29. November 2011

'Schatten' von Brigitte Tholen

Ein eBook mit Kriminalgeschichten, in denen es um gefährliche Gedanken und Menschen geht, die in ihrer Gier auch vor Mord nicht zurückschrecken.

Wo kein Licht, da kein Schatten, sagt man. Es sind die Schatten, die uns begleiten, es ist der Schatten des eigenen Ichs mit dem wir uns beständig auseinandersetzen müssen. In unserem Leben treten sie aber auch als Bedrohung in Gestalt einer uns negativ gesinnten Person auf.

Ob es der eigene Ehemann/frau ist, die gefährliche Gedanken in die Tat umsetzen wollen, oder ob es um Macht oder Reichtum geht, an der er/sie teilhaben möchten. In meinen Geschichten geht es um Menschen, die in ihrer Gier auch vor Mord nicht zurückschrecken. Schatten, die lebensbedrohlich sind.

Gleich lesen: Schatten

Leseprobe:
Wieder kommt ein Schwächeanfall. Es ist keine Krankheit zu erkennen, sagen die Ärzte. Sie sind ratlos. Trauer steckt in deiner Seele und in deinem Körper, sagen die Therapeuten. Auch sie sind ratlos.
Es ist das Tattoo, sage ich. Alle schütteln den Kopf, blicken mich mitleidig an. Meine Welt schwimmt kraftlos im Meer, die Mediziner haben kein Netz, um sie einzufangen. Seit Leo vor einem Jahr gestorben ist, verliert mein Körper seine Lebenskraft.
Müde lege ich mir die Jacke über die Schultern und gehe aus dem Haus. Richtung Küste, Richtung Hafen. Der einzige Punkt, der mich seit einigen Tagen magisch anzieht. Weil ich „ihn“ dort sehen werde, meinen Kelten, wie ich ihn nenne.
Schon von Weitem sehe ich die Aufbauten der Schiffe und die Masten der Boote, die längs der Stege angelegt haben.
Melodien, mal schnell, mal langsam, tanzen mit Frauen und Männern um die Wette. Es ist Sommersonnenwende. Die modernen Kelten sind mit Booten gekommen und feiern im Hafen. Von hier aus sind ihre Vorfahren nach Irland gefahren. Genau vor fünftausend Jahren. So steht es auf den Plakaten, so hat „er“ es mir erzählt.
Hinter den Dünen flackern Feuer, über denen sich Spieße drehen. Es riecht nach frischgebackenem Fladenbrot und würzigen Kräutern. Und dazwischen der salzige Geruch nach Meer und Fisch. Vor einem Zelt sitzen Männer, schnitzen Pfeile für ihre Bögen. Daneben ein Schmied. Mit der Zange hält er ein Schwert in die Glut. Gleichmäßig schlägt sein schwerer Hammer auf und nieder. Funken sprühen.
Erschöpft treibe ich durch die Menschenmenge. Verliere die Orientierung. Jedes Mal, wenn ich in Richtung Wasser gehe, streift etwas Schwarzes meine Beine, reißt mich zurück wie eine Monsterwelle. Mein Körper wird von glühender Hitze durchzogen, und Tränen springen aus meinen Augen wie Flammen aus dem Feuer. Es sind nur Sekunden, mir erscheint es wie eine Ewigkeit.
Ein Gesicht beugt sich zu mir, sanfte, mattgrüne Augen sehen mich an. Eine Hand umfasst meinen Oberarm, reißt mich hin zu einer Gruppe mit Blumen geschmückter Paare. „Endlich Huflattich-Lady“, sagt er. „Ich habe auf dich gewartet.“
Es ist, als hätte er die Schattenwellen um meine Beine vertrieben. Sie haben sich aufgelöst, genau wie die Hitze in meinem Körper. Der junge Mann legt ohne Scheu einen Arm um meine Schultern und wiegt sich und mich im Takt der Musik. Ich fühle mich besser. Fühle mich in seiner Nähe wieder gut. In meinem Magen sitzt ein Schmetterling, dessen Flügel meine Kehle kitzeln.
„Wenn ich ein Huflattich bin, was bist dann du?“, frage ich den Mann, der Finn heißt und in dessen Haaren Efeuranken verwoben sind.
„Ich bin die Schafgarbe. Oder auch Augenbraue der Venus genannt“, sagt er und schmunzelt. „Man sagt uns nach, wir wären die geborenen Diplomaten.“
„Was sagt man dem Huflattich nach?“
„Dass es eine Pflanze ist, die blüht, bevor sie Blätter treibt.“
„Das alles lernt man bei den modernen Kelten?“
„Und noch viel mehr. Wir sind die Hüter einer alten Kultur. Eine starke Gemeinschaft aus Forschern, Laien und Esoterikern. Wir lassen früheres Wissen wieder lebendig werden. Neuzeitliche Kelten führen zwei Leben, das hektische berufliche jeder für sich und das bunte unverfälschte in der Gruppe. Werde eine von uns und du wirst sehen. “
Die Melodien verstummen. Finn zieht mich zur Seite auf einen kleinen Dünenhügel. „Bleib sitzen, ich hole uns etwas zu trinken.“ Er geht zu einem Boot, auf dem die kunterbuntesten Getränke verkauft werden.
Erst jetzt merke ich, dass ich Durst habe. Ich spüre, dass mein Körper selbst durch das Tanzen keine Kraft verloren hat. Im Gegenteil, es ist, als hätte er neue Energie getankt. Mit meinen Fingern fahre ich über das Tattoo an meinem linken Oberarm. Bald wird es wieder anfangen zu brennen, zu schmerzen.
Eine alte Frau steht auf einmal neben mir. Sie sieht nicht sehr vertrauenserweckend aus. Ihr Gesicht hat die Farbe alten Pergamentleders, in dessen unzähligen Narben und Rissen sich schwarzer Dreck eingegraben hat. In der Hand hält sie einen dicken Stock, der oben gegabelt ist. „Du hast das Zeichen“, sagt sie. Ihre Stimme ist sanft und klingt wie die einer jungen Frau. Ich verstehe nichts. „Was meinen Sie?“

Im Kindle-Shop: Schatten

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