9. Mai 2017

'Gottes Werk und Teufels Cupcake' von Belle Eriksen

Wer kennt das nicht? Schmachtend betrachtet man die Köstlichkeiten auf der Bäckertheke und ringt mit sich selbst. Verführerisch, wie sich da Zuckergussflüsse und Schokoladen-Seen über Streuselberge ergießen, – aber Vorsicht! – die Leckereien strotzen nur so vor Kalorien. Eigentlich sollte man Kuchen und Co zum Wohle seiner Gesundheit meiden…doch tappen wir immer wieder in die süßen Lustfallen, selbst wenn wir ihnen tausendfach abgeschworen haben.

Wer sich jedoch gesund ernähren will, erhält im Dschungel von Diät-Trends und Foodmarketing kaum Orientierung: Ist Brot ein Irrtum der Zivilisation und unser Steinzeitkörper noch auf Mammutschenkelbraten gepolt? Garantiert allein der Veganismus die ewige Gesundheit? Kann Zucker so stark abhängig machen wie Heroin?

Mit ironischem Biss antwortet Belle Eriksen auf akute Ernährungsfragen unserer Zeit. Dabei bezieht die Autorin sowohl wissenschaftliche Studien als auch Omas Küchenpsychologie mit ein. Gottes Werk und Teufels Cupcake unterhält und informiert LeserInnen, die Extremdiäten und Foodporn satt haben.

„Dieser Cupcake besteht aus viel Informationen mit einem Topping aus Ironie - echt lecker!“ (Lesermeinung)

Gleich lesen: Gottes Werk und Teufels Cupcake: Wie Du zwischen Industrieleckereien und Diät-Trends den Überblick behältst

