3. Dezember 2012

'Infinity' von Barbara Stifter

Eine Krimi-Persiflage für alle, die es gerne anders mögen. Tina orientiert sich beruflich um und wird Polizistin in der österreichischen Provinz. Eine Mordserie fordert sie von Anfang an, und das nicht nur aus beruflicher Sicht. Auch privat scheint sie in die Morde verwickelt zu sein, denn Zettel bei Toten weisen auf "infinity", den Namen ihres Chat-Profiles. Tina versucht das Rätsel zu lösen, koste es, was es wolle.

Gleich lesen: infinity

Leseprobe:
Als wir in der Dienststelle ankamen, hatte sich meine Stimmung noch nicht wesentlich gebessert. Das sollte sich aber bald ändern, denn als ich mich hinter den Computer setzte und mal reinschaute, ob uns in der Zwischenzeit irgendjemand von unseren Kollegen etwas in Bezug auf die Identität des Opfers mitgeteilt hatte, sah ich eine „dringende“ Mail von einer ungarischen Polizeistation, die ich natürlich sofort öffnen musste. Darin wurde uns mitgeteilt, dass sie eine Vermissten-Meldung aufliegen hatten, die einen 38-jährigen Mann namens Janos Fekete betraf. Er stammte aus Fertörakos und seine Mutter hatte ihn vor zwei Tagen als vermisst gemeldet.
Ich rief sofort bei unseren Kollegen an, um eventuell noch Näheres zu erfahren. Da sie dort fast alle Deutsch sprachen, war es kein Problem. Der ungarische Kollege, den ich erreichte, erzählte mir, dass der Vermisste laut Auskunft seiner Mutter in Österreich arbeitete und auch sehr gut Deutsch sprach.
Um Klarheit darüber zu bekommen, ob der Vermisste unser Toter war, musste die Mutter von unseren ungarischen Kollegen hierher nach Rust gebracht werden, damit sie ihn identifizieren konnte. Das sollte in circa einer Stunde geschehen.
Nach dem Telefonat erzählte ich unserem Chef und Karl alles, was ich inzwischen in Erfahrung bringen konnte.
Der Chef meinte, wir sollten einen vorläufigen Bericht über den Fall schreiben und dann rechtzeitig in die Leichenhalle fahren.
Er sprach auch noch irgendetwas von guter und schneller Arbeit und dass es den Anschein hätte, dass er mit mir keine schlechte Wahl getan hatte, aber vor lauter Aufregung bekam ich in diesen Minuten von seiner Rede nicht so wirklich viel mit. Ich hörte nur noch den Schluss seiner Worte so richtig, als er sagte, dass er es besonders schätze, wenn Beamte auch Eigeninitiative zeigten und sich nicht jeden Handgriff vorsagen ließen.
Das musste man mir sowieso nicht zweimal sagen!
Obwohl ich wusste, dass Chefs dir immer gerne Honig ums Maul schmieren, wenn sie noch mehr Einsatz wollen, hatte ich kein Problem damit, da ich von Natur aus an allem „sehr“ interessiert bin.
Zum ausgemachten Zeitpunkt erschienen Karl und ich in der Leichenhalle und bald darauf auch die Kollegen aus Ungarn mit Frau Fekete.
Wie wir alle erwartet und auch irgendwie befürchtet hatten, musste die arme Frau feststellen, dass es sich bei dem Toten um ihren Sohn handelte.
Sie brach zusammen und ich als einzige weitere Frau sah mich natürlich verpflichtet, sie zu trösten. Frau Fekete sprach nicht besonders gut Deutsch und ich kein Ungarisch, aber allein die Tatsache, dass ich mit ihr redete, war schon eine Hilfe für sie.
Sie wurde von unseren ungarischen Kollegen am Abend wieder nach Hause gebracht …
Für uns war der Tag aber noch lange nicht zu Ende, da wir versuchen mussten, mit der Firma, in der Janos Fekete gearbeitet hatte, Kontakt aufzunehmen.
Wir schafften dies auch telefonisch und konnten dort auch noch vorbeikommen.
