'Taranee: Zeiten des Zweifels' von Kristin B. Sword
Auftakt zu einer Familiensaga um Liebe, Vertrauen, Intrigen, Rache, Freundschaft, Verlust, Pflichtgefühl, Lüge, Glaube, Hoffnung und Zweifel. Der erste Band der Reihe webt, um teilweise real existierende Örtlichkeiten herum, die fiktive Lebensgeschichte der im Waisenhaus aufgewachsenen Taranee Gardner. Das Erbe ihrer Mutter, zu der sie nie Kontakt hatte, verschlägt die Achtzehnjährige im Sommer 1986 aus der Anonymität Hamburgs in die fränkische Provinz.
Dort träumt sie von einer eigenen Familie an der Seite des richtigen Mannes. An Männern mangelt es nicht, doch welcher ist der richtige, wem kann sie trauen – und kann sie ihren eigenen Gefühlen trauen? Bald schon weckt sie auf ihrer Suche einen rachsüchtigen Schatten, der am Ende alles zu zerstören droht.
Gleich lesen: "Taranee: Zeiten des Zweifels" von Kristin B. Sword
Leseprobe:
Vellberg, November 2010
Mit unbarmherziger Regelmäßigkeit dröhnte und verebbte das Geräusch des Presslufthammers in Taranee Gardners Ohren. Sie kniff die Augen zusammen, vermeinte, einen Lichtblitz hinter ihren geschlossenen Lidern wahrzunehmen. Als sie die Augen wieder öffnete, stand sie im Dunkeln. Selbst die Straßenlaterne war ausgegangen.
Und dennoch spürte sie, dass sie nicht allein war, noch bevor sie aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnahm. Ihr blieben nur Sekundenbruchteile, um Luft zu holen, bevor sich ein sehniger Arm von hinten um ihre Taille legte und sich das kalte Metall eines Pistolenlaufs gegen ihre Schläfe presste.
»Ein einziges Wort und der Erste, der durch diese Tür tritt, um dich zu retten, wird sterben«, zischte der Mann. »Und wer mag das wohl sein? Dein zartes, unschuldiges Töchterlein vielleicht oder sogar … dein Liebster? Das würde dir nicht gefallen, oder?«
Sie gab jedwede Gegenwehr sofort auf.
»So ist es brav. Und jetzt gehst du ganz langsam, auf Samtpfoten sozusagen, wie ihr Ballerinas das so wunderbar drauf habt, mit mir zur Haustür.«
Sie nickte zum Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte.
Zu leise ließ ihr Entführer die Haustür ins Schloss fallen, zu leise zerrte er sie zu seinem Wagen, zu leise stülpte sein Komplize ihr einen Sack über den Kopf. Einer der beiden rammte ihr etwas Hartes in den Magen, verhinderte so, dass sich ihr unvermitteltes Keuchen zu einem panischen Schrei auswuchs. Während ihr die Sicht verschwamm, empfand sie fast so etwas wie Dankbarkeit dafür. Ihr Schrei hätte nur weitere Leben gefährdet.
Als sie wieder zu sich kam, beunruhigte sie das leichte Ziehen in ihrem Bauch weit mehr als ihr dröhnender Schädel. Gewaltsam öffnete sie die Lider, erkannte zunächst nur die Umrisse des Raumes, in den man sie gebracht hatte. Sie spürte die modrige Pritsche unter den verspannten Gliedmaßen.
Nach und nach gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie konnte nicht mehr nur den muffigen Geruch, sondern auch die Einzelheiten ihrer Zelle ausmachen. An der Decke nahm sie einen riesigen Flachbildfernseher wahr, auf dessen Funktion sie sich keinen Reim machen konnte, außerdem einen Lautsprecher und eine Videokamera. Ihr Blick folgte einem langen Riss im Mauerwerk, stahl sich durch die Gitterstäbe auf den Gang, an dessen Wand zweifellos auch der Schlüssel zu ihrer eigenen Zelle hing.
