30. Januar 2016

'Wer bist du, Malaika?' von Tom Linden

Ein Job führt Reisejournalist Christoph an Kenias Nordküste. In Berlin bleibt seine kenianische Freundin Shakila zurück. Ihre Zeit als Au-Pair-Mädchen läuft bald ab, doch sie möchte unbedingt in Deutschland bleiben – und ihn rasch heiraten. Von Shakilas Schwester erhält Christoph in Nairobi Schulhefte, die Shakila vor einigen Jahren vollgeschrieben hat – in der Landessprache Kisuaheli. Shakila möchte sie endlich wiederhaben. Was niemand weiß: Globetrotter Christoph beherrscht die Sprache in groben Zügen.

Er kann nicht widerstehen, mit einem Wörterbuch und der Bankerin Whitney entziffert er den Text, der sich als Roman mit Sprengkraft entpuppt: Ist das alles nur Fiktion?

Was davon ist Shakila passiert? Und wer ist die Titelfigur Malaika? Christoph bewundert Shakila zunehmend, gleichzeitig wachsen seine Zweifel, die die Beziehung bedrohen – und Whitney verfolgt mit den Heften eigene Ziele.

Gleich lesen: Wer bist du, Malaika?

Leseprobe:
Tatsächlich, es ist ein Nationalpark. Ungläubig schaue ich aus dem Flugzeugfenster und wieder auf die Landkarte. Warum kann die Welt nicht immer so sein, wie ich sie sehe?
Da wundere ich mich, dass es mitten in Nairobi, in einer Drei-Millionen-Stadt mit Hochhäusern, Slums, wuchernden Vororten und Verkehrschaos, diese riesige, natürliche Freifläche gibt. Sie reicht bis zum Horizont – genau, wie ich mir eine Safari-Savanne vorstelle. Und dann: Es sieht nicht nur so aus wie ein Nationalpark, es ist auch einer, wie mir die Karte anzeigt. Löwen, Leoparden oder Nashörner kann ich jedoch nicht ausmachen, ebenso wenig Elefanten und Giraffen. Der grüne Fleck wird ohnehin kleiner, rasch gewinnt die Maschine an Höhe. Nach zwei Minuten sehe ich nur noch die Siedlungen um Nairobi und trockenes, rotes Land. Schließlich durchfliegen wir die Wolken.
Ich lege die Karte weg und nehme mir wieder den Umschlag. Mittags, vor dem Abflug, habe ich mich für zwei Stunden mit Lizz getroffen, der Schwester meiner Freundin Shakila. Ich habe Lizz ein paar Geschenke aus Berlin mitgebracht, und sie hat mir beiläufig das unverschlossene Kuvert gegeben mit den Worten: „Das ist für Shakila. Danach hat sie mich immer gefragt.“ Jetzt erst betrachte ich die Papiertüte, wiege sie in meinen Händen und greife hinein.
Es sind zwei dicke Schulhefte mit rauen Einbänden. Ich halte sie nebeneinander, und sie könnten unterschiedlicher nicht aussehen. Eines ist abgegriffen, das andere weist kaum Gebrauchsspuren auf. Warum gibt mir Lizz Schulhefte für ihre Schwester mit?
Auf dem Titelblatt steht „Malaika“.
Malaika? Ist das etwa Kisuaheli? Ich blättere und starre auf die Seiten. Ich schaue mich um, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Wobei: Ich habe etwas Verbotenes getan. Schließlich nehme ich mir das zweite Heft, es sind vom Umfang eher Notizbücher, und lasse die Blätter hastig durch meine Finger gleiten. Das sind bestimmt nicht Shakilas Hausaufgaben von früher. Stattdessen sehe ich einen langen Text. Ein Tagebuch, private Erinnerungen, ein Roman?
Beide Hefte sind auf Kisuaheli geschrieben, der Nationalsprache Kenias. Ich bin erstaunt, wo doch fast jeder Kenianer Englisch spricht und schreibt. Es ist ungewöhnlich, sich schriftlich auf Kisuaheli auszudrücken, das überwiegend der mündlichen und privaten Verständigung dient. Ich allerdings beherrsche die Sprache seit zwei Jahren, wovon wiederum Shakila nichts weiß. Den Text darf ich also auf keinen Fall lesen.
Haltlos rast mein Blick durch die Notizhefte. Beide Skripte haben ein Dutzend Kapitel, von Hand nummerierte 64 Seiten, die Dialoge sind mit roter Farbe markiert. „Malaika I“ hat Flecken, Knicke, Eselsohren und Risse, manche Blätter hängen nur noch halb in der Bindung. Ich sehe keine Korrekturen, nichts ist durchgestrichen, verbessert, geschwärzt oder kommentiert. Es ist eine Geschichte, sauber von vorn bis hinten durchgeschrieben, allenfalls ist mal ein einzelner Buchstabe fett nachgezogen worden. Ein von Hand geschriebenes Buch, gibt es so etwas heute noch? Rasch schlage ich die Kladde zu, stecke sie zusammen mit der anderen zurück in den Umschlag und verstaue sie in meinem Tagesrucksack.
Malaika? Zumindest will ich wissen, was der Titel bedeutet. Ich möchte zu meinem Kisuaheli-Wörterbuch greifen, erinnere mich aber, dass ich es in den großen Rucksack gepackt hatte, und der liegt nun im Frachtraum.

In unserer Maschine, einer kleinen Dash-8 der Gesellschaft Fly540, ist nur gut die Hälfte der Plätze belegt. Auch der Sitz neben mir ist frei geblieben. Mein Ziel ist Lamu, eine Insel im Indischen Ozean an Kenias Nordküste.
Ich liebe Ostafrika, und nachdem ich drei Mal durch Tansania gereist bin, wovon Shakila natürlich weiß, habe ich angefangen, Reiseberichte darüber zu schreiben. Ich hatte schon vorherige Touren zu Papier gebracht; Brasilien, Bolivien, Australien und auch den Trip nach Timbuktu. Einige Reportagen konnte ich sogar in einem Reiseverlag, Duniani, veröffentlichen. Und jetzt hat Duniani mich nach Lamu geschickt. Meine erste richtige Auftragsarbeit.
Fünfzig Minuten später landen wir für einen Zwischenstopp in Malindi, einer größeren Stadt zwei Autostunden nördlich von Mombasa. Der linke Propeller wird ausgeschaltet, damit die neuen Passagiere zusteigen können, der andere läuft weiter. Ich nehme mir die Zeitschrift aus dem Vordersitz und blättere sie durch bis zum Streckennetz. Ich bin besessen von Karten, Landkarten, Stadtplänen aller Art. Stundenlang kann ich darüber brüten, um die Umrisse von Ländern und Inseln, den Verlauf von Flüssen und Altstadtgassen nachzuverfolgen. Bei Bordmagazinen ist diese Doppelseite, oft zum Ausklappen, der wichtigste Inhalt für mich.
„Hallo, ist hier noch ein Platz frei?“
Ich schrecke hoch. „Ndiyo“, sage ich automatisch.
„Ndiyo ?“, lächelt das Mädchen zurück, wiegt den Kopf und schaut fragend. Sie verstaut ihr Handgepäck in dem Fach über uns und setzt sich neben mich.
„Du sprichst Kisuaheli?“, fragt sie.
„Ja, etwas“, sage ich verlegen. „Najaribu, ich versuche es.“
„Karibu , herzlich willkommen!“, entgegnet sie und sucht ihren Gurt.

Im Kindle-Shop: Wer bist du, Malaika?

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