19. Juli 2017

'So weit uns Träume tragen' von Christiane Lind

„Man nennt die Titanic auch das Schiff der Träume.“ Der Steward verbeugte sich. „Ich bin mir sicher, am Ende unserer Reise werden Sie mir zustimmen.“

Frühjahr 1912: Die Schauspielerin Paula hat ihr Erbe ausgeschlagen, um auf der Bühne zu stehen. Gemeinsam mit der Kostümbildnerin Luise erobert sie die Berliner Theaterwelt im Sturm. Doch von einem Tag auf den anderen stehen die Freundinnen vor dem Nichts. Als ein Verehrer ihnen ein Erste-Klasse-Ticket für die Titanic schenkt, ergreifen die jungen Frauen mutig die Chance auf ein neues Leben. An Bord des eleganten Luxusdampfers lernt Luise den schüchternen Steward Leonard kennen und lieben, während der geheimnisvolle Ferdinand von Fahlbusch großes Interesse an Paula zeigt.

Wird es ihm gelingen, ihr Herz zu erobern? Ist Paula bereit, ihre Träume über Bord zu werfen?

Ein dramatischer Schicksalsroman über Liebe und Sehnsucht, Hoffnung und Verrat, Träume und Wirklichkeit.

Gleich lesen:
Für Kindle: So weit uns Träume tragen. Titanic-Roman
Für Tolino: Buch bei Thalia

