8. August 2016

'Mein GI für einen Sommer' von Paula Dreyser

Als Anthony im Herbst 1976 die Beziehung beendete, brach er Marita das Herz. Trotzdem waren die Monate mit dem selbstbewussten amerikanischen Soldaten eine wunderbare Zeit und für Maritas weiteres Leben von entscheidender Bedeutung. „Wenn es soweit ist“, hatte er gesagt, „dann musst du diese Welt mit Erinnerungen verlassen, nicht mit Träumen!“ Marita verstand, dass sie alleine für ihr Leben und ihr Glück verantwortlich war. Der Spruch wurde zu Maritas Lebensmotto. Mit Ende fünfzig, mittlerweile anerkannte und erfolgreiche Wissenschaftlerin, die ihr Leben nach ihren eigenen Maßstäben lebt, geschieht etwas Unerwartetes. Obwohl verstört und auch ängstlich, ergreift sie die Gelegenheit, herauszufinden, warum er sie damals verlassen hat. Gibt es vielleicht noch eine Chance für Marita und Anthony?

"Mein GI für einen Sommer" ist der erste Kurzroman der Reihe "Romanzen aus dem deutsch-amerikanischen Milieu".

Im Unterschied zur „großen Schwester“, der Buchreihe "Deutsch-Amerikanische Begegnungen in Zeiten des Kalten Krieges", sind die Handlungen kompakter. Zentral ist eine Liebesgeschichte aus den 60ern, 70ern oder 80ern, eingebettet in ein Patchwork von Beziehungen, mit einem Touch Zeitgeschichte. Alle Kurzromane sind ebenso wie die „großen Romane“ in sich abgeschlossen und „autonom“. Protagonisten können allerdings in mehreren Handlungen auftauchen, Ereignisse werden mitunter aus einem anderen Blickwinkel nochmals beleuchtet.

