22. Februar 2013

'Die Schaluppe nach Gorée' von Tom Linden

Dieser Afrika-Liebesroman spielt im Senegal des Jahres 1995. Der junge Weltenbummler Christoph möchte nach Timbuktu reisen, die legendäre Wüstenstadt am Südrand der Sahara. In Senegals Hauptstadt Dakar macht er Station und lernt bei einem Ausflug auf die Bilderbuchinsel Gorée die reizvolle Zaina kennen. Die Beiden verlieben sich über Nacht.

Christoph und Zaina kehren nach Gorée zurück und verbringen dort romantische Tage. Aus Tagen werden Wochen, obwohl sich ihre Beziehung immer undurchsichtiger gestaltet. Zaina taucht ab und wieder auf. Er versucht, ihr Spiel zu durchschauen, wird ausgeraubt und weiß nicht mehr, ob er ihr trauen kann. Er erlebt eine Gefühlsrallye durch Dakar, die Wirren der Liebe und das wilde Nachtleben eines muslimischen Landes. Er kommt mit Vodoo in Berührung, er wird betrogen und betrügt. Und immer wieder versucht er, endlich nach Timbuktu abzureisen.

Gleich lesen: Die Schaluppe nach Gorée

Leseprobe:
Den ganzen Tag erforschte ich Gorée, deren Charme mich verzauberte. Doch ich war allein und genoss die Herrlichkeit nur bedingt, da ich sie mit niemandem teilen konnte. Während mich ‚La chaloupe‘, wie die Einheimischen sagten, wieder nach Dakar schaukelte, wünschte ich mir, ich könnte eines Tages in Gesellschaft zurückkehren.
Dieser Dauerkonflikt zwischen Nähe und Distanz zieht sich durch mein gesamtes Leben. Ich bin gesellig, aber auch ein Lone Wolf. Ich bin gerne unter Leuten, brauche feste Beziehungen – dann wieder meine Ruhe. Auch bei der Arbeit ist dies so, wo ich zwar alle Pausen mit den Kollegen verbringe und zudem noch viele Abende, ein eigenes Büro ist jedoch unabdingbar. Nur so kann ich mich konzentrieren, was allerdings auch nötig ist, denn ich bin Werbetexter.
Unterwegs, und damit meine ich Reisen, bin ich genauso hin- und hergerissen. Einerseits fühle ich mich allein sehr wohl, kann mein Programm bestimmen und muss mit niemandem absprechen, ob ich noch eine Woche im Palmengarten der Oase ausspanne oder einen 50 Kilometer langen Marsch durch ein Tal absolviere. Außerdem weiß ich morgens selbst manchmal nicht, ob ich noch länger bleibe oder mir plötzlich den Rucksack schnappe und zur Busstation laufe. Zumindest auf Reisen lasse ich mich gerne treiben, das ist mein Gegenpol zur Arbeit. Andererseits möchte ich zwar alleine reisen, aber keineswegs alleine sein. Ich will das Land und seine Bewohner kennenlernen, was gerade dann am besten funktioniert, wenn ich auf eigene Faust unterwegs bin. Oft laden mich Einheimische auch zu sich nach Hause ein, zum Essen, manchmal auch für einige Nächte. In einer Gruppe oder zu zweit würde mir das wohl kaum passieren.
Meine ersten Reisen unternahm ich nach Lateinamerika, vor allem Brasilien. Im Austauschjahr vor dem Abitur lebte ich dort an der Nordküste und bin anschließend mehrfach wieder dorthin sowie in die Nachbarländer gereist. Aber ich verlor mein Herz nicht an diesen Kontinent. Mit Anfang 20 hakte ich Südamerika als Reiseregion ab und war neugierig darauf, andere Weltgegenden kennenzulernen. Ich überlegte. Wo zog es mich hin? Skandinavien war mir zu kalt, Asien lag mir nicht, Australien war mir zu westlich-europäisch – außerdem wollte ich gerade weg von den Backpacker-Hotspots. Ich horchte daher immer wieder fasziniert auf, wenn es um Afrika ging, der Kontinent vor Europas Haustür. Dabei dachte ich aber nicht an die arabischen Länder im Norden, die viele bereisten, sondern das „richtige Afrika“ – Schwarzafrika. Besonders die französischsprachigen Länder in Westafrika interessierten mich. Ein Jahr zuvor hatte ich deshalb angefangen, Französisch zu lernen und wollte die Sprache nun anwenden und ausbauen.
