'Nur zehn Tage' von M.P. Anderfeldt
Es sollte der Höhepunkt ihrer Kollegstufenfahrt auf die Kanarischen Inseln werden – ein Flug zu einer neu entstanden Vulkaninsel. Doch das Flugzeug stürzt über dem Meer ab und nur einige Mädchen schaffen es, sich auf eine unbewohnte Insel zu retten. Sie rechnen damit, dass sie bald gefunden werden, doch die Hilfe lässt auf sich warten.
Es beginnt ein Kampf ums Überleben - gegen die Natur und gegeneinander …
Gleich lesen: Nur zehn Tage: Thriller
Leseprobe:
Kein Film, stellte Midori fest. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass ihr ganzes Leben noch einmal vor ihrem inneren Auge ablaufen würde, aber das war wohl auch eine leere Versprechung gewesen. War ja klar.
Nina neben ihr schrie irgendetwas und klammerte sich an ihrem Arm fest. Angesichts der Umstände konnte man es ihr wohl nicht übel nehmen, dass sie ihre langen Fingernägel in Midoris Unterarm krallte, und so verzichtete sie auf einen diesbezüglichen Hinweis. Ohnehin hatte sie keine Lust, etwas zu sagen und sah lieber nach draußen. Völlig schwarz lag das Meer unter ihnen.
Ich bin ein Sturmtaucher, der ins Meer stürzt. Kopfüber tauche ich in die Fluten. Wird es kalt sein?
Natürlich. Das Meer ist immer kalt, außer an den winzig schmalen Rändern, wo die Menschen zu Tausenden in der Sonne liegen und ein paar Meter in das fremde Element eindringen. Dumm herumplanschen und sich dann am Strand ihren Hautkrebs heranzüchten.
Es wird kalt sein und dunkel und still. Hallo, Meer. Sie zitterte.
Es rumpelte und die Insassen schrien auf, als die Maschine durchsackte. Midori spürte den Höhenverlust unangenehm in der Blase. Wie in der Achterbahn, dachte sie. Ich hasse Achterbahnfahren.
Trotz – oder gerade wegen? – des Geschreis hörte sie, wie irgendjemand etwas Monotones murmelte. Ein Gebet? Wer ist hier denn religiös? Gerne hätte sie sich umgedreht, um nachzusehen, aber die Maschine wackelte derart, dass sie aufpassen musste, dass ihr Kopf nicht ständig gegen die Scheibe knallte. Oder gegen die hysterisch schreiende Nina.
Jetzt ein Foto, dachte sie. Am liebsten wäre sie aufgestanden, hätte ihr iPhone der vorletzten Generation gezückt und alle fotografiert. Zu sehen, wie sie in einer solchen Situation reagieren, das muss doch total interessant sein. Mit so einem Foto könnte man vielleicht einen Preis gewinnen.
Naja. Eigentlich sollte ich jetzt wohl an meine Eltern denken, überlegte sie stirnrunzelnd. Na dann, macht’s mal gut. Eure Midori.
PS: Danke für dein altes iPhone, Papa.
Der Aufprall war so hart, dass ihr Kopf nach vorne gerissen wurde und der Gurt schmerzhaft in ihr Becken einschnitt. Sie klappte zusammen wie ein Taschenmesser, ihr Gesicht krachte mit Wucht auf die Lehne des Sitzes vor ihr, während gleichzeitig ihre Füße mit Gewalt nach vorne gezogen wurden. Man hörte Plastik mit lautem Knallen splittern und das Stöhnen und Kreischen von geschundenem Metall. Es regnete Kunststoffsplitter und unzählige kleine Gegenstände flogen durch die Kabine nach vorn und prasselten gegen die Cockpitwand. Einen kurzen Moment war es dann ruhig. Sie waren beinahe zum Stillstand gekommen und schaukelten auf dem Wasser. Jemand stöhnte.
Ein wenig enttäuscht fragte sich Midori, ob das schon alles gewesen war. Oder hoffte sie es? Sie erinnerte sich an unzählige Broschüren mit Sicherheitshinweisen auf unzähligen Flügen. Unter der Überschrift »Notwasserung« sah man ein Flugzeug auf dem Wasser liegen, aus dem eine gelbe Rutsche ragte. Man musste dann Schuhe mit Absätzen ausziehen und durfte die Schwimmweste erst nach Verlassen des Flugzeugs aufblasen. Als sie noch klein war, hatte Midori sich immer gewünscht, dass es zu einer Notwasserung käme und sie die lange Rutsche benutzen durfte.
Naja, eine Rutsche gab es hier sowieso nicht. Und dass Flugzeuge auf dem Wasser schwimmen können wie auf der Zeichnung, hatte sie schon länger bezweifelt.
Etwas knirschte, der Boden neigte sich nach vorne und es ging weiter. Sie sanken. Nein, sie tauchten hinab, sie schossen in die Tiefe. Midori fühlte sich benommen. Der Schlag gegen den Vordersitz hatte sie mitgenommen.
Als sie eiskaltes Wasser an ihren Füßen spürte, kam sie wieder zur Besinnung. Automatisch löste sie ihren Gurt. Sie sah neben sich. Ninas Oberkörper war nach vorne gebeugt, sie bewegte sich nicht. Die blonden Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Midori hob mit beiden Händen Ninas Kopf hoch und sah sie an. Ihre Augen waren geschlossen. Kein Lebenszeichen. War sie tot oder bewusstlos? Sie konnte nicht tot sein, oder?
Sie fand Ninas Gurtschnalle und zog daran, dann war das Wasser plötzlich überall. Die Strömung zog Midori nach hinten, hob sie aus dem Flugzeug hinaus. Das Heck musste abgebrochen sein. Sie wurde zum Spielball der Strömung, wusste bald nicht, wo oben und unten war.
Dann sah sie, wie der hell erleuchtete Rumpf in die Tiefe schoss. Wann wohl das Licht ausgeht? Wie war das noch in dem Film Titanic? Rund um sie herum war alles voller Luftblasen, dann wurde es schwarz und Midori schwebte in der Finsternis des Meers. Allein in der Stille.
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