18. Mai 2015

"Irmhild, Tochter Ansgars" von Ulla Schmid

Wenige Jahre vor der Zeitenwende macht sich Rom daran, die Welt zu beherrschen. In diesen Jahren kommt im Cheruskerland Irmhild, eine arme Bauerntochter, zur Welt. Ihre erste Begegnung mit den Römern hat sie mit fünf Jahren, als Legionäre unter ihrem Anführer Drusus, dem Adoptivsohn des Kaisers Augustus, durch ihr Dorf ziehen.

Mit den Jahren verstärkt sich Irmhilds Wunsch, ihr armes Heimatdorf zu verlassen, um in Rom ein besseres Leben führen zu können – wie so viele andere auch. Zusammen mit Erik, einem jungen Mann aus dem Dorf und ihrer ersten großen Liebe, macht sie sich auf den Weg nach Rom ...

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Leseprobe:
Augustus schickte die Söhne seiner Frau Livia, Tiberius und Drusus, die diese in die Ehe mitgebracht hatte, in den Norden. Im Süden des rauen Germaniens waren sie sogar ziemlich erfolgreich. Sie konnten diesen Landstrich für Rom erobern und befrieden. Im Norden sollten sie nicht so erfolgreich sein.
Drusus marschierte weiter nach Osten. Er war schon sehr umtriebig und hatte an strategisch wichtigen Orten etwa 50 Kastelle, hauptsächlich längs des Rheins und einen Kanal, der vom Rhein an die Nordsee führte und seinen Namen trug, fossa Drusiana, gebaut.
„Seht ihr auch, was ich sehe? Da ist die Elbe“, lachte Drusus und zeigte mit seiner Hand auf das blaue Band der Elbe, die sich aber immer noch in einiger Entfernung durch eine herbschöne Landschaft schlängelte. Die Legionäre starrten angestrengt in die Richtung, konnten aber noch keinen Fluss sehen. Nun, Drusus war von der Eroberung des Landes wie besessen. Ihm sollte gelingen, was einem Cäsar nicht gelungen war. Und doch sollte alles ganz anders kommen.
„Wir werden noch für eine Nacht ein Lager anlegen und dann sind wir endlich da“, lachte Drusus gezwungen. „Es kommt jetzt auf einen Tag nicht an.“
Er bemerkte die Unlust seiner Legionäre, auch noch einen Meter vorwärts zu gehen. Dabei hätte er es nur anzuordnen brauchen. Seine Männer gehorchten ihm aufs Wort, aber er wollte es gut sein lassen. Er wäre so gerne weitermarschiert. Er fühlte sich nicht müde, aber ohne seine Legionäre konnte er das Land nicht erobern.
Seine Männer legten das Lager an und Drusus blickte sehnsüchtig in Richtung Elbe. Er, der sonst beim Lageraufbau immer geholfen hatte, schwang sich auf sein Pferd und wollte davon reiten.
„Das würde ich jetzt an deiner Stelle nicht tun“, lachte Valerius Aemilius, einer der ersten seines Stabes. Er hatte die Gedanken seines Kommandanten erraten. „Du solltest nicht alleine in diesem Land unterwegs sein. Du weißt nicht, wer und was sich in diesem unheimlichen, verfluchten Land in den Wäldern verbirgt und diese Barbaren hier mögen uns nicht.“
Drusus blickte ihn erstaunt an: „Woher hast du gewusst, was ich vorhabe?“
„Ich weiß doch, dass du darauf brennst, an die Elbe zu kommen“, gab Valerius erneut lachend zurück.
Er wollte noch etwas sagen, aber eine Frau war aufgetaucht. Nun waren die Germanen allgemein schon größer als die Römer, aber diese Frau schien germanische Männer um einiges zu überragen. Dazu war sie von großer Schönheit. Eine Flut goldblonder Locken umrahmte ihr schmales, ebenmäßiges Gesicht und endete erst an ihrer schlanken Taille. Ihre Haut schien wie Elfenbein und ihr Kleid war aus feinstem, schimmerndem Stoff. Im Allgemeinen trugen Germaninnen Kleider aus groben Stoffen. Doch ganz so primitiv wie die Römer die Kleidung der Germanen darstellten, war diese dann doch nicht.
„Wo willst du noch hinziehen, unersättlicher Drusus?“, begann sie. Ihre Stimme schien nicht zu einem Menschen zu gehören und wurde sogar noch in einiger Entfernung gehört. „Kehr um. Es soll dir nicht bestimmt sein, dieses Land zu erobern und die Elbe zu überqueren. Das Ende deiner Taten und deines Lebens steht kurz bevor.“
„Wer bist du? Hat dich jemand geschickt oder kommst du von dir aus?“, fragte Drusus und blickte der Frau in die hellen, blauen, klaren Augen. In diesen war etwas, was ihn klein, unbedeutend und schüchtern werden ließ. Er wirkte wie hypnotisiert. Seinem Stab und den Legionären schien dieses Anstarren eine Ewigkeit zu dauern. Er selbst konnte im Nachhinein nicht sagen, wie lange dieses Anstarren gedauert hatte und an welchem Ort er sich währenddessen befand. Dazu herrschte eine unnatürliche Stille und nichts bewegte sich, kein Windstoß, kein Vogelgezwitscher, kein Geraschel in Feld, Wald und Flur, kein Schnauben der Pferde. Die arbeitenden Legionäre hatten ihre Arbeit unterbrochen und blickten atem- und sprachlos auf ihren Kommandanten und die Frau. Diese hielt seinem Blick stand, lächelte, gab keine Antwort, drehte sich nach einer Weile abrupt um und ging gemessenen Schrittes, so wie sie gekommen war, wieder zurück in die Richtung aus der sie gekommen war.

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