25. Juli 2017

'Die Entführung des Rasputin' von Mart Schreiber

David ist kein Überflieger, nicht ambitioniert. Aus politischen Dingen hält er sich am liebsten raus. Dennoch ist er mit seinem Leben im Großen und Ganzen zufrieden: Als Moderator der Radiosendung „Tea and Sympathy“ genießt er in seinem Freundeskreis ein bescheidenes Prestige, außerdem ist er seit einem Monat mit der schönen Miriam zusammen.

Als David „Salim“ in die Leitung bekommt, hält er seine Behauptung, den russischen Präsidenten entführt zu haben, zunächst für einen schlechten Scherz. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse. Plötzlich sind der Verfassungsschutz und der russische Geheimdienst hinter ihm her und Miriam ist wie vom Erdboden verschluckt. Die Medien schweigen die angebliche Entführung tot. Der Großteil Wiens weiß nicht einmal von dem Gerücht und wenige Tage später taucht der russische Präsident auf einmal wieder in Moskau auf. Hat David sich alles nur eingebildet? Hat die Entführung tatsächlich nie stattgefunden? Aber wo ist dann Miriam und was will der Verfassungsschutz von ihm?

David beschließt, die Wahrheit herauszufinden. Und gerät immer tiefer in den Strudel seiner verdeckten Ermittlungen ...

