7. April 2015

"Der Lottocoup" von Carlos Cairo

Markus Fuchs war gerade 31 Jahre alt geworden, und soeben durch die Diplomprüfung gefallen. Ziellos vertrödelte er seine Tage, bis er eines Nachmittags in einem Spielwarengeschäft eine kleine Lottomaschine sah. Und da kam ihm der Geistesblitz … Von diesem Zeitpunkt an beschloss Markus alles daran zu setzen, den großen Lottocoup zu landen …

Gleich lesen: Der Lottocoup (Ein raffinierter Spielbetrug mit überraschenden Lebenswechseln)








Leseprobe:
Seit 1972 war Almeida del Siboney, eine kleine Hafenstadt nördlich von Havanna meine Heimat. Nach einem heißen schwülen Tag saß ich im Garten meiner Villa und blickte in Erwartung einer kühlen Brise aufs Meer hinaus. Es herrschte ein leichter Wellengang. Nur in weiter Ferne kündigten Schaumkronen den herannahenden abendlichen Wind an. Die Fächer der Palmen, die unser Grundstück vom Strand trennten, wiegten sich träge widerstrebend in der Nachmittagshitze. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt. Gestern war mit großem Pomp mein 70-ster Geburtstag gefeiert worden. Seit ich vor 36 Jahren mit meiner Frau Annabella ein Kinderkrankenhaus finanzierte und baute gehöre ich zur Prominenz. Mehr als 200 Gäste hatten mir die Ehre erwiesen, neben mehreren Staatsbeamten hatte es sich sogar der Gesundheitsminister Hugo Gonzalez mit seiner Frau Miranda nicht nehmen lassen, mir persönlich zu gratulieren. Gestern Abend hatte ich auch, vom Alkohol beflügelt, eine längst überfällige Entscheidung getroffen und in einer kleinen Ansprache verkündet. „Ab morgen übergebe ich die Leitung des Krankenhauses meinen Kindern Salvador und Luana und ziehe mich zurück.“
Nun, mit verkatertem Kopf, bedauerte ich diesen Entschluss. Was sollte ich jetzt mit mir anfangen. Die Klinik war mein Lebensinhalt. Beim Blick auf den zertrampelten Rasen, entdeckte ich einige zertretene Zigarettenkippen. Du bist wie wir signalisierten sie mir, ausgebrannt, verbraucht und weggeworfen. Aus dieser trübseligen Stimmung wurde ich durch das plötzliche Erscheinen meiner Tochter Luana erlöst. Sie hielt ein Glas mit Whiskysoda in der Hand: „Hier Papi, das wird dir gut tun. Schon den ganzen Tag lang sehe ich dich so niedergeschlagen. Was bekümmert dich? Es war doch ein wunderbares Fest. Kannst Du dich denn gar nicht darüber freuen? Oder ist es dein Versprechen, Salvador und mir die Leitung der Klinik zu übertragen, das du nun bereust?“
Dankbar ergriff ich das Glas: „Aber nein, man Kleines, setz dich einen Moment zu deinem alten Vater. Es ist nur meine Sorge vor dem alt werden. Ich fühlte mich nun so nutzlos, und da ich bis auf mein Segelboot und den alten Buick keine Hobbys habe, fürchte ich mich vor der Langeweile.“
„Aber was sagst du denn da, Vater. Du wirst uns weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen. Außerdem hast du jetzt endlich Zeit mit der Mutter Reisen zu unternehmen. Und dann solltest du, was wir uns alle schon seit langem von dir wünschen und zu dem dir bisher die Zeit fehlte, deine Lebensgeschichte schreiben. Du hast ja weiß Gott einen abenteuerlichen Werdegang, und das, was du, bevor du nach Kuba kamst, angestellt hast, war wohl ziemlich einmalig und wäre heute völlig unmöglich.“
Bevor sie mich weiter verplanen konnte unterbrach ich sie:
„Kuba scheint zwar ein gutes Klima für Schriftsteller zu haben, was allen voran Hemingway bewiesen hat. Aber ich fühle mich nicht diszipliniert und ausdauernd genug, um stunden- und tagelang über Wochen gar Monate hinweg an einem Tisch zu sitzen, ganz abgesehen von dem mangelnden Talent.“
