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Leseprobe:
Schon eine Ewigkeit dachte ich an Großvater, das Meer, die Fische, seine Geschichten. Mir kam der Gedanke, dass er einen Garten anlegen sollte, um das harte Leben auf See gegen ein sicheres Dasein an Land einzutauschen.
„Gemüse pflanzen“, ich schüttelte den Kopf, „am besten weg von der Insel“, da nickte ich zustimmend. Die Worte sprach ich zu den Wellen, als wären sie Großvater. Manchmal bin ich, anstatt am Strand zu sitzen, zu seinem kleinen Holzhaus gegangen. Wie immer war die Tür nur angelehnt. Ich trat ein und hockte mich auf den Holzboden. Der war voller Sand, weil Großvater nie ausfegte. Wenn es mir zu viel wurde und der Wind ihn aufwirbelte, nahm ich einen Palmwedel und fegte den Sand hinaus.
So saß ich am Boden vor dem kleinen Tisch mit den alten Zeitschriften. Viele Sportzeitschriften lagen da und Magazine, die Life und Look hießen. Immer ließ ich die neuesten Sporthefte oben liegen, weil Großvater sie las. Sie interessierten mich nicht, denn ich meinte, Basketball und Baseball muss man spielen und nicht lesen. Auch für die Hefte mit Männern auf den Titelseiten hatte ich kein Interesse. Ich kannte zwar James Stewart, Burt Lancaster und Gregory Peck bei Namen und wusste, wie die aussahen. Doch diese Filmstars waren nur Statisten in meiner Welt.
Die interessanten Hefte lagen in der Mitte. Es waren die mit den schönsten Titelbildern. So lernte ich Rita Hayworth kennen und bewundern. Ich kannte ihr Lächeln, den leicht geöffneten Mund, ihre Augen, die aufblickten. Vor allem hat mir ihr Kleid gefallen, denn Rita gewährte mir einen Blick zu ihrem Herzen. Ein Schleier der Ahnung umhüllte fortan meine Seele, wohin mich der Weg meiner Sehnsucht führen mochte. Noch mehr hatte mich das Cover von Elizabeth Taylor zum Träumen inspiriert, war sie doch nur wenige Jahre älter als ich. Elizabeth entflammte mich. Auf ewig und immer, glaubte ich. Schon nach ein paar Wochen sah ich sie mehr als Schwester, dann, mehrere Monate später, als entfernte Cousine. Schließlich vergaß ich sie fast ganz.
Vollends verrückt wurde ich jedoch bei einer Blonden, deren Foto ich einige Monate später entdeckte, als Großvater mit einem neuen Stapel der bunten Hefte aus Belize Town kam. Auf dem Titelblatt waren die schönsten dreizehn Buchstaben gedruckt, die ich je las. Dreizehn Lettern in einer einzigartigen Kombination, die ein Geheimnis offenbarten: Marilyn Monroe. Behutsam streichelte mein Zeigefinger jedes einzelne Zeichen nach. Besonders das M hatte es mir angetan. Immer wieder strich mein Finger über die Konturen, bevor er sich auf das Bild vorwagte und Linien und Kurven nachmalte. Knospen, die das Bild verhüllte, sah ich sprießen.
Im Kindle-Shop: Am Meer, damals
Mehr Informationen über den Autor Norbert Schulz und seine Veröffentlichungen auf seiner Website.
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