10. Oktober 2012

'Die Flammenmönche (Froebius. Im Bannkreis des Unheimlichen 2)' von Norman Nekro

Eine weitere Mystery-Geschichte aus der Froebius-Serie. Fast ein Jahrtausend lang war das Benediktinerkloster Marienthal ein hoch angesehenes Zentrum für Spiritualität, Kultur und wissenschaftliche Forschung. Als die deutschen Fürsten 1803 ihre Gebietsverluste an Napoleon zum Vorwand nahmen, überall im Reich den Kirchenbesitz zu enteignen und damit die eigenen Schatullen zu füllen, verfiel das Schmuckstück romanisch-gotischer Baukunst innerhalb weniger Jahre zur ausgeplünderten Ruine.

Aber auch nach der Zerstörung fand der einst heilige Ort keinen Frieden. Schnell verbreitete sich in der benachbarten kleinen Stadt am Main die Legende von den gespenstischen Flammenmönchen: Aus Rache für ihre Vertreibung aus Marienthal sollen sie jeden, der dem Klostergelände zu nahe kommt, mit höllischem Feuer qualvoll zu Tode brennen.
Über diese Gruselgeschichte konnte Professor Dr. Johann Jakob Fürchtegott Froebius bislang nur schmunzeln. Bis man ihm eines Tages eine Brandleiche zur Obduktion brachte, die in so ziemlich allen Details die geltenden Naturgesetze auf den Kopf stellte. Dass die Logik eines kühlen Verstandes alleine den Kampf gegen Geister, Dämonen, Vampire und allem, was sonst noch die Nächte unsicher macht, nicht gewinnen kann, muss Professor Dr. Johann Jakob Fürchtegott Froebius immer wieder widerwillig zugeben. Denn der praktische Arzt aus der Nach-Napoleon-Ära um 1818 ist alles andere als ein passionierter „Geisterjäger“. Er sieht sich als kritischen Wissenschaftler, der nur das akzeptiert, was man mit Formeln berechnen und in Experimenten nachweisen kann. So passt es ganz und gar nicht in sein sorgfältig gepflegtes Weltbild, dass ihn der Bannkreis des Unheimlichen nicht mehr aus den Klauen lässt ...

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Leseprobe:
„Jetzt bitte nicht mehr atmen, Mademoiselle.“
Die pummelige Siebzehnjährige nickte tapfer, schloss die Augen, presste die Lippen zusammen und hielt die Luft an. Den nackten Rücken dem Arzt zugewandt, drückte sie mit verkrampften Fäusten ihr zusammengeknülltes Hemd fest vor die Brust. Es war offensichtlich, dass sich das Mädchen in Grund und Boden schämte.
Mit betont professioneller Sachlichkeit setzte Professor Dr. Johann Jakob Fürchtegott Froebius das Hörrohr vorsichtig in Höhe des linken Lungenflügels an. Ich darf das junge Ding auf keinen Fall noch mehr aufregen, dachte der hagere Endvierziger. Die kippt mir sonst noch um.
Auf der schneeweißen Haut der Patientin zeichneten sich die Druckstellen des Korsetts in bizarren Mustern ab. Der Arzt legte seinen Kopf an die Ohrplatte aus Elfenbein, horchte, klopfte sanft auf die untersuchte Stelle und horchte wieder. Dann schob er den Holztrichter in eine andere Position und die Prozedur begann von neuem. Froebius war stolz darauf, dass er zu den wenigen Medizinern im Herzogtum Nassau zählte, die bereits mit dieser neuen Erfindung, Stethoskop genannt, arbeiten konnten. Erst vor zwei Jahren hatte ein französischer Kollege das revolutionäre Diagnosegerät entwickelt. Der Professor war einer der ersten gewesen, die es sich angeschafft haben.
Der Arzt hob den Kopf und trat einen Schritt von seiner Patientin zurück. „Danke, das war's. Sie können sich wieder ankleiden.“ Das Mädchen warf ihm einen dankbaren Blick zu und verschwand hinter dem vergilbten Paravent, der eine Ecke des altväterlich eingerichteten Sprechzimmers vor neugierigen Blicken abschirmte. Froebius krempelte die Hemdsärmel herunter, schloss die Manschetten und zog wieder seine Hausjacke aus weinrotem Samt an.
„Alles in Ordnung, Madame Schneider“, sagte er zu der Gouvernante, die ebenso stumm wie verbissen auf einem harten Holzstuhl hockte. „Es ist nur eine leichte Sommererkältung. Wenn das junge Fräulein Zugluft und Feuchtigkeit meidet, wird es sich bald wieder wohl fühlen.“
Die grauhaarige, aber mit den ungeheuerlichsten Farbexzessen der aktuellen Empire-Mode ausstaffierte alte Jungfer hatte den Arzt während der Untersuchung nicht einen Moment aus den Augen gelassen. Auch jetzt signalisierte ihr unter dem kanariengelben Schutenhut hervorstechender Geierblick unverhohlenes Misstrauen. „Naa, dafür hätt's ja wohl net den Dokter gebraucht“, keifte die Alte in der breiten Mundart der Maingegend. „Aber wenn's dem gnädigen Herrn um sei' Töchterche geht, is' ihm nix zu deuer...“.
Missmutig stand die Frau auf und durchwühlte ausgiebig ihre protzig bestickte Brokathandtasche. Ungeduldig zählte Froebius im Geist die Sekunden mit, bis sie endlich die Geldbörse in der Hand hielt. Mit nervender Akribie eine Münze nach der anderen mehrfach abzählend, legte die Gouvernante zwei Gulden und vierzig Kreuzer auf den verkratzten Nussbaumschreibtisch.
„Vergesse Se net, uns die Quittung zu schicke“, mahnte sie den Arzt. „Anna-Christinche, biste fertig?“ Der Professor deutete eine galante Verbeugung an und geleitete den grellbunten Drachen mitsamt seinem Schützling zur Tür. Als die Schritte der Frauen die altersschwache Holztreppe zum Erdgeschoss hinabknarrten, atmete er erleichtert auf und wischte sich mit seinem Schneuztuch den Schweiß von der Stirn.

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