Gleich lesen: Mein GI für einen Sommer

Leseprobe:
Schon von Weitem hörten sie das Stimmengewirr aus dem Biergarten der Sportlerklause. Als sie dort ankamen, war es ein wenig kühler geworden. Leichte Brisen bewegten die Blätter. Man konnte erahnen, dass die Hitze bei Eintritt der Dämmerung einer lauen Sommernacht weichen würde. Sie ergatterten einen Platz, bestellten Bratwurst mit Kartoffelsalat, dazu Bier. Aus der Musik-Box tönte das Lied der Fußballspieler, die 1974 die Weltmeisterschaft gewonnen hatten. Viele Gäste sangen den Refrain mit: Fußball ist unser Leben … Begeistert klatschten einige Amerikaner den Takt.
„Hier ist echt was los.“ Sophie nippte an ihrem Bier. Rick zog sie an sich, küsste sie aufs Haar.
Diese zärtliche Geste rührte Marita. Sie lehnte ihren Kopf an Anthonys Schulter, dessen komplette Aufmerksamkeit allerdings den deutschen Sängern galt, die mittlerweile auf den Bänken standen. Amerikaner gesellten sich dazu.
„Fußball ist hier so wichtig wir bei uns Baseball“, rief Anthony über den Tisch.
Rick nickte.
Anthony zog Marita näher an sich. „Babes, du siehst heute ziemlich süß aus.“
Seine raue Stimme ging ihr durch Mark und Bein.
Als das Lied endete, brodelte es – Klatschen und begeisterte Rufe wogten durch den Biergarten: „Klasse, Jungs!“ „Right on!“ Biergläser schossen in die Höhe, man prostete sich zu. „Lokalrunde!“, brüllte jemand. Allgemeines Johlen. Hurtig verteilten die flinken Bedienungen Schnäpse.
Entgeistert starrte Marita auf ihr Glas mit durchsichtiger Flüssigkeit. „Sophie! Das ist was Hartes!“ Sie schüttelte sich.
Aus dem Inneren des Lokals tönte Let Your Love Flow.
„Ja.“ Sophies Blick verriet, dass sie sich ähnlich unsicher fühlte. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Egal, wir machen mit. Ist doch klar.“
„Prost“, grölte jemand. Von allen Seiten kam das Echo. Gläser stachen wieder in die Luft.
Die Flüssigkeit brannte in Maritas Kehle, nahm ihr kurz den Atem. Jägermeister? Tequilla? Es hätte alles sein können. Ihr tränenverhangener Blick traf auf Sophies.
„Tequilla kann es nicht sein“, erklärte Sophie mit heiserer Stimme. „Dazu nimmt man Zi-Zi-Zitrone.“ Sie gluckste.
Marita spürte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breitmachte, das ihr Hirn überhaupt nicht angeordnet hatte. Sie versuchte, ihre Gesichtsmuskeln zu beherrschen, was ihr nicht gelang. Als Anthony sich ihr zuwandte, kam sein Gesicht ihr sehr groß vor. Deutlich registrierte sie Schweißperlen auf seiner Stirn.
Eine junge Kellnerin servierte das Essen. Dankbar machten sie sich darüber her. Anthony bestellte eine weitere Runde Bier.
„Ich trinke Jägermeister, weil …“, sagte Sophie auf Deutsch zu Marita. Ihre Augen schimmerten.
Eine Anspielung auf die Fernsehwerbung – Marita reagierte sofort darauf. „ … weil ich dazu gezwungen wurde.“
Die Kellnerin brachte das Bier. Durstig tranken sie. Dann aßen sie eine Weile schweigend.
„Rodolfi and Martinez. Hey guys. Nice ladys“, brüllte ein GI von einem der Tische herüber.
Anthony und Rick nickten ihm zu. Nachdem die Kellnerin abgeräumt hatte, unterhielten sie sich mit ihm. Im Hintergrund besang Peter Alexander mittlerweile mit schmachtender Stimme Die kleine Kneipe am Ende der Straße … Darüber lachten Marita und Sophie sich kaputt.
Nach dem Essen hatten sich Maritas Sinne wieder etwas geklärt. Denken und Sprechen fielen ihr leichter. Sie fühlte sich großartig, heiter und beschwingt, amüsierte sich prächtig. Immer wieder kamen GIs an ihren Tisch, wechselten ein paar Worte mit Rick und Anthony, machten ihnen Komplimente wegen ihren Freundinnen. Sie lachten, redeten, stießen an.
Als die Dämmerung hereinbrach, mischte sich ein Hauch von Magie in die Atmosphäre. Der Wind flüsterte in den Blättern. Die Gesichter glänzten. Etwas Erregendes wurde spürbar.
Anthony zog sie fester an sich. „Gefällt mir hier. Können wir öfter herkommen.“ Er knabberte an ihrem Ohrläppchen.
In Maritas Bauch drehte sich augenblicklich ein Karussell. Sie seufzte. Sehnsucht packte sie, aber sie wusste nicht genau, wonach.
Anthony verharrte und blickte ihr in die Augen. „Was hast du?“
Wie eigenartig, fuhr es ihr durch den Kopf. Er ist solch ein Haudegen und spürt sofort, wenn mich etwas bewegt.
„Alles in Ordnung?“
Seine Stimme hüllte sie ein. Die lauten Geräusche der Umgebung nahm sie kaum noch wahr. Es gab nur diesen Moment. „Ja“, flüsterte sie. „Es ist nur …“ Wie soll ich das sagen?
„Was denn?“ Er streichelte ihr Haar. „Rede mit mir!“
Sie genoss diesen intimen, vertrauten Augenblick. „Ich habe irgendwie Angst, dass mein Leben langweilig wird und ich nichts daraus mache …“ Erstaunt stellte sie fest, dass es genau darum ging. Sie hatte etwas auf den Punkt gebracht, was bisher nur ein unbestimmtes, klammes, sehnsüchtiges Gefühl gewesen war. Eine unterschwellige Angst am Morgen kurz vor dem Aufstehen. Ein Kloßgefühl im Hals während des Alltags, in der Schule oder zu Hause, in ihrer Familie, mit den Eltern, die schwer arbeiteten, um ihr Häuschen zu halten und ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Eine Weile betrachtete Anthony sie, so intensiv, dass es Marita fast körperlich spürte. Alles ums sie herum rückte in weite Ferne. In diesem Augenblick waren sie alleine auf einem einsamen Stern. „Du kannst alles erreichen, was du willst“, sagte er. „Du musst mit Erinnerungen sterben, nicht mit Träumen!“
Marita erstarrte. Mit Erinnerungen sterben, nicht mit Träumen … Daran hielt sie sich fest. Die Worte füllten ihren Verstand aus und ihr Herz. Genau danach würde sie streben – das war ein Plan, eine Vision. Sie versank in dem hellen Blau seiner Augen. Die Nähe schmerzte beinahe. Marita fühlte sich verstanden und angenommen. Diesen Zustand kostete sie aus, denn er war selten. Oft fühlte sie sich ausgeschlossen und allein, obwohl sie in einer liebevollen Familie aufwuchs. Als sie sich jetzt küssten, ließ sie sich fallen, voller Vertrauen.
„Meine Güte, es ist fast neun Uhr!“
Sophies aufgeregte Stimme riss Marita aus dem Universum, in dem sie mit Anthony schwebte. Unwillig und benommen löste sie sich von ihm. Für den Bruchteil einer Sekunde war er ungeschützt. In seinen Augen las sie etwas, was ihren gesamten Körper mit Wärme flutete.

Im Kindle-Shop: Mein GI für einen Sommer

Mehr über und von Paula Dreyser auf ihrer Website.

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