25. Juli 2016

'Ich suche Josef' von Wilma Bieber

Endlich möchte Milia den lang gehegten Plan in die Tat umsetzen, Recherchen nach den Verwandten in den USA anzustellen. An einer Küstenstraße in Maine trifft sie überraschend auf den geheimnisvollen Pat, in den sie sich unsterblich verliebt. Der Gedanke an ihn lässt sie fortan nicht mehr los. Sie beschließt, erneut Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aber zuerst muss sie sich um ihre Malerei kümmern, die Freundin trösten, ihr Buchprojekt in Angriff nehmen, Archive, Ämter und Privatpersonen nach dem Verbleib ihres Verwandten Josef abklappern. Aber das Schicksal folgt seinem eigenen Drehbuch.

Leicht und frisch wie der aufklarende, helle Himmel nach einem Sommerregen umfängt die Geschichte den Leser. Eine kurzweilige Lovestory mit pointierter Situationskomik und knackigen Dialogen für die kleinen Fluchten vom Alltag.

Das Taschenbuch als auch das E-Book "Ich suche Josef" sind inhaltlich identisch.

Gleich lesen: Ich suche Josef

Leseprobe:
Die alte Tür knarrte, als ich behutsam die Klinke nach unten gedrückt hatte und sie aufschob. Tante Hermine saß am Tisch in dem kleinen Kämmerchen, das ihr als Küche diente, erhob sich, als sie mich sah, schlang die Arme um mich und herzte mich.
„Endlich bist du da! Ich habe mich so auf dich gefreut! Hoffentlich ist der Kaffee noch warm.“
Wie immer war ich zu spät, später als vereinbart. Mit leichtem Schwung zog ich den duftenden Strauß roter Astern, die vorhersehbar gewesene Bitte um Nachsicht, hinter dem Rücken hervor und reichte ihn ihr, bevor ich die Begrüßung erwiderte und dabei fast die Blumen zwischen uns zerdrückte, weil Tante sie gar nicht so schnell zur Seite nehmen konnte. Tante trug einen zu kurzen Kurzhaarschnitt, Sommers wie Winters, bei dem man die Kopfhaut sah und mit ihrem Bürstenhaar kratzte sie an meiner Wange.
„Tanti, meine Liebe. Wie schön dich zu sehen!“
„Setz Dich Mili, Liebes, los setz dich! Hab extra Torte machen lassen bei Frau Grübelich, Schoko und Vanille, welche möchtest du?“
„Tanti, das ist ja alles gut und schön.“ Ich gab auf.
„Ja, ich nehme Schoko ...“ antwortete ich resigniert, hörbar ausatmend, schaute hinüber zu dem hellblauen Küchenschrank aus den 30ern, wo Kuchen und Plätzchenberge angerichtet standen und wollte erst nichts weiter dazu sagen, um ihr nicht weh zu tun, weil sie die Cremetorten von Frau Grübelich liebte und als das Feinste sah, das man kriegen konnte.
Und sagte es doch:
„Tanti, mach dir doch nicht immer so eine Mühe und gebe viel Geld aus für diese Cremetorten. Alles gut gemeint. Allerdings könntest du einfach beim nächsten Mal einen Tortenboden mit Erdbeeren machen, irgend etwas fruchtiges. Das ist einfach und geht schnell. Du hast einen Garten voller Tortenbeläge! Genau genommen ist es ... Frevel, die Torten von Frau Grübelich zu kaufen.“
„Gut, Mili, wenn du meinst, bekommst du das nächste Mal Obsttorte.“
Sie schlug die Augen nieder und ihr rundes Gesicht zeigte die geübte Beleidigungsgeste.
Es waren die immer gleichen Worte und ich wusste jetzt schon, dass sie das nächste Mal wieder ihre geliebten Cremetorten von Frau Grübelich servieren würde, immer wieder, bei jedem Besuch, bis ich sie auch lieben würde und schließlich vermissen, wenn es sie wider Erwarten aus irgendwelchen Gründen einmal nicht mehr geben sollte. Rituale, denen die Zeit nichts anhaben konnte und die sich für immer in die Herzen ihrer Lieben einbrannten.
Tante schenkte den Kaffee in indigoblau gemusterte Keramiktassen, stellte den gerade aufgefüllten Würfelzuckertopf auf die Wachstuchtischdecke und mir ein doppeltes Schnittchen von dem feinen Schokocremekuchen auf einem Teller des nostalgischen Services vor mich hin.
„Lass es dir schmecken, liebe Mili! Greif zu, los greif schon zu.“
