2. September 2016

'DIE SCHWARZE LEGION - Der Löwe des Atlas' von Jan Nehr

Algerien 1919. Alle Versuche der französischen Kolonialmacht, Waffenlieferungen für den Aufstand der Rifkabylen durch die Sahara zu unterbinden, scheitern an den Fähigkeiten der Waffenschmuggler. Den Tuareg.

Der junge (deutsche) Bergarbeiter Franz folgt seinem Bruder in die französische Fremdenlegion, in die dieser nach einer politischen Dummheit geflüchtet war. Obwohl die Familie lange kein Lebenszeichen erhalten hat, hofft er immer noch, ihn lebend zu finden. Nach einiger Zeit trifft er auf Rainer, einen Ex-Soldaten mit Geheimdienstausbildung. Die beiden Männer schließen Freundschaft und nach ersten Abenteuern bilden sie eine verschworene Gemeinschaft, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Als der Chef des französischen Geheimdienstes, General Caneval, auf sie aufmerksam wird, wirbt er sie an, um herauszufinden, wer die Rifkabylen mit Waffen versorgt.

Der sorgfältig recherchierte Hintergrund der wenig bekannten Ereignisse im Nordafrika Anfang des 20. Jahrhunderts, in denen Hunderttausende ihr Leben einbüßten, ist die Vorgeschichte von Ereignissen, die bis heute in den Konflikten zwischen Islam geprägten Kulturen und westlichen Ländern ihre Auswirkungen haben.

Gleich lesen: DIE SCHWARZE LEGION - Der Löwe des Atlas

Leseprobe:
„Warum bin ich nur wieder auf dich herein gefallen!“ Franz war gereizt und Arisha ließ schuldbewusst den Kopf hängen. Deshalb sah er ihr breites Grinsen nicht.
Seit zwei Tagen waren sie beide als Vorhut vorausgeritten und hatten in der flachen Sandwüste bisher nicht den kleinsten Hinweis auf den Gegner gesehen. In der größten Mittagshitze, während sie im spärlichen Schatten einer mit Stöcken aufgespannten Plane dösten, hatte sich Arisha an ihn geschmiegt und liebkost. Danach hatten sie sich geliebt, wobei sie auf ihm saß und hin und wieder einen Blick in die Runde warf. Franz hatte den Verdacht, dass sie ihm die näher kommende Staubwolke erst meldete, als sie ihren Höhepunkt erreicht hatte. Als er sich aufrichtete, waren bereits dunkle Silhouetten am Horizont zu erkennen und es war zu spät, um sich aus der sicheren Deckung zu erheben und davonzumachen, um ihren Haupttrupp zu warnen.
„Was befiehlt mein Gebieter?“, flötete sie zufrieden.
„Eingraben!“, befahl er finster.
„So Gott will.“, sagte sie ergeben.
In der Sandwüste war das Eingraben immer unangenehm, wegen der Sandflöhe, weniger wegen der Schlangen. Es war beinahe so selten wie der Hauptgewinn in einer Lotterie, wenn man im Sand eine Schlange fand. Aber die Flöhe reichten, sie konnten unerträglich werden, und sie fanden sicher ihre Opfer. Hastig warfen sie Zeltplanen über die liegenden, gut dressierten Hedschins und schoben Sand und Steine darüber. Dann gruben sie sich daneben ein, in der Hoffnung, der Trupp würde nicht direkt über diese Sanddüne kommen und in sie hineinreiten. Unter dem Sand wehrte er Arishas Hand ab, die den Versuch unternahm, etwas gutzumachen.
„Bist du verrückt, meinst du, ich will mir dort Flöhe holen? Ich würde mir lieber überlegen, wie wir jetzt unsere Leute warnen können.“
„Wir werden sie angreifen, wenn sie vorüber sind. Wenn sie uns verfolgen, reiten wir nach Osten. Haben wir Glück, werden sie nur einen kleinen Trupp für zwei Angreifer abstellen. Unsere Leute werden die Schüsse hören und in Deckung gehen. Haben wir den Verfolgertrupp erledigt, reiten wir wieder nach Süden zu unseren Leuten.“
„Ja, was sonst“, knurrte Franz, überprüfte seinen Karabiner und spannte ebenso wie Arisha die lockere Sehne auf den Sarazenenbogen, den er vom Sattel des Hedschins genommen hatte und zog sie versuchsweise bis hinters Ohr. Die Pfeile steckte er vor sich in die Sanddüne. Die Vorstellung, seine ehemaligen Kameraden angreifen zu müssen, hatte ihn seit ihrer Abreise in eine dementsprechend schlechte Laune versetzt. Jetzt unmittelbar vor dem Wiedersehen und der Auseinandersetzung mit Männern, mit denen er geritten war und die ihm damals vertrauten, fühlte er sich wie ein Verräter. Verstohlen sah ihn Arisha von der Seite an. Sein Mund war ein einziger Strich und sein Gesicht wirkte versteinert. Sie fühlte mehr seinen inneren Konflikt, als dass sie ihn verstand.
Es war ein imposanter Trupp. Sie ritten in der Formation, in der Franz mit den Söldnern und Kabylen viele Male in der Wüste unterwegs gewesen war. Voraus Kabylen, in der Mitte Söldner und als Nachhut wieder Kabylen. An der Spitze ritt ein Reiter auf einem schwarzen Berberhengst, ein Rifkabyle, den Franz nicht kannte. Aber der Reiter neben ihm war eindeutig der Adjutant des Oberst, der deutsche Rittmeister! Er war gut an seinem lächerlichen Tropenhelm zu erkennen. Die Reiterreihe, immer zwei nebeneinander, ritten nur wenige Meter entlang der hohen Sanddüne, hinter der Franz und Arisha lauerten. Franz zählte über fünfzig Mann, alle zu Pferde. Er drehte den Kopf zu Arisha. Als er in ihr konzentriertes Gesicht blickte, nickte er ihr kurz zu, während er sorgfältig einen Pfeil in die Sehne des Bogens legte. „Du rechts, ich links!“, flüsterte er leise. Kräftig spannte sie die Sehne und visierte am Pfeil entlang ins Ziel.
Lautlos fielen die beiden letzten Reiter mit Pfeilen im Rücken von ihren Pferden. Die Reiter vor den Gefallenen lagen noch gut in der Reichweite der Bögen und fielen kurz darauf dem zweiten Schuss zum Opfer. Sie stürzten ebenfalls unbemerkt in den Sand. Dann verfehlte Franz seinen Reiter, während Arisha den ihren traf. Der Verfehlte war jedoch in der Hitze eingeschlafen, bemerkte den Sturz seines Nebenmannes nicht und ritt weiter. Franz’ zweiter Pfeil traf nun und Arisha wartete, bis Franz neu aufgelegte. Nun war die Entfernung bereits beträchtlich. Beide mussten einen Bogenschuss wagen. Wie in einem Wettbewerb grinsten sie sich an und die Sehnen schnellten zurück. Franz durchbohrte den Hals seines Ziels, ein Glückstreffer. Arisha traf ebenfalls – aber leider nur das Pferd, das in wilden Sätzen nach vorne ausbrach und den Reiter dabei abwarf. Es stiftete jedoch so viel Unordnung in der Reihe, dass nun die Kugeln der Magazingewehre der beiden Angreifer noch weitere Opfer fanden. Arisha zog die Plane von ihrem Hedschin und sprang in den Sattel. Nach einem schrillen „Hatat!“ erhob sich das Tier mit der Reiterin und Arisha galoppierte, ohne sich umzudrehen, nach Osten. Franz lag hinter seinem Tier und feuerte methodisch Kugel um Kugel in das panische Durcheinander der Reiter. Erst als seine Schüsse erwidert wurden und die ersten Projektile vor ihm den Sand aufspritzen ließ, warf er eine Handgranate ziemlich kurz in eine nahe Sanddüne. Im Schutz der Staubschwaden zog er sein Tier nach oben und galoppierte hinter Arisha her.
Als sich Franz das erste Mal umdrehte, sah er keine Verfolger. Er gab Arisha ein Zeichen und sie verringerten das hohe Tempo ihrer Kamele. Die Verwirrung beim Gegner musste schon enorm gewesen sein, wahrscheinlich hatte der Staub auch verborgen, dass es sich um nur zwei Angreifer handelte. Die gewaltige Anzahl der Toten ließ den Gegner viel mehr Angreifern vermuten, als es tatsächlich waren. An den Spuren würden die Rifkabylen jedoch schnell erkennen, wie wenige sie tatsächlich überfallen hatten. Die beiden trabten dicht nebeneinander, geschickt das Gelände ausnutzend, dessen Sanddünen immer höher wurden, dass aber für Kamele gut begehbar war. Franz behielt die Sonne im Auge und nach einer halben Stunde lenkte er sein Tier in ein schmales Sanddünental, das sich weit nach Süden erstreckte. Gedeckt durch die hohen Sanddünen hielt er nach einiger Zeit an und sprang vom stehenden Tier ab. Schnell kletterte er die Erhebung empor und sah durchs Fernglas. Eine Staubwolke jagte hinter ihren Spuren her. Franz zählte fünf Reiter. Mit ihren schnelleren Kamelen war es Franz und Arisha gelungen, einen guten Vorsprung zu gewinnen. Er rannte zu seinem Tier zurück und rief Arisha die Anzahl der Verfolger zu. Seine Stimmung hatte sich schlagartig gebessert und er stieg wieder auf. Eng ritt er neben Arisha und rief ihr seinen Plan zu.
Die Reiter, die der Spur folgten, waren Rifkabylen. Im festen Sand war die Verfolgung von Reitkamelen kein Problem für ihre wüstenerfahrenen Araberpferde. Die Spuren lagen deutlich vor ihnen. Unglaublich, wie zwei Reiter so schnell so viele Männer aus dem Hinterhalt ermorden konnten! Wer waren sie? Wüstenräuber, hatte der deutsche Offizier gemeint. In Überzahl würden sie kurzen Prozess mit den beiden machen. Ihre Pferde waren ausgeruht und legten ein hohes Tempo vor. Sie ritten in einer weit auseinander gezogenen Linie, um im Falle eines weiteren Hinterhaltes einen oder höchstens zwei Mann zu gefährden. Als die Spuren in das schmale Dünental führten, mussten sie jedoch ihre Formation aufgeben und bald sogar hintereinander reiten. Der Boden wurde weicher unter den Hufen der Pferde und ihr Anführer verlangsamte das Tempo. Nervös sah er zu den Dünenkämmen hinauf. Nun sah er am Ende der Spuren, weit am Horizont die Staubwolken der flüchtenden Reiter. Der Anführer der Kabylen deutete darauf und trieb sein Pferd an. Dabei übersah er eine kleine Sandwolke, nur wenige Meter seitlich von seiner Position. Er spürte einen Schlag auf der Stirn, der ihn aus dem Sattel warf. Den Schuss hörte er bereits nicht mehr. Der zweite Reiter warf sich in den Sand, als sein Pferd getroffen zusammenbrach, während das dahinter trabende Tier vor dem Hindernis hochstieg und der Reiter alle Mühe hatte, im Sattel zu bleiben. Zwei weitere dicht aufeinander folgende Schüsse töteten den nächsten Mann und verletzten das letzte Pferd. Schon war Franz heran und erschlug mit der Axt den Beduinen, der aus dem Sattel gesprungen war und gerade versuchte, seinen Karabiner in Anschlag zu bringen. Die hinteren Reiter hatten den Hindernissen ausweichen können, waren aber durch ihr Tempo an dem Hinterhalt vorbei getragen worden. Nun zügelten sie ihre Pferde und versuchten die Tiere zu wenden. Noch im Reiten legten sie ihre Gewehre auf den so plötzlich aus dem Sand erschienenen Angreifer an. Die Gestalt in der sandgelben “galabija“ warf sich hinter das gestürzte tote Pferd und die Kugeln schlugen harmlos in den Kadaver. Die Reiter erschraken, als plötzlich Schüsse hinter ihren Rücken fielen. Ein Mann wurde von einer Kugel in den Hinterkopf getroffen, und als sich der andere Reiter zu dem neuen Angreifer umdrehte, traf ihn Franz’s Kugel von hinten in die Schulter und warf ihn aus dem Sattel. Arisha war nach dem ersten Schuss, den sie hörte, in vollem Galopp, das zweite Hedschin im Schlepptau, zurück geritten und wich nun hoch in den Kamm der Sanddüne aus, um nicht in das Chaos der scheuenden Pferde zu reiten.
Der verletzte Kabyle legte sein Gewehr auf sie an, da erhob sich schon Franz hinter ihm und schlug ihn mit dem Gewehrkolben bewusstlos.
„Kein Mensch bewegt sich so schnell wie du. Wie ein Geist. Und wie ich sehe, hast du Gesellschaft bekommen. Ich hätte es wissen müssen. Zwei Mann greifen einen ganzen Zug an. Wie konnten wir nur so dumm sein!“ Der Kabyle stöhnte und hielt sich die blutende Schulter. Er war einer der Unteroffiziere der Kabylen und er hatte Franz erkannt. Viele Male war er neben ihm geritten und in einem Streit mit einem Söldner hielt Franz einst zu ihm und verprügelte damals den belgischen Söldner fürchterlich.
Franz starrte ausdruckslos auf ihn hinab.
Der Kabyle hob den unverletzten Arm: „Bist du jetzt auf der anderen Seite? Hast du uns verraten? Nein, das kann ich nicht glauben!“
„Ich bin kein Verräter. Ich war schon zuvor Soldat der Légion étrangère, bevor ich zu euch kam.“
„Also ein Spion!“, er spuckte aus.
„Ja, wenn du so willst. Ein Spion.“

Im Kindle-Shop: DIE SCHWARZE LEGION - Der Löwe des Atlas

Mehr über und von Jan Nehr auf seiner Website.

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