21. April 2016

'Möllner Zeiten' von Michael Aulfinger

Ein kompakter historischer Roman über die Möllner Stadtgeschichte vom Ende des 12. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

In 29 Kapiteln geht es durch die Stadtgeschichte Möllns in der sich wie ein roter Faden die Geschichte einer fiktiven Familie zieht. In den einzelnen Kapiteln werden wahre Ereignisse behandelt, die von Schlachten, Stadtbelagerungen, Kriegen, Stadtbränden, Epidemien, Hexenprozesse, den Tod des Till Eulenspiegel und anderen Geschichten handeln. Auch die Liebe findet ihren Platz. Es ist ein kurzatmiger Roman, der sich gut liest.

In sechs Jahren intensivster Recherche in den Archiven ist dabei ein außergewöhnliches Buch entstanden, das die Möllner Stadtgeschichte lebhaft widerspiegelt.

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Leseprobe:
„Hört ihr das?“ Alle vier hatten die von fern hallenden Schreie vernommen. Sie ebbten nicht ab, sondern wurden mal lauter, dann wieder leiser, bis sie erneut an Intensität zunahmen. Schreie von Männern und Frauen vermischten sich zu einer Gänsehaut erzeugenden Geräuschkulisse für jene, die in der Grube verharrten.
„Da ist noch ein anderes Geräusch. Könnt ihr euch denken, was das ist?“ Alle verneinten in dem dunklen Loch. Keiner hatte sich getraut nachzusehen, was es mit diesem Geräusch auf sich hatte. Die Zeit verging, bis die Schreie schließlich fast aufhörten, aber diese unergründlichen Geräusche be­ängstigend zugenommen hatten.
Bald hielt es Wilfried in seiner Neugier nicht mehr aus. Er musste der Sache auf den Grund gehen. Auch deshalb, weil seine Nase etwas gerochen hatte, was ihm seit seiner jüngsten Kindheit Angst bereitet hatte. Ständig hatte er versucht, dieses Ereignis zu vergessen. Auch wenn er sich irren mochte – dieser Geruch hier und jetzt erinnerte ihn sehr an die damaligen Ereignis­se. Er musste Gewissheit haben.
Wilfried forderte Peter auf, seine Hände in dessen Kniehöhe zu vereinen, sodass er seinen Fuß darüber stecken konnte. Dann wuchtete er sich hoch und konnte so die Holzdecke mit den Händen leicht anheben. In seine Nase drang dieser furchtbare Geruch nach Zerstörung.
Jetzt wurde auch seine allerschlimmste Befürchtung zur Wahrheit.
Die Stadt brannte.
Seinen auf die Zerstörungswut des Feuers gerichteten Blicken entging nicht, wie weit sich die Flammen inzwischen schon vorgearbeitet hatten. Er sah, wie das Wohnhaus seines Herrn Hinrik Cruse in Flammen aufging. Er wurde Zeuge, wie das daneben gelegene Lager mit all den wertvollen Lederhäuten und Fellen gleichfalls verbrannte. Der gesamte Besitz des zweiten Bürgermeisters und seines Gönners löste sich in Rauch und Asche auf. Wenn das ganze Leder den Plünderern als zu schwer und das Wegschaffen als zu umständlich erschienen war, so schlug das Schicksal eben auf andere Weise grausam zu.
Das Knistern der Balken und dieser rauschende Begleitton des Infernos versetzen ihn in die Zeit seiner Kindheit vor achtzehn Jahren zurück. Damals, als sein Vater verbrannte.
Aber diese Lähmung hielt nur kurz an, denn von unten rissen ihn neugierige Zurufe und Stöße aus der Lethargie. So verschaffte er sich schnell einen Überblick über die Lage.
Was war zu tun?