Er arbeitete in einer Firma in Eisenstadt. Dahin war es nicht so weit und Karl und ich sprachen zuerst noch kurz mit unserem Chef über unser Vorhaben, bevor wir los fuhren.
Wir erfuhren von Janos Vorgesetztem, dass er ein zuverlässiger, fleißiger Mitarbeiter war, der zwar sehr ruhig, aber immer auf gute Kollegenschaft bedacht war. Es habe nie irgendwelche Schwierigkeiten gegeben.
Dasselbe teilten uns anschließend auch seine Kollegen mit. Da keiner von ihnen aber private Kontakte zu ihm pflegte, konnte uns niemand auch nur den geringsten Anhaltspunkt liefern, was Janos so unternommen hatte. So tappten wir nach wie vor mehr als im Dunkeln. Aber es war ja auch noch nicht mal ein Tag vergangen.
Wir mussten wahrscheinlich an einer ganz anderen Stelle zu suchen anfangen, das war uns jetzt schon klar.
Zurück in der Dienststelle machte ich mich wieder über den Computer her und sah nach, ob irgendwelche Nachrichten eingegangen waren. Leider nein! Null! Niente! Nichts!
Aber warum sollte es auch? Wir wussten ja schon, wer der Tote war. Die Zeitungen kamen erst morgen heraus und wie viele Leute wussten bis jetzt auch schon von der Angelegenheit?
Geduld und Nachdenken war angesagt. Kaum ein Mordfall klärt sich an Ort und Stelle von einem Moment zum anderen auf.
Ich fragte Karl, ob er eine Idee hätte, wo wir zu suchen beginnen konnten, aber ihm fiel außer der Sache mit dem Zettel nichts ein, wo wir nachforschen konnten. Die Idee hatte ich natürlich auch schon gehabt, aber irgendwie hatte ich Angst davor, der Sache in dieser Richtung auf den Grund zu gehen.
Nichts desto trotz befragten wir das Internet zu diesem Wort, aber so wirklich hilfreich in Bezug zu einem Mordfall war das natürlich auch nicht.
Ich fand, dass wir die Suche besser auf den nächsten Tag verlegen sollten, da wir momentan nichts rausfänden.
Da wir schon längst Dienstschluss hatten, verließen wir gemeinsam das Revier und da wir per Zufall in dieselbe Richtung fuhren, beschlossen wir, unterwegs noch kurz zu halten und einen Kaffee zu trinken. Das war nötig!
Gesagt, getan.
Als wir so bei unserem Kaffee saßen, fragte mich Karl: „Sag mal, wieso kamst du heute Nachmittag so gut damit klar, als Frau Fekete den Zusammenbruch hatte? In solche Situationen gerätst du ja sicherlich nicht täglich, oder?“
Ich antwortete: „Schau mal, es ist so, dass ich ein sehr, ja fast zu einfühlsamer Mensch bin. Das ist nicht gerade ein Vorteil für mich, aber meistens für diejenigen, die mit mir zu tun haben. Im Laufe meines Lebens sind schon sehr viele Dinge passiert, die mich dazu veranlasst haben, vielen Ereignissen von der Gefühlsebene her zu begegnen. Und jetzt muss ich dich aber auch mal was fragen, wenn ich darf?“
„Dann tu´s mal!“ meinte er mit neugierigem Blick.
„Also, ich würde eigentlich nur gern wissen, wieso ich das Gefühl habe, dass du Frauen in unserem Job nicht so gerne siehst?“ sagte ich.
Er wurde etwas ruhig und antwortete mir erst nach einer Weile: „Ich rede zwar nicht sehr gerne drüber, aber es stimmt, was dein Gefühl anbelangt. Meine Frau war auch Polizistin, sie arbeitete in Wien. Bei einem ihrer Einsätze wurde sie von einem Bankräuber angeschossen und sie starb kurze Zeit später im Krankenhaus. Ganz ehrlich, es ist zwar schon eine schöne Weile her, aber ich bin noch nicht drüber weg. Für einen Bullen zu viel Gefühl, was? Aber so ist es!“

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