Gleich lesen: Die Entführung des Rasputin

Leseprobe:
„Hallo ihr Lieben, hallo Fans und Nichtfans, hallo Melancholische und Verzweifelte. Hier ist die 97. Ausgabe von Tea and Sympathy. Und wie immer ist euer David Kapper am Mikro. Gehen wir’s locker an, wie wär‘s mit ‚You’re the one‘ von Kaytranada.“
Ich rückte meine Kopfhörer zurecht. Verrückt, bald würden es hundert Sendungen sein, dachte ich. Und immer noch war es nicht zur Routine geworden. Der erste Anrufer wurde zugeschaltet.
„Hi Doron, wie geht’s?“
Ich erhielt zu jedem Anrufer ein kurzes Briefing, bevor er auf Sendung kam. Name, Alter, manche wollten es nicht genau sagen, dann reichte eine Range, und das Thema in zwei, drei Sätzen.
„Schlecht. Sonst würde ich doch nicht anrufen.“
„Das stimmt auch wieder. Erzähl doch unseren Zuhörern von deinem Problem. Drei Minuten hast du Zeit dafür.“
„Kann ich bitte anfangen?“
„Go on, Doron.“
Ich lehnte mich zurück. Dorons Sorgen waren nichts Besonderes. Erstes Verliebtsein. Seine Freundin wollte keinen Sex, nicht einmal Zungenküsse. Sie war nicht streng katholisch oder muslimisch. Auch die Eltern waren nicht der Grund für ihre Enthaltsamkeit. Behauptete sie jedenfalls. Das ging jetzt schon drei Monate so und er spürte, wie sein Interesse an ihr nachließ.
„Ich liebe sie aber noch immer. Das macht’s ja so schwierig“, sagte er, gefolgt von einer langen Pause.
„Hm, Doron. So etwas kommt leider immer wieder vor. Hatte ich schon dreimal in der Sendung. Natürlich ist jeder Fall anders. Denk mal darüber nach, was du jetzt vorhast. Wir hören uns gleich nach der nächsten Nummer wieder.“
Amanda Seyfrieds beruhigende und gleichzeitig erotische Stimme erklang. Vielleicht empfand ich die Stimme nur deshalb als erotisch, weil sie so verdammt gut aussah. Ich nahm die Kopfhörer ab, denn Tomi, der Chef vom Dienst, fuchtelte wild in meine Richtung.
„Was gibt’s?“, fragte ich ihn.
„Wir haben da einen Anrufer, der behauptet, dass sie den russischen Präsidenten entführt haben. Er will die Forderungen seiner Gruppe verlesen.“
„Hm. Kann das stimmen? Der Präsident ist doch in Wien bei der großen Friedenskonferenz.“
„Ja, aber setz deine Kopfhörer wieder auf. Die Amanda hat gleich ausgesungen.“
„Hi Doron. Wie hat dir die Nummer von Amanda gefallen?“
„Das will ich lieber nicht sagen. Ist doch Old School.“
„Dann bin ich eben Old School, Doron. Ich hab mir ausbedungen, dass in jeder Sendung ein Lied von ihr gespielt wird. Das bringt mich auf eine Idee. Schreibt doch, ob ihr das auch wollt. Wenn, sagen wir mal, zwei Drittel von euch Amanda-Hater sind, dann gebe ich die Sendung ab.“
Kurze Pause. Ich hauchte ein Hm ins Mikrophon.
„Nein, das wäre zu viel des Guten. Dann wechsle ich, hm, sagen wir fürs erste, zu Markéta Irglová. Spiel ich heute noch, falls ihr sie nicht kennt. Aber jetzt zurück zu dir, Doron. Was hast du vor?“
„Ich werde noch einmal mit ihr reden.“
„Gute Idee. Wie heißt denn deine Freundin?“
„Das will ich nicht sagen. Mein Name ist ja auch ein anderer als Doron.“
„Ach so. Stell dir vor, deine Freundin hört zu und hat deine Stimme erkannt. Vielleicht versteht sie jetzt deine Nöte.“
„Glaub ich nicht. Sie würde auf der Stelle Schluss mit mir machen.“
„Wäre das eine Lösung für dich?“
„Auf keinen Fall. Ich wär‘ ja schon zufrieden, wenn sie mich richtig küssen würde.“
„Ich seh‘ schon, wir kommen ein Stück weiter. Nach der nächsten Nummer schaun wir mal, was andere Zuhörer dazu geschrieben haben.“
Die Sache mit der Entführung konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Trotzdem reizte es mich, den Typen in die Sendung zu nehmen. Für Aufsehen würde der Anrufer auf alle Fälle sorgen. Vielleicht würden sogar einige Zeitungen darüber berichten. Zuerst musste ich aber den falschen Doron abfertigen. Ich bekam das Zeichen, dass der Song von Tocotronic in 10 Sekunden ins Fade out gehen würde. Ein kurzer Blick auf die Facebook-Einträge und andere Nachrichten zu Doron. Viel Spott war dabei und typische Ratschläge wie: „Lass sie dunsten“, oder: „Stell ihr ein Ultimatum“.
„Hallo ihr Lieben, das ist die 97. Ausgabe von Tea and Sympathy. Mein erster Anrufer ist noch in der Leitung. Hi Doron. Willst du wissen, was das Netz zu deinem Problem sagt?“
„Nein, will ich nicht. Meine Freundin hat sich grad gemeldet. Sie hat wirklich zugehört und wir treffen uns heute noch.“
„Das klingt doch gut, Doron. Ich halte dir beide Daumen. Wenn ich du wäre, würde ich mich einfach nur freuen. Bleib locker. Deine Freundin mag dich offensichtlich sehr. Und sei froh, dass wir uns die Kommentare aus dem Netz ersparen. Ich hab da aufs erste Hinsehen nichts wirklich Hilfreiches entdecken können.“
„Danke, dass ich drangekommen bin. Magst nicht anstatt der Amanda und der anderen Romantik-Susi etwas Modernes spielen? Zum Beispiel Gitti vom Voodoo Jürgens.“