Sollten sie in der Grube verharren und darauf hoffen, dass das Feuer sie dort nicht erreichen, und somit verschonen würde? Oder sollten sie aus dieser möglichen Falle entweichen? Sie könnten in diesem Loch verbrennen, wenn herabstürzende Balken die nahe Grube erreichen würden. Aber andererseits musste er davon ausgehen, dass sich die Plünderer ja noch in der Stadt befinden und sie schnell den Tod durch das Schwert finden konnten. Egal wozu er sich entschied, der Tod war gefährlich nahe. Schnell wurde eine Entscheidung von ihm verlangt. Sein Blick ging zum brennenden Haus des Cruse hinauf.
„Schnell raus hier. Die Stadt brennt. Wir müssen weg.“
Mit Peter Binnenwis Hilfe katapultierte er sich aus dem Loch. Er schob die Leiter in die Gru­be hinab, sodass die anderen drei leichter herauskamen. Als letzter war Peter oben. Starr vor Entsetzen sahen sie auf die brodelnde Gefahr. Für einen Moment waren alle wie gelähmt. Doch dann stürzte das große Haus des Hinrik Cruse mit einem lauten Poltern, Krachen und Tosen in sich zusammen. Brennende Balken und Bretter stoben weit auseinander. Sie verteilten sich in dem Innenhof der Gerberei, in der sich die Gerbergruben und die vier Menschen befanden.
„Macht endlich das Tor auf, und lasst die Brücke hinab.“ Rot vor Zorn fauchte der Stadthaupt­mann Hans Lange den Hauptmann der wachhabenden großen Gilde Ecgerd Grand an.
„Der Herzog hatte doch befohlen, die Tore geschlossen zu halten“, versuchte sich der Wachhabende Ecgerd Grand zu rechtfertigen.
„Du blöder Hund, siehst du nicht, das die Stadt brennt? Die Menschen müssen in Sicherheit, oder ist dir ihr Leben egal? Außerdem hat der Herzog nichts mehr zu sagen. Geflohen ist er. Geflohen wie ein feiger Hund. Jetzt befehle ich dir als von der Stadt Lubecke eingesetzter Stadthauptmann, unverzüglich das Tor zu öffnen.“
Langes Stimme wurde gebieterisch und laut. Ecgerd Grand war sich zuerst unschlüssig, doch dann gab er die entsprechenden Befehle. Das Feuer war wirklich gefährlich nahe gekommen. Hunderte Einwohner hatten sich schon aus Angst um ihr Leben vor dem Tor aufgestellt. Sie jammerten lautstark und verlangten, aus der Stadt gelassen zu werden. Sobald sich die Brücke senkte, stürmten sie auf das rettende nördliche Ufer. Dort wurden sie von dem Lubecker Heer empfangen und an die Seite geleitet.
Als die meisten Flüchtlinge sich dort versammelt hatten, kam auch Hans Lange über die Brücke. Sein vorrangiges Anliegen war jedoch nicht, sein Leben in Sicherheit zu wissen, sondern den Befehlshaber des Lubecker Heeres zur Rede zu stellen.
Schwer war es nicht, ihn unter all den Rittern in ihren glänzenden Rüstungen ausfindig zu machen. Sein Banner und die äußeren Umstände wiesen sogleich auf ihn hin. Denn ein wenig abseits von der Brücke saßen zwanzig Ritter in ihren glänzenden Rüstungen auf Pferden, welche mit prachtvollen und farbenfrohen Decken nahezu verkleidet waren. An ihrer Spitze saß ein Ritter auf seinem Pferd, dessen würdevolle Haltung allein schon besagte, daß es sich um den holsteinischen Befehlshaber handelte.
Auf dem Kopf trug er einen Helm, der die Form eines halben Eies hatte. Sein ganzer Körper steckte jedoch in einem Ringelpanzer. Nur die Hände und das Gesicht bis zum Mund waren freigelegt. Zusätzlich trug er noch einen Brustharnisch, auf dem sein Wappen zu sehen war. An diesem erkannte Lange den Anführer. Das Wappen stellte nämlich ein silbernes Nesselblatt auf rotem Grund dar. Er trug lange dunkelgrüne Lederstiefel, die bis zu den Knien reich­ten. Die Knie selbst waren durch metallene Schilder über dem Ringelpanzer zusätzlich ge­schützt.
