28. März 2014

"Solom: Der Wanderprediger" von Scott Nicholson

Ein Roman, der das Gruseln lehrt. Die kleine Bergstadt Solom hütet das dunkle Geheimnis des Wanderpredigers Harmon Smith, der einst durch die Berge ritt, um die Menschen zu bekehren. Dann jedoch wurde er wegen seiner seltsamen religiösen Gepflogenheiten umgebracht. Seine Leiche liegt in drei verschiedenen Gräbern begraben. Obwohl er seit über hundert Jahren tot ist, haben die Solomer ihn nicht vergessen. Sie sitzen um den alten Ofen im Tante-Emma-Laden und erzählen sich flüsternd die alten Geschichten.

In der kleinen weißen Kirche beten sie dafür, nicht von ihm geholt zu werden, und sie müssen immerzu an ihn denken: beim Heumachen, bei der Maisernte, bei der Gartenarbeit. Denn vor kurzem ist eine geheimnisvolle Gestalt mit schwarzem Hut aufgetaucht, und des Nachts hallen Hufschläge aus der Ferne. Die schlummernden Geister von Solom sind erwacht. Die Ziegen werden unruhig. Mit vereinten Kräften wollen sich die Bergstädter gegen die dunkle Macht wehren, die sie zu zerstören droht. Denn Harmon Smith, der Wanderprediger, ist wieder da. Er ist gekommen, um alte Rechnungen zu begleichen. Und bezahlt wird mit Blut.

