'EISIGE HÖLLE - Verschollen in Island' von Álexir Snjórsson
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Was tust du, wenn während einer Islandreise deine Frau nach einem Streit mit dir spurlos verschwindet? Wenn du feststellst, dass dich der Polizist, der dich unter einem Vorwand festgenommen hat, betäuben will? Nutzt du die Gelegenheit zur Flucht und wendest dich in deiner Verzweiflung an deinen Schwiegervater in Deutschland, auch wenn dieser dich hasst und dir die isländische Polizei inzwischen den brutalen Mord an einer einheimischen Frau zur Last legt?
Oder wird dich das erst recht in den größten Albtraum deines Lebens stürzen …
Leseprobe:
Kapitel 1
Vor fünf Tagen, Rückblende
Mit eingezogenem Kopf kämpfte ich mich durch den knietiefen Schnee. Der Sturm stieß mich hin und her, gleichzeitig schienen sich die Krallen einer unsichtbaren Meute hungriger Raubkatzen in meine Kleidung zu schlagen. Sie zerrten und rissen an mir, als wollten sie mich zu Fall bringen, um mich zu zerfleischen.
Immer wieder sank ich mit einem Bein tiefer ein, als mit dem anderen, sackte seitlich in den Schnee und quälte mich wie ein weidwundes Tier erneut auf die Beine.
Als stünde ich unter Drogeneinfluss, begannen sich in meinem Verstand Einbildung und Realität zu vermischen. Ich hörte Stimmen. Erst weit entfernt, dann dicht neben und hinter mir. Ich blieb stehen, drehte mich im Kreis. Doch da war niemand. »Zeigt euch, ihre feigen Trolle!«, stieß ich heiser hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ein irres Kichern war die Antwort. Ich schüttelte den Kopf, stolperte weiter. Kein Zweifel, ich verlor den Verstand. Außer mir und meiner geflohenen Geisel war niemand in dieser menschenfeindlichen Einöde unterwegs. Der Unterschied war, dass sie sich hier oben zwischen den mächtigen Gletschern auskannte und wusste, wie sie dieser eisigen Hölle entrinnen konnte. Meine Chancen hingegen standen hierfür nahe bei null.
Noch war ich aber nicht bereit, mein drohendes Schicksal zu akzeptieren. Ich stapfte orientierungslos weiter, bis meine vor Kälte tauben Beine plötzlich nachgaben und ich in eine dichte Schneewolke gehüllt, in die Tiefe stürzte.
Ich prallte so hart auf den Rücken, dass es mir den Atem verschlug. Ich wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Panik erfasste mich. Ich war wie gelähmt, konnte mich nicht aufrichten.
Kurz bevor ich zu ersticken glaubte, löste sich die Verkrampfung in meiner Brust. Ich röchelte, würgte und rang gierig nach Luft, gleichzeitig entwich mir mit jedem Atemzug auch ein großes Stück Lebenskraft. Ihren Platz nahm Kälte ein, eisige Kälte.
Ich blinzelte in die Schneeflocken, die über den Felsvorsprung wirbelten, von dem ich gestürzt war – und fühlte mich auf einmal entsetzlich müde.
Du darfst nicht liegen bleiben, Cooper, sonst erfrierst du! Ich schloss die Augen, sammelte meine verbliebenen Kräfte. Winselnd wie ein angefahrener Straßenköter wälzte ich mich auf den Bauch. Meine tauben, vor Kälte zitternden Hände krallten sich in den eisigen Untergrund. Unter quälenden Schmerzen stemmte ich meinen Oberkörper in die Höhe, rammte einen Fuß in den Boden und kam schwankend auf die Beine. Du musst weiter, musst in Bewegung bleiben, trieb mich eine innere Stimme wie ein Drill Sergeant an.
Einem Betrunkenen gleich, torkelte ich weiter durch das dichte Schneetreiben. Mit jedem Schritt fühlten sich meine Beine tauber an, bis sie mein Gewicht nicht mehr tragen wollten. Ich stolperte, stürzte erneut in den Schnee. Auf allen vieren kroch ich weiter. Winde dich nicht wie ein Wurm auf dem Boden herum, auf die Beine mit dir! Mit einem Ruck stemmte ich mich hoch, um gleich wieder Gesicht voran in den Schnee zu fallen.
Es hatte keinen Zweck, ich konnte nicht mehr. Mit letzter Kraft rollte ich mich langsam auf den Rücken.
Wie lange würde es wohl dauern, bis mich das weiße Leichentuch zugedeckt hatte? Würde ich so enden, wie die berühmte Gletschermumie aus der Jungsteinzeit? Wie hieß der Mann noch mal? Ach ja, Ötzi …
Erstaunlich, was für Gedanken einem durch den Kopf gingen, wenn das eigene Leben nur noch am seidenen Faden hing.
Hätte ich an eine höhere Macht geglaubt, dann hätte ich wohl das Bedürfnis verspürt, zu irgendeinem Gott zu beten. Doch zu welchem? Ich war nicht religiös. Und um es zu werden, war es jetzt definitiv zu spät.
Dass dieser trostlose und unwirtliche Ort die Bühne war, auf der ich meinen letzten Auftritt hatte, schmerzte mich erstaunlicherweise nicht. Auch nicht, dass ich nicht wusste, ob oder was nach dem Tod kam. Ich hatte gelebt, ich hatte geliebt und gekämpft. Eins bereute ich jedoch: so kurz vor dem Ziel versagt zu haben.
»Es … tut mir … leid, Cass«, keuchte ich. »Ich hätte mein Leben … für deins … gegeben.«
Angezogen wie von einem schwarzen Loch, schossen meine Gedanken zu dem verhängnisvollen Tag zurück, an dem das Schicksal die Weichen für diese eisige Endstation gestellt hatte …
Labels: Álexir Snjórsson
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