14. August 2017

'Die Braut' von Katrin Thiele

Eigentlich ist Felix mit seinem Leben ganz zufrieden. Seit seinem Umzug aufs Land sind die Kneipennächte in Hamburg reduziert und seine beruflichen Ambitionen tendieren unverändert gen Null.

Doch eine Nacht ändert alles. Am Rande der Elbchaussee entdeckt er eine verstörte Braut. Obwohl sie kein Wort spricht und die Flecken auf ihrem Kleid verdächtig nach Blut aussehen, nimmt er sie mit zu sich. Die Braut entpuppt sich als reiche Reederstochter Mara Römberg, deren Bräutigam erschossen wurde. Felix überwindet seine Abneigung gegen geregelte Arbeit und schleicht sich in der Römberg-Familie als Chauffeur ein.

Je tiefer er in die Familiengeheimnisse eintaucht, desto verwirrender wird seine Suche nach der Wahrheit, doch zum ersten Mal im Leben ist Felix entschlossen, eine Sache durchzuziehen. Selbst wenn er dadurch in Lebensgefahr gerät …

Gleich lesen: Die Braut - Kriminalroman

Leseprobe:
Links und rechts der Elbchaussee waberten Nebelschwaden durch die nächtliche Stadt. Die Straße selbst lag wie ein dunkles Tuch vor mir. Die Villen an beiden Seiten wirkten wie stumme Wächter und kein Windhauch bewegte die Zweige der Bäume in den großzügigen Gärten. Neben dem leicht stotternden Geräusch des Motors meiner altersschwachen Corvette, zerriss draußen nichts die watteartige Stille. Außer mir schien kaum jemand unterwegs zu sein in dieser Novembernacht. Es war schon eine Weile her, dass mir das letzte Mal ein Auto entgegengekommen war.
Wie so oft genoss ich die nächtliche Einsamkeit. Bis auf die Kälte, die langsam auch den letzten Winkel meines Körpers erreicht hatte, ging es mir ausgesprochen gut. Der Abend bei Ben und Rica war wie immer toll gewesen. Das warme Gefühl in meinem Magen hing sowohl damit als auch mit dem fantastischen Drei-Gänge-Menü zusammen. Stundenlang haben wir über den Sinn und Unsinn des Lebens im Allgemeinen und meines im Besonderen gequatscht. Mein unerfülltes Liebesleben beschäftigte Ben schon immer mehr als mich und gelegentlich versuchte er, mir erleuchtend in den Arsch zu treten. Ohne Erfolg zwar, aber er bemühte sich. Seine Meinung war klar und drastisch. Er war sich sicher, dass ich die Frau meines Lebens nicht mal dann erkennen würde, wenn sie ein großes Schild hochhielte, auf dem stünde: Ich bin es, Felix. Deine Richtige!
Ben meinte, ich würde schnurstracks das Mädel daneben anhimmeln und das für mich bestimmte gar nicht wahrnehmen. Ich pflegte zu erwidern, dass er mich mal könne, er im Übrigen keine Ahnung habe und dass mir, wenn es soweit wäre, bestimmt meine Schicksalsgöttin einen entsprechenden Hinweis gäbe. Ben lachte dann und schüttelte amüsiert den Kopf. „Kann sein, aber den würdest du auch nicht bemerken.“ Nun, wir würden sehen.
Mangels funktionierender Heizung und weil ich außerdem kein Autoradio besaß, begann ich, laut zu singen. Singen regt den Kreislauf ungemein an und hilft, die Körpertemperatur zu steigern. Einen gegen Kälte wirksamen Alkohol-Schutz gab es heute nicht, ich hatte nur zwei kleine Scotchs intus. Es war allein Ricas Verdienst, dass ich nicht mit mehr Promille hinterm Steuer saß. Von Ben und Rica fuhr ich nie betrunken nach Hause, einfach aus dem Grund, weil Rica spätestens nach dem zweiten Drink entschieden alles Alkoholische aus meiner Nähe verbannte.
„Es würde mich nicht sehr überraschen, wenn Felix eines Tages seine Corvette um einen Baum wickelt und sein derzeit eher sinnloses Leben damit vorzeitig beendet. Aber er wird es nicht tun, nachdem er aus diesem Haus gekommen ist. Ist das klar, Jungs?“ Sie hatte mit ihrer typischen warmen Stimme gesprochen und mich mit einem beinahe zärtlichen Lächeln bedacht, und es gab keinerlei Zweifel, dass jeder Widerstand zwecklos wäre. Für das „derzeit“ liebte ich sie sehr. Diese Begebenheit lag zwar schon Jahre zurück, aber ihre Anordnung würde bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag gelten. Das wussten Ben und ich genau.
Mittlerweile war ich bei der letzten Strophe von Queens „The Show must go on“ angekommen, als ich das Singen abrupt beendete. Nicht etwa, weil ich feststellen musste, dass es vollkommen unmöglich ist, an Mercurys Stimme auch nur annähernd heranzukommen. Nein, das war mir schon lange klar. Ich hatte keine Ahnung, warum mir plötzlich eine Gänsehaut den Rücken herauf kroch. Sehr langsam und sehr unangenehm. Eine nahende Polizeikontrolle konnte es nicht sein, dann hätten sich nur leicht meine Nackenhaare aufgestellt. Ein untrügliches Warnzeichen, das mich noch niemals im Stich gelassen hatte. Meine Gänsehaut verstärkte sich, irgendetwas würde gleich passieren und noch immer hatte ich keine Ahnung, was das sein konnte. Auf das, was dann tatsächlich geschah, wäre ich in meinen verworrensten Träumen nicht gekommen. Ich sah eine Braut.
Ich hätte ihre Erscheinung sofort auf übermäßigen Alkoholkonsum geschoben, wenn ich nicht gewusst hätte, ausnahmsweise stocknüchtern zu sein. Alkoholbedingte Halluzinationen schieden also aus. Dennoch fiel es mir schwer zu glauben, dass das, was ich im Vorbeifahren gesehen hatte, real war. Sie wirkte wie eine Erscheinung aus anderen Sphären.
Selbst der kurze Moment, in dem das Scheinwerferlicht sie gestreift hatte, war ausreichend, mir beim Anblick ihrer überirdischen Schönheit den Atem stocken zu lassen.
Abgesehen von ihrem wundervollen Äußeren war ihre Aufmachung, gelinde gesagt, etwas unpassend für diese unfreundliche Novembernacht. Sie trug ein kurzärmliges, weißes Kleid, das bis auf den Boden reichte und seine besten Zeiten eindeutig hinter sich hatte. Es war zerrissen und schmutzig. Trotzdem war sie die schönste Braut, die ich jemals gesehen hatte.

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