'Am Ende vom Horizont' von Lola Victoria Abco
Erzählungen über Menschen, die sich an einem Wendepunkt in ihrem Leben befinden: Luise hatte heimlich begonnen Kontaktanzeigen zu lesen. Auf der Fahrt zu ihrem ersten Treffen mit Norbert lässt sie ihr ihr Leben ernüchtert Revue passieren. Wird Luise den entscheidenden Schritt wagen und sich an ihrem Treffpunkt zu erkennen geben?
„Ich gehe zum … warte dort auf dich.“ Die letzten Worte ihres Mannes hatte Lene nicht verstanden. Seitdem verbringt sie ihren Urlaub allein am Meer. Jeden Tag sitzt sie am Strand, schaut zum Horizont und fragt: „Wartest du auf mich, Richard?“ Caspar David Friedrichs Gemälde „Frau vor der untergehenden Sonne“ beherrscht die Träume des Cafébetreibers. Plötzlich nimmt ein junges Mädchen deren Gestalt an und taucht in seinem Café auf. Magisch zieht sie ihn in ihren Bann.
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Leseprobe:
Langsam ließ das junge Mädchen ihren Blick durch das Café gleiten. Kurze Zeit verweilte sie bei einem Druck von Caspar David Friedrichs Bild „Frau vor der untergehenden Sonne".
Manfred nahm ein Bierglas aus dem Spülwasser. Ohne hinzusehen, polierte er es trocken und stellte es in das Regal über der Theke. Das Mädchen richtete sich ein wenig in ihrem Stuhl auf und wandte sich zur Seite. Manfred fuhr mit seinen Augen ihr Profil ab, die Stirn, die Nase, deren Spitze leicht nach oben zeigte, die Lippen, das ausgeprägte Kinn. Er stellte sich vor wie sie es einem Widersacher entgegen recken würde, wenn sie wütend war. Ihre vollen Lippen würden sich öffnen, vielleicht sich sogar ein wenig verzerren und böse Worte formen. Bei dem Gedanken daran lächelte Manfred.
Die Tür rechts neben der Theke schwang auf. Gespannt wandte sich das Mädchen um. Achtlos ging Gerda an ihr vorbei, servierte dem älteren Paar am Nebentisch Kaffee, Apfelstrudel und Himbeertorte. Das Mädchen begleitete Gerda mit den Augen zurück zur Schwingtür, dann glitt ihr Blick weiter zur Theke. Verwundert betrachtete sie die Unmengen von Seidenblumen, die längs des Tresens drapiert waren. Gerda hatte die Blumen vor langer Zeit dort angebracht. Manfred fand ihren Anblick noch heute lächerlich.
"Geschmacklos!", hatte er seiner Frau zugerufen.
Unbeirrt hatte sie ihre Dekoration weiter vervollständigt, ohne einen Kommentar oder eine Erklärung abzugeben. Manfred konnte sich auch so denken, weshalb Gerda den Bereich hinter der Theke verdecken wollte.
Immer noch schaute sich das Mädchen die Blumen an. Bewundernd sah Manfred zu wie sie ihre Haare zurück über die Schultern strich, seidige, lange, dunkelblonde Haare.
"Sie sieht aus wie eine Madonna!", dachte Manfred. Bedächtig nahm er ein weiteres Glas aus dem Wasser.„Warum sitzt jemand wie sie alleine in einem Café?"
Während er die Gläser putzte oder Getränke eingoss, machte sich Manfred oft Gedanken über seine Gäste. Gerda hatte ihm vorgeworfen, er würde die jungen Damen im Café mit den Augen verschlingen. Manfred hatte entgegnet, irgendwohin müsse er doch schauen.
"Immer die jungen Damen! Niemals die anderen Gäste! Du fixierst sie! Du verschlingst sie mit deinen Augen! Manfred, das ist nicht gut!" Der Ärger hatte Gerdas Gesicht rot gefärbt. "Die Leute werden dich einen ... einen ... ach, mir fällt das Wort nicht ein! Es ist nicht gut, Manfred!"
Manfred wusste, welches Wort seine Frau meinte: ein Voyeur. Aber es stimmte nicht. Er ging seinen Aufgaben hinter der Theke nach und schaute dabei in das Café, in sein Café. Was war schon dabei, wenn er sich über den einen oder anderen Gast Gedanken machte? Wo er herkam, was ihn bewegte, wer er war. Stimmte es, dass sein Blick immer bei den jungen Dingern haften blieb? Manfred musste an Gerda denken. So wie sie früher war, als junges Mädchen. Da war sie hübsch anzuschauen gewesen, schlank und fröhlich. Heute war sie dick und hatte Krampfadern.
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Labels: Erzählungen, Kurzgeschichten, Lola Victoria Abco
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