21. Mai 2012

'Spines - Das ausradierte Ich' von Hermann Scherm

„Jeder wach verbrachte Tag ist eine Bühne, die, zum Guten oder Bösen, von einem einzigen Hauptdarsteller, dem Selbst, beherrscht wird...“ Davon war der britische Neurophysiologe Charles Scott Sherrington, der 1932 den Nobelpreis für Medizin erhielt, noch fest überzeugt. Aber gilt das auch heute noch? Wie sicher können wir sein, dass das, was wir als unser Selbst wahrnehmen, auch wirklich unser Selbst ist? Dass unsere Erinnerungen und Erfahrungen real und unsere eigenen sind, die so nur uns gehören? Mit anderen Worten: Können wir tatsächlich sicher sein, dass wir uns die richtige Antwort geben, wenn wir uns fragen: "Wer bin ich?"

Der Berliner Biotech-Firma Gene Design Technologies ist es gelungen, den Code des Bewusstseins zu entschlüsseln. In Experimenten mit freiwilligen Probanden arbeiten die Neurophysiologen der Firma an der Entwicklung von Techniken zur gezielten Beeinflussung von Bewusstseinsinhalten. Als eine der Versuchspersonen in eine Psychose abgleitet und zum Mörder wird und kurz darauf Dr. Langer, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter von Gene Design Technologies, unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt, wird deutlich, dass es nicht nur wirtschaftliche Interessen sein können, die Gene Design Technologies antreiben. Dr. Langers Tochter Sarah und Paul Mrozek, Wissenschaftler am Institut für Neurobiologie der Freien Universität Berlin, versuchen herauszufinden, was wirklich hinter den skrupellosen Experimenten von Gene Design Technologies steckt und warum Dr. Langer sterben musste. Inzwischen ist ein weitere Versuchsperson aus dem Programm vom Gene Design Technologies als tickende Zeitbombe in Berlin unterwegs. Wird es Sarah und Paul gelingen, den Wahnsinn zu stoppen? Ein Horrortrip durch Berlin beginnt.

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Leseprobe:
Jochen war wie gerädert. Es war erst 19 Uhr, aber er fühlte sich unheimlich müde und erschöpft. Er konnte sich nicht erinnern, dass er schon jemals in seinem Leben so müde gewesen war. Was war bloß los mit ihm? Er hatte doch den ganzen Tag über nichts Besonderes gemacht, jedenfalls nichts, an das er sich erinnern konnte. Es gab absolut keinen Grund für diese Müdigkeit. Er musste sich auf die Couch legen, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und schlief sofort ein.
Als er wieder aufwachte, war er schweißgebadet. Sein T-Shirt klebte nass auf seinem Rücken. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor 23 Uhr. Er hatte geschlafen wie ein Stein, und es fiel ihm schwer, sich zu orientieren. Nur mit seiner ganzen Kraft schaffte er es, sich aufzurichten und ins Bad zu gehen.
Fast vier Stunden, er musste verdammt tief geschlafen haben. Durch sein Gesicht zogen sich rote Striemen, die das harte Sofakissen dort hinterlassen hatte. Nach ein paar Händen voll kaltem Wasser kam langsam die Orientierung zurück. Stück für Stück erinnerte er sich wieder. Er war seit dem Morgengrauen den ganzen Tag über wie ein Irrer durch die Stadt gerannt und hatte versucht, sich zu beruhigen. Aber auch jetzt fühlte er sich noch immer gedemütigt und verletzt.
Sie hatten sich geschworen, immer ehrlich zueinander zu sein und alles offen auszusprechen. Ihnen war beiden klar, dass eine Liebe zu Ende gehen konnte, aber sie hatten sich versprochen, dann die Wahrheit zu sagen und keine Geheimnisse voreinander zu haben. Und nun war genau das Gegenteil geschehen. Laura hatte ihn auf widerliche Art und Weise betrogen und gedemütigt, auf für ihn geradezu unfassbare Weise. Auch jetzt konnte er es noch nicht fassen und fühlte einen ungeheueren Schmerz. Warum hatte sie das getan, warum nur?
Er hatte sich so darauf gefreut, sie nach ihrer dreiwöchigen Nordamerikareise wieder zu sehen. Deshalb war er am Abend vor ihrer Rückkehr in ihre Wohnung gefahren, um alles für ein kleines Willkommensfrühstück vorzubereiten, mit dem er sie überraschen wollte. Unterwegs hatte er einen Teller italienische Vorspeisen, eine Flasche Champagner und einen Strauß Blumen besorgt. Voller Vorfreude war er damit die fünf Treppen zu Lauras Wohnung in der Danziger Straße hinaufgelaufen, um die Einkäufe im Kühlschrank zu deponieren und den Tisch zu decken, damit alles für ihre Rückkehr bereit war.
Als er die Tür aufschloss, hatte er einen Anflug von schlechtem Gewissen. Laura war sehr heikel, wenn es um ihre Wohnung und um ihre Privatsphäre ging und hatte ihn ausdrücklich gebeten, die Wohnung nur zum Blumengießen zu betreten, als sie ihm vor ihrer Abreise den Schlüssel übergeben hatte. Aber er sagte sich, dass sie ihm sicher verzeihen würde, wenn sie die Blumen und das leckere Frühstück sehen würde und trat in den Flur.
Er brauchte keine fünf Sekunden, um zu spüren, dass in der Wohnung etwas nicht stimmte. Langsam ließ er den Beutel mit den Einkäufen auf den Boden sinken. Dann blieb er bewegungslos stehen und lauschte. Eindeutig, es war jemand in der Wohnung. Er hörte Geräusche hinter der Schlafzimmertür. Laura konnte es nicht sein, das war unmöglich, sie hatte ihm gestern erst gemailt, dass ihr Flieger morgen früh um 8:25 Uhr landen würde. Vorsichtig und aufs höchste angespannt drückte er die Klinke der Schlafzimmertür nach unten und öffnete die Tür. Was er sah, ließ ihn erstarren. Laura lag splitternackt und lustvoll stöhnend unter einem muskulösen, gebräunten Männerkörper vom Typ erfolgreicher, bodygebuildeter Geschäftsmann. Und es machte ihr Spaß, daran bestand nicht der geringste Zweifel.
Als sie Jochen bemerkte, richtete sie sich ruckartig auf, starrte ihn aus ihrem erregten Körper entgeistert an und schrie: »Was zum Teufel machst Du hier!?«

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