7. März 2013

'Jamaica - Nicht alles ist Reggae' von Irene Maier

Die wahre Geschichte einer gescheiterten Auswanderung nach Jamaika. Irene ist nach einem Urlaub von der Insel fasziniert, lebt mit ihrem Freund im Ghetto von Montego Bay, lässt sich mit einem Drogenkartell ein und landet im einzigen Frauengefängnis Jamaikas. Sie erzählt über Ihre bizarren Erlebnisse vom Leben in Montego Bays Ghetto, von Korruption, seltsamen Freundschaften und viel Reggaemusik.

Gleich lesen: JAMAICA - NICHT ALLES IST REGGAE!

Leseprobe:
Am Flughafen. Der Check-in-Schalter nach Montego Bay via Düsseldorf hat gerade geöffnet. Mit gierigen Augen sauge ich alle Eindrücke ein. Da gibt es einen langhaarigen Mann mit Stirnband, der ein Fahrrad mitbringt. Es wird ihm gesagt, er müsse es in alle Bestandteile zerlegen. Er ist verärgert. Die anderen Leute lachen belustigt. Dann sehe ich noch ein paar Touristen, die von Kopf bis Fuß tätowiert sind. Sie sind total laut und übermütig.
Noch immer kann ich nicht glauben, dass ich tatsächlich in die Karibik fliege. Es ist mein erster Transatlantikflug. Ich trage einen modischen indischen Zweiteiler. Koffer und Handtasche sind auch neu. Mit dem Auto bin ich von meiner Heimatstadt St. Pölten nach München gefahren. Weil der Flug sehr früh am Morgen geht, habe ich in einem Hotel in Flughafennähe übernachtet. Im Preis für eine Nacht ist auch ein Hotelparkplatz für zwei Wochen inbegriffen. Nun stehe ich also erwartungsvoll beim Check-in. Alles ist so aufregend, ich bin noch nie alleine verreist. Ich bin vierunddreißig Jahre alt und Mitarbeiterin eines Autohauses.

Rosa. Der Flug nach Düsseldorf startet pünktlich. Wir landen kurz vor acht Uhr und müssen zwei Stunden auf den Anschlussflug warten. Ich setze mich auf einen Sessel, neben mir nimmt eine Frau Platz. Sie spricht mich an, will wissen, ob ich auch nach Jamaika fliege. Sie erzählt mir, sie hatte letzte Nacht Streit mit ihrem Mann. Er wollte partout nicht, dass sie alleine nach Jamaika fliegt. Sie stellt sich als Rosa vor: „Mein Mann hat mir sogar meine Kreditkarte weggenommen, jetzt habe ich nur mehr 50 Mark für den ganzen Urlaub. Zum Glück habe ich für ein All-inclusive-Hotel bezahlt. Ich wollte aber auch andere Teile von Jamaika sehen, das kann ich jetzt nicht mehr. Ja, der hat tatsächlich meine Gold Card weggenommen.“
Ich teile ihr mein Bedauern mit. Rosa erzählt mir auch noch, dass sie ihren Mann sowieso nicht liebt und hier in Deutschland einen arabischen Freund hätte. Sie selber stamme aus Exjugoslawien, wohne aber schon seit zwanzig Jahren in München.
Oh nein, denke ich, schon wieder jemand, der mir seine Lebensgeschichte aufdrängt. Rosa fragt bereits nach meinem Hotel und ob wir uns treffen könnten in Montego Bay. Ich bin nicht so begeistert angesichts der Tatsache, dass sie praktisch pleite ist.

Im Flugzeug. Endlich können wir an Bord gehen. Das erste Mal befinde ich mich in einem Jumbojet. Alles fasziniert mich. Rosa sitzt zufällig genau vor mir, gleich neben den drei tätowierten Männern. Sie redet ununterbrochen. Sie erzählt mir von ihrem Urlaub in Kenia im Vorjahr. Sie meint, dort wäre alles viel billiger als in Jamaika, die Männer wären auch ehrlicher. Vielleicht könnten wir ja im nächsten Jahr gemeinsam hinfahren?
Ich versuche, ihr klarzumachen: „Schau, ich habe keinen Partner zu Hause, aber ich will dennoch keine Affäre im Urlaub. Bringt nur Probleme und dann der ganze Abschiedsschmerz. Außerdem fahre ich nur wegen der Musik und dem Lebensgefühl hin.“
Rosa erzählt mir, dass viele Frauen wegen der jamaikanischen Männer hinfahren. Das ist absolut neu für mich, damit habe ich mich nie beschäftigt.
Da lacht Rosa und deutet auf ein Pärchen: „Sieh mal, glaubst du, der Mann hätte jemals das Geld für einen Urlaub in Deutschland? Nein, seine Begleiterin zahlt alles.“
Ich sehe mich nach den beiden um. Der Mann ist schwarz, offensichtlich Jamaikaner. Er ist jung, attraktiv und gut gekleidet. Seine Begleiterin ist mindestens zehn Jahre älter, ca. 120 Kilo schwer.
Ich sehe Rosa zweifelnd an: „Aber du kennst die beiden doch überhaupt gar nicht, du weißt nichts über sie.“
Rosa lächelt nachsichtig: „Aber das ist doch gang und gäbe. Das ist das Spiel. Ich selber würde niemals einem Mann etwas zahlen, die müssen mir etwas kaufen.“
Ich fühle mich nicht wohl in dieser Unterhaltung, sie zerstört mein Urlaubsfeeling. Ich setze die Kopfhörer auf und träume. Endlich ist es so weit, wir starten. Ich fühle mich so lebendig, so abenteuerlustig. Fasziniert schaue ich auf den Bildschirm. Er zeigt ganz genau an, wo wir uns befinden, wie lange wir schon unterwegs sind und noch unterwegs sein werden. Während des ganzen Fluges bin ich vor Vorfreude unfähig, etwas zu lesen, geschweige denn zu schlafen.
In der Zwischenzeit betrinken sich die tätowierten Deutschen vor mir kräftig. Sie erzählen, dass sie schon einige Male auf Jamaika waren. Es ist großartig, das Gras ist sehr stark und man raucht es dort ohne Tabak. Die Stewardess verweigert ihnen nach ein paar Stunden neue Drinks. Rosa betrinkt sich auch etwas und knutscht mit einem der Männer rum. Ich selber trinke Fruchtsaft und genieße jede Minute des Fluges. Ich weiß, hätte ich auch nur einen Drink, würde ich mich auch betrinken. Seit Jahren schon bekämpfe ich diese periodischen Besäufnisse.

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