Leseprobe:
Butter oder Margarine – welches Fett tötet schneller?
Welches Fett können wir uns gefahrlos aufs Frühstücksbrötchen streichen? Diese Frage beantworten seit Anbeginn des Medienzeitalters die aufschlussreichen Lehrfilme der Lebensmittelbranche, auch bekannt als Werbespots.
In den frühen Neunzigern schürten sie bei vielen Damen die Hoffnung auf eine schlanke, sportliche und sexuell aktive Existenz. Damals sprang in jedem zweiten Werbeblock die jauchzende Lätta-Blondine nur mit einem knappen Bikini bedeckt bei Sonnenaufgang aus ihrer Almhütte. Mit gekonntem Kopfsprung taucht sie ihren knackigen Körper in das glasklare Wasser eines Bergsees. Anschließend weckt die muntere Alpenelfe ihren Bodybuilding-gestählten Lover, indem sie ihm neckisch die kühlschrankkalte Margarinepackung auf seinen marmornen Sixpack legt. Anstatt aufzuschrecken und der nervigen Zicke den Fettbecher an den Kopf zu werfen, ergötzt sich Adonis mit schlaftrunkenem Hundeblick an ihren blauen Augen. Obgleich sie scheinbar nur von Luft und Liebe leben, beginnen die zwei Supermenschen schlussendlich in romantischer Eintracht ihr Bergfrühstück.
So idyllisch könnte laut Werbebotschaft unser aller Leben aussehen, wenn …ja wenn …wir uns nur jeden Morgen das Richtige in den Mund steckten. Nämlich knusprige Schwedenbrötchen, die wir, wie es die Magerblondine im TV vormacht, in genüsslicher Gier durch den Becher Light-Margarine ziehen. Während Blondie das auf den Schwedencracker gestapelte Fett schleckt, wird dann noch einmal auf das Wunderprodukt gezoomt. Das dynamisch-bunte Layout der Lätta-Packung charakterisiert ihr Inneres als bahnbrechende Innovation: das Future-Frühstücksfett mit beinahe schönheitschirurgischen Fähigkeiten!
Nett eigentlich, dass uns die Food-Globalisten nach Jahren der Fehlernährung eine gesunde Alternative zur bösen Butter basteln wollten, damit niemand mehr an Herzinfarkt sterben muss. Fast wähnen wir uns selbst in der Läcka-Lätta-Alpentraumwelt, wo Einhörner auf Bergwiesen grasen und die Bärenmarke-Teddys die Milch von lila Kühen holen …wenn …ja, wenn die kalten Gesetze von Markt und Profit uns nicht unsanft aufwecken würden.
In Wirklichkeit ist Margarine leider nur eines der zahlreichen Beispiele für billigen Schrott, der uns als etwas ganz besonders Tolles und Gesundheitsförderliches verkauft werden soll. Dabei ist das Produkt ein alter Hut: Bereits Napoleon III. suchte nach einer Art Kunstbutter, die möglichst günstig und lange haltbar sein sollte, um seine Truppen effizienter zu versorgen. Folgerichtig taufte der Chemiker Hippolyte Mège-Mouriès, der im Jahre 1869 den Prototyp der Margarine erfand, seine Schöpfung „beurre économique“ (= billige Butter). Später befand jemand mit wesentlich mehr Marketinggespür, dass derartige Produkte fortan „Margarine“ heißen sollten – inspiriert von Perlmuttglanz des Fettes und dem altgriechischen Wort Margarites (=Perle). Denn eine Lebensmittelkreation aus dem Labor verkauft sich zu allen Zeiten weit besser unter wohlklingenden Fantasienamen als unter der schonungslos wahren Bezeichnung. So greift der Kunde aktuell viel lieber zum „Persipan“ (das klingt wie eine exotische Köstlichkeit aus 1001 Nacht) als zum „billigen Marzipanimitat aus Aprikosenkernen und Aromastoffen“.
Margarine enthielt in ihren frühen Jahren gar einen unappetitlichen Cocktail aus Nierenfett, Schweineschmalz und zerstoßenem Kuheuter. Die Gaunerei, aus Niedrigpreis-Fett etwas zusammenzurühren, das wie gute Butter aussieht und schmeckt, erschien seit Erfindung des Produktes als außerordentlich Gewinn versprechend: Bereits im Jahre 1885 hatten sich fünfundvierzig Firmen in die Margarine-Produktion gestürzt.
Ein echter Marketinghype kam allerdings erst in den 1960er Jahren in die Gänge, als Butter und Sahne durch die Studien des Ernährungswissenschaftlers Ancel Keys schlimm in Verruf gerieten. Keys stellte in seiner „Sieben-Länder-Studie“ die Hypothese auf, Cholesterin und gesättigte Fette aus sämtlichen Tierprodukten seien Hauptverursacher für Arteriosklerose und Herzinfarkte. Beinahe wunderte sich die Wissenschaft, wie die Menschheit Eier und Speck so lange hatte überleben können. Die Margarine, die zu Keys Zeiten aus billigem Baumwollsaatenöl angerührt wurde, konnte nun auftrumpfen: Sie enthielt keine Spur mehr vom Tier! Das genügte zumindest werbetechnisch, um das Kunstprodukt zur perfekten Alternative gegenüber den beiden cholesterinhaltigen und arterienverkalkenden Streichfett-Schurken, Butter und Schmalz, zu erklären. Findige Produzenten der kommenden Dekaden berücksichtigten zusätzlich den wachsenden Schlankheitswahn der Kundschaft und ersetzten die Hälfte der Margarinemasse durch Wasser und hineingeschäumte Luft: Die Läcka-Halbfettmargarine war geboren.
Lässt der Hersteller die Frankensteinbutter im TV-Spot dann noch von einer magersüchtigen Blondine verspeisen, die sich anschließend ohnehin übergibt, halten viele Konsumenten Margarine selbst heutzutage noch für ein gesundes Hightech-Produkt, das Butter alt und ranzig aussehen lässt.

Im Kindle-Shop: Gottes Werk und Teufels Cupcake: Wie Du zwischen Industrieleckereien und Diät-Trends den Überblick behältst

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