„Aber das weißt du doch gar nicht. Du hast es doch noch nie versucht, und niemand erwartet ein Meisterwerk von dir. So, ich muss dich jetzt leider verlassen, Dolores hat heute ihren freien Tag, und ich will der Mama bei der Zubereitung des Abendessens helfen. Heute sind wir zu neunt. Salvador kommt mit Imelda und den Kindern.“
Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen, und die ersehnte Brise wehte nun kräftig vom Meer. Aber sie brachte mehr Feuchtigkeit als Kühle. Ich dachte über Luanas Vorschlag nach. Sie hatte Recht, ein außergewöhnliches Schicksal, das es verdient hätte, beschrieben zu werden, hatte mich nach Kuba geführt. Aber da sind auch einige dunkle Kapitel, die viele Seiten füllen würden, wenn ich offen und ehrlich berichte. Davor wollte ich mich drücken. Ich lass das lieber. Mir geht es doch blendend. Die schlechte Laune wird vergehen. Es wird mir schon etwas einfallen, womit ich meine Zeit verbringen kann. Auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben konnte ich zurückblicken. Ein gewisser Stolz erfüllte mich, und meine trüben Gedanken verschwanden im Abenddunst. Die Familie rief zum Essen. Im Speisezimmer saßen schon alle erwartungsvoll an der Tafel. Wie gewohnt nahm ich meinen Platz am Kopf des Tisches ein. Es gab gegrillte Hähnchen und den Rest der Leckereien, die wir gestern unseren Gästen angeboten hatten. Alle waren bester Laune. Salvador glühte vor Begeisterung und Unternehmungslust. Annabella, die gleich neben mir saß, wirkte ausgeglichen und glücklich. Sie vor allem war es, die mich seit Jahren gedrängt hatte, mich aufs Altenteil zurückzuziehen, sah sie doch täglich, wie meine Kräfte nachließen. Obwohl alle Fenster offen waren und die Ventilatoren Luft fächerten, war es drückend schwül. Annabella hatte darauf bestanden, dass keine Klimaanlagen im Haus installiert worden waren, nur bei meinem Arbeitszimmer gestattete sie eine Ausnahme. Klimaanlagen war für sie eine westliche dekadente, kapitalistische Erfindung, die sie als überzeugte Revolutionärin ablehnte. Auch mein zaghafter Einwand, der Eisschrank, die Spül- und Waschmaschine, die sie täglich benutze, sei nicht eine Erfindung der kubanischen Revolution, konnte sie nicht davon abhalten, ihren Kopf durchzusetzen. Nur in der Klinik hatte sie keinen Erfolg, denn da war ich der Chef. Nach dem Essen brachten die Mütter ihre Kinder zu Bett, und anschließend setzten wir uns zu einem Mojitos Cocktail auf die Terrasse. Hier war es deutlich kühler, als im Wohnraum, in dem noch die Tageshitze gefangen war. Es war mir zur Gewohnheit geworden einmal am Tag eine Zigarre zu rauchen. Tagsüber reichten meine kleinen Pausen nur zu einer Zigarette. Mit der Zeit hatte sich ein Ritus ergeben. Allabendlich nach dem Essen setzten wir uns zu einem Daiquiri in den Garten und Annabella zündete mir eine Arturo Fuente an. Beim Betrachten der Banderole, erinnerte ich mich, dass dies die Lieblingsmarke von Hemingway war. Das erinnerte mich an Luanas Vorschlag:
„Hört mal meine Lieben. Luana meinte heute Nachmittag, ich sollte meine Memoiren schreiben. Nun habe ich mir darüber Gedanken gemacht und soeben, während ich meinen Whisky im Garten trank, die letzten 36 Jahre Revue passieren lassen. Das war ja eine aufregende Zeit, euch aufwachsen zu sehen die Klinik zu führen und die vielen Auseinandersetzungen mit den Behörden usw. Das könnte ich wirklich mal aufschreiben.“
