7. September 2014

"Auf den Flügeln der Angst" von Catherine Shepherd

Auch der vierte Roman von Catherine Shepherd verknüpft Vergangenheit und Gegenwart zu einem atemberaubenden Thriller. Zons 1497: Bastian Mühlenberg von der Zonser Stadtwache steht vor einem Rätsel. Am Morgen nach dem Geburtstagsfest von Pfarrer Johannes schwimmt eine tote Frau im Burggraben. Vom Täter fehlt jede Spur. Als kurz darauf vor den Stadttoren von Zons ein Bote brutal ermordet wird, beginnt eine atemlose Jagd. Bastian entdeckt ein Geheimnis hinter den Steinen der Stadtmauer. Eine geheimnisvolle dunkle Flüssigkeit führt ihn auf eine gefährliche Reise, denn auch der Mörder ist auf der Jagd nach dem teuflischen Elixier ...

Gegenwart: Die alleinerziehende junge Mutter Saskia nimmt an einer klinischen Studie teil. Doch statt der erhofften Befreiung von ihren Ängsten fühlt sie sich von Tag zu Tag schlechter und kann am Ende nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden. Während Saskia von unerklärlichen, grausamen Bildern verfolgt wird, ermittelt Kommissar Oliver Bergmann in einer neuen Mordserie. Ein Stadtrat wird in seiner Zonser Wohnung ertränkt, wenig später führt ein Anruf die Polizei zu einer weiteren Leiche. Die einzige Verbindung zwischen den Opfern ist eine seltene Droge in ihrem Blut. Obwohl alles auf ein männliches Täterprofil hindeutet, hat Oliver starke Zweifel. Erst im letzten Moment erkennt er den wahren Zusammenhang, der ihn zurück ins Mittelalter führt ...

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Leseprobe:
Saskia genoss das Gefühl der Dominanz. Sie senkte den Blick und betrachte das Gesicht des Mannes, der mit geschlossenen Augen unter ihr lag. Er stöhnte leise durch den halboffenen Mund, als sie ihre Bewegungen verstärkte. Ihr Tag war ein Albtraum gewesen und sie brauchte dringend Ablenkung. Allen Bemühungen zum Trotz wuchsen die finanziellen Probleme ihr allmählich über den Kopf. Saskia wusste nicht mehr, wie sie die Miete für den nächsten Monat zusammenkratzen sollte.

