12. November 2014

"Marie zwischen den Welten: Die Wächterin Pharea" von Eon Lylac

Nachdem ihre Mutter in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert worden ist, lebt Marie bei der von ihr ungeliebten Tante und deren Familie. Seither hat sich Marie verändert: ihr Haar ist weiß, die Haut fahl und ihre Augen sind schwarz geworden. Es scheint, als wäre jegliche Farbe von ihr abgefallen. Ansonsten verläuft ihr Leben auch nicht besonders gut: sie kämpft mit der rüden Art ihrer Tante, ihre Mitschüler setzen ihr zu und sie träumt regelmäßig von diesem beängstigenden grauen Haus.

Eines Tages taucht ein Mann auf, der ihr weissagt, sie habe eine große Aufgabe vor sich. Marie kann das anfangs nicht glauben, aber dann überschlagen sich die Ereignisse. Mit ihrem neuen Freund Aron, den sie in der Schule kennenlernt, geht Marie bald auf eine abenteuerliche Reise.

Nach und nach erhält Marie Antworten auf einige ihrer Fragen. Jedoch tauchen immer mehr Rätsel auf, die unmittelbar mit ihrer Existenz zu tun haben: gibt es tatsächlich Parallelwelten? Wer sind diese Kinder, die sie finden soll? Und was ist mit ihrer Mutter wirklich geschehen?

Ein All-Age-Fantasy-Roman ab 10 Jahren.