Luana unterbrach mich brüsk: „Aber das ist ja nur die Hälfte deines Lebens. Viel aufregender und interessanter ist die Zeit vor Kuba. Also jetzt kneif nicht. Ich kenne deine Bedenken. Setz dich hin und fang von vorne an.“
Um einer weiteren Diskussion zu entgehen, wechselte ich das Thema und kam auf die Klinik zu sprechen. Luana erhob sich und meinte: „Ich muss noch mal rüber. Heute wurde ein sechsjähriger Junge mit Diphtherie eingeliefert. Da sollte ich einmal nach dem Rechten sehen.“
Auch Salvador verließ uns bald. Annabella wartete geduldig, dass ich meine Zigarre zu Ende rauchte. So saßen wir eine Weile schweigend nebeneinander. Aber es war kein gelangweiltes Schweigen, sondern ein vertrautes. Wir verstanden uns auch ohne Worte und jeder ahnte, was den anderen bewegte und durch den Kopf ging. Plötzlich unterbrach Annabella die Stille: „Wie ich dich kenne, willst du heute im Arbeitszimmer schlafen und die Klimaanlage auf die höchste Stufe stellen.“
„Ja, wenn Du nichts dagegen hast. Mir macht die Hitze echt zu schaffen, und letzte Nacht haben wir ja kaum geschlafen.“
Sie stand auf, gab mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Haus. Eine Weile blieb ich noch sitzen. Mein Arbeitszimmer lag ebenerdig, gleich neben der Eingangshalle. Eigentlich nutzte ich es gar nicht zur Arbeit. Diese Tätigkeit hatte ich auf mein Direktionszimmer in der Klinik beschränkt. Dieser Raum war in Wahrheit meiner Retiro, in dem ich Zuflucht suchte, wenn mich das Heimweh nach Deutschland überfiel. An den Wänden hingen große Landschaftsaufnahmen von Wäldern, Wiesen, Seen und schneebedeckten Bergen. Dann legte ich mich zu Beethovens und Mozarts Musik auf eine Liege und träumte mich in die kühlen schattigen Wälder vom Odenwald und Taunus und in die bayrischen Voralpen, in denen ich während meiner Studentenzeit viele Wanderungen unternommen hatte. Obwohl ich nun mehr als mein halbes Leben auf Kuba verbracht hatte, war es mir nicht geglückt, mich vollständig zu akklimatisieren. Und das lag nur am Klima, denn mit den Menschen kam ich bestens zurecht. Mir fehlten die ausgeprägten Jahreszeiten. Jetzt wo ich ohne Aufgabe bin, befürchte ich, dass mich diese Nostalgieanfälle häufiger heimsuchen könnten. Sobald wie möglich, nahm ich mir vor, werde ich mit Annabella eine Reise nach Deutschland unternehmen. Eine Schifffahrt auf dem Rhein von Basel nach Köln. Mit diesen tröstlichen Vorsatz begab mich in mein Retiro. Im anschließenden kleinen Bad bereitete ich mich auf die Nacht vor. Als ich ins Zimmer zurückkam, saß Annabella auf dem Bettrand und schaute mich liebevoll besorgt an.
„Heute Nacht sollte ich dich nicht alleine lassen. Du wirkst etwas unglücklich.“
Ich musste lachen: „Ein feiner Vorwand, um aus der drückenden Schwüle in die einladende Kühle meiner Klause zu entkommen.“
Da konnte auch sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war wohl beides, was sie zu ihrem Besuch veranlasst hatte. Wir schliefen bis neun, ein Luxus, den ich mir nur sonntags erlaubt hatte. Sonst war ich immer pünktlich um 8 Uhr in der Klinik erschienen. Im Bademantel suchten wir zum Frühstück die Küche auf. Unsere Perle Dolores, eine temperamentvolle Mulattin mit kräftigen Armen und einem ausladendem Gesäß, was zum drauf klatschen ermunterte, war schon am Werken. Seit sie als 18- jährige zu uns kam, ist sie die Seele der Familie, ein mütterliches, zupackendes und heiteres Wesen.

Im Kindle-Shop: Der Lottocoup (Ein raffinierter Spielbetrug mit überraschenden Lebenswechseln)

Mehr über und von Carlos Cairo auf seiner Website.

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