22. Dezember 2017

'Am Abgrund' von Elsa Rieger

Blutsbrüder sind sie. Als halbe Kinder schworen sie sich: Bis dass der Tod uns scheidet.

Beide lieben die Berge, das Klettern - Schorsch, der Wiener Hauptkommissar mit dem Schlag bei Frauen, und Franz, der vom Leben angezählte Auswanderer. Sie gehen durch dick und dünn, bis Feh über die beiden Männer kommt, eine Frau wie dünnes Porzellan und mit einer gehörigen Portion Schmackes und einem sehr dunklen Fleck. Der Wirbelwind macht aus besten Freunden Rivalen. Wer wird Feh gewinnen?

Ein österreichischer Roman über die Liebe gepaart mit krimineller Energie.

Gleich lesen:
Für Kindle: Am Abgrund
Für Tolino: Buch bei Thalia

Leseprobe:
Franz brannte darauf, Schorsch zu treffen. Er stand vor ihrem Stammlokal, es hatte aber noch geschlossen. Fünf Uhr nachmittags, er schaute auf die Armbanduhr, da könnte er glatt noch neue Kletterschuhe im Sportladen um die Ecke in der Bäckerstraße besorgen.
Dort trödelte er herum, probierte dieses und jenes Paar, entschied sich schließlich für eines in Violett und Gelb. Die Schuhe legten sich wie eine zweite Haut um seine Füße, entsprechend teuer waren sie. Egal, dachte Franz. Er fühlte sich gerade irgendwie euphorisch.
Um achtzehn Uhr sprintete Franz in die Nebengasse. Er öffnete die Tür zur ›Löwengrube‹ so schwungvoll, dass die Klinke gegen den Garderobenständer krachte. Im letzten Moment erwischte er noch die Holzstange, ehe das Teil zu Boden gehen konnte. Gleich würde Marvin schimpfend aus der Küche kommen. Doch nichts geschah.
Franz staunte. Schwarze Plastikmesser baumelten an blutroten Schleifen von der Decke. Sogar das Klavier war irgendwie blutrot dekoriert. Dann fiel ihm ein, dass heute auf der zusammengezimmerten Bühne ein Stück gespielt wurde. Da gab es kaum eine Chance, in Ruhe mit Schorsch zu reden; ob der überhaupt kam?
Franz nahm ein Programm vom Tisch. ›Jack the Ripper‹. Franz grinste, das passte zu Marvin. Kaum gedacht, hörte er ihn in der Küche keifen. »Was hast du wieder für einen Dreck zusammengekocht!«
Marvin schien seinem Hyppolith gleich an die Gurgel zu gehen. Da hielt er sich lieber raus, wenn zwei Liebende stritten.
Er schlug das Programmheft auf. Die Miss Chloé wurde von einer Feh Hartenstein gespielt. Hartenstein hieß die Konkurrenz, deretwegen ihn sein Chef gefeuert hatte, was sich aber nach dem ersten Schock als die Chance erwiesen hatte, endlich seinen Traum wahr werden zu lassen. Manchmal brauchte es wohl einen Tritt in den Allerwertesten, um zu kapieren; Franz lachte in sich hinein. Es war höchste Zeit, seinen besten Freund Schorsch in die Pläne einzuweihen.
Die Plastikmesser am Bühnenvorhang klirrten leise, Franz blickte auf, der Vorhang teilte sich und eine kleine, schlanke Person trat hervor; sie sah sich um. Von ihrem Gesicht konnte Franz unter der Schminke kaum etwas erkennen – aber der Körper in dem kurzen Kleid war echt. Das Mädchen sah ihn aus grünblauen Augen an, wischte das schwarze Kunsthaar beiseite.
»Sie sind zu früh!« Sie sprach leise.
»Sind Sie Miss Chloé?« Er lachte.
Das Mädchen schwieg.
»Bestimmt, so wie Ihre Augen funkeln.« Was redete er da?
Sie durchwühlte ihre Perücke mit den rot lackierten Fingern. »Ja. Ich bin das leichte Mädchen, das den Bösewicht killt.«
»Und Ihr Vater ist nicht zufällig der bekannteste Baumeister von Wien?«
