25. Juli 2014

"Das Glück ist ein flüchtiger Dieb" von Johanna Wasser

Welchem Plan folgt die Liebe? Welche Wege beschreitet das Glück? Als dem erfolgsversessenen Werbeagenturchef Steffen durch einen Irrtum die Reisetagebücher seiner seit Monaten verschwundenen Nachbarin Sophie in die Hände fallen, ahnt er nicht zu welchen Taten ihn diese noch verleiten werden. Zunehmend fasziniert taucht er in Sophies Leben ein, geht gedanklich mit ihr auf Reisen und fasst bald einen verhängnisvollen Plan, der ihrer beider Leben zusammenführen und von Grund auf verändern wird.

Dies ist eine Geschichte über das Glück und über das Schicksal, über das Weggehen und über das Ankommen, über das Lügen und über das Trauern. Und über die Liebe, von der man zwar davon laufen kann, die einen aber immer wieder einholen wird.

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Leseprobe:
Das rostige Quietschen der Straßenbahn zerschnitt Meter für Meter die Nacht, während die Tram sich aus der Enge der Gassen schlängelte. Irgendwo in der Nähe stritten sich zwei. Die Tram blieb stehen, horchte und schnaufte. Eine der Türen gab den Blick auf den einzigen Passagier frei, der mit dem Kopf ans Fenster gelehnt etwas in ein Notizbuch kritzelte. Ein großgewachsener Mann Mitte dreißig. Er verstaute das Büchlein in seiner Tasche, beugte sich nach vorne, stand auf und trat auf die Straße hinaus. Seine Lippen presste er wie zum Schutz gegen den Wind schmal aneinander, sah nach oben und murmelte etwas Unverständliches. Die Regentropfen im Scheinwerferlicht fielen zu Boden wie winzige Sternschnuppen. Der Mann räusperte sich, steckte beide Hände in die Seitentaschen seines Mantels und schloss die Augen. Steffen Leitner war kein Mensch, der zu Sentimentalitäten neigte.
Er hörte, wie der Zug sich hinter ihm in Bewegung setzte, machte die Augen auf, drehte sich um und sah der wegfahrenden Trambahn nach. Es dauerte eine Weile, bis das letzte Licht um die Ecke verschwunden war und die Bahngleise zwischen den Pflastersteinen in Dunkelheit versunken waren. Die Augen des Mannes begannen die Hausfassaden nach dem richtigen Weg abzusuchen. Einen Moment später verschlang ihn eine kleine Gasse links vor ihm, um ihn ein paar Straßen weiter wieder auszuspucken.
Vor einem weißen Jugendstilhaus blieb er stehen, wühlte eine Weile in seiner Tasche nach dem Schlüssel, sperrte die Haustür auf und steuerte die Treppe an. Unterwegs stoppte er, murmelte wieder, so als wollte er einen Gedanken abschütteln, wie das Regenwasser, das sich auf seinem Kragen gesammelt hatte, und machte kehrt. Wie schon oft hatte er auch heute seine Post vergessen. Nicht dass es sich gelohnt hätte zurückzugehen, bemerkte er, als er vor seiner Wohnungstür stand. Nur Werbung, der Stern und ein brauner Umschlag, der sich nach einem Infobrief einer Krankenkasse anfühlte und den er nicht öffnete, weil sein Interesse auf etwas anderes gelenkt wurde. Es war ein brauner Karton mit Bildern auf der Oberseite, der vor seiner Tür stand. Steffen grinste, schloss auf, hob das Paket hoch, trug es in die Wohnung und stellte es neben den Stapel der anderen Post auf den Tisch. „Du bist also die Überraschung“, flüsterte er mit dem Blick auf den Tesafilmstreifen, den er mit einem Griff ablöste. Er steckte seine Hand zwischen die Pappblätter, zog ein grünes, gebundenes Buch heraus und begann durch die Seiten zu blättern.
Er hatte damit gerechnet, dass Maja ihre versprochene Überraschung aus New York mitbringen würde, wo sie gerade ihren alljährlichen Shoppingurlaub machte. Und er hätte gar nicht mehr daran gedacht, wenn sie ihn nicht am Nachmittag noch extra per SMS daran erinnert hätte. Aber ein vollgeschriebenes Buch? Das überraschte ihn schon, zumal eher er derjenige war, der gerne schrieb. Seine Freundin hingegen ... Er lachte leise auf. Maja hatte andere Qualitäten. Das dachte er zumindest bis heute.
Er schmunzelte und vertiefte sich in die Seiten. Schnell fiel ihm auf, dass die meisten Einträge mit einem Datum versehen waren. ‚Seit wann schreibt sie denn Tagebuch?‘, überlegte er, griff nach seinem Handy, legte aber fast sofort wieder auf. In New York war es gerade ohnehin schon nach Mitternacht, daher beschloss er sie morgen näher auszufragen. Stattdessen ging er ins Wohnzimmer, goss sich ein Glas Rotwein ein, setzte sich auf die Couch und begann zu lesen.

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