
Über eine halbe Million Frauen in Deutschland sind magersüchtig. So wie Carina, die schon als Teenager verrückt war nach Essen und Erbrechen – bis sie mit 1,72 Metern Körpergröße nur noch 41 Kilo wog und beinahe gestorben wäre. In dieser schonungslosen Lebensbeichte schildert die heute 22-Jährige, wie sie den Kampf gegen die Magersucht gewann.
„Ich bin spindeldürr, alle Knochen stechen durch die Haut. Meine Augen wirken noch größer, da sie tief in die Höhlen gesunken sind. Im Spiegel sehe ich aus, wie ein erschrockenes Skelett. Aber ich hungere weiter...“
Gleich lesen: Als ich verschwinden wollte: Meine Hungerjahre
Leseprobe:
Ich bin im Einkaufzentrum, schlurfe von Geschäft zu Geschäft. Um mich herum hippe Klamotten, duftende Bodycremes, Schminke, Schmuck, Bücher, DVDs und anderes Zeug. Viele Leute sehen mich an, einige tuscheln verstohlen. Fast bin ich ein bisschen stolz. Vielleicht falle ich auf, weil ich so groß und schlank bin?
Ich beobachte eine Gruppe Gleichaltriger, die beschwingt an mir vorbei zieht. Sie freuen sich über ihre vollen Einkaufstüten, haben Spaß und quatschen angeregt. Mein Blick wandert zu den athletischen und braungebrannten Beinen der Mädchen. Dann sehe ich in ein Schaufenster und erschrecke: In der Scheibe spiegeln sich meine eigenen Beine und ich merke, wie schmal sie sind. Sie haben nur etwa die Hälfte, wenn nicht sogar weniger an Fülle als die Beine der sportlichen Mädchen mit den Einkaufstüten. „Das kann nicht sein“, denke ich, „so groß ist der Unterschied gar nicht. Ich bilde mir das nur ein.“
Doch so viel ich mich auch umsehe, keine der jungen Frauen in meinem Alter hat solche Streichholzbeine wie ich. Gibt es denn niemanden mit einer Figur, die meiner gleicht?
Nach einiger Zeit geht tatsächlich so ein Mädchen an mir vorbei. Sie trägt einen Coffee-to-go. Ihr Gesicht ist eingefallen, ihre Haut ist trocken und ihre Haare sind kaputt. Sie ist dürr. Das Mädchen ist hundertprozentig magersüchtig. Oder todkrank. Ich schnappe nach Luft, so erdrückend ist diese Erkenntnis. Das Mädchen fällt auf. Die Leute sehen ihr nach. Ich vergleiche sie mit meinem Spiegelbild, das anzusehen ich lange vermieden habe.
Sie sieht mir ähnlich. Sie ist wie ich.
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