Als ich an einem geselligen Abend in meiner Berliner Wohnung meine neuesten Reisepläne kundtat, wussten meine Freunde nicht, was sie sagen sollten. Sie hatten bisher gern meine Dia-Abende besucht und meine Reiseberichte aus Südamerika verfolgt. Aber Afrika? Obwohl sie beeindruckt waren, lag Mali – das Land, das ich mir diesmal ausgesucht hatte, und von dem die meisten zum ersten Mal hörten – für sie auf einem anderen Stern. Klar, nach Australien fliegen oder Indonesien, in der üblichen kanalisierten Individualität des Reisens. Aber nach Afrika? Safari-Reisen, das war etwas fürs Alter – und ansonsten, was gibt es dort schon, fragten sie? Ich erzählte ihnen von Timbuktu, der legendären Wüstenstadt in Mali, in die ich mich durchschlagen wollte, doch sie kauften mir mein Interesse nicht richtig ab. Vielmehr zogen sie mich mit afrikanischen Frauen auf, wegen derer ich wohl eher dorthin fahren würde. Zu meiner Abschiedsparty erhielt ich daher eine große Packung Kondome geschenkt – in schwarz.
Je mehr ich den Freunden meine Neugier auf das westafrikanische Land Mali ausmalte, ihnen von den Hombori-Bergen, dem Volk der Dogon, der Falaise im Dogonland berichtete oder der Moschee von Djenné, um so unglaubhafter wurde ich in ihren Augen. Das sei doch kein Reiseziel für einen 26-Jährigen. Oder wolle ich nun endlich ein Studium aufnehmen und Archäologe oder Anthropologe werden, lachten sie mich aus. Mich aber zog es in das sagenumwobene Timbuktu. Die Stadt am Südrand der Sahara war ein jahrhundertealter Traum vieler Europäer. Unzählige Expeditionen dorthin waren gescheitert. Von den wenigen Forschern, die bis dorthin gelangten, kehrten noch weniger lebendig zurück. Darunter war 1853 Heinrich Barth, dessen Meisterwerk Die große Reise ich in meinem Rucksack trug. Heute, und auch schon zu Zeiten Barths, ist das früher reiche Handelszentrum zwar zu einem Kaff geschrumpft – aber sein Ruf und die Geschichte …
Nun gut, es gelang mir offenbar nicht, meine Freunde oder meinen drei Jahre jüngeren Bruder mitzureißen, was für einen Werbetexter deprimierend ist. Auch meine Ex-Freundin Dana sah mich seltsam an, als ich ihr von meinen Reiseplänen erzählte. Wir waren seit einem Jahr getrennt, trotzdem standen wir noch in Kontakt. Es war meine erste längere Beziehung gewesen, fast zwei Jahre waren wir zusammen. Am Anfang hatte ich stark unter der Trennung gelitten, auch weil sie so plötzlich kam. Nun jedoch waren meine Gefühle für sie verschwunden, was mich fast genauso verstörte wie der Bruch selbst. Immer wenn wir uns wieder begegneten, merkte ich, wie sehr ich mich von ihr entfernt hatte. Ihr Desinteresse an meinen Reiszielen unterstrich das Ganze nur noch.
Fest stand trotz allem, Afrika lockte mich, und ich würde das Zeitfenster nutzen, das sich gerade vor mir auftat. Ich hatte in meiner bisherigen Werbeagentur gekündigt und meinen Antrittstermin in der neuen so weit nach hinten verhandelt, dass ich sieben Wochen Zeit hatte, mich auf die Reise nach Timbuktu zu begeben und dann zu den anderen Orten in Mali.
Dogonland und Hombori-Berge, das waren meine weiteren Eckpunkte. Da ich kein günstiges Flugticket in die Hauptstadt Malis, Bamako, bekommen hatte und mir obendrein das Visum, das der Honorarkonsul in Berlin ausstellte, zu teuer war, beschloss ich, ins Nachbarland Senegal zu fliegen. Dort, in der Hauptstadt Dakar, wollte ich mir ein wesentlich günstigeres Visum in der Botschaft Malis besorgen, dann sofort weiterfahren und erst am Ende eine, vielleicht zwei Wochen an der Küste Senegals verbringen. Besonders vorbereitet auf den Senegal hatte ich mich daher nicht.
So flog ich im Februar 1995 nach Dakar, um die Stadt lediglich als Durchlaufstation nach Mali zu nutzen. Vieles, was dann passierte, ertrug ich nur aus purer Neugier. Nach und nach begriff ich, dass wahrscheinlich nicht alles – oder gar nichts davon – mit rechten Dingen zuging. Und nach den Hintergründen zu suchen, die Personen um mich herum zu verstehen, die Frage nach dem Warum und die Suche nach echter Liebe wurden Hauptinhalte meiner Reise, die im Sinne einer geografischen Bewegung am Ende kaum stattgefunden hat. Vielmehr wurde es eine Reise in ein Labyrinth aus Lügen, Betrug und emotionalen Verstrickungen. Davon und warum ich am Ende nie in Timbuktu ankam, handelt diese Geschichte.

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