4. August 2014

"Der Begleiter: Eine Welt hinter dem Alltag" von Bernhard Hoffmann

Ein Journalist kommt im Rahmen seiner Tätigkeit in eine Kleinstadt. Er findet heraus, dass es hier einen Hund geben soll, der niemandem gehört und der ab und zu in der Stadt auftaucht. Wenn er das tut, dann sucht er sich einen ganz bestimmten Menschen aus und wohnt eine Zeit lang bei ihm. In dieser Zeit verändert sich das Leben des Betreffenden auf stille, aber entscheidende Art und Weise.

Der Journalist bekommt eine Liste von all jenen Menschen, wo der Hund schon gewohnt hat und hört sich die Geschichten der Menschen an - und macht sich auch auf die Suche nach diesem mysteriösen vierbeinigen Begleiter ...

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Leseprobe:
Ich stellte meinen Wagen an jener Stelle ab, die mutige Bürger wahrscheinlich mit „Downtown“ bezeichnet hätten. Ich wollte noch einige Lebensmittel kaufen und betrat den kleinen, typisch amerikanischen Supermarkt. Neben Obst und einigen Nüssen suchte ich nach einer Landkarte, um mich orientieren zu können.
Als ich in der Warteschlange zur Kassa stand, hörte ich hinter mir einen älteren Mann in sein Mobiltelefon sprechen. „Ja, Erica, ich hab auch … Ja, das auch. Nein, ich komme gleich nach Hause, keine Sorge! Nein, ich … Du weißt, dass ich tagsüber nicht trinke!“ Als er seufzend auflegte, drehte ich mich um und lächelte.
Der Mann – er war so um die 50 und hatte eine dünne Metallbrille – sah mich an und lächelte verunsichert. „Meine Frau … Sie glaubt immer, dass ich nach dem Einkauf noch auf ein Bier gehe!“ Seine Stimme verriet, dass er allein den Gedanken für einen Frevel hielt. Dann aber beugte er sich schnell vor und hielt eine Hand an seinen Kopf, als ob er mir ein großes Geheimnis erzählen müsste. „Na ja …“, er grinste, „so ganz unrecht hat sie da nicht!“ Er richtete sich wieder auf und sah schmunzelnd zu mir.
Ich lächelte, drehte mich um und merkte, dass mich die Kassierin wartend ansah. Ich legte meine Waren auf das Förderband und fragte: „Haben Sie auch eine Landkarte von der Umgebung hier?“ Sie nickte und deutete auf einen Ständer, auf dem Postkarten, Landkarten der Umgebung und auch Stadtpläne ausgestellt waren. Ich nahm einen Umgebungsplan und legte ihn dazu.
Als ich zahlte, fragte ich sie: „Sagen Sie, haben Sie von der Rettung dieses Typen aus Portland gehört?“
Sie hielt inne und sah mich an. „Der reiche Typ, der sich im Wald verlaufen hat? Klar! Das war nur ein paar Häuser neben uns! Da ist er rausgekommen!“
Ich lächelte und stellte mir vor, dass wohl an vielen Stellen in Cranton „gleich neben uns“ sein würde, so klein wie die Stadt war. Ich nickte, packte meine Sachen ein und wollte schon weitergehen, als ich mich nochmals umdrehte. „Und stimmt es, dass ihn ein Hund gerettet hat?“
Ich weiß nicht genau, ob es an meinem Tonfall gelegen hatte, aber plötzlich hörten alle Gespräche auf und die Menschen sahen mich an. Ich war unangenehm berührt, sah unsicher herum, um mich dann wieder an die Kassierin zu wenden.
Sie drehte den Kopf etwas, sah mich eindringlich an. „Ach so? Woher wissen Sie denn das?“
Das „Sie“ war betont, und ich machte das, womit ich immer gute Erfahrungen gemacht hatte: Ich sagte die Wahrheit. „Ich habe mit ihm gesprochen, er meinte, ein Hund hätte ihn aus dem Wald geführt.“ Jetzt war mir die Aufmerksamkeit aller Mitarbeiter und Kunden gewiss.
Die Kassierin beobachtete mich aufmerksam. „Und … Sie sind?“
Ich lächelte und stellte mich vor. „Ich komme aus Portland, Oregon und arbeite für die Portland Tribune, ich würde gerne wissen, ob das stimmt. Und falls ja, würde ich gerne ein Foto des tierischen Retters machen und ihn etwas kennenlernen. Wem gehört denn der Hund, und wo finde ich ihn denn?“ Wieder wusste ich nicht genau, was an meinen Worten so ungewöhnlich gewesen war, aber ich kam mir vor, als ob ich gerade vorgeschlagen hätte, den Präsidenten der Vereinigten Staaten nur mit meiner Badehose bekleidet im Weißen Haus besuchen zu wollen. Eine Mischung aus Befremdung und Verständnislosigkeit schlug mir entgegen und ich fühlte mich eigenartig deplatziert.
Schließlich tippte der ältere Mann hinter mir auf meine Schulter. Als ich mich umdrehte, sah er mich freundlich an und meinte: „Sie sind nicht von hier, Sie verstehen das nicht.“ Als ich ihn fragend ansah, fuhr er fort. „Diesen Hund, den Sie meinen, den können Sie nicht einfach so finden. Der gehört niemandem. Also, momentan zumindest. Sie können ihn nicht suchen, denn …“, er blickte mich fest an, „denn er kommt zu Ihnen, wenn er es für richtig hält.“
Aus allen Richtungen kam das ernste Nicken von bestätigenden Köpfen und ich fühlte mich etwas unwohl in meiner Haut. Da ich nicht genau wusste, was ich machen sollte, dankte ich nochmals murmelnd und verließ das Geschäft.

Draußen stand ich ratlos in der Gegend herum und ließ die seltsamen Aussagen nochmals auf mich einwirken. Was sollte das bedeuten: Er kommt zu mir, wenn er es für richtig hält? Und wieso gehörte er niemandem? War er ein Streuner? Die Reaktion der Menschen hatte mich noch neugieriger gemacht.
Als ich den älteren Herrn herauskommen sah, ging ich auf ihn zu. Als könnte er meine Gedanken lesen, lächelte er wissend. „Das lässt Ihnen keine Ruhe, was?“ Ich nickte, und er reichte mir seine kräftige, wettergegerbte Hand. „Timothy Lawson. Sie können mich Tim nennen.“ Sein Händedruck war fest und sicher. Er winkte mir, mit ihm zu kommen. „Wenn Sie mich nach Hause begleiten, dann erzähle ich Ihnen etwas über unseren Hund.“ Ich blieb verdutzt stehen. „Unseren Hund? Ich dachte, er gehört niemandem!“
Tim lächelte und machte eine ausladende Handbewegung. „Mit ‚unsere‘ meine ich die gesamte Stadt, eigentlich die Region.“

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Mehr über und von Bernhard Hoffmann auf seiner Website zum Buch.

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