Sie dachte an ihren kleinen Sohn, der jetzt ganz alleine in ihrer schäbigen Wohnung schlief und ihre Abwesenheit hoffentlich nicht bemerkte. Das schlechte Gewissen stach plötzlich wie ein Hornissenschwarm in ihre Eingeweide. Schnell fokussierte sie den Blick wieder auf das Gesicht unter ihr. Sie hatte ihn erst heute Abend kennengelernt und eine verächtliche Stimme in ihrem Inneren beschimpfte sie dafür, dass sie diesem Typen nach ein paar Drinks in seine Wohnung gefolgt war. Doch er sah gut aus und hatte ihr ein großzügiges Trinkgeld spendiert. Eigentlich sogar das großzügigste, dass sie je in der Kneipe, in der sie regelmäßig kellnerte, ergattert hatte.
Saskia fühlte sich leicht benebelt, während sie sich unablässig auf ihrer neuen Eroberung hin- und herbewegte. Ihre schwarz lackierten Fingernägel gruben sich tief in die weiche Haut seines Halses ein und hinterließen ein Muster aus feinen roten Linien. Ein perfekter Kontrast zu ihrem Tattoo, das von schillerndem Grün dominiert wurde. Das Tattoo befand sich seit drei Jahren auf ihrer Haut und Saskia fand es immer noch so schön wie am ersten Tag. Sie erinnerte sich genau an die Schmerzen, die sie beim Aufbringen ertragen hatte. Die Nadeln drangen in kurzen Zeitabständen stechend in ihren Unterarm ein, aber am Ende krönte eine wunderschöne Meerjungfrau ihre fahle blasse Haut und Saskia konnte kaum die Augen von diesem Bild lösen.
Sie hielt kurz inne und blinzelte. Ihr Blick haftete auf dem intensiven Grün des Meerjungfrauenschwanzes. Die einzelnen Schuppen waren ganz klar zu erkennen. Durch die Bewegungen ihres Unterarmes wirkte der Schwanz nahezu lebendig. Ganz sanft bewegte er sich hin und her und die vielen Schuppen schoben sich intervallartig ineinander, um sich kurz darauf wieder auszudehnen. Saskia fühlte sich leicht und ekstatisch. Sie schloss die Augen ein wenig. Gerade soweit, dass sie die Meerjungfrau weiter im Blick hatte. Die rhythmischen Bewegungen des schillernden Wasserwesens wurden immer heftiger und mit einem Mal kam es Saskia so vor, als würde es tatsächlich im Wasser schwimmen. Schon schob sich der Schwanz klatschend durch die Wellen, die von Sekunde zu Sekunde größer wurden und plötzlich über ihren Unterarm schwappten. Saskia grinste. Sie hatte wohl etwas zu tief ins Glas geschaut. Ohne mit ihren Bewegungen aufzuhören, zählte sie im Geist die Anzahl der Weingläser nach, die sie an diesen Abend getrunken hatte. Komisch, mehr als drei Gläser konnten es nicht gewesen sein. Instinktiv schloss sie die Augen und schüttelte den Kopf, um das Trugbild loszuwerden. Betont langsam atmete sie ein und öffnete dann die Augen.
Ihr Puls beschleunigte sich bei dem Anblick, der sich ihr plötzlich bot. Erschrocken blinzelte sie. Was war nur mit ihr los? Die Meerjungfrau war verschwunden. Stattdessen hatte sich das Wasser auf dem ganzen Bett ausgebreitet und die Wellen schlugen mit einem gehässigen Schmatzen über dem Kopf ihrer Eroberung zusammen. Der Mann unter ihr hatte aufgehört zu stöhnen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an und schrie. Plötzlich sah er gar nicht mehr so attraktiv aus, mit seinem verzerrten Mund und dem panischen Ausdruck auf dem Gesicht. Er riss an ihrer Schulter und versuchte sie ins Wasser zu zerren. Saskia spürte das kalte Nass und wehrte sich gegen seine festen Hände. Keinesfalls wollte sie sich unter Wasser ziehen lassen. Der Mann unter ihr schrie, doch sie konnte seine Worte nicht verstehen. Alles, was sie hörte, war das Rauschen des Wassers, welches sich mittlerweile im ganzen Zimmer ausgebreitet hatte. Sie spürte die Kälte und wusste instinktiv, dass sie auf ihm sitzenbleiben musste, wenn sie nicht ertrinken wollte.
Hektisch drückte sie seine Arme nach unten und entwand sich seinen flehenden Griffen. Das Wasser schwappte in großen Wellen über sein Gesicht und nahm ihm die Luft zum Atmen. Saskias Herz raste panisch. Doch sie wusste, dass sie ihm nicht helfen konnte. Sein Kopf war mittlerweile vollständig unter Wasser. Blubbernde Luftblasen bahnten sich den Weg an die Oberfläche und der Körper unter ihr begann, unkontrolliert zu zucken. Saskia spürte, wie ihr Herz gegen die Rippen hämmerte. Blut schoss in gewaltigen Mengen in ihren Kopf und brachte ihre Augäpfel fast zum Platzen. Der Druck wurde unerträglich und gleißende Blitze zuckten durch ihr Blickfeld, an dessen Rand sie plötzlich eine riesige alte Mauer wahrnahm. Das grelle Bild brannte sich in ihr Gehirn und Saskias Sehzentrum versagte. Blind und orientierungslos presste sie die Oberschenkel an den Mann und blieb rittlings auf ihm sitzen. Die Luft blieb ihr weg und sie fühlte, wie sie in der nassen Kälte nach unten sackte. Dann wurde alles schwarz.
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