Gleich lesen: Marie zwischen den Welten: Die Wächterin Pharea

Leseprobe:
Wie ein Geist glitt das Mädchen aus dem Nebel, stolperte vorwärts und versuchte sich zu erinnern, wo es war. Es dauerte ein paar Augenblicke, bevor das Mädchen Marie all die schwer greifbaren Fäden ihrer Gedanken zusammengerafft hatte, um sich bewusst zu machen, was sie hier tat. Benommen, aber wieder auf ihr Ziel konzentriert, folgte sie dem Weg.
Wie jeden Morgen ging Marie die Straße entlang, die von ihrem Haus zur Schule führte. Wie sie es hasste, früh aufzustehen. Ihr Herz schlug für die Nacht. Sobald es dunkel wurde, wuchsen ihre Lebensgeister, bis sie wieder ihre volle Größe angenommen hatten. Also immer dann, wenn es in der normalen Welt Zeit war, zu Bett zu gehen. Seltsame befremdliche Welt, dachte sie. Warum läuft in meinem Leben alles verkehrt?
Der feuchtkalte Nebel, der die gesamte Umgebung in ein fahles Grau getaucht hatte, konnte ihre Verwirrung und ihre Lustlosigkeit nicht im Geringsten verbessern. Marie schüttelte den Kopf und öffnete krampfhaft die Augen, um ihre tiefsitzende Müdigkeit zu vertreiben. Es war eisig kalt. Sie zog sich rasch den Kragen über die Nasenspitze und stopfte ihr langes, dunkles Haar noch tiefer unter ihren Mantel. Eine unbestimmte Angst war das Einzige, was ihren Puls schneller schlagen ließ. Dieser Tag verhieß nichts Gutes. Müdigkeit, Kälte und Angst. Eine abscheuliche Kombination, die ihr die Entscheidung nicht gerade leichter machte, welchen jener drei Geister sie zuerst loswerden wollte.
Marie schaute sich um. Diese unbestimmte Angst ließ sich nicht abschütteln. Sie sah die lange Reihe der Häuser entlang. Ihr Blick schweifte über die ganze Umgebung, als sie in der Ferne eine Person erblickte. Vier Häuser weiter erkannte sie eine Gestalt. Marie kniff die Augen zusammen, um genauer zu erkennen wer da auf sie zukam. Mitten auf der Straße ging ein Mann und kam langsam näher. Obwohl er nur leichte, weiße Gewänder trug, schien er nicht zu frieren. Er winkte freudig und lachte über das ganze Gesicht. Eigentlich sah er ganz sympathisch aus, befand Marie. Doch Erwachsenen konnte sie nicht trauen.
Sofort verstärkte sich das seltsam anmutende Gefühl, das sie immer dann überkam, wenn Erwachsene vorgaben, etwas Gutes für sie tun zu wollen. In der Regel artete dieser Versuch in eine große Enttäuschung für sie aus.
Nichts wie weg, dachte sie und beschleunigte ihre Schritte. Wenn ich ihn abhänge, dann brauche ich mich erst gar nicht mit ihm zu beschäftigen.
Marie drehte den Kopf und stellte erleichtert fest, dass dieser eigentümliche Mann enttäuscht aufgab, hinter ihr her zu gehen. Er hatte offenbar wirklich versucht sie einzuholen.
Es ist besser so, dachte Marie. Wieso sollte ein wildfremder Mann versuchen, mit mir auf offener Straße zu sprechen? Erleichtert wendete sie sich wieder ihrem tatsächlichen Ziel zu.
Wie so oft war Marie in Gedanken versunken, als ihr Blick auf das graue Haus direkt vor ihr am Ende der Straße fiel. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, und der Anblick ließ die gefühlte Temperatur um ein paar Grade sinken. Dieses graue Ungetüm verlor nicht an Bedrohlichkeit, obwohl Marie beinahe jeden Tag daran vorbei ging. Warum hatte dieses alte, verlassene Gebäude eine solche Macht? Keiner wusste, was es damit auf sich hatte. Viele Bewohner aus der Nachbarschaft konnten so manch schauderhafte Geschichte darüber erzählen.
Am harmlosesten erschienen noch die Erzählungen von Verstorbenen, die sich von der Angst der Menschen nährten und jeden aussaugten, der dem Haus zu nahm kam.
Jedes Mal, wenn sie an diesem grauen Haus vorbei ging, hatte sie jedoch das unbestimmte Gefühl, sie müsse hineingehen. Als ob das Haus sie rufen würde.
In Gedanken versunken stand Marie nun direkt vor dem verfallenen Bauwerk. Ihr Blick wanderte über die unebene Fassade, die trüben Fenster und die verwitterten Fensterbretter. Eine Veranda erstreckte sich über den größten Teil der Front. Der Anblick wirkte beinahe einladend, wären nicht die dunklen Schatten und morschen Balken gewesen, die sich zu bewegen schienen. An den vergilbten Holzbrettern, die die gesamte Fassade überzogen, klebten vertrocknete Ranken einer Pflanze, die früher einmal versucht hatte, diesem Haus etwas Leben einzuhauchen. Marie beobachtete das graue Gebilde, das eine Seele zu besitzen schien. Ihr schauderte ein wenig und sie war gerade im Begriff ihren Weg fortzusetzen, als sie der Drang, dieses Haus von innen zu erkunden, neuerlich überkam. Obwohl es unheimlich war, hatte Marie Zeit ihres Lebens immer mehr Furcht vor Menschen verspürt als vor Geistern und Schauergeschichten. Sie beschloss, jeder Vernunft abzuschwören. Eine aufkommende Neugierde verdrängte ihre anfängliche Angst nahezu gänzlich.
Langsam hob sie einen Fuß und setzte ihn behutsam auf die erste Stufe des Treppenaufgangs. Voller Aufregung blickte sie zur Haustüre hinauf, die sie lautlos, aber nachdrücklich ins Innere des Hauses einlud.
Alles an diesem Haus war grau. Marie stellte sich vor, wie es mit etwas Farbe aussehen würde. Mit jeder Stufe stieg ihre Zuversicht und verwandelte sich zunehmend in erregte Begeisterung.
Wenige Schritte von der Haustüre entfernt hielt sie inne, um sich umzusehen. Neben der Türe sah sie ein Schild, auf dem in schwarzen Lettern etwas geschrieben stand. Neugierig, wem dieses Haus gehören könnte, kniff sie die Augen zusammen, um die Schrift besser lesen zu können. Langsam schienen sich die Buchstaben zu verändern und mit einem Mal konnte sie die Schrift ganz deutlich lesen.
»ZONYAHAMAR - Herrschaftshaus der Zonjasy«, stand da geschrieben. Vibrierend hallten diese Worte in ihrem ganzen Körper nach. ZONYA-HA-MAAAR. Marie zuckte zusammen. Schleichend wurde ihr bewusst, dass sie sich davor gefürchtet hatte, dieses Haus zu betreten. Ihre Angst loderte erneut auf. Eine geheimnisvolle Macht griff nach ihrem Herzen und presste es langsam, beinahe genüsslich, zusammen. Marie stockte der Atem. Tränen flossen über ihre Wangen. Sie empfand eine mächtige Welle des Schmerzes und der Trauer. Dunkle Gesichter und Gestalten tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Dieser Schmerz stammte nicht von ihr. Eine unbestimmte Kraft hielt sie zurück, als sie flüchten wollte. Plötzlich strich ihr etwas über den Rücken. Eine leichte Bewegung, die ihr die Nackenhaare erneut aufstellte. Hastig blinzelte sie die Tränen fort und sah sich um.
Sofort setzte sie sich in Bewegung, direkt auf die Haustüre zu, die sie instinktiv anzog, um dort in Deckung zu gehen. Ihre ersten Schritte waren etwas unbeholfen, als wäre sie stundenlang bewegungslos dagestanden. Mit aller Macht zwang sie sich vorwärts, um dieser beklemmenden Situation zu entkommen. Bleischwer fühlten sich ihre Beine an, zogen sie hinab, als wollten sie ihr Vorankommen verhindern.
Schließlich stand Marie vor der Haustüre. Sie klopfte zaghaft. Abermals verstärkte sich der Druck dieser kalten Klauen in ihrer Brust. Nach Luft ringend hämmerte sie panisch an das morsche Holz. Stockend und knarrend öffnete sich die Tür. Marie blickte sehnsüchtig auf diesen dunklen Spalt in der Hoffnung, er möge sich vergrößern und dem Ganzen ein Ende setzen.
Kaum hörbar vernahm sie ein leises Klingeln. Sie blickte sich hastig um. Wo kam es her? Allmählich wurde das Klingeln lauter und plötzlich saß sie schweißgebadet in ihrem Bett. Sie benötigte ein paar Augenblicke, um zu sich zu kommen.
Verdammt, schon wieder dieser schreckliche Traum! Doch so weit wie diesmal war sie noch in keinem Traum an das Haus herangekommen.

Im Kindle-Shop: Marie zwischen den Welten: Die Wächterin Pharea

Mehr über und von Eon Lylac auf ihrer Website.

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