„Gute Idee. Ciao, Doron. Bevor wir aber die nächste Nummer spielen, muss ich euch warnen. Als nächsten Anrufer haben wir einen angeblichen Entführer in der Leitung. Bleibt dran und lasst euch überraschen.“
Das Humptata-Intro von Gitti drang in meine Ohren. Tomi hatte mir einige Infos zur Friedenskonferenz zusammenstellen lassen. Der russische Präsident war noch in Wien. Morgen sollte die Konferenz mit einem Schlusskommuniqué beendet werden. Bis jetzt waren noch keine Fortschritte gemeldet worden. Im Gegenteil, es wurde gemunkelt, dass die Konferenz sogar kurz vor dem Abbruch stünde. Bis Mitternacht waren es noch gute vierzig Minuten. Vielleicht schlief der Präsident bereits in seiner Suite im Imperial. Denn dort fand auch die Konferenz statt, natürlich komplett abgesichert. Es gab nicht den kleinsten Hinweis auf einen Zwischenfall in den Medien. Tomi hatte sogar die Polizei informiert. Selbst wenn der Anrufer wirres Zeugs faseln sollte, würde ich ihn in der Leitung halten müssen, bis die Rückverfolgung des Anrufs erfolgreich war.
Noch zehn Sekunden. Mein Speichelfluss war stark erhöht. Ich schluckte mehrmals und versuchte, meinen pochenden Herzschlag aus meiner Wahrnehmung zu drängen.
„Hallo ihr Lieben, hier ist David Kapper in der 97. Ausgabe von Tea and Sympathy. Unser nächster Anrufer behauptet, den russischen Präsidenten entführt zu haben. Kaum zu glauben, aber lassen wir es Salim selbst erklären. Hi Salim. Was hat es mit dieser Entführung auf sich?“
„Mein Name tut nichts zur Sache. Ich werde mich kurz halten. Nicht, weil uns die Polizei, die ihr sicher schon verständigt habt, orten könnte.
Offiziell rufe ich von den Philippinen an, in Wirklichkeit sitze ich in Wien.“
Seine Stimme zitterte und hatte sich in den wenigen Sätzen bereits dreimal überschlagen.
„Okay. Was willst du uns mitteilen?“
„Wir haben den russischen Präsidenten aus dem Hotel Imperial entführt. Er lebt und ist an einem sicheren Ort. Übrigens nennen wir ihn Rasputin. Sein wirklicher Name erzeugt bei uns Übelkeit und ein Wortspiel ist es auch noch.“
„Okay, dann nennen wir euer Opfer Rasputin.“
„Was heißt Opfer. Die Opfer sitzen im ausgebombten Aleppo, in den Gefängnissen und in den Flüchtlingslagern. Diese Konferenz macht keinen Sinn. Kein Politiker traut sich, Rasputin die Stirn zu bieten. Er kann machen, was er will. Wenn er Versprechungen macht, dann wird er diese so wie auch bisher nicht halten. Wir können das syrische Volk nicht weiter leiden lassen. All das Gerede bringt nichts. Daher haben wir uns entschlossen, Rasputin zu entführen und ihn erst wieder freizulassen, wenn er folgende Bedingungen erfüllt.“
„Moment mal. Ihr behauptet, den Präsidenten…“
„Rasputin, bitte.“
„Okay, Rasputin entführt zu haben. Warum sollen wir das glauben? Die Medien würden längst darüber berichten, die Innenstadt müsste doch voller Polizisten sein.“
„Rasputin wird verschwunden bleiben. Er wird morgen keinen öffentlichen Auftritt haben, kein Interview geben. Nada! Niente! Rien! Das ist Beweis genug.“
„Dann müssen wir aber bis morgen warten. Hier und jetzt kannst du nichts anbieten?“
„In eurem Postfach liegt ein Brief. In diesem findet ihr ein Blatt mit Rasputins Fingerabdrücken.“
„Das können wir nicht überprüfen. Das könnten genauso die Fingerabdrücke von Herrn Maier oder Müller sein.“
„Die Behörden werden es schnell verifizieren können. Es werden sich im Hotelzimmer von Rasputin genügend Spuren finden lassen.“
„Okay, Salim. Gib uns eine Minute. Wir sehn mal im Postkasten nach.“
Der Anrufer protestierte, nur war er nicht mehr auf Sendung. Tomi hatte ihn off genommen. Die Zuhörer wurden mit „Wien wort auf di“ von Granada berieselt.
„Da ist doch nichts dran, oder?“, fragte ich Tomi.
Er zuckte mit den Schultern. „Nein, eh nicht. Aber dem Verbrecher würd‘ ich’s gönnen.“
„Ist der Anruf wirklich von den Philippinen?“
„Schaut so aus. Das läuft sicher übers Internet. Ich glaub nicht, dass die Polizei eine Chance hat, die IP des Anrufers herauszufinden.“
Die Assistentin nahte mit einem unfrankierten weißen Briefumschlag. „David Kapper persönlich“ stand in Blockbuchstaben darauf geschrieben. Tomi öffnete das Kuvert. Woher hatte er auf einmal die dünnen Handschuhe? Er zog ein einmal gefaltetes A4-Blatt heraus, das leicht verschmierte Fingerabdrücke zeigte. Der Daumen war links, der kleinste Abdruck ganz rechts. Also die rechte Hand von wem auch immer. Das Lied von Granada neigte sich dem Ende zu.
„Hallo, ihr Lieben. Ihr werdet es nicht glauben. Der Kollege hat mir soeben bestätigt, dass ein Brief gefunden worden ist. In diesem steckt wirklich eine Seite mit Fingerabdrücken.“
„Habe ich doch gesagt. Ich will jetzt nur mehr unsere Bedingungen vorlesen.“

Im Kindle-Shop: Die Entführung des Rasputin

Mehr über und von Mart Schreiber auf seiner Facebook-Seite.

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