kopf, wie um sich aus einem tiefen Traum zu befreien. Dann beugte er sich hinunter und machte sich an den Kisten zu schaffen. Sie waren verdammt schwer. Wie war der Mann bloß darunter geraten? Er zerrte und schaffte es, eine der Kisten von dem Mann herunterzuwuchten. Sie knallte hart auf den Boden des Lastenaufzugs und eine Wolke von ausgerieseltem Sägemehl erhob sich. Die zweite Kiste lag quer über dem Brustkorb des Mannes und jetzt, da die obere Kiste entfernt war, sah Uwe, wie sich das weiße Polohemd des Mannes rot verfärbte.
»Scheiße«, fluchte Uwe und der Schnurrbart hüpfte unwillig auf und ab.
Wieder ging er in die Hocke, um die Kiste mit der Kraft seiner Beine hochzustemmen. Auch sie war schwer, aber zum Glück ein wenig leichter als die vorige und er schaffte es beim ersten Versuch. Sie schwankte bedenklich, als er sie auf das kurze Ende stellte. Aber endlich hatte er den Mann befreit. Aus einem Loch in seinem Polohemd ragte eine blutige Rippe hervor. Uwe schluckte und wandte den Kopf ab.

Er wartete einige Atemzüge, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er weitermachen konnte. Er ging wieder in die Hocke, stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab und tastete mit zwei Fingern der anderen nach der Halsschlagader. Seine Hand zuckte zurück – er spürte keinen Puls.
»Scheiße!«, fluchte Uwe erneut.
Benommen ließ er die Knie den kurzen Weg zum Boden des Aufzugs sinken. Wo blieb denn der Krankenwagen? Konnte der überhaupt noch helfen?
Er stockte. Ja, er erinnerte sich genau, über das Funkgerät einen Krankenwagen angefordert zu haben. Aber hatte Erika geantwortet? Er dachte kurz nach. Nein, die ältere Dame am Empfang hatte seinen Funkruf nicht erwidert. Oder doch? Nein. … Oder? Verwirrt schaute Uwe sich um, starrte an die Decke des Aufzugs und die üblicherweise rechtwinkligen Streben tanzten vor seinen Augen. Er atmete tief ein, versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Welt drehte sich um ihn, er bekam keine Luft. Er wollte aufstehen und hinaus an die frische Luft. Er musste hier raus. Sofort. Die Wände schienen näherzukommen und seine Kehle war wie zugeschnürt. Er rappelte sich in den Kniestand, stützte sich mit dem Ellenbogen an die Aufzugtür und rieb sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Das Sägemehl, das an seiner Handfläche geklebt hatte, brannte in seinem Auge und es begann, auf der Stelle zu tränen. Er brauchte seine gesamte Kraft, um sich an der glatten Tür hochzuziehen. Doch er schwankte, trat gegen den leblosen Körper und kippte seitlich gegen die mühsam aufgerichtete Box, die mit ohrenbetäubendem Krachen wieder der Schwerkraft erlag. Der Dominoeffekt tat das Seine dazu und Uwe wurde von der benachbarten Kiste umgerissen. Er fiel auf den Spediteur, merkte, wie dessen hervorstehende Rippe seine eigene Haut ankratzte und einen Wimpernschlag später, wie die niederrasende Kiste seinen linken Arm traf. Das Knacken seiner Knochen hörte sich gar nicht gut an, doch er bemerkte es nur am Rande. Uwe musste würgen und er bekam immer weniger Luft. Er verfiel in Schnappatmung. Die rechte Hand suchte zuckend nach dem Funkgerät.
‚Krankenwagen …‘, dachte er, als farbenfrohe Flecken sein Blickfeld erfüllten. Und dann war alles ruhig.

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