Sie schnellte hoch, zuckte aufgrund der plötzlichen Bewegung zu ihrer Linken zusammen, ehe sie in dem Schreckgespenst mit den wirren, blutverkrusteten Haarsträhnen und den glanzlosen Augen ihr eigenes Abbild erkannte. Ein Einwegspiegel?
Ein Kratzen ließ sie herumfahren und die Luft anhalten. Schier endlose Sekunden vergingen, ehe sie das Geräusch den zappelnden Beinen einer Ratte zuordnen konnte, deren Schnauze jetzt über den Rand der gesprungenen Toilettenschüssel lugte. Der saure, übelkeitserregende Gestank biss sich in Taras Nasenschleimhäuten fest. Neben dem Abort stand ein verdrecktes Waschbecken mit einem weiteren Spiegel. Keine Dusche.
Ein bitteres Lachen entrang sich Taras Kehle, als der Gedanke in ihr hochstieg, wie es seinerzeit begonnen hatte. Beinahe unscheinbar, in einem Badezimmer, das seinen Namen im Gegensatz zu diesem hier redlich verdient hatte. Ganz gleich, wie überzeugt sie damals gewesen war, dass sie es nicht schlimmer hätte treffen können.
Vellberg, Juli 1986
Tara hasste das Geräusch, mit dem die altrosa Klobrille ihre Oberschenkel freigab.
Sie hätte geschworen, dass sie das Haus ihrer Mutter langsam und mit gebührendem Argwohn betreten würde. Gestern noch hätte sie es geschworen, ohne Zögern. Beim Grab ihrer guten alten Mari. Bei Jonas’ Leben sogar.
Doch es gab niemanden, der sie hätte schwören lassen. Und die halbe Stunde, die Tara im strömenden Regen am Hessentaler Bahnhof auf das offenbar einzige Taxi in dieser Wüstenei von Käffern hatte warten müssen, hatte andere, primitivere Bedürfnisse in den Vordergrund treten lassen.
Sie versuchte, das Zittern zu unterdrücken, als sie den Blick durch die winzige Nasszelle schweifen ließ. Eine mit grauenhaften Veilchenapplikationen verzierte Porzellantoilette, ein nicht weniger altmodisches, lindgrünes Waschbecken unter einem halbblinden Holzspiegel und eine schäbige Duschkabine von derselben Farbe bildeten ihr Begrüßungsensemble. Das zweite an diesem verflixt verfluchten Tag, nebenbei bemerkt.
Nein, das hier war nicht die Sorte Neuanfang, die sie sich erhofft hatte. Aber es war besser als keiner. Und Tara hatte nicht erwartet, dass ihre Mutter ihr keine Steine in den Weg gelegt hatte. Womöglich war es aussichtslos.
Dennoch straffte sie die Schultern, stieg aus den tropfnassen Kleidern und unter die Dusche, drehte den Hahn voll auf und ließ das warme Wasser über ihre steif gefrorenen Glieder laufen.
Dann machte sie sich an das Wagnis, den Rest des Häuschens zu inspizieren, der aus lediglich einem weiteren Raum bestand. Und dieser Mühe definitiv nicht wert war.
Ein augenkrebserregendes Sammelsurium aus schrulligem, abgewetztem Hausrat, dominiert von einem grün geblümten Ungetüm von einem Sofa, das aus jeder Pore den Geruch von peniblem Lavendel, bitterem Kaffee und altjüngferlicher Ignoranz ausdünstete.
Die plötzliche Enge in Taras Kehle ließ ihren Blick zum Fenster fliehen.
Und dort sah sie ihn.
"Taranee: Zeiten des Zweifels" im Kindle-Shop
Mehr über und von Kristin B. Sword auf ihrer Website.
Labels: Familie, Kristin B. Sword, Leben, Liebe
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite