1. Dezember 2017

'Das Urteil von Perugia' von Stefan C. Limbrunner

Das Bühnenstück fand im September 2015 seine umjubelte Premiere und ist ein halbdokumentarisches Gerichtsdrama nach einem wahren Fall: dem Mordfall Meredith Kercher, der zum Justizirrtum um Amanda Knox und Raffaele Sollecito wurde. Zum zehnten Jahrestag des Verbrechens erscheint es nun als eBook.

Florenz, Italien, 2013. Unter Vorsitz des cholerischen Richters Alessandro Nenicini stehen die ehemalige US Austausch-Studentin Amanda Knox und der Italiener Raffaele Sollecito zum dritten Mal wegen eines Mordes vor Gericht, der 2007 von ihnen begangen worden sei soll. Zunächst erscheint die Anklage absolut wasserdicht, doch nach und nach bröckeln die Beweise und im leidenschaftlichen Schlagabtausch zwischen Verteidiger und Staatsanwältin offenbart sich eine schreckliche Wahrheit …

Ein Hochspannungsstück, das sich in der Nachfolge klassischer Gerichtsdramen wie „Die 12 Geschworenen“ und „Wer den Wind sät …“ sieht, versucht dabei nicht nur anhand des Nencini-Prozesses, der von 2013 bis 2014 stattfand, zu zeigen, wie es dazu kommen konnte, dass zwei Unschuldige acht Jahre lang von der Justiz verfolgt wurden – es versucht auch eine definitive Antwort auf die Frage: Wer ermordete Meredith Kercher?

Der Autor folgte dem realen Fall über acht Jahre und investierte drei Jahre intensiver investigativer Hintergrund-Recherche. Wo immer möglich, wurden echte Prozeßprotokolle zur Vorlage genommen. Der konkrete Ablauf und Wortlaut des Verfahrens musste aus dramaturgischen Gründen verdichtet und zum Teil fiktionalisiert werden, ebenso wie einige der Figuren. „Das Urteil von Perugia“ wurde dem neuesten Kenntnisstand folgend aktualisiert und upgedated.

Gleich lesen: DAS URTEIL VON PERUGIA: Gerichtsdrama in 2 Akten

Leseprobe:
Petroscaglia:
Euer Ehren, hohes Gericht.
Nicht was sie über diesen Fall gelesen haben ist wahr.
Nichts was sie über diesen Fall gesehen haben ist wahr.
Nichts was sie über diesen Fall gehört haben ist wahr.
Was über diesen Fall zu lesen, zu sehen und zu hören war, was die Staatsanwaltschaft von Perugia über diesen Fall behauptet, unterscheidet sich nahezu vollständig von dem, was sich tatsächlich ereignet hat.
Was hat sich tatsächlich ereignet?
In der Nacht vom ersten auf den zweiten November 2007 wurde Meredith Kercher von einem Einbrecher, den sie kurz nach ihrer Rückkehr in ihrer Wohnung überraschte brutal ermordet. Der Name dieses Einbrechers ist Rudy Herrmann Guede. Die Staatsanwaltschaft von Perugia kennt ihn gut.
Er ist ihr Hauptbelastungszeuge.
Am Morgen nach der Tat kehrte meine Mandantin, die die Nacht des Mordes in der Wohnung ihres Freundes Raffaele verbracht hatte, in ihr eigenes Apartment zurück um dort zu duschen. Dabei entdeckte sie die Spuren eines Einbruchs und rief zusammen mit ihrem Freund Raffaele, die Polizei. Ein erster, diffuser Verdacht wucherte, als die Polizei an den folgenden Tagen Verhaltensweisen bei Amanda Knox beobachtete, die ihr seltsam erschienen. Nichts davon war illegal, nichts daran verdächtig, nichts davon bewies auch nur das Geringste. Das Verhalten der Frau entsprach nur nicht dem, was die Beamten erwarteten. So wurde der Verdacht in den Köpfen dieser Männer und Frauen zur Gewissheit. Einer Gewissheit ohne jede reale Grundlage. Aber diese Gewissheit war so stark, dass die Polizei sich auf Amanda Knox als Täterin einschoss.
Sie ermittelte nicht.
Sie befragte keine Zeugen.
Sie überprüfte keine Indizien.
Sie wartete nicht auf die Spurenanalyse vom Tatort.
Sie fokussierte sich auf die vermeintlich Schuldige.
Amanda Knox wurde innerhalb einer Woche über 50 Stunden lang verhört. Das letzte Verhör am 5. November 2007 ging die ganze Nacht durch und dauerte über 8 Stunden. Die Beamten trieben sie solange in die Enge, bis sie eine Aussage machte. Eine Aussage in der sie sich selbst am Tatort platzierte und ihren Chef Patrik Dya Lumumba des Mordes beschuldigte, eine Beschuldigung die man ihr wortwörtlich in den Mund gelegt hatte.
Ihre zwei Widerrufe vom nächsten Tag ignorierte man.
Am 6. November verhaftete man Patrik Lumumba, Raffaele Sollecito und meine Mandantin als Mörder von Meredith Kercher, und präsentierte sie in einer Pressekonferenz der Weltöffentlichkeit. Die Bilder gingen durch die internationale Presse.
Man muss sich den Schock der Polizeiermittler vorstellen, als wenige Tage später die Laborergebnisse vom Tatort eintrafen. Sie ergaben, dass Patrik Lumumba niemals in diesem Haus gewesen war. Kurz darauf zeigte sich, dass er auch ein Alibi hatte, das von der Polizei nur deshalb nicht entdeckt worden war, weil sie gar nicht erst danach gesucht hatte. Diese Laborergebnisse zeigten auch, dass es keine Spuren irgendwelcher Art von Amanda Knox und Signor Sollecito im Tatzimmer gab. Einem verschlossenen Raum! In diesem Zimmer gab es nur Spuren des Opfers und eines polizeibekannten Serieneinbrechers: Rudy Guede. Spätestens seit dem Zeitpunkt als er diese Untersuchungsergebnisse in der Hand hielt, muss Chefankläger Giuliano Mignini gewusst haben, dass Signora Knox und Signor Sollecito unmöglich die Täter sein konnten.
Das war der Augenblick in dem die Justiz erkannte, dass sie sich geirrt hatte.
Doch die Behörden reagierten erstaunlich selektiv.
Man behielt die beiden Angeklagten, die durch die Laborergebnisse vollständig entlastet waren, in Haft.
Und ließ Patrik Lumumba ziehen.
Und ersetzte ihn, in einer in ihrer Selbstverständlichkeit schockierenden Geste der Willkür, durch Rudy Guede. Und behauptete weiterhin es habe drei Täter gegeben.
In dem folgenden Prozess hatten die Angeklagten Knox und Sollecito von Anfang an nicht die geringste Chance.
Dennoch war der Fall den die Staatsanwaltschaft von Perugia konstruierte sehr, sehr schwach. Giuliano Mignini wusste, dass er den Prozess gegen Amanda Knox und Raffaele Sollecito allein im Gerichtssaal niemals würde gewinnen können. Nicht, wenn das Gericht die Gelegenheit hätte die Beweise genauer in Augenschein zu nehmen. Daher versuchte er den Fall außerhalb des Gerichts zu gewinnen - über die Medien.
Die Folge war die größte mediale Hetzkampagne gegen eine einzelne Person die es in Italien nach dem zweiten Weltkrieg je gegeben hat. Es war eine Hexenjagd, bei der Amanda Knox, die Amerikanerin, das hilflose Opfer war. Man machte aus dem 20 - jährigen Mädchen ein Monstrum. „Foxy Knoxy“. „Volpe Cattiva“. Den "Engel mit den Eisaugen". Und die Menschen glaubten es, weil es dem, was sie glauben wollten, entgegenkam. Und unter dem Eindruck dieses Medienechos fällte das Gericht Massei zwei Schuldsprüche auf der Basis von Beweismaterial das fast vollständig fiktiv war.
Diese Hexenjagd war de facto bereits in vollem Gange noch bevor der Massei - Prozess überhaupt begonnen hatte. Schon Untersuchungsrichterin Claudia Matteini, die ohne ein einziges Beweisstück zu sichten, entschied, dass Knox und Sollecito in Haft bleiben sollten, tat dies mit den Worten - ich zitiere:

