6. März 2014

'Verräterisches Profil' von Marcus Hünnebeck

Ein Thriller ohne Tabus. Eine dreiköpfige Familie wird ermordet aufgefunden. Als nach einer ähnlichen Tat alles auf einen brutalen Serienmörder hindeutet, zieht die Soko den Kriminalpsychologen Mark Gruber zurate.

Aufgrund seines Täterprofils gerät einer der Verdächtigen in den Fokus der Ermittlungen. Da jedoch keine eindeutigen Beweise vorliegen, entwirft Gruber gemeinsam mit den beiden verantwortlichen Kommissaren eine Strategie, um den Mann unter Druck zu setzen ...

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Leseprobe:
Das Haus, in dem gleich drei Menschen sterben werden, liegt in einer verkehrsberuhigten Seitenstraße – ideal für Familien mit Kindern. Von meinem Parkplatz aus sehe ich einen eingezäunten Spielplatz mit Sandkasten, Klettergerüst und Holzschaukel. In den umliegenden Gebäuden brennt nur vereinzelt Licht, wie es sich um diese Uhrzeit für ein solches Viertel gehört. Ich steige aus und gehe langsam auf mein Ziel zu. Die Lampe neben dem Eingang ist nicht eingeschaltet, was mir sehr gelegen kommt. Ich erreiche die erste der fünf flachen Stufen, die zur Tür führen. Vorsichtig stelle ich den Rucksack auf den Boden und hole das Werkzeug samt Taschenlampe heraus. Innerhalb einer Minute ist das Türschloss geknackt. Den Atem anhaltend, schlüpfe ich ins Innere. Meine Hand ruht nach dem Schließen der Haustür noch auf der Klinke. Der matte Lichtschein der Stablampe weist mir den Weg zur nächsten Tür. Bei ihrem Öffnen zerreißt plötzlich ein lautes Knirschen die Stille. Mein Herz schlägt wie verrückt, für einen Moment will ich flüchten. Um diesem feigen Impuls nicht nachzugeben, zwinge ich mich, ruhig durchzuatmen. Bestimmt ist niemand von diesem Geräusch aufgewacht.
Ich warte. Nichts rührt sich. Ich schiebe eine Messerklinge in den schmalen Spalt zwischen Holztür und Fußboden. Sie stößt gegen einen winzigen Stein, der auf den Fliesen den Krach verursacht hat. Ich entferne ihn, ehe ich vom Hausflur in die Diele des Erdgeschosses trete. Der Dielenzugang lässt sich nun geräuschlos schließen. Es ist alles in Ordnung.
Zumindest für mich. Für die drei Personen über mir gilt das nicht. Ihr Leben ist bald vorbei, meins fängt jetzt erst richtig an. Diesen Augenblick werde ich niemals vergessen. Phönix ist geboren. Aus der Asche seiner alten Existenz auferstanden.
Der Mann erwachte. Wie in den Nächten zuvor. Erfolglos versuchte er, zurück in den Schlaf zu finden. Doch er wusste, dass dieses Vorhaben sinnlos war. Kurz darauf blickte er auf die rote Digitalanzeige des Weckers. Viertel nach eins. Das gleichmäßige Atmen seiner Frau drang an sein Ohr. Langsam drehte er sich zu ihr um. Durch die Luftritzen des Rollladens fiel genug Licht einer Laterne, sodass er sie betrachten konnte. Ihr Mund war leicht geöffnet, das braune, lange Haar lag auf dem Kopfkissen verteilt. Bei ihrer ersten Begegnung vor zehn Jahren hatte sie ihn gleich mit ihrem mädchenhaften Aussehen in den Bann gezogen. Sie war damals zwanzig gewesen, aber er erinnerte sich genau an ihr drittes Rendezvous, als sie für einen ab sechzehn freigegebenen Film ihren Ausweis vorzeigen musste. Einen Teil dieser Jugendlichkeit hatte sie aufgrund der Geburt ihrer Tochter vor sechs Jahren verloren. Sie wirkte zwar nicht wie eine Dreißigjährige, hatte jedoch viel von dem eingebüßt, was er so erregend gefunden hatte.
Vorsichtig schlug der Mann die Bettdecke beiseite und stand auf, denn er war verabredet. Er hatte seinem Mädchen gestern Nacht versprochen, wiederzukommen. Mit den Füßen schlüpfte er in die Pantoffeln, danach griff er zu dem bereitliegenden Bademantel, den er beim Hinausschleichen anzog. Ohne die Deckenlampe im Flur einzuschalten, ging er zum Zimmer seiner Tochter. Im Schein des Nachtlichtes musterte er sie. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war verblüffend. Der Mann spürte dieses verderbliche Begehren und zwang sich, die Tür zu schließen. Sie war viel zu jung. Doch vor allem war sie sein eigen Fleisch und Blut. Er würde sich gegen dieses Verlangen wehren. Diesmal durfte es keinen Ausrutscher geben.
Stattdessen machte er sich auf den Weg zu seiner Verabredung am Bildschirm. Vor einer Woche hatte er dank des Tipps eines E-Mail-Partners eine faszinierende Seite im Internet entdeckt. Nach der Buchung eines 14-Tage-Abos hatte er die Kleine unter fünfzehn zur Verfügung stehenden Frauen ausgewählt. Sie war mit Sicherheit mindestens achtzehn, sah allerdings eher nach einem vierzehnjährigen Schulmädchen aus. Mithilfe der Tastatur seines PCs erteilte er ihr Anweisungen, die sie gehorsam ausführte. Fast jede Nacht war er nun bei ihr gewesen, gestern eine Stunde lang. Sobald das Abo ablief, würde er ein neues buchen. Das Geld spielte keine Rolle. Es zählte nur die Illusion.
Ich habe die Fotoalben gefunden und blättere sie im Wohnzimmer durch. Eine glückliche Familie. Zumindest haben die Bilder viele unbeschwerte Momente festgehalten. War das Glück nur vorgetäuscht, um Nachbarn, Freunden und Verwandten den Eindruck einer heilen Welt zu vermitteln?
Plötzlich höre ich ein Geräusch. Rasch schalte ich die Taschenlampe aus und verstecke mich hinter der Couch. Gerade, als ich zu glauben beginne, mich geirrt zu haben, öffnet jemand die Tür zur Diele.
Der Mann schaltete die Deckenleuchte ein. Da er nun genau vor einem Spiegel stand, betrachtete er sein müde wirkendes Gesicht. Ihm wurde bewusst, dass er langsam auf sein Gewicht achten musste. Er hatte in den letzten Monaten einige Kilos zugenommen, was nicht zuletzt am Hals sichtbar war.
Seufzend wandte er den Blick ab und ging in die Küche. Dem Kühlschrank entnahm er eine Milchflasche, aus der er einen großen Schluck trank, ehe er sich in sein Arbeitszimmer zurückzog.
Lauschend warte ich. Das Ticken der Uhr ist mein einziger Anhaltspunkt, wie viel Zeit vergangen ist. Seitdem er ein Zimmer im Erdgeschoss betreten und dessen Tür geschlossen hat, habe ich synchron mit dem Sekundenzeiger bis dreihundert gezählt.
Ich stehe auf und schleiche durch die Diele. Gedämpft höre ich das Klappern einer Computertastatur. Ich nehme die Pistole, die mit einem Schalldämpfer versehen ist, aus dem Rucksack. In wenigen Sekunden werde ich zum Mörder.

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