20. September 2012

'Kopfkissenliteratur' von Gabi Mast

Alltagssatire, Glossen. Skurrile Geschichten, mal ein Gedicht, Liebe oder Krimi – und nach drei bis vier Seiten dürfen Sie getrost einschlafen. Meist mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen. Es sei denn, Sie haben noch Lust auf eine zweite Story.

Sie möchten wenig lesen und viel davon haben? Eine Geschichte zu Ende lesen und nicht erst Hunderte von Seiten lang auf die Folter gespannt werden? Nicht jedes Mal überlegen müssen, was das letzte Mal passiert war? Natürlich lässt sich „Kopfkissenliteratur“ auch während der kleinen Pause im Büro genießen. Mal eben kurz bei einer schönen Geschichte entspannen, bevor die Arbeit wieder ruft ...

Gleich lesen: > > > Auf dem Kindle

Leseprobe aus "Ich nehme die Glatze":
 Das Familienfest hatte seinen Höhepunkt erreicht; alle redeten von ihren Krankheiten und den vorhergegangenen Untersuchungen. Brigitte versuchte, die Einstichlöcher ihrer Akupunkturbehandlung zu erklären, Tante Klara stöhnte über das Brennen nach und während des Katheters, und Opa schilderte begeistert die Folgen seines Einlaufs. Kurts werte Gattin erzählte von dem Reizdarmsyndrom, über das sie neulich in ihrer Frauenzeitung gelesen hatte und dessen Symptome sie auch schon des Öfteren bei sich selbst festgestellt hatte.
         „Lass’ das ja untersuchen“, riet Brigitte.
         „Meinst du?“
         „Na klar. Mit dem Darm ist nicht zu spaßen.“
         „Du  hast recht. Gleich morgen lass’ ich mir einen Termin geben.“
Nur Kurt konnte da nicht mitreden und machte demzufolge offenbar eine recht gelangweilte Miene. Eigentlich sollte er froh sein ob seiner robusten Gesundheit; schließlich blieben ihm bisher alle diese Leiden erspart.
         „Und bei dir, Kurt? Alles in Ordnung?“ wollte Tante Klara wissen.
         „Jawoll, ich bin kerngesund.“
         „Von wegen kerngesund“,  keifte Kurts Gattin hämisch, „der hat bloß Schiss vorm Doktor.“
         „Red’ nicht so einen Mist.“
         „Das ist kein Mist. Du warst noch nie bei einer Untersuchung.“
         „Wozu auch? Wenn mir nichts fehlt, brauche ich auch nicht zum Arzt.“ Das hätte Kurt nicht sagen dürfen, denn nun fiel die ganze Verwandtschaft geschlossen über ihn her.
         „So ein Arztbesuch ist doch nicht schlimm...“
         „Wer wird denn Angst haben vor so ein bisschen Blutabnahme...“
         „Du bist verrückt...“
         „Du setzt deine Gesundheit aufs Spiel...!“
         „Das ist gefährlich...“
         „Du weißt nicht, was du tust. Das kann dir einen frühen Tod bescheren...“
         „Denk’ doch an deine Familie...“ Und... und...und.
Kurt konnte es nicht mehr hören. Keineswegs wollte er sich hier als Feigling hinstellen lassen. Er und Angst haben, pah. Am Dienstag beim Tennisspielen würde er sich bei Dr. Maurer, den er von der Mannschaft kannte, anmelden.
Kurt war überrascht, was in einer Arztpraxis alles los war. Das Publikum hier war noch weitaus kompetenter als seine ganze Verwandtschaft zusammen. Hier erfuhr er binnen der viertelstündigen Wartezeit nicht nur von der  Existenz von mindestens dreimal so vielen Krankheiten als auf der Feier am Sonntag; die Patienten hier berieten sich gegenseitig auch äußerst umfassend über die Behandlung derselben.
Kurt füllte indessen den ihm vorgelegten Fragebogen aus. Auch, wenn er sich nicht ganz sicher war, dass es in seiner Familie keinerlei Geisteskrankheiten gab, verneinte er die Frage. Seine Gattin und ihre Schwester Brigitte waren ja schließlich auch nicht mit ihm verwandt.
