2. Oktober 2020

'Der Geschmack der Anderen' von Anita Seberg

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"Cézanne hat auch nur gesehen, was du gesehen hast. Ob im Licht oder im Schatten."
"Aber er war Cézanne!"
"Genau! Das ist die Lösung! Du bist John!"
John schaute sie ernst an.
"Nur du allein machst aus dem Gewöhnlichen etwas Besonderes, du selbst bringst die Magie in dein Leben! Das ist Kunst!"


Der zweite Roman von Anita Seberg erzählt die Geschichte der beiden, bereits aus "Karina Erwacht" bekannten, Figuren Ingrid und John. Sie entführt uns in das sommerliche Aix-en-Provence der 90er Jahre und bildet einen Reigen erotischer Erlebnisse, rätselhafter Begebenheiten und schicksalhafter Verknüpfungen, deren Mittelpunkt eine geheimnisvolle, üppige, junge Frau ist.

Während die Kunststudentin Ingrid als Volontärin eine prestigereiche Vernissage im Pavillon de Vendôme vorbereitet und nach einigen Enttäuschungen in der Liebe über mögliche falsche Abzweigungen im Leben nachdenkt, findet der Journalist John langsam zu sich selbst und erkennt schließlich, was er eigentlich will und kann.

Anleser:
John legte seine Zigarette auf die kleine blauweiß gemusterte Untertasse, die auf dem schäbigen Nachttisch des ohnehin heruntergekommenen Hotels stand. Er betrachtete Yvettes elegant geschwungene Rückseite. Sie saß nackt auf der Bettkante und stand jetzt auf, um ins Bad zu gehen. Er sah ihr nach bis sie die Badezimmertür geschlossen hatte, dann schaute er in die andere Richtung. Ein rötlich verblichener, leichter Vorhang bauschte sich sanft und glättete sich dann wieder. John seufzte tief, stand auf, nahm die Zigarette, zog an ihr, zog den Vorhang zur Seite und stellte sich ebenfalls nackt an das bis zum Boden reichende Fenster.
Nun war es also geschehen. Er hatte sich nicht zurückhalten können, er hatte sich illoyal seinem Kollegen gegenüber verhalten, er hatte Yvette keine Abfuhr erteilen können, sondern war im Gegenteil schon bei seiner Ankunft im Restaurant so scharf auf sie gewesen, dass, hätte sie ihn nicht sowieso von der ersten Minute an verführen wollen, er den ersten Schritt getan hätte. Er konnte sich nicht erinnern, je so schnell mit einer Frau überein gekommen zu sein. Schon als er sie am Tisch sitzen sah, mit unter einem Minirock nackten, übereinander geschlagenen Beinen, den hochhackigen Schuhen und dem blumig gemusterten Top, dessen Spaghettiträger so weit heruntergerutscht war, dass er sehen konnte: sie trug keinen BH, da schon war ihm klar geworden, dass es diesmal kein Zurück geben würde und das sein musste, was sein musste und zusammenfand was zusammengehörte. Jedenfalls für diesen einen staubigen späten Nachmittag in Aix-en-Provence zusammengehörte. Denn natürlich gehörte Yvette seinem Kollegen und keinesfalls würde sich das wiederholen. Noch konnte man sich auf einen Ausrutscher, ein kurzes, unerklärlich heftiges Verlangen in der Hitze des Sommers herausreden. Schon bald würde der Mistral über die Berge kommen und ein jeder wusste doch, dass man während dieser Zeit verrückt werden konnte. Ja, noch waren die Dinge zu klären, aber die Grenze lag hier eindeutig nach dem ersten Mal!
John warf seine Zigarette aus dem Fenster und scheinbar jemandem vor die Füße, denn es folgte ein wütender Fluch.
Mit einem Schritt nach hinten, entzog sich John den Blicken der Passanten auf der Straße unter ihm.
Heute war kein guter Tag für sein Karma! Was war nur aus dem zurückhaltenden, höflichen Mann geworden, der er noch vor kurzem gewesen war. Schwer ließ er sich auf das Bett fallen.
Yvette betrat das Zimmer. John sah zu ihr hinüber. Was würde sie nun tun? Wollte sie sich jetzt öfter treffen? Wollte sie eine Affäre? Wollte sie gar ihren Mann verlassen, seinen freundlichen Kollegen Jacques? Hoffentlich nicht! John merkte, wie Panik in ihm hochstieg. Keinesfalls wollte er mit Yvette eine Beziehung aufbauen. Sie war, abgesehen von ihrem Äußeren, überhaupt nicht die Art von Frau, in die er sich verlieben könnte. Sie war zu leicht zu haben gewesen und auch wenn es John schwer fiel, es zuzugeben, er konnte eine Frau nur schätzen, wenn sie schwer zu erreichen war. Er wollte abgewiesen werden, warten, umwerben, sich sehnen, sich verzehren, sich anstrengen, Strategien entwickeln, Spuren verfolgen, kurz er wollte Jäger und nicht Gejagter sein.
Was, wenn sie nun Ansprüche an ihn erhob? Immerhin war er eben noch in ihren Körper, in ihr Innerstes, eingedrungen. Er konnte sie nun nicht einfach wegschicken. Sie hatte jedes Recht, Ansprüche zu erheben. John schluckte.
Yvette begann zu kichern. "Einen Penny für deine Gedanken!"
John sah sie an und versuchte zu lächeln.
"Hast du Angst?" Sie kicherte weiter, legte ihre Handflächen zusammen und hob sie vor ihren Mund. "Du müsstest mal deinen Gesichtsausdruck sehen!" Yvette stieg auf das Bett und stellte sich breitbeinig über Johns Körpermitte.
Sie hat tatsächlich extrem wenig Schamgefühl, dachte John und betrachtete ihren schlanken Körper von unten. Fast intuitiv umfasste er ihre schmalen Fußgelenke und strich ihre glatten Waden zu den weichen Kniekehlen hinauf. Er bemerkte, wie sich Yvettes feine Härchen aufrichteten. Sie hatte am ganzen Körper Gänsehaut.

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