„In einer solchen Situation ist die Gefahr, dass sich so ein Verbrechen wiederholt sicher sehr hoch und man darf nicht davon ausgehen, dass sie sich allein durch das Verstreichen von Zeit verringert hat, Zeit während der sie – wen ich sie erinnern darf – niemals irgendein Zeichen von Reue gezeigt noch ihr Leben überdacht haben.“

Wo, frage ich, bleibt die Unschuldsvermutung, wenn eine Untersuchungsrichterin ein Jahr vor der Hauptverhandlung Reue für ein Verbrechen verlangt, das den Angeklagten in dieser Hauptverhandlung überhaupt erst nachgewiesen werden soll?
Nun stehen diese beiden Angeklagten wieder vor Gericht.
Und erneut versucht die Staatsanwaltschaft von Perugia ein Gericht von einer an Lächerlichkeit nicht zu überbietenden Tathypothese zu überzeugen.
Allein die Vorstellung, dass eine junge Frau mit ihrem Freund den sie erst neun Tage kennt, und einem Serieneinbrecher den keiner von beiden kennt, deren Mitbewohnerin, auf eine Weise die man nicht erklären kann, brutal abschlachtet, aus einem Motiv dass die Ermittlungsbehörden nach sechs Jahren noch immer nicht feststellen können, ist so absurd dass einem fast die Spucke wegbleibt.
Die Staatsanwaltschaft müsste dem Gericht schon überwältigende Beweise liefern, um es auch nur dazu berechtigen, diese These wenigstens von ferne in Erwägung zu ziehen.
Das Gericht wird feststellen, dass solche Beweise nicht existieren.
Die Verteidigung wird diese Auseinandersetzung mit aller Härte und aller Brutalität führen. Es ist nicht mehr Zeit irgendwelche Rücksichten auf irgendwelche Beteiligten dieses Verfahrens zu nehmen. Die Angeklagten können nicht darauf hoffen, dass irgendwann in der Zukunft noch Beweise für ihre Unschuld gefunden werden, denn solche unwiderlegbaren Beweise liegen bereits vor. Dass die Gerichte sich bislang mehrheitlich weigerten sie zur Kenntnis zu nehmen, ist nicht die Schuld der Angeklagten. Es könnte dennoch ihr Schicksal werden. Die Verteidigung wird alles dafür tun das zu verhindern.

Im Kindle-Shop: DAS URTEIL VON PERUGIA: Gerichtsdrama in 2 Akten

Mehr über und von Stefan C. Limbrunner auf seiner Website.



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