Miss Chloé schaute, als hätte sie einen Wurm verschluckt, und verschwand hinterm Vorhang. Franz nahm seinen Einkaufssack mit den Schuhen und betrat durch die Schwingtür neben dem Ausschank die Küche.
»Servus«, sagte er.
Hyppolith lehnte am Gasherd. Mit verschränkten Armen glich er dem jungen Belmondo, und er schaute Franz genauso verkniffen an. Hinter seinem Rücken brodelte es in einem großen Topf, vor ihm stand Marvin, dicklich und einen Kopf kleiner als sein Lebensgefährte; er umklammerte Hyppoliths Unterarme.
»Was hast du wieder für einen Dreck zusammengekocht!«, wiederholte er erschüttert. Sein runder Körper zitterte vor Ärger.
»Hey, so schlimm kanns doch nicht sein?« Franz fürchtete, dass seinen Freund irgendwann der Schlag treffen würde. Cholerisch war er schon mit elf gewesen, jetzt, um einiges älter geworden, schwoll Marvins Gesicht allmählich zu einem Ballon an.
»Der bildet sich ein, für heute Abend einen englischen Fraß kochen zu müssen, ich könnte kotzen.«
Franz lachte. »Der arme Hyppo hats doch nur nett gemeint.« Er schlenderte auf den Herd zu und lüftete den Deckel des Topfes. Was ihm da entgegenduftete, roch wirklich nicht besonders.
»Du Banause, brauchst nicht so gucken, das ist ein Stew«, pfiff Hyppolith ihn an, riss sich die Schürze vom Leib und stürmte davon.
Marvin öffnete den Kühlschrank, studierte den Inhalt. »Es gibt Cucumber-Sandwiches zu ›Jack the Ripper‹. Basta.«
Franz schnappte sich eine Cocktailtomate. »Ein gutes Stück?«
»Geht so. Aber die Kleine, die den Jack schließlich killt, die ist richtig süß.«
»Was machst du eigentlich schon hier?«, fragte Marvin.
»Ich war in der Gegend. Hab mir Kletterpatschen gekauft, Superangebot. Weißt eh, gegenüber vom Klettergarten, wo Schorsch und ich trainieren.«
»Apropos Schorsch, er hat angerufen, dass er knapp kommen wird heut, weil die irgendeine Einschulung am Kommissariat haben, wo er dozieren muss, der Herr Hauptkommissar.«
Eine Stunde später füllte sich das Lokal, bald waren alle Tische besetzt und Marvin musste allein bedienen. Vermutlich saß Hyppolith daheim und schmollte. Franz übernahm die Theke. Marvins rotes Gesicht glänzte. »Wer zum Teufel holt die Gurkenbrötchen aus der Küche?«
»Ich.« Kriminalkommissar Georg Kirchner hatte im Trubel unbemerkt die ›Löwengrube‹ betreten, jetzt zupfte er sich den fahlblonden Zopf zurecht. Er war ein wilder Hund, der Schorsch, für einen, der bei der Polizei arbeitete, würde man ihn nie halten. Der lange Zopf, das bunte Hemd, als wäre er gerade aus Hawaii gekommen, und die Sonnenbrille mitten in der Nacht, die wohl seinen Blick nach feschen Miezen verbergen sollte. Er, Franz und Marvin, der damals mit seinen Eltern aus Irland eingewandert war, hatten im Gymnasium ihre Freundschaft durch Blutsbruderschaft besiegelt.
»Na, du schaust ja wieder aus!« Franz lachte. »Nach der Vorstellung muss ich dir was erzählen. Gut, dass du da bist.«
»Na hörst, ein Mordstück, das lass ich mir net entgehen.« Schorsch bleckte die strahlendweißen, leicht vorstehenden Zähne und bewegte sich im Wildkatzengang zur Küche, um mit einem großen Tablett voller Gurkenbrötchen wiederzukehren.

Im Kindle-Shop: Am Abgrund
Für Tolino: Buch bei Thalia

Mehr über und von Elsa Rieger auf ihrer Website.



Labels: , ,

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite