26. September 2016

'Politen, der Weltenwanderer' von Anna Musewald

Politen, ein junger Hermiten, wurde mit einem heiligen Zeichen in seiner Handfläche geboren. Er ist nicht wie alle anderen. Seine Bestimmung ist es, die Hermin zu bewachen. Als er von der Welt der Menschen hört, zieht sie ihn in ihren Bann. In ihm wächst der Wunsch, die Menschen zu sehen. Dieser Wunsch wird geheimnisvolle Abenteuer und unerwartete Gefahren mit sich bringen. Wird Politen seine Bestimmung erfüllen können?

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Leseprobe:
«Die Welt ist groß, mein Junge, und bietet für alle Wesen ein Zuhause», sagte der Professor Mardoken und sah den jungen Politen an, der ihm gegenübersaß.
«Haben Sie jemals einen Menschen gesehen, Professor? », fragte der Junge.
Sie befanden sich in der Arena. Der Unterricht war für diesen Tag zu Ende und es war Zeit für das gewöhnliche Gespräch. Politen blieb immer etwas länger, um ein Weilchen mit seinem Professor zu reden. Sein ruheloser Geist war nicht leicht zu befriedigen. Der Professor war immer bereit, mit ihm zu reden. Ohne sich zu beschweren widmete er ihm eine oder sogar zwei Stunden seiner Nachmittage.
«Ich möchte die Welt der Menschen besuchen. Ich möchte sie persönlich kennenlernen. »
Diese Aussage des Jungen überraschte Mardoken.
«Warum? », fragte der Lehrer und atmete gleichzeitig tief ein.
„Der Professor scheint heute nicht besonders gesprächig zu sein, dachte Politen, als er bemerkte, dass er den Professor mit seiner Aussage überrascht hatte.
In letzter Zeit war es seinen Schülern aufgefallen, dass man ihm sein Alter langsam ansah. Die Flügel an seinem Kopf und seinen Füßen bewegten sich nicht mehr so schnell wie einst und sein Vestris war während des Unterrichts manchmal inaktiv. Er sah sehr müde aus, sein vollkommen rundes Gesicht war voller Falten und schwarzer Mitesser.
Einstmals war er der Größte von allen. Doch in den letzten Jahren wurde er immer kleiner, sodass der lange Bart fast seinen gesamten Körper bedeckte. Er war der liebe und zuvorkommende alte Mann geworden; allwissend, eine „lebende Bibliothek, wie ihn seine Schüler hinter seinem Rücken nannten. Erst neulich hatte ihn Politen, als er am Markt vorbeilief, in einem Gespräch mit dem Stammesanführer -wahrscheinlich scherzend- sagen hören: „Wenn ich weiterhin im gleichen Tempo zusammenschrumpfe, dann sehe ich bald aus wie ein Menken.
Er mag vielleicht an Größe verloren haben, doch seinen Humor behielt er. Im Gegenteil wurde er im Laufe der Jahre immer pfiffiger, was auch sein Anführer bemerkte.
Politen flog weiterhin langsam um seinen Lehrer herum. Die Diskussion gelangte an ihrem schwierigsten Punkt. Er wusste, dass er darauf bestehen musste. Er musste ihn überreden, über das Thema zu sprechen, das ihn am meisten interessierte: die Menschen.
«Um ehrlich zu sein, Herr Professor, wurde ich von dieser Idee besessen, seit dem Tag, als ich erfuhr, dass wir von ihnen abstammen und unsere Vorfahren, wenn auch nur für kurze Zeit, einst mit ihnen zusammenlebten. Was ist eigentlich damals passiert, Professor? Warum leben wir jetzt getrennt? Warum wurden die Menschen zu unseren Feinden? »
Dem Professor Mardoken wurde sofort klar, dass der Junge einer der wenigen Hermiten war, die eines Tages versuchen würden, die Welt der Menschen zu betreten und dadurch die heiligen Gesetze verletzen würde.
«Du weißt, dass es verboten ist, über sie zu reden, Politen. Du weißt, dass die Menschen unsere Feinde sind. Normalerweise sollten wir zwei nicht darüber diskutieren. Vor allem du. Vergiss nicht, dass du einer der Auserwählten unseres Volkes bist. Vergiss nicht, dass du bald Hermin bewachen musst. Du bist ein WÄCHTER, Politen, und du solltest deine heilige Pflicht nicht aufgeben. Du wurdest mit dem heiligen Zeichen auf deiner Handfläche geboren, was bedeutet, dass du von den Göttern ausgewählt worden bist, um eines Tages Wächter zu werden. Du kannst es dir nicht aussuchen, ob du diesem heiligen Gebot gehorchen möchtest oder nicht.»
Der Professor könnte endlose Stunden über seine heilige Pflicht reden und Politen würde zuhören. Doch er war sich sicher, dass es nichts änderte. Der Junge würde erscheinen, um seine heilige Pflicht zu erfüllen, an dem Tag, den die Priester seines Stammes festgelegt hatten, jedoch nicht bevor er die Menschen persönlich kennengelernt hatte.
Die Zeit war vergangen und Politen wusste, dass er nach Hause musste. Seine Mutter würde sich heute Abend mehr Sorgen denn je machen. Doch sicherlich war die Diskussion mit seinem Professor noch nicht zu Ende. Und als er sich von ihm verabschiedete, kam er nicht umhin, es ihm zu sagen: «Professor Mardoken, wir müssen uns bald wieder über die Menschen unterhalten. Es sind so viele Dinge, über die ich mehr erfahren möchte. Aber jetzt muss ich gehen. Sie wissen ja, was heute Abend bei mir zuhause passieren wird?»
«Ich weiß, Politen, und ich wünsche dir viel Kraft. Ich werde von Anfang bis Ende an deiner Seite sein, aber leider bin ich nicht in der Lage, dir zu helfen. Ich bin mir aber sicher, dass du es schaffen wirst. Ich denke, du bist jetzt bereit.»
Der Junge sammelte hastig seine Sachen ein und flog nach Hause. Er lebte nicht weit vom Markt entfernt. „Es sind nur zwei Flatter entfernt, hatte ihm seine Mutter früher gesagt, wenn sie ihn auf den Markt zum Einkaufen schicken wollte.
Als er über den Markt flog, bemerkte er, dass er leer und verlassen war. Die Zeit war so schnell vergangen, ohne dass er es mitbekommen hatte. Die Geschäfte, die tagsüber in der Regel von Hermiten gefüllt waren, hatten bereits geschlossen. Der Markt war beleuchtet, da der für die Laternen des Platzes Zuständige sie alle erleuchtet hatte, obwohl es noch nicht dunkel war. Die Menken-Wächter hatten bereits ihre Plätze vor den hölzernen Türen der Geschäfte eingenommen. Sie würden die ganze Nacht dortbleiben, um die Geschäfte zu bewachen, bis zum nächsten Morgen, an dem ihre Besitzer kommen würden. Und sie würden nicht zögern, ihren Stachel zu benutzen, wenn es die Umstände erfordern würden. Kürzlich war über ihr Dorf eine Welle von Diebstählen gerollt. Daraufhin war der Stammesanführer gezwungen gewesen, Sofortmaßnahmen zu ergreifen und die Menken die ganze Nacht auf dem Markt patrouillieren zu lassen.
Sein zweistöckiges Haus erschien am Horizont und Politen landete vor seiner Tür. Er war dabei, sein Vestris zu aktivieren, um sie zu öffnen. Doch sie öffnete sich von allein. Das heißt, nicht ganz von allein. Sein Menken erwartete ihn.

Im Kindle-Shop: Politen, der Weltenwanderer

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