Dr. Maurer freute sich, seinen Mannschaftskollegen auch mal beruflich kennen zu lernen und untersuchte ihn auf Herz und Nieren. Kurt lernte jeden Apparat kennen, den die Arztpraxis besaß, jede der Arzthelferinnen durfte ihm entweder einen seiner Körpersäfte abnehmen, ein Bild von einem seiner Organe machen oder aber irgendeinen Wert bestimmen. Die Bestandsaufnahme des Kurt B. dauerte fünf Stunden und endete mit einem erneuten Termin bei Dr. Maurer in der darauf folgenden Woche.
Wieder begrüßte der Arzt seinen Patienten sehr freundlich.
         „Und, was haben deine Untersuchungen ergeben?“
         „Na ja, soweit alles in Ordnung.“
         „Was heißt da soweit...? Mir fehlt doch nichts?“
         „Na ja, da und dort ein paar leicht überhöhte Werte...“
         „Und was hat das zu sagen?“
         „Eigentlich nichts?“
         „Also, dann ist doch alles in Ordnung. Dann kann ich ja wieder gehen.“
         „Moment noch, Kurt. Wir brauchen noch eine Diagnose.“
         „Eine Diagnose? Wozu denn das?“
         „Für die Versicherung. Ich muss eine Diagnose auf dem Krankenschein vermerken.“
         „Auch, wenn ich gesund bin?“
         „Na ja, immerhin haben wir dich auf Herz und Nieren untersucht. Da kann ich schlecht - ohne Befund - draufschreiben. Immerhin gibt es ein paar Auffälligkeiten, die man behandeln kann.“
         So langsam dämmerte es Kurt, wie seine Verwandtschaft zu all ihren Krankheiten kommt.
         „Verstehe. Und was bitte sollte man bei mir behandeln?“
         „Na, dein Cholesterinwert ist etwas zu hoch.“
         „Cholesterin? Wozu braucht man das?“
         „Zum Denken. Das Gehirn besteht bis zu einem Fünftel aus Cholesterin.“
         „Dann soll ich also mein Denkvermögen behandeln lassen?“
         „Nein, es ist nur so, zu viel Cholesterin  kann zu Herz- und Kreislauf-Erkrankungen führen.“
Ob deshalb die Menschen so wenig denken? Kurt wusste es nicht. Jedenfalls entschied er sich:
         „Nein, an meinem Cholesterin behandeln wir nichts.“
         „Wie du meinst. Und was ist mit deiner Knochendichte?“
         „Was soll damit sein?“
         „Na ja, deine Knochen schwinden.“
         „Meine Knochen schwinden? Dass ich nicht lache. Ich jogge zweimal die Woche und spiele mindestens einmal Tennis, wie du weißt. Kannst du mir sagen, wie das mit verschwundenen  Knochen gehen soll?“
         „Na ja, es ist so, dass bei jedem Menschen ab 30 die Knochen schwinden.“
         „Na also, dann ist das doch normal. Bin schließlich 45.“
         „Osteoporose kann aber zu Knochenbrüchen führen.“
         „Doktor, ich hatte schon als Kind beide Arme gebrochen. Als meine Knochen noch nicht geschwunden waren. Verschon mich also mit deiner Oster...“
         „Osteoporose.“
         „Sag’ ich doch. Ich fürchte, das wird nichts mit deiner Diagnose, Doktor.“
         „Keine Angst, wir finden schon noch was.“ Dr. Maurer hatte da so ein spitzbübisches Lächeln aufgesetzt...
         „Sag’ mal, wie sieht’s denn aus mit deiner Lust?“
         „Welcher Lust?“
         „Na, du weißt schon...“
         „Wie, du meinst...? Nee, nee, Doktor, da ist alles in Ordnung.“ Entrüstet schüttelte Kurt den Kopf.
         „Wirklich? Wie oft ist das denn in Ordnung, wenn ich fragen darf? Es ist nur... es gibt in manchen Fällen die Möglichkeit, Viagra auf Rezept...“


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