Tante bewirtete mich vergnügt und verbarg ihre Freude über meinen Besuch nicht. Sie war unverheiratet und kinderlos und hatte einst ihre ganze Energie ihrem Beruf als Landärztin gewidmet und über die Jahre war ich zu einer Art Kindersatz geworden, immer noch mehr, seit sie in den Ruhestand gegangen war.
Sie lud sich auch ein Stück Cremekuchen auf und nickte ermunternd zu mir herüber.
Eigentlich hatte ich vor gehabt, der Tante meinen USA-Urlaub zu verschweigen, weil sie als eine, trotz guter finanzieller Verhältnisse, sehr bescheidene und sparsame Frau, meinen gelegentlichen Hang, das Geld mit vollen Händen auszugeben, immer kritikwürdig gesehen hatte. Angesichts der atemberaubenden kalifornischen Weinberge hatte ich es allerdings nicht übers Herz gebracht, der Tante keine Karte zu schreiben. Daran musste ich denken, als mein Blick auf das Glasteil des Küchenschrankaufsatzes über den Torten fiel, wo sie die Karte hin gesteckt hatte und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Sie war meinem Blick gefolgt und fragte:
„Hat es dir eigentlich in Amerika gefallen? Du musst mir davon erzählen! Und die schöne Karte, habe ich mich gefreut, Mili!“, sagte die alte Dame und strahlte über das ganze Gesicht.
„Das hast du richtig gemacht, Mili! Man kann nicht immer nur sparen, man muss sich auch mal was gönnen.“
Sie nestelte an ihrem hellgrauen Pullover und zog ihn gerade.
Hatte ich da richtig gehört? Das waren ganz neue Töne, die mir da entgegen kamen und allerdings gefielen. Ich erzählte ihr von meiner Fahrtroute im „Pointiac Cutles Ciera“ quer durch das Land, erzählte ihr von Kalifornien und der Wanderung durch die malerischen Weinberge, woher die Karte stammte.
„Sag mal, weißt du eigentlich noch etwas von Onkel Josef?“
kam mir nach meinen Ausführungen in den Sinn.
„Ja,“ sagte sie nachdenklich „der Bruder deiner Großmutter ist so um 1900 ausgewandert. Er hat in Amerika eine Familie gegründet.“
„Hast du eine Adresse oder andere Informationen? Wo haben sie eigentlich gewohnt? Weißt du da noch was?“
„Mili, das ist schwierig.“ begann sie.
„Er hat irgendwo bei New York gewohnt. Das war die letzte Adresse, die ich kannte, und das ist 50 Jahre her. Er hat noch ein paar Mal geschrieben, hat uns sogar einmal besucht und dann hat sich irgendwie seine Spur verloren.“
„Er hat dich besucht?“
„ ... das ist aber auch ungefähr 50 Jahre her.“
„Mmmmh.“
„Er war hier mit seiner Frau und einem seiner Söhne.“
„Schade, dass keine genauen Angaben mehr verfügbar sind. Ob man ihn dennoch irgendwie finden könnte?“ überlegte ich.
„Ich weiß nicht. Ich glaube, das würde schwer werden. Wir haben vor Jahren schon einmal über das Rote Kreuz suchen lassen, allerdings ergebnislos.“
„Ich würde die Leute gern kennen lernen.“
Sie legte ihre schwielige, kleine Hand liebevoll auf meine.
„Mili, ich kann dir ja mal alle Unterlagen raus suchen, die ich noch dazu habe. Aber ich sage dir auch gleich, dass das nicht sehr viel ist. Aber ich schaue nach, wenn du das möchtest.“
sagte sie in ihrem unerschütterlichen, warmherzigen Ton, der jeden wissen ließ, dass sie nichts und nimmer etwas aus der Ruhe bringen konnte.
„Ja, sehr gern, Tanti. Das interessiert mich wirklich.“
Oft hatte ich die fixe Idee gehabt, die Verwandten zu suchen und mit der nächsten Morgendämmerung, die dem Tag der vagen Pläne gefolgt war, waren immer andere Dinge wichtiger gewesen. Diesmal wollte ich dran bleiben.
Durch das kleine Fenster hinter grobmaschigen Gardinen fiel die Sonne auf den Tisch.
„Ich erinnere mich wenig an den Besuch von Onkel Josef. Aber jetzt fällt mir ein, Liebes, du warst damals auch da. Du warst noch ein kleines Kind. Also kann es noch keine 50 Jahre her sein, was für ein Unsinn, vielleicht 30 ... Aber das reicht ja auch.“
Wir horchten beide auf. Draußen im Hof waren Geräusche von Schritten zu hören, bevor es mehrmals an der Tür klopfte und kurz darauf Konrad eintrat.
„Konrad! Komm setz Dich!“
rief Tante Hermine und zog ihm einen Stuhl heran.
„Hallo Milia, wie geht‘s?“ fragte er während er mir im Hinsetzen die Hand entgegen reichte.
