13. August 2014

"Wie ein Rohr im Wind" von Heidrun Böhm

In ihrer Novelle beschreibt Heidrun Böhm die problematische Beziehung zu ihrem depressiven und selbstmordgefährdeten Freund Bernd und damit ihre Gefühle und die ständige Verlustangst.

Die Autorin zu ihrem Buch: "Das Erlebnis, das ich hier schildere, ist durch und durch authentisch. Es fiel mir schwer, dieses Manuskript zu bearbeiten. Nahezu zwanzig Jahre sind seit diesem Ereignis ins Land gegangen. Nun habe ich mich entschlossen, es der Öffentlichkeit vorzustellen."

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Leseprobe:
Lieber Bernd,
Seit deinem Tod sind viele Jahre vergangen. Heute denke ich an dich wie an einen guten Freund, den man irgendwann verloren hat. Doch an den Abend, an dem wir das letzte Mal Hand in Hand durch deine Heimatstadt gingen, erinnere ich mich deutlich. Du hast dich von deiner Stadt verabschiedet, alte bekannte Plätze aufgesucht. Nur du wusstest, es sind die letzten Stunden, die wir miteinander erleben. Du hattest deinen Tod geplant. Die Worte, die du mir zum Abschied sagtest, werde ich nicht vergessen: »Ich mag dich sehr, aber ich kann nicht bei dir bleiben. Du wirst einen Mann finden, der mit dir harmoniert, aber es wird nicht leicht sein, denn du bist eine außergewöhnliche Frau.«

An einem sonnendurchfluteten Tag im Mai lernte ich Bernd bei einem Grillfest kennen. Es war ein geplantes Durcheinander, organisiert von einer kleinen Anzahl alleinerziehender Frauen, die sich regelmäßig in der Diakonie unseres Städtchens trafen. Ich war geschieden, hatte zwei Kinder, und versuchte, auf eigenen Beinen zu stehen. Bekam Angst vor übermächtigen Gefühlen. Angst vor einer neuen Beziehung.
Bernds große blaue Augen musterten mich neugierig. Und ich ertappte mich bei dem Wunsch, allein mit ihm zu sein, um ihn besser kennenzulernen.
Am Abend trafen wir uns mit unseren Freunden in einer Wirtschaft. Bernd redete viel über sich. Ich saß schweigend daneben und hörte zu: »Heute bin ich wieder fünf Kilometer durch den Wald gelaufen. Zweimal war ich in dieser Woche beim Tischtennis. Meine Kondition ist zurzeit recht gut. Ein Mann muss fit sein, die Frauen verlangen viel. Vor allen Dingen im Bett. Wenn es dort nicht mehr klappt, ist Mann doch gleich unten durch. Kondition muss man haben. In jeder Beziehung.« Bernd bestellte sich das dritte Weizenbier und rauchte die zehnte Zigarette. »Wenn ich Bier trinke, siehst du mich kritisch an«, sagte er dann. »Würdest du mich akzeptieren, wenn ich Apfelsaft trinke? Aber ich werde mich deswegen nicht ändern«, ergänzte er, ohne meine Antwort abzuwarten.
»Bleib so, wie du bist, ich habe nicht die Absicht, dir Vorschriften zu machen«, entgegnete ich schroff. Er schien nicht anders als andere Männer zu sein. Erst anmachen, dann aufreißen.
»Ja, ich gebe zu, dass ich sehr gerne Bier trinke. Meinst du nicht, ich sollte mehr für meine Figur tun? Frauen haben ein Recht darauf, einen gut aussehenden Mann zu bekommen. Nun gut, Partnerschaft ist nicht alles im Leben. Doch ich überlege mir, mit wem ich alt werden möchte. Ich suche eine Frau, die nicht nur in guten Zeiten zu mir steht. Warum suchst du dir keinen Partner? Vergiss, was früher war. Du solltest du dir eine neue Ebene schaffen, um eine Partnerschaft zu beginnen.«
»Soweit bin ich noch nicht«, antwortete ich. Doch ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Es war ihm gelungen, mich zu irritieren.
»Du bist noch nicht so weit? Denk an das Schöne und beginne wieder von vorne!«
»Ich gehe nach Hause«, sagte ich, trank mein Glas leer und bezahlte. Ich wollte alleine sein und über Bernds Verhalten nachdenken. Es verwirrte mich. Seine großen blauen Augen, in denen sich der ganze Schmerz der Welt widerzuspiegeln schien, sprachen eine andere Sprache als sein Mund.
»Bisweilen leide ich unter Depressionen, aber ich nehme Tabletten, die mir helfen«, hatte er mir beim Grillfest gesagt. Offenbar hatte er das in der Zwischenzeit vergessen und gab sich nun wie ein Gigolo. »Ich kann alleine nach Hause gehen«, sagte ich energisch, stand auf und griff nach meiner Jacke.
»Du bist für mich unerreichbar wie der Mount Everest! Mit dir zu reden nützt nichts. Doch ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht bei dir wäre. Selbstverständlich begleite ich dich nach Hause«, trompetete Bernd laut. Er stand auf, bezahlte die Zeche und half mir in die Jacke.

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Mehr über und von Heidrun Böhm auf ihrer Website.

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