3. Mai 2016

'Zeit für die Schicht' von Norbert Fiks

Was passiert, wenn Raumfahrer im Asteroidengürtel auf ein außerirdisches Artefakt stoßen? Oder ein Zeitreisender versucht, den Mord an John F. Kennedy aufzuklären? Mit diesen und anderen Fragen hat sich Norbert Fiks in den 23 Science-Fiction-Kurzgeschichten von »Zeit für die Schicht« beschäftigt. Auch Roboter und Parallelwelten kommen vor – und für SF-Geschichten eher ungewöhnliche Darbietungsformen wie ein Hörspiel.

Kurz ist in einigen Fällen durchaus wörtlich zu nehmen ist. Die kürzeste Geschichte ist nur 16 Wörter »lang«. Damit wandelt der Autor auf den Spuren von Ernest Hemingway, dem Erfinder der Sechs-Wort-Geschichte.

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Leseprobe aus: Die Zeitmaschine auf dem Küchentisch
Juliane Meyer drückte ihrem Mann einen Karton in die Hand, als sie am Abend von der Arbeit nach Hause kam.
»Hier, pack’ mal aus«, sagte sie.
Während sie ihren Mantel an die Garderobe hängte, brachte ihr Mann, der gerade Abendbrot machen wollte, den Karton in die Küche und stellte ihn auf den Tisch.
»Was ist das?«, fragte Steffen Meyer, als er ausgepackt hatte. Auf dem Küchentisch stand etwas, das aussah wie ein umgedrehter, weiß emaillierter Wassereimer. Die Oberfläche war bis auf den in Silber schimmernden Schriftzug »Future Electronics« makellos glatt. Oben war das Gerät leicht abgerundet, und eine feine Rille war zu erkennen.
»Das ist ein Vorabmodell der Zeitmaschine, an der unsere Entwicklungsabteilung gerade arbeitet«, antwortete seine Frau. »Wir sollen ausprobieren, ob man damit im Alltag etwas angefangen kann. Melanie hat auch so eine mit nach Hause bekommen.«
Die Spaßbremse, dachte Steffen, verkniff sich aber jede Bemerkung über die Kollegin seiner Frau. Melanie Kasunke war Julianes beste Freundin. Die beiden kannten sich seit der Schule. Er fand sie langweilig, und vor Jahren hatte sie ihn mal abblitzen lassen.
Er umkreiste misstrauisch-neugierig dreinblickend den Küchentisch. Als er die Runde beendet hatte, sah er seine Frau herausfordernd an: »Und wie funktioniert die Zeitmaschine? Hier sind überhaupt keine Knöpfe dran.«
Juliane kramte ihr Smartphone aus der Handtasche und schaltete es ein. Sie wischte mit dem Zeigefinger ein paar Mal über das Display, bis sie das Passende gefunden hatte.
»Mit einer App. Hier, du kannst ganz einfach einstellen, wie weit die Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen soll. Es geht allerdings höchstens drei Tage zurück, ist bloß ein Prototyp«, sagte sie fast entschuldigend.
Steffen nahm ihr das Telefon aus der Hand und fingerte darauf herum.
»Da tut sich nichts.«
»Vermutlich müssen wir die Maschine erst einschalten.«
Juliane hob die Zeitmaschine an und drehte sie auf den Kopf. Im Boden waren ein Deckel, ein kleiner schwarzer Schalter mit der Beschriftung »On« und »Off« und ein USB-Anschluss zu erkennen. Hinter dem Deckel dürfte sich ein Akku befinden, und der USB-Anschluss ist bestimmt für die Stromversorgung und Updates, dachte Juliane, die mit Technik wenig am Hut hatte. Sie arbeitete bei Future Electronics in der Buchhaltung.
Sie drückte den Schalter in die »On«-Stellung. In der Kappe der Zeitmaschine begann ein kleines, rotes Licht zu blinken. Nach kurzer Zeit wechselte es zu einem ruhigen Grün.
Auf dem Display des Smartphones, das Steffen noch in der Hand hielt, poppte die Meldung »Connected« auf.
Juliane stellte das Gerät wieder richtig herum auf den Tisch und klappte den Deckel auf. Ein kleines, kaum postkartengroßes Fach kam zum Vorschein. Es war leer.
»Wenn ich es richtig verstanden habe«, sagte sie, »legt man etwas rein, und die Zeitmaschine transportiert es in die Vergangenheit.«
»Wozu soll das denn gut sein?«, wollte ihr Mann wissen und blickte sie finster an. Juliane ließ sich dadurch nicht stören. Er würde schon sehen.
Sie klappte den Deckel der Zeitmaschine zu und hielt den Atem an. Als sie bemerkte, dass das grüne Licht für einen Moment flackerte, ließ sie die Luft ab, sah auf die Uhr und baute sich vor ihrem Mann auf.
»Mach’ die Maschine auf.«
Steffen sah sie leicht irritiert an, weil sie sonst nicht so bestimmend war, sagte aber nichts und hob den Deckel an.
»Oh!«
In dem Fach, das gerade noch leer gewesen war, lag ein Zehn-Euro-Schein.
»Wo kommt der jetzt her?«, murmelte Steffen.
»Ich werde ihn in fünf Minuten hineingelegt und in die Vergangenheit geschickt haben.«
»Du verarscht mich«, entfuhr es Steffen, der leicht ungehalten werden konnte, wenn er nicht richtig verstand, was um ihn herum vorging.
Juliane schüttelte den Kopf. Sie nahm den Schein aus dem Fach der Zeitmaschine und schloss den Deckel.
Als die fünf Minuten vorbei waren, öffnete sie den Deckel, legte das Geld hinein und schloss das Gerät wieder. Sie nahm ihrem Mann das Smartphone aus der Hand und tippte etwas auf dem Display.
Die Kontrollleuchte flackerte.
»Et voilà!«
Juliane klappte den Deckel hoch. Das Fach war leer.
»Jetzt ist das Geld wieder weg«, stellte Steffen fest.
Genau. Das war wirklich erstaunlich, dachte Juliane. Sie nahm eine Haarsträhne in die Hand und drehte sie um die Finger. Buchführerisch war die Sache einwandfrei: Einnahmen und Ausgaben waren gleich, also blieb nichts übrig. Aber obwohl sie von Zeitreisen keinen Schimmer hatte und sie bisher für Science-Fiction gehalten hatte, sprang ihr das Paradoxe sofort ins Auge, denn mit Geld kannte sie sich aus: Woher war der Zehn-Euro-Schein, den sie in der Hand gehalten hatte, gekommen?

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