Kaum, dass ich mich bedankt hatte, wandte er sich sofort Tante zu und diskutierte mit ihr Fragen, die die Bauarbeiten des Wasser- und Abwasserverbandes betrafen, die demnächst wohl anstanden und ich war Luft für ihn. Er hatte so eine Art, anderen verstehen zu geben, dass sie im Moment nicht wichtig waren. Bevor Konrad sich der Politik zuwandte, war er Tantes Chef gewesen, der ihr auch jetzt als Freund zur Seite stand, nachdem sie schon lange im Ruhestand war, und gelegentlich half, sei es bei Fragen der Brennholzbeschaffung, gelegentlichen Bauarbeiten oder wie jetzt der Problematik des Anschlusses an die neue Kläranlage, die für den kleinen Ortsverband viel zu groß war und Konrad deshalb eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen hatte, um gegen diesen Unfug vorzugehen, durch den die Abnehmer nur über Gebühr finanziell belastet würden.
„Ich habe übrigens Anzeige erstattet ...“
sagte er nachdenklich nach einer kurzen Pause.
„Mein Gott, Konrad,“
rief Tante erschrocken aus, während sie abrupt etwas zu heftig ihre Kaffetasse auf den Unterteller fallen ließ.
„... ich habe Angst. Wie soll das weiter gehen. Meinst du die Polizei wird den Täter ermitteln?“
„ Ja, ja, natürlich. Davon gehe ich aus. Der Staatsschutz ermittelt. Die Geschichte ist also ziemlich hoch angebunden. Ich denke schon, dass sich die Täter oder der Täter jetzt nicht so gut fühlen. Ich weiß nicht, ob sie damit gerechnet haben, dass ich Anzeige erstatte und an die Öffentlichkeit gehe.“
Wir sahen ihn erschrocken an.
„Ja, was soll`s. Jetzt mache ich meinen Jagdschein. Ich habe mir schon eine ordentliche Langwaffe ausgesucht. Man darf nie unvorbereitet sein ... Was schaut ihr mich so entsetzt an?“
„Mein Gott, Konrad!“
rief Tante erneut aus.
„Du versetzt uns in Angst und Schrecken.“
„Heute kommt eine Sendung im Ersten, in einer Stunde. Schaltet mal ein. Ich habe ein Interview gegeben.“
„Ja, Konrad, meinst du denn, dass diese Morddrohung überhaupt ernst gemeint war? Ich meine, das kann doch nicht wirklich wahr sein. Sie wollten dir nur einen Schrecken einjagen. Du bist ihnen zu couragiert!“
„Nein, meine Liebe,“
sagte er zu Tante,
„das war toternst.“
Er bemerkte die unbeabsichtigt bezeichnende Wortwahl, senkte den Kopf, nickte leicht, und murmelte, mehr wie zu sich selbst: „Ja, toternst, so könnte man es sagen.“
Er hob den Kopf, sah zu Tante und schloss in gewohnt festem Ton an:
„Diese Leute sind zu allem fähig.“
„Worauf hast du dich da nur eingelassen?“ Tante wollte weiter sprechen, aber Konrad schnitt ihr die Rede ab.
„Politik ist ein hartes Geschäft. Das habe ich gewusst. Natürlich habe ich mit so einer Wendung nicht gerechnet. Ich meine mit einer Morddrohung muss man gewiss nicht rechnen. Aber jetzt ist es so. Und ich werde nicht klein beigeben.“
Konrad war ein Mann wie ein Bär, groß und von kräftiger Statur. Die blonden Haare waren schon etwas dünn geworden, verwittert im Laufe der Jahre, über dem fein geschnittenen Gesicht mit dem offenen entschlossenen Blick. Wenn er sprach, riss er alle mit. Die Menschen schauten zu ihm auf und er war es gewohnt, dass alle auf ihn hörten. Wenn Konrad sagte, dass die Wand grün war, war sie grün. Sogar wenn man selbst vor dieser Wand stand, deren weiß an weiß nicht zu überbieten war, zögerte man, kam ins straucheln, war versucht, ihm zu glauben, zu vertrauen, wollte ihm so gern folgen, sich ihm anschließen und zweifelte gar an der eigenen Wahrnehmung, am eigenen Urteilsvermögen. Eine Gabe, so überzeugend sein zu können oder bis ins unendliche gesteigertes Selbstvertrauen, dass in die täglichen Grabenkämpfe der widerstrebenden Gedanken seiner Mitmenschen wie ein Fausthieb einschlug, Einhalt gebot und sie wie Ratten hypnotisiert hinter sich her tänzeln ließ.

Im Kindle-Shop: Ich suche Josef

Mehr über und von Wilma Bieber auf ihrer Website.

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