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Leseprobe:
Mäusedrecker.
Sarah Jeffers fegte mit dem Besen um den Ladentisch. Das gute Stück aus dunklem Ahornholz stand gleich neben der Eingangstür des Tante-Emma-Ladens von Solom. Wohl zwei Millionen Mal waren Geld und Waren über diesen Ladentisch gegangen, und das sah man ihm auch an. Die meisten Lampen waren schon ausgeschaltet, denn es war kurz vor Ladenschluss. All die Puppen, Werkzeuge, Kunsthandwerksartikel aus den Bergen und der ganze andere Plunder, der von den Deckenbalken herabhing, warfen lange Schatten an die Wand. Nach all den Jahren in diesem Laden war ihr der Geruch von Tabak, Holzofenrauch, Cola und Schuhwichse in Fleisch und Blut übergegangen.
Als das Geschäft eröffnete, erlebte die Stadt gerade ihre Blütezeit, kurz vor dem ersten Weltkrieg. Damals fuhr die Holzindustrie ihren großen Angriff auf die Laubhölzer der Gegend. Am Bahnhof war ein ständiges Kommen und Gehen. Mit der Eisenbahn waren auch Sarahs Großeltern aus Pennsylvania in die Berge gekommen. Die Jeffers – früher trugen sie den Familiennamen Jaffe – bauten den Laden praktisch aus dem Nichts auf. Sie sammelten Flusssteine für das Fundament, handelten und tauschten, um ihren Warenbestand zu vergrößern, ja sie zogen sogar ihre eigenen Arbeitskräfte heran. Sie waren Juden, aber das war den Leuten egal, denn sie hielten ihren Gottesdienst hinter verschlossenen Türen im Wohnzimmer ab. Hauptsache der Laden war samstags und sonntags geöffnet. Als auf den Hängen nur noch Stümpfe standen und die Holzfäller weitergezogen waren, schlossen die Sägewerke. Danach schien es, als liefen die Uhren rückwärts. Der Damm am Flussufer begann zu zerfallen, und die kleine Siedlung, die rund um das Sägewerk entstanden war, war nach und nach dem Verfall preisgegeben. Zwar gaben sich ab und zu die ersten Fords ein Stelldichein auf den staubigen Bergstraßen. Am Steuer saßen meistens Holzbarone, die nach ihren Investitionen sehen wollten. Dennoch waren vor allem Pferdefuhrwerke Zeugen des schleichenden Todes der Stadt. Als die Weltwirtschaftskrise kam, war Solom nur noch eine Durchfahrtsstation an der Virginia Creeper Eisenbahnlinie. Dann kam das Hochwasser von 1940 und riss den Bahnhof mit sich fort, ebenso wie ein Drittel der noch verbleibenden Gebäude und ein Dutzend Menschenleben.
Sarahs Großeltern waren im Abstand von wenigen Wochen gestorben. Ihre drei Kinder stritten sich darum, wer hier bleiben und den Laden fortführen musste. Sarahs Vater Elisha zog den Kürzeren. Er nahm sich unverzüglich eine Baptistin der alten Schule zur Frau, denn sie konnte Plus und Minus rechnen und wusste sich ruhig zu verhalten. Sie hieß Laurel Lee. Der Tante-Emma-Laden stand die ganze Zeit unbeirrt auf seiner kleinen Anhöhe über dem Fluss. Mit den Zeiten wandelte sich auch das Warenangebot. Tabakbeutel und Zigarettenpapier machten Platz für Marlboro Filterzigaretten, Lackritzstangen verschwanden aus den Regalen, die nun mit Schokoriegeln gefüllt wurden. Früher lag ein Versandhandelskatalog neben der Kasse, der es den Familien aus den Bergen ermöglichte, praktisch alles zu bestellen, was man auch im mondänen New York kaufen konnte, doch in der Clinton-Ära war der Katalog verschwunden und durch einen Computer ersetzt worden. Sarah traute dem Ding nicht. Sie nannte ihn »Schleimiger Willi« und hegte sogar den Verdacht, dass er ab und an einen Dollar verschlang. Und so blieb der Bildschirm schwarz, außer wenn Gretta Dienst hatte, die Studentin mit den dicken Knöcheln, die manchmal im Laden aushalf.
Der Computer war eines der wenigen Dinge, die etwas Modernität in den Laden brachten. Außer vielleicht noch die Unmengen an billigen Kunstgewerbsartikeln aus Fernost, die original und authentisch aussehen sollten. An der Wand hingen rostige Werbeschilder, Werkzeuge, die man auf dem Bauernhof brauchte, und Regale voller geriffelter Glasflaschen. All diese Dinge verstärkten den Eindruck, dass der Laden aus einer längst vergangenen Zeit stammte, als das Leben noch in Ordnung war. Sarah glaubte zwar selbst nicht an diese Illusion, aber sie verkaufte sie. Es war einfacher, sein Geld mit Sachen zu verdienen, für die die Leute gern etwas ausgaben, als immer wieder seinen paar Kröten hinterherzurennen.
Sarah war in dem Laden groß geworden. Sie hatte Staub gewischt auf den Regalen und in ihrem einfachen Baumwollkleidchen eingelegte Eier abgezählt. Sie erinnerte sich noch daran, wie das erste WC im Haus eingebaut wurde, so dass man nicht mehr aufs Klohäuschen rennen musste, um seine Notdurft zu verrichten. Damals war sie gerade mal vier, und sie hatte eine Höllenangst vor dem Rauschen der Wasserspülung gehabt. Aber noch fürchterlicher fand sie es, ihren nackten Hintern über das stinkende Plumpsklo im Aborthäuschen zu hängen. Schon damals war sie immer mit dem Besen unterwegs gewesen und hatte sich gewundert, was das für kleine schwarze Krümel waren, die zwischen den herumflirrenden Haaren und Zuckerkristallen, den Grashalmen und dem ganzen Dreck lagen.
»Mäusedrecker«, hatte Laurel Lee dann immer gesagt. »Für eine Maus ist ein Laden wie unserer das reinste Himmelreich.« Sarah hatte sich die Mäuse immer als glückselige Wesen vorgestellt, die unter den Dielen herumhuschten und deren einzige Sorge es war, wie sie es schaffen sollten, sich durch all die Säcke mit Saatgut zu knabbern und die Ecken der Cornflakespackungen aufzubeißen. Doch nachdem sie nun seit fast siebzig Jahren ihren verdammten Dreck wegkehren musste, war sie kurz davor, sie alle zum Teufel zu wünschen.
Wenigstens hatte sie jemanden, den sie für die komischen Geräusche in den Gängen verantwortlich machen konnte. Sie war nicht gern allein im Laden, aber das Geld reichte schon so kaum für die zwei Aushilfen. Und so hatte sie sich in den vergangenen Jahrzehnten die Zeit mit dem Besen vertrieben und die Beweise ignoriert, die ihre Ohren lieferten. Sie dachte einfach nicht an die Vogelscheuche. Über der Fliegengittertür läutete die Klingel. Es war zehn nach sieben, der Laden hatte zu, aber sie hatte die Tür nicht abgeschlossen. Vom Vordach fiel ein gelber Lichtstrahl auf den Eingangsbereich. Im Gegenlicht sah Sarah einen gewaltigen Schatten.

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Mehr über und von Scott Nicholson auf seiner Website.

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