Leseprobe:
Cherbourg, 10. April 1912
Inzwischen war es dunkel und Paula verspürte Enttäuschung, dass sie das prachtvolle Schiff nicht in den Hafen einfahren sehen würden. Obwohl, die Titanic würde sicher beeindruckend aussehen mit all den Lichtern an Bord. Seit Stunden hatten die Mitreisenden von nichts anderem gesprochen. Je länger das Schiff auf sich warten ließ, desto mehr wuchsen die Erwartungen an seine Pracht.
„Sie kommt! Sie kommt!“ Der Ruf pflanzte sich durch die Menschenmenge fort, die vor Kurzem aus den Wartesälen geströmt war und am Hafen ausgeharrt hatte. Wie viele von ihnen mochten wohl mit ihnen reisen, fragte Paula sich und sah sich mit neugierigen Augen um. Wenn sie nach der unglaublichen Menge an Koffern und Kisten ging, die an den Kai transportiert worden war, dann mussten noch etliche Menschen gemeinsam mit Luise und ihr in Cherbourg an Bord gehen. Einige Passagiere der ersten Klasse hatte sie bereits im Wartesaal gesehen, aber nun waren noch mehr von ihnen angereist, wenn sie die auffallende Sammlung von Automobilen richtig einschätzte.
Vor Paula ging eine Frau, deren atemberaubendes Kleid Luise anzog wie Honig die Bienen. Über einem weinroten, sanft glänzenden Unterkleid, dessen Saum mit edelster Stickerei verziert war, schwebte – anders konnte Paula es nicht nennen – ein durchsichtiger Hauch von Stoff, besetzt mit Hunderten glitzernder Steinchen. Wer mochte diese Frau sein, die zu einem derart profanen Anlass ein so edles Kleid trug?
„Das … das …“, flüsterte Luise Paula zu und ihre Augen glänzten sehnsüchtig, „das ist Pariser Chic. Ich habe davon in Zeitschriften gelesen, aber nicht zu hoffen gewagt, es einmal zu sehen.“
Während die eleganten Menschen bei Luise wahre Begeisterungsstürme auslösten, fühlte Paula sich eher unwohl. Ärger wallte in ihr auf, als sie entdecken musste, dass die exquisit gekleidete Dame einen winzigen, braunen Hund in der Handtasche mit sich trug, während Paula den armen Valentino vor dem Wartesaal hatte abgeben müssen. Hoffentlich vergaß man ihn nicht und hoffentlich stellte er nichts an.
„Schau dir das an.“ Luise stupste Paula an. Sie deutete auf eine ältere Frau, die gemeinsam mit einem jungen Mann, wohl ihr Sohn, an Bord gehen wollte. Um sie herum war ein Gepäckwall aufgebaut. „Vierzehn Schrankkoffer habe ich gezählt. Vier kleine Koffer und noch drei Kisten. Paula, da passen wir nicht hin.“
„Vielleicht hätten wir zweiter Klasse reisen sollen.“ Paula sah sich etwas beklommen um. Neben ihnen stiegen vornehm aussehende Menschen aus ihren Automobilen und gingen zielstrebig auf die Tenderschiffe zu. Männer und Frauen, denen Gepäckträger oder Diener und Zofen folgten, die eine Vielzahl von Koffern und Hutschachteln und kleinen Paketen schleppten. Paula entdeckte die Namenszüge bekannter französischer Modehäuser auf dem Reisegepäck. Und dazwischen Luise und sie, die ihre Koffer selbst schleppten, weil sie sich die Trinkgelder für Gepäckträger sparen mussten. Gar nicht zu reden davon, wie abgewetzt und billig ihre Habe aussah. Würden Luise und sie sich nicht immer als Hochstaplerinnen fühlen? Würden die wahrlich Reichen nicht merken, wie wenig Paula und Luise zu ihnen gehörten?
Doch bald verdrängte die Neugier die quälenden Gedanken aus Paulas Kopf und sie streckte sich, um das Bild der ankommenden Titanic in sich aufzunehmen. Schließlich wollte sie ihren Freunden vom Theater alles so detailgetreu wie möglich berichten können. Eine bunte Truppe hatte sich am Kai eingefunden. Von Menschen, deren Kleidung zwar sauber, aber mehrfach geflickt war, bis hin zu geschmackvoll angezogenen Damen mit ihren Verehrern, die sich etwas abseits hielten und sich die Wartezeit mit Champagner und Häppchen vertrieben, was Paulas Magen zum Knurren brachte. Warum nur hatten Luise und sie ihren spärlichen Proviant bereits auf der Zugfahrt verputzt? Den fliegenden Händlern, die ihnen überteuertes Brot, das sie Baguette nannten, anboten, wollte Paula ihr Geld nicht in den Rachen werfen. Also wartete sie mit brummendem Magen und wachsendem Durst darauf, dass das berühmte Schiff deutlich verspätet anlegte. Paula wünschte sich nur noch, endlich die Gangway zu betreten, in ihrer Kabine die unbequemen Schuhe von den Füßen zu schleudern und sich dann – welch ein Luxus – Essen bringen zu lassen.