Zwar ehrfurchtsvoll, doch ohne eine Spur von Schüchternheit begrüßte er den Anführer. Dieser stellte sich als Ritter Heinrich IV. aus einem alten holsteinischen Adelsgeschlecht vor. So­gleich kam Lange auf den Grund seiner Aufgewühltheit zu sprechen.
„Herr, verzeiht mir meine Offenheit. Doch verstehe ich nicht, warum ihr den räuberischen Herzog mit all den gestohlenen wertvollen Gütern der armen Bürger abziehen lasst. Wenn ihr ihnen jetzt noch nachsetzt, so gelingt es euch noch gewiss, sie zu ereilen. Mit eurer Übermacht dürfte es euch sicherlich nicht schwer fallen, ihn hier und heute für seine Schandtaten zu be­strafen.“
Heinrich IV. sah schmunzelnd zu dem gar wütenden Stadthauptmann von seinem Ross herab. Ihm gefiel die Lage. Alleine der Umstand, dass er hoch zu Ross saß, der Lange jedoch wie ein Bittsuchender vor ihm herumwinselte, schien ihn zu amüsieren. Deshalb war seine Antwort wegen des direkten Vorwurfs der Untätigkeit nicht aufbrausend, wie vielleicht manch anderer reagiert hätte. Fast mitleidvoll waren seine Worte.
„Mein guter Stadthauptmann, es ehrt euch, dass ihr euch Gedanken um die Situation macht. Auch eure Fürsorge für die Menschen der Stadt spricht zu euren Gunsten. Doch glaubt mir, dass ich wohl genau weiß, wie ich hier vorzugehen habe.
„Was gedenkt ihr zu unternehmen?“ Nur schwerlich gelang es dem Stadthauptmann, sich angesichts der nahezu lethargischen Vorgehensweise des Heeres zu beherrschen.
Aber der Ritter Heinrich ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Leicht beugte er sich nach vorn, während er die Zügel hin zu seinem Bauch zog, sodass das Pferd den Kopf anhob.
„Ich gehe doch recht in der Annahme, dass wir dem gleichem Herrn dienen?“
„Dem Lubecker Rat, gewiss.“
„Dann hoffe ich, dass euch meine Worte genügen, dass ich den Willen und die Befehle des Rates und der Bürgermeister ausführe.“
„Wollt ihr damit sagen, die Bürgermeister von Aalen, Johann Lange, Simon Oldesloe und Elert Stange hätten euch ermächtigt, den Räuberherzog unbestraft ziehen zu lassen?“
Langes Wut war beinahe nicht mehr zu zügeln.
„Wenn ihr es so sehen wollt, meinetwegen. Ihr müsst wissen, dass es das oberste Ziel war, Molne vom Herzog zu befreien. Und wie ihr sieht, so ist es uns doch gelungen. Der Herzog und seine Vasallen sind abgezogen. Die Stadt gehört wieder zu Lubecke. Keinen einzigen Mann meines Heeres habe ich als Verlust zu beklagen. Ich muss sagen, dass ich meine Befehle genau ausgeführt habe. Das Ziel ist erreicht.“
„Zu welchem Preis? Seht ihr nicht, dass die Stadt niederbrennt? Die Stadt, die ihr unserem gemeinsamen Herrn wiedergewinnen solltet, gibt es doch nicht mehr. Seht, wie sie lichterloh in Flammen aufgeht. Was wollt ihr den Lubeckern denn übergeben? Asche und armselige von Ruß geschwärzte Mauerreste? Verkohlte Leichen etwa? Nichts habt ihr erreicht. Nichts außer eine brennende Stadt. Ihr seid unfähig. Die Bürgermeis­ter werden meinen Bericht erhalten. Und dann werdet ihr euch zu verantworten haben. Das schwöre ich.“

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