Daher sprang sie auf, wie alle Menschen um sie herum, als der Ruf „Sie kommt! Sie kommt!“ ertönte und von dröhnenden Schiffssirenen aufgenommen wurde. Paula reckte sich, um über die Schultern der anderen Passagiere und Neugierigen hinweg einen Blick auf die Titanic werfen zu können. Nichts. Eine Mauer aus Menschen versperrte ihr die Sicht. Luise und sie wechselten einen Blick, nickten sich zu und stellten sich auf Luises gewaltigen Koffer. Sie hielten sich an den Armen und verrenkten sich die Hälse, um einen Eindruck von dem Schiff zu gewinnen. Und da kam sie, gezogen von vier Schleppern, die gegen die Titanic winzig wie Fischerboote wirkten. Selbst Luise, die sonst nie auf den Mund gefallen war, verschlug der Anblick des majestätischen Schiffes die Sprache.
Als die Titanic endlich im Hafen vor Cherbourg ankerte, leuchteten die Lichter an Bord wie zu einer Parade. Paula hatte einiges über das Schiff gelesen und sich ein Bild von dem Luxusdampfer gemacht. Aber ihn hier zu sehen, in seiner Pracht und Herrlichkeit, übertraf alle Erwartungen. Die Titanic erinnerte Paula an eine Naturgewalt, etwas Urtümliches, Großartiges, nicht von dieser Welt. Der riesige und gleichzeitig elegante Dampfer wirkte wie etwas, das Götter und nicht Menschen hergestellt hatten. Das schwarze Schiff mit weißem Kragen und Dutzenden von Bullaugen tauchte aus dem Nachthimmel auf. Nicht nur die Lichter funkelten, auch der weiße Aufbau der Titanic strahlte. Am meisten beeindruckten Paula die vier riesigen, orangefarbenen Schornsteine, die in den Himmel ragten wie Signalfackeln. Eine Herausforderung an die Götter. Der hochaufragende Mast, von dem sich Seile über das ganze Schiff spannten, stand einsam an der Spitze wie ein Leuchtturm.
Zu ihrer Überraschung fröstelte Paula und sie rieb sich die Oberarme. Ihr schien es, als wäre das nicht nur der leichten Brise geschuldet, die mit der Dämmerung einherging. Es lag an der Titanic, die dort draußen ankerte, zu gewaltig, um in den kleinen Hafen einlaufen zu können. In ihrer Mächtigkeit und Unbeweglichkeit erinnerte die hell erleuchtete Silhouette des gewaltigen Dampfers Paula an ein urzeitliches Wesen, das auf sie lauerte. Ein gewaltiges Monster, das Luise und sie verschlingen würde. Mach dich nicht verrückt, rief Paula sich zur Ordnung. Das unheimliche Gefühl, das die Titanic ihr vermittelte, kam sicher durch den Rauch, der aus drei Schornsteinen aufstieg und sich mit dem grauen Himmel vermischte. Die Abenddämmerung legte eine mystische Atmosphäre über die Ankunft des Dampfers. Wäre die Titanic im Licht des Nachmittags in den Hafen eingelaufen, hätte Paula das Schiff sicher nur bewundert.
Aber so, bedingt durch die Verspätung, und auch weil der Hafen das mächtige Schiff nicht aufnehmen konnte, entsprach ihre erste Begegnung mit der Titanic so gar nicht den Vorstellungen, die Paula sich gemacht hatte.
Sie hatte sich sehr darauf gefreut, vom Kai auf die Gangway zu steigen und den dort verbleibenden Menschen zum Abschied zu winken. Bereits im Wartesaal hatten sie aus den Worten der Mitreisenden zu ihrer Enttäuschung erfahren müssen, dass sie das Schiff mit Motorbooten anfahren würden, weil der Hafen von Cherbourg nicht tief genug für die Titanic war. Also stellte sich Paula mit Luise in die Reihe der Wartenden, die auf die kleinen Boote steigen wollten. Zwei Tenderschiffe mit den sprechenden Namen Nomadic und Traffic würden die Passagiere zum großen Dampfer bringen.
Erst jedoch musste das Gepäck an Bord gebracht werden, damit die Passagiere es in ihren Kabinen vorfinden würden und sich frisch machen konnten. Die erneute Wartezeit zerrte an Paulas Nerven und sie verfluchte im Stillen all die Passagiere, die mit so unglaublich viel Gepäck reisten und sie dadurch aufhielten.
„Du mit deinem riesigen Koffer“, schimpfte Paula und musterte Luise mit zusammengezogenen Brauen. Zwei Matrosen schleppten sich unter der Last des Schrankkoffers ab, den Luise allein von Berlin nach Cherbourg transportiert hatte. „Du hältst alle auf.“
„Ach, das ist noch gar nichts“, mischte sich ein Matrose ein. Er grinste breit und zwinkerte Luise freundlich zu. „Ein Ehepaar hat sechzehn Koffer an Bord gebracht. Das war eine Plackerei, sag ich Ihnen. Da ist der Koffer nichts dagegen.“
„Für eine Woche?“, fragte Paula ungläubig und musste schlucken. Mit was für Menschen würde sie auf dem Schiff reisen? Wie sollten Luise und sie sich da nur einfügen, mit den wenigen Kleidern, die sie besaßen? „Oder für eine längere Reise?“
„Tja, das weiß ich nicht“, sagte der Matrose mit einem Achselzucken. „Normalerweise reden